Agile Verwaltung und Kommunalpolitik
Die Diskussion um Agilität in der öffentlichen Verwaltung nimmt Fahrt auf. Leider bleibt die Diskussion jedoch auf die Verwaltung als solche fokussiert und bezieht die entscheidenden Anspruchsberechtigten – die Politik – noch zu wenig ein. Das möchte ich gerne ändern, denn gerade diese Einbindung ist wesentlich für den Erfolg einer Transformation hin zur agilen Verwaltung.
Da wir uns mit dem Thema Agilität und Verwaltung noch auf einem sehr jungen Feld bewegen, gibt es erst wenig, dass das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung beleuchtet. Dies liegt auch daran, dass es kaum praktische Erfahrungen gibt, da sich nur sehr wenige Städte und Gemeinden auf die Reise in die Agilität begeben. Bundes- und Landesbehörden tun sich noch schwerer. Agile Ansätze finden sich somit im Augenblick meist nur auf der Ebene einzelner Projekte. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis sich weitere Teile der öffentlichen Verwaltung aktiv mit Agilität auseinandersetzen werden. Grund genug, uns an das Verhältnis agile Verwaltung und Politik zu wagen, und die Diskussion zu eröffnen.
Da die verschiedenen politischen Ebene unterschiedlichsten Rahmenbedingungen unterliegen, möchte in in erster Linie auf Kommunalverwaltungen referenzieren. Dafür sprechen zwei entscheidende Gründe: Ich bin fest davon überzeugt, dass die kommunale Ebene, wegen ihrer großen Bürgernähe, das ideale Experimentierfeld für eine agile Verwaltung ist und – was vielen vielleicht nicht bewusst sein mag – Verwaltungsarbeit in erster Linie in den Rathäusern stattfindet. Damit ist gerade die kommunale Ebene in unserem Mehrebenensystem aus Bund-Ländern-Kommunen für mich die Stelle des politischen Systems, in dem die agile Idee am ehesten spürbar, erlebbar und wirkungsmächtig ist.
Was macht agile Verwaltung anders als das Neue Steuerungsmodell?
Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an die Diskussionen über das „Neue Steuerungsmodell“ Anfang der 90er Jahre. Dieses basierte auf der Trennung zwischen dem strategischen WAS und dem operativen WIE. Die Politik sollte ausschließlich das WAS definieren, während das WIE eine ausschließliche Domäne der Verwaltung sein sollte. Diese strikte Trennung hat sich in der Praxis aus vielen guten Gründen nie durchsetzen können.
Was also ist in einer agilen Verwaltung anders? Ich vertrete die These, dass die Politik – in Anlehnung an die übliche agile Literatur – dem Management zuzuordnen ist. Das Management wird im agilen Kontext nicht abgeschafft. Im Gegenteil, aber das Verständnis, was Management ist und was gutes Management ausmacht, verändert sich im agilen Kontext massiv. Es hat in einem agilen Umfeld zwei Funktionen:
- Die Schaffung der Rahmenbedingungen, die es braucht, um überhaupt agil arbeiten zu können.
- Die strategische Steuerung der agilen Organisation – sprich die strategische Ausrichtung – vorzugeben.
Das hört sich zunächst nach dem bereits erwähnten Versuch an, eine Trennung zwischen dem strategischen WAS und dem operativen WIE zu beleben. Ganz falsch ist es auch nicht, aber – und hier kommt der entscheidende Unterschied zum Neuen Steuerungsmodell – es gibt keine Trennung sondern einen Dialog zwischen den Ebenen. Einen Dialog zwischen operativer und strategischer Ebene. Und dieser Dialog findet kontinuierlich in kurzen Rückkopplungsintervallen statt.
Operative Projekte – Beispiel Scrum
Stellvertretend für die vielen agilen methodischen Ansätze greife ich an dieser Stelle auf Scrum zurück. Scrum ist ein hervorragender Ansatz, um ergebnisoffene Entwicklungsprojekte zu koordinieren. Markenzeichen von Scrum ist neben dem selbstorganisierten Team der gleichbleibende Rhythmus der Sprints, an deren Ende immer wieder – neben der Sprint-Retrospektive des Teams – auch das Review mit den Anspruchsberechtigten steht. Zu den Anspruchsberechtigten gehört auch das Stadtmanagement als Auftraggeber der Verwaltung, der dem Scrum-Team angehört.
Die Politik ist als Management nun nicht nur diejenige, die den Auftrag erteilt, sondern auch als Beteiligte über den gesamten Entwicklungsprozess eingebunden ist. Über die Rückkoppelung im laufenden Prozess hat sie die Möglichkeit, an jedem Sprintende (nicht während des Sprints!) ihrem Auftrag als Bürgervertretung gerecht zu werden.
Die Politik ist als anspruchsberechtigte Gruppe Teil des Reviews in einem vierwöchigen Rhythmus! Wann bekommt der Gemeinderat üblicherweise in einem klassischen Bericht einen Einblick ins Projekt? Kaum in solchen kurzen Abständen! Noch dazu, dass er hier – anders als in einer reinen „Präsentation“ in einer Gemeinderatssitzung – auch noch aufgefordert wird, aktiv ein Feedback zu geben, das in die nächste Planungsphase – den nächsten Sprint – eingeht. Der Rückkopplungsprozess zwischen Politik und Verwaltung findet laufend, in kürzen Abständen und während des Entwicklungsprozesses statt.
Eine weitere Besonderheit ist dabei, dass das Review grundsätzlich „öffentlich“ ist. Interessierte Anspruchsgruppen, in diesem Falle interessierte Bürgerinnen und Bürger, sind ebenfalls herzlich eingeladen, aktiv am Review teilzunehmen und Feedback zu geben. Das Review kann daher auch als niederschwellige Form der Bürgerbeteiligung verstanden werden.
Natürlich mag der eine oder andere einwenden, dass nicht jedes Projekt von gleicher Bedeutung für die Bürgervertretung sein mag. Das ist richtig. Aber zum einen ist es kein MUSS, das alle Anspruchsberechtigten bei jedem Review anwesend sind, sondern eine freie Entscheidung. Und zum anderen lässt sich diese z. B. über eine Hauptsatzung „steuern“, welche Bedeutung einem Projekt beigemessen wird. So können die Review-Sitzungen als Teil einer öffentlichen Gemeinderatssitzung, einer öffentlichen Ausschusssitzung oder einfach als offener Review-Workshop wahrgenommen werden. Dieses Vorgehen ist sehr transparent. Idealerweise werden die Ergebnisse im Anschluss öffentlich zugänglich gemacht.
Gerade auch bei Prozessen mit „bürgerschaftlichem Bezug“ bietet es sich an, den formalisierten Rahmen der Gremien zu verlassen und ein Review für interessierte Bürger zu öffnen, wobei die meisten Gemeindeordnungen Regelungen für sachkundige Einwohner kennen, die genutzt werden können, um Anspruchsberechtigte in beratende Ausschüsse einzubinden.
Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass die Politik selbst im laufenden Prozess mitwirkt. Sie ist zeitnah über Entwicklungen informiert, das Verständnis zwischen Scrum-Team (Verwaltung) und politischen Entscheidungsträgern (Gemeinderat) wird deutlich verbessert und somit wird auch eine bessere Entscheidungsqualität erzeugt.
Strategisches „Portfolio-Management“ mit Kanban
Neben Scrum gehört Kanban zu den bekannteren agilen Ansätzen. Kanban definiert keine festen Rollen oder „Ereignisse“ wie es bei Scrum der Fall ist. Es ist damit wesentlich einfacher in eine bestehende Struktur integrierbar und ermöglicht einen leichten Einstieg in einen agil-evolutionären Veränderungsprozess. Wesentliches Kennzeichen von Kanban die Visualisierung der Prozesse, der Wertströme und der Prozessregeln und damit verbunden das Sichtbarmachen der impliziten Grundannahmen. Hinzu kommt, dass Kanban ein Prinzip der Limitierung der parallelen Arbeit nutzt, um fokussiert an Themen/Aufgaben zu arbeiten. Darüber hinaus eignet sich Kanban hervorragend für die „Agilisierung“ des operativen Tagesgeschäfts und der persönlichen Selbstorganisation zu.
Eine Möglichkeit, um die Zusammenarbeit zwischen Politik und Verwaltung agil zu gestalten, ist die Adaption von Kanban für das „Portfolio-Management“. Portfolio meint hierbei, die größeren Projekte und Themen, mit den sich die Verwaltung auseinandersetzt. Mithilfe eines Kanban-Boards werden die Entscheidungsprozesse innerhalb der Kommunalverwaltung und die jeweiligen Arbeitsstände im Prozessverlauf transparent visualisiert. Darüber hinaus werden zu jedem definierten Prozessschritt die Grundregeln dargestellt, die erfüllt sein müssen, damit ein Projekt oder ein Thema in den nächsten Schritt in der Prozesskette überführt werden kann. So haben alle Beteiligten jederzeit einen Überblick, welche Themen gerade an welcher Stelle in Bearbeitung sind. Spannend wird es, wenn dieses Board – zum Beispiel elektronisch geführt – auch für die Bürgerschaft zugänglich ist, die sich so über die Arbeit der Gremien und der Verwaltung informieren kann.
Die Visualisierung alleine macht jedoch noch kein Kanban. Dazu braucht es noch eine weitere Zutat: das sogenannte WiP-Limit, eine Begrenzung der parallelen Arbeit (WiP steht für Work in Progress), in dem jeweils definierten Prozessschritt. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass durch den künstlichen Engpass der Arbeitsfluss so gesteuert werden kann, dass das System gleichbleibend ausgelastet wird, ohne es zu überlasten oder auszuhungern. In Folge muss regelmäßig von den Entscheidern priorisiert werden, welche Projekte und Themen in den Vordergrund rücken. Dieses Priorisieren erfolgt nicht im stillen Kämmerlein, sondern in enger Abstimmung zwischen der Verwaltung und der Kommunalpolitik beispielsweise in existierenden Gremien wie dem Verwaltungsausschuss oder Gemeinderat (je nach definierter Zuständigkeit).
Kombiniert wird das Ganze mit der Idee von Kaizen, der kontinuierlichen und ganzheitlichen Verbesserung des Gesamtsystems. D. h. gemeinsam – ähnlich wie beim Review und der Retrospektive – erarbeiten Verwaltung und Politik gemeinsam in regelmäßigen Iterationen, ob, wo und welchen Bedarf es zur Anpassung und Weiterentwicklung gibt. Da Kanban hierfür keine Gremien oder Ereignisse vorschreibt, können diese Iterationen – in Kanban werden sie Kadenzen genannt – und die erforderlichen Abstimmungen in die bestehende Arbeitsstruktur integriert werden. Dabei bieten die sogenannten Service-Level (Erwartungen / Fähigkeiten / Vereinbarung / Schwellenwerte) das adäquate Hilfsmittel, um einen operativen Rahmen zu schaffen. Mithilfe der historischen Daten wie bspw. Durchlaufzeiten können Verbesserungspotenziale empirisch belegt und Entwicklungen sichtbar gemacht werden.
Kanban wird dabei ein Werkzeug zur Schaffung von Transparenz mit Bezug auf die Themenvielfalt, die gebundenen Kapazitäten und der Steuerung des Entscheidungsprozesses innerhalb der Kommunalverwaltung. Zudem erfüllt es den Transparenzanspruch, den die öffentliche Verwaltung erhebt
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es sich nur um ein mögliches Einsatzszenario von Kanban handelt, das sich auf die Zusammenarbeit zwischen agiler Verwaltung und agiler Kommunalpolitik bezieht.
Strategische Steuerung mit Objectives and Key Results (OKR)
Management by Objectives (MbO) – die strategische Steuerung über Ziele ist ein viel verbreitetes Instrument, das in der Praxis jedoch einige Schwachstellen hat, zumal bei MbO das agile Element, das wir ja gerade favorisieren, fehlt. Eine Lösung hierzu ist der Ansatz „Objectives and Key Results„, wie er bereits seit vielen Jahren von großen Unternehmen wie auch Startups im Silicon Valley erfolgreich praktiziert wird.
Wie die englische Bezeichnung bereits erkennen lässt, werden hier nicht nur Ziele, sondern auch Schlüsselergebnisse definiert und – jetzt wird es gefährlich – in regelmäßigen Abständen (drei Monaten) über alle Hierarchieebenen (ja, richtig über alle) im Gegenstromprinzip nicht nur definiert und überprüft, sondern auch fortgeschrieben.
Der Ansatz OKR basiert ebenfalls auf einem regelmäßigen Dialog aller Beteiligten. Übertragen wir die Idee auf eine Stadtverwaltung, tritt der Gemeinderat mit der Verwaltungsspitze in einen regelmäßigen Dialog über Ziele und Ergebnisse. Ergebnisse – das ist an diese Stelle wichtig zu erwähnen – sind genau das, was wir als Agilisten erreichen wollen. Anhand von Ergebnissen wird überprüfbar, ob wir mit unserer Vermutung in Form von Zielen überhaupt richtig liegen und uns auf dem Weg befinden, um diese zu erreichen.
Regelmäßig über alle Ebenen bedeutet aber auch, dass hier Politik und Verwaltung wieder in einem Dialog stehen, der zu einem besseren Verständnis führt – auf beiden Seiten. Ein ständiges Zusammenspiel zweier an und für sich gegenläufiger Systeme oder, wie es der Kollege Wolf Steinbrecher ausdrückt: die Politik wirkt zentrifugal, während die Verwaltung zentrierend wirkt und sich damit ergänzt. Dabei sorgt der gleichbleibende Rhythmus für eine „frühe“ und laufende Rückkopplung und damit für schnelles und frühzeitige Feedback. In der Folge können Verwaltung und Politik Anpassungen vornehmen und gemeinsam (gegen-)steuern. Anders als bei „zementierten“ Jahreszielen, werden die Ziele an die laufenden und sich ergebenden Erkenntnisse angepasst.
Vorteile für Verwaltung und Politik
Anders als im Neuen Steuerungsmodell, das die strikte Trennung zwischen WAS und WIE favorisiert, und damit indirekt eine klare Trennung von Politik und Verwaltung anstrebt, ist Agilität geprägt von der Idee des Zusammenspiels auf Augenhöhe. Betroffene werden so zu Beteiligten. Das Management schafft die Rahmenbedingungen, die es braucht, um die Agilität der Teams zu entfalten, muss aber dabei nicht fürchten, außen vor zu bleiben, sondern wird eingebunden.
Übertragen auf das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung bedeutet dies, dass die Politik nicht um ihren Einfluss fürchten muss, sondern deutlich mehr in den Prozess eingebunden wird. Politik und Verwaltung begegnen sich auf Augenhöhe. Dadurch wird das gegenseitige Verständnis gestärkt, und gleichzeitig steigt auch die Qualität von Informationen und Entscheidungen, da der Informationstransfer weniger Hürden zu überwinden hat.
Ich glaube an die Agilität in der öffentlichen Verwaltung. Sie auch?
Hinweise:
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Zur Vertiefung und bei weiterem Interesse:
Was ist Agilität? Eine Einführung ins agile Manifest: https://agile-verwaltung.org/2018/01/18/was-ist-agilitaet-eine-einfuehrung-in-das-agile-manifest/
Scrum als Rahmen für bürgerschaftliches Engagement: https://agile-verwaltung.org/2018/07/19/scrum-als-rahmen-fuer-buergerschaftliches-engagement/
Agilität und kommunale Selbstverwaltung – ein starkes Paar: https://agile-verwaltung.org/2018/12/06/agilitaet-und-kommunale-selbstverwaltung-ein-starkes-paar/
Whitepaper „Scrum in der Kommunalverwaltung“: https://agileverwaltungorg.files.wordpress.com/2019/04/2019-02-18-scrum-in-der-kommunalverwaltung.pdf
Thomas Michl hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.
Thomas Michl
Thomas Michl ist Dipl.-Verw.Wiss. und MBA. Zehn Jahre lang war er im öffentlichen Dienst tägig, bevor er 2018 für borisgloger consulting GmbH und im Anschluss für die Exxeta AG arbeitete. Heute ist der leidenschaftliche Agilist für die FourEnergy GmbH als Senior Business Consultant aktiv.
Thomas Michl zählt zu den Gründungsmitgliedern des Forums Agile Verwaltung und ist Vorstandsmitglied des Trägervereins. Das Forum Agile Verwaltung wird ehrenamtlich getragen und hat sich zum Ziel gesetzt, die Idee des Agilen Manifests in die öffentliche Verwaltung zu tragen, in dem es eine Plattform für den Austausch und die kollegiale Beratung bietet.