Lastenheft
Inhaltsverzeichnis: Definition – Inhalte – Aufbau – Vorteile und Nachteile – Fragen aus der Praxis – Download – Hinweise
Wissen kompakt: Ein Lastenheft ist ein Dokument eines Auftraggebers, das Anforderungen an ein System und erwartete Leistungen eines Auftragnehmers beschreibt.
Lastenheft Definition
Die DIN 69901-5 definiert ein Lastenheft als “vom Auftraggeber festgelegte Gesamtheit der Forderungen an die Lieferungen und Leistungen eines Auftragnehmers innerhalb eines Auftrages”. Es handelt sich also um ein Dokument des Auftraggebers mit den Ergebnissen der Anforderungsanalyse und damit um einen Wunschzettel, den ein Auftragnehmer realisieren soll.
Für das Lastenheft gibt es einige alternative Bezeichnungen: Anforderungsspezifikation, Anwenderspezifikation oder Kundenspezifikation, Anforderungskatalog sowie im Englischen Customer Specification, User Specification oder Tender Specification.
Idealerweise sollten die Formulierungen in einem Lastenheft so allgemein wie möglich und so einschränkend wie nötig formuliert werden, so dass Auftragnehmer Lösungen entwickeln können, ohne zu sehr in ihren Kompetenzen eingeschränkt zu werden. Anforderungen werden meist in natürlicher Sprache formuliert, ohne auf die technische Umsetzung einzugehen; diese wird vom Auftragnehmer im sogenannten Pflichtenheft dokumentiert.
Welche Inhalte gehören in ein Lastenheft?
Es gibt verschiedene Gliederungsvorschläge für Lastenhefte. So definiert bspw. der VDI (Verein deutscher Ingenieure e.V.) unterschiedliche Vorlagen u.a. für den Einsatz von Förder- und Lagersystemen oder den Einsatz von Automatisierungssystemen. Unternehmen sollten sich daher an Vorlagen orientieren, die speziell für ihre Branche definiert wurden.
In der Softwareentwicklung ist die von Helmut Balzert im “Lehrbuch der Softwaretechnik: Softwaremanagement”¹ beschriebene Gliederung weit verbreitet:
- Zielbestimmung: Ziele, die mit der Software erreicht werden sollen
- Produkteinsatz: Anwendungsbereiche und Zielgruppen
- Produktübersicht: Umgebung bzw. Kontext der Software
- Produktfunktionen: Hauptfunktionen des Produktes aus Sicht des Auftraggebers
- Produktdaten: (permanent gespeicherte) Hauptdaten des Produktes
- Produktleistungen: besondere Ansprüche an Funktionen (Zeit, Datenumfang oder Genauigkeit), Sollbedingungen
- Qualitätsanforderungen wie Zuverlässigkeit, Benutzungsfreundlichkeit, Performance etc.
- Ergänzungen
Der Aufbau eines Lastenhefts
Nachfolgend finden Sie eine Beschreibung eines Lastenheft-Aufbaus²:
- Einführung
- Allgemeine Beschreibung
- Anforderungen
- Vorgaben und Einschränkungen
- Anlagen und Ergänzungen
Zu Beginn der Spezifikation ist es wichtig, ein gemeinsames Verständnis aufzubauen. Hier helfen Erläuterungen zum Zweck und Aufbau des Dokuments, zu verwendeten Begriffen und zum Umfang der gewünschten Lösung:
- Deckblatt mit Projektbezeichnung, Projektleiter, Verantwortlichkeit, Erstellungs- und Änderungsdatum, Ablageort, Version und Änderungsverzeichnis, Ersteller und Mitwirkenden, Zustand des Dokuments (z.B. initial, fertig) und Prüfverzeichnis
- Zweck des Dokuments
- Übersicht zum Aufbau des Dokuments
- Ausgangssituation und Zielsetzung
- Umfang der gewünschten Produkts, der Software, des Systems oder der Leistung des Auftragnehmers
- Verweise auf andere Quellen und Ressourcen
- Definitionen und Erläuterungen zu Begriffen
Darüber hinaus kann es sehr sinnvoll sein, bereits frühzeitig das Nutzenversprechen des Systems festzuhalten. Ein System hat nur dann einen Sinn, wenn es den Anwendern einen Nutzen verspricht und einen Zweck erfüllt.
Allgemeine Beschreibung
Bei der allgemeinen Beschreibung geht es um die Einordnung der gewünschten Produkts in die vorhandene Infrastruktur des Unternehmens und die Beschreibung wesentlicher Merkmale:
- Anwendermerkmale mit der Beschreibung der Zielgruppe des Produkts, den Motiven und Einstellungen
- Produktperspektive mit der Beschreibung der Beziehung des Produkts zu anderen Produkten
- Zusammenfassung der Funktionen, die das System bereitstellen soll
- Einschränkungen und Grenzen für die Entwicklung, bspw. gesetzliche Regeln, Normen oder interner Vorgaben
- Annahmen und Abhängigkeiten, die die Entwicklung beeinflussen, aber nicht behindern wie bspw. die Verwendung von definierten Datenbanken oder Programmiersprachen
- Beschreibung des Systems inklusive Systemkontext, Systemarchitektur, Schnittstellen, Datenmodell etc.
- Lieferumfang mit Beschreibung der Leistung des Lieferanten, der Inbetriebnahme der Lösung etc.
Anforderungen
Anforderungen sind das zentrale Element in einem Lastenheft. Sie sind in der Praxis nicht immer so leicht zu erheben, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag. Mögliche Interessenkonflikte der Stakeholder, unklare Rahmenbedingungen oder sich ändernde Prioritäten schon zu einem solch frühen Zeitpunkt sind nicht selten. Folgende Anforderungsgliederung ist häufig anzutreffen:
- funktionale Anforderungen
- nicht-funktionale Anforderungen mit Aussagen zur Performance, Qualität, Usability, Ergonomie etc.
- externe Schnittstellen
- Design Grenzen bzw. Constraints
- sonstige Anforderungen wie z.B. logische Datenbank-Anforderungen
- unterstützende Informationen wie Beispiele, Modelle, Skizzen oder Grafiken
Eignen sich andere Gliederungen besser, sollten hier entsprechende Anpassung vorgenommen werden.
Es besteht die Möglichkeit, Informationen zu Einschränkungen oder Vorgaben, die das System erfüllen muss, im Kapitel “Anforderungen” oder in einem separaten Kapitel zu dokumentieren. Dabei kann es sich um folgende Aspekte handeln:
- Benutzbarkeit
- Zuverlässigkeit
- Effizienz
- Änderbarkeit
- Übertragbarkeit
- Wartbarkeit
- Risikoeinschätzung
- Abnahmekriterien
Im letzten Kapitel sollten Anlagen und Verzeichnisse übersichtlich verwaltet werden. Hierzu gehören:
- die im Kapitel “Einführung” bereits genannten Quellen und Ressourcen. Auch Verweise bspw. auf den Projektantrag oder das Projekthandbuch mit dort spezifizierten Anforderung lassen sich hier darstellen.
- Abkürzungsverzeichnis, Tabellenverzeichnis, Bildverzeichnis
- sonstige Ergänzungen wie Notizen oder eine Liste mit Anforderungen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt realisiert werden sollen.
Vorteile und Nachteile Lastenheft
Lastenhefte fördern die Kommunikation zwischen Auftraggeber und potentiellen Auftragnehmern. Durch die Dokumentation der Wünsche von Anwendern und die Erläuterungen von Zielen und Herausforderungen bildet es eine gute Basis zur Beschreibung und nachfolgenden Entwicklung von passenden Lösungen.
Folgende Vorteile bietet die Arbeit mit Lastenheften:
- Strukturierte und fundierte Beschreibung von Anforderungen und erwarteten Lieferungen und Leistungen des Auftragnehmers.
- Systematische Auswertung definierter Lasten wird ermöglicht.
- Steigerung der Vergleichbarkeit der Pflichtenhefte, da diese auf der Struktur der Lastenhefte basieren.
Folgende Nachteile gibt es:
- Der Aufwand zur Erstellung ist auch bei Verwendung einer Vorlage hoch.
- Der Umfang wächst schnell an, wenn viele Details dokumentiert werden.
- Je umfassender und detaillierter es wird, desto schwieriger wird das Verständnis.
- Nachträgliche Änderungen durch neue Erkenntnisse lassen sich nur schwer integrieren.
Fragen aus der Praxis
Hier finden Sie einige Fragen und Antworten aus der Praxis:
Welche Szenarien der Lastenhefterstellung gibt es?
Es gibt drei typische Szenarien bei der Lastenhefterstellung:
- das klassische Szenario mit einem oder mehreren externen Lieferanten
- das interne Szenario mit Anforderungen aus einem Fachbereich
- das Wettbewerbsszenario mit verschiedenen potentiellen Kunden
Im klassischen Szenario möchte ein Auftraggeber eine Leistung von einem Auftragnehmer – einem Lieferanten – erhalten. Es ist die Aufgabe des Auftraggebers, das Dokument mit den Anforderungen zu formulieren. Diese Aufgabe fällt oft in den Aufgabenbereich des Produktmanagements oder des Marketings. In der Folge liefert der Auftragnehmer das Pflichtenheft.
Beim internen Szenario obliegt dem Fachbereich die Lastenhefterstellung. Da die Umsetzung der Anforderungen durch einen internen Bereich wie der IT erfolgt, verschwimmen hier häufig die Grenzen zwischen Lastenheft und Pflichtenheft, so dass ein Spezifikationsdokument erstellt wird, dass neben den Anforderungen auch Lösungsbeschreibungen umfasst.
Beim Wettbewerbsszenario entwickelt ein Unternehmen Produkte für einen Markt. Die Teilnehmer des Marktes formulieren aber keine Lastenhefte, diese Aufgabe übernimmt auch hier das Produktmanagement oder das Marketing. Hier sind gute Marktkenntnisse wichtig und die Anforderungen werden idealerweise mit einem definierten Prozess ermittelt. Mithilfe des Kano-Modells lässt sich möglicherweise die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und der Einsatz eines Minimum Viable Products kann frühzeitiges Kundenfeedback ermöglichen.
Was sind die Unterschiede zwischen Lastenheft und Pflichtenheft?
Ein Lastenheft besitzt folgende Merkmale:
- es ist aus Sicht des Auftraggebers formuliert,
- es fokussiert den Anwender und seine Anforderungen,
- es beschreibt das “Was” und nennt das “Warum” (bspw. in Form von Zielen),
- es dient als Ausschreibungs-, Angebots- oder Vertragsgrundlage,
- es bildet die Grundlage für die Realisierung durch einen oder mehrere Auftragnehmer.
Ein Pflichtenheft besitzt folgende Merkmale:
- es ist aus Sicht des Auftragnehmers formuliert.
- es adressiert die Systemebene,
- es beschreibt das “Wie” und somit den Plan zur Umsetzung des “Was”,
- es dient als Basis für den Vertragsabschluss zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer,
- und es bildet die Grundlage für die Realisierung und Projektabwicklung.
Das Lastenheft ist somit die Basis für das Pflichtenheft. Ohne Lastenheft kein Pflichtenheft.
Hier finden Sie ein Video über Lastenheft und Pflichtenheft.
Welche Tipps sind für die Lastenhefterstellung nützlich?
Für die Erstellung von Lastenheften gibt es einige Tipps:
- Es gibt verschiedene Tools, die für die Erfassung und das Managen von Anforderungen spezialisiert sind. Diese eignen sich in vielen Fällen deutlich besser als allgemein vorhandene Tools wie bspw. MS Excel oder MS Word.
- Eine klare Struktur erleichtert sowohl die Erstellung als auch das Nachvollziehen der beschriebenen Inhalte. Ohne eine sinnvolle Struktur – dies kann bspw. durch das reine Kopieren von Inhalten aus verschiedenen Dokumenten entstehen – geht der Überblick schnell verloren. Ohne Überblick werden widersprüchliche Aussagen übersehen, Aspekte werden wiederholt und Lücken nicht identifiziert.
- Trotz Verwendung von Vorlagen kann die Menge von Anforderungen bei komplexen Systemen schnell in den fünfstelligen Bereich wachsen. Hier empfiehlt sich die Verwendung von ergänzenden Ebenen, denn sonst liest niemand das Dokument vollumfänglich.
- Die Priorisierung der Aufgabe zur Erstellung des Lastenhefts und der Faktor Zeit werden unterschätzt. Häufig nimmt die Formulierung zu viel Zeit in Anspruch, da Aufwände unterschätzt werden oder zu geringe Kapazitäten bereitgestellt werden. Die Auswirkungen können zu Lieferverzögerungen oder gar zu verpassten Marktchancen führen.
- Die Beschreibung von Anforderungen aus Anwendersicht zur Entwicklung von Software, Systemen, Produkten oder Services ist nicht so leicht, wie es im ersten Moment klingt mag. Es empfiehlt sich daher, eine Vorlage zu verwenden, die auf die konkreten Herausforderungen angepasst wird. Dies erleichtert die Formulierung der Inhalte, erfordert aber auch Erfahrung.
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Alles Wichtige über Lastenhefte auf einen Blick.
- Definition und Unterschiede zu Pflichtenhefte
- Welche Inhalte und insbesondere Anforderungen gehören in das Dokument?
- Welche Vorteile und Nachteile gibt es?
- Welche Herausforderungen müssen Unternehmen meistern?
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Impuls zum Diskutieren:
Ersetzt in der agilen Produktentwicklung das Backlog das Lastenheft? Und wie schwierig ist es, den richtigen Detaillierungsgrad im Lastenheft zu finden?
Hinweise:
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[1] Helmut Balzert: Lehrbuch der Softwaretechnik: Softwaremanagement
[2] Hier finden Sie eine kostenlose Lastenheft-Vorlage zum Herunterladen.
Hier finden Sie weitere Arten und Beispiele für Spezifikationen.
Weitere Quellen:
Es gibt eine Liste an Fragen im Kontext von Lastenheften und Anforderungen. Auf einige der Fragen finden Sie Antworten in unserem Blog:
- Was ist ein guter Prozess im Anforderungsmanagement?
- Wie lassen sich Lasten binnen 14 Tagen spezifizieren?
- Was tun, wenn der Berg an Anforderungen zu groß wird?
- Welche Tipps gibt es zur Durchführung von Anforderungsworkshops?
- Wie lassen sich Widersprüche, Lücken und Fehler in Spezifikationen finden?
Und hier finden Sie ergänzende Informationen aus unserer Rubrik Wissen kompakt: