Wie gut ist Ihre Lösung?

Gastbeitrag von | 25.10.2018

Arbeiten Sie für ein Unternehmen, das Produkte entwickelt oder Dienstleistungen anbietet? Befinden Sie sich im Wettbewerb mit Firmen, die regelmäßig Innovationen publizieren und kontinuierlich in die Weiterentwicklung bestehender Lösungen investieren? Dann sind Sie in guter Gesellschaft, denn fortwährende Änderungen, Erweiterungen, Neuerungen sind für viele Unternehmen heute Standard. Sie verwenden viel Zeit, um Verbesserungen zu realisieren und nachhaltigen Nutzen zu generieren. Doch lohnt sich dieser Aufwand? Halten die entwickelten Lösungen, was Sie sich von ihnen erwartet haben? Und wie lassen sich Lösungen überhaupt bewerten? Die Antwort lautet: mit einer Solution Evaluation.

Solution Evaluation – Was ist das?

Die Solution Evaluation ist ein sogenanntes Wissensgebiet im Business Analysis Body Of Knowledge Guide – kurz BABOK – dem Standardwerk der Business Analyse, das vom International Institute of Business Analyse – kurz IIBA – in Kanada herausgegeben wird. Es beschreibt die Bewertung von teilweise oder vollständig realisierten Lösungen vor oder nach ihrer Inbetriebnahme im Unternehmen und betrachtet dabei auch Systeme, Prozesse, Regeln und Organisationsstrukturen. Diese ganzheitliche Betrachtung ergibt sehr viel Sinn, da Lösungen vielfältige Auswirkungen innerhalb einer Organisation haben können. Interessanterweise wird dieser weitreichende Ansatz in der Requirements Engineering und Projektmanagement Literatur häufig ignoriert.

Keine Lösungsbewertung ohne gute Anforderungen

Jedes Unternehmen, das in die Entwicklung einer Lösung investiert, erhofft und erwartet sich etwas davon. Oft sind es monetäre Ziele wie die Einsparung von Kosten, ein Umsatzwachstum oder die Vergrößerung der Marktanteile. Die Steigerung der Kundenzufriedenheit steht bei vielen Unternehmen im Fokus und immer mehr Organisationen achten auf die Bedürfnisse ihrer eigenen Mitarbeiter und versuchen deren Zufriedenheit zu steigern. Darüber hinaus gibt es natürlich auch – nicht erst seit dem Diesel-Skandal in der Automobilindustrie – Normen und Gesetze, die durch Lösungen adressiert werden.

Im Allgemeinen ist eine Lösung eine umgesetzte Geschäftsanforderung. Sie basiert auf einem Wunsch, einem Ziel oder einem Bedürfnis. Für die Bewertung einer Lösung ist es wichtig, diese Grundlage möglichst klar zu verstehen. Doch nur wenn korrekte, eindeutige, widerspruchsfreie, bewertete, verifizierbare, modifizierbare und verfolgbare Anforderungen dokumentiert wurden, kann dies gelingen. Unklare oder unvollständige Anforderungen führen zu unzureichenden Bewertungskriterien, zu unpassender Priorisierung oder Wichtung. So kann bspw. eine Eingabemaske zur Erfassung von Daten in einem CRM-System für den Vertriebsinnendienst gut funktionieren, während sie im direkten Gespräch mit einem Kunden eine unzumutbare Usability aufweist. Schnell zeigt sich, dass die ganzheitliche Betrachtung wesentlich für die Qualität einer Solution Evaluation ist.

Die Definition von Bewertungskriterien

Wann wird aus einer Entwicklung eine gute Lösung? Oder anders gefragt: wie lassen sich für eine sinnvolle Solution Evaluation relevante Bewertungskriterien entwickeln? Oftmals reicht die schlichte Beurteilung, ob ein Feature realisiert wurde, nicht aus. Natürlich lässt sich die Frage, ob sich der monatliche Umsatzbericht der Wartungskunden als PDF ausdrucken lässt, leicht mit “ja” oder “nein” beantworten. Aber diese Beurteilung lässt das Layout, die Lesbarkeit, die Geschwindigkeit des Ausdrucks, das Einsparen von Papier durch doppelseitige Drucke oder die Möglichkeit statt in Farbe auch in schwarz-weiß zu drucken außer Acht. Verallgemeinert bedeutet dies, dass sich Bewertungskriterien aus den dokumentierten, funktionalen Anforderungen ableiten lassen, die nicht funktionalen Anforderungen in der Solution Evaluation eine Herausforderung darstellen. Häufig entscheidet besonders die Qualität der Umsetzung von nicht-funktionalen Anforderungen, wie zufrieden ein Anwender mit einem Produkt, einer Software oder einem Service ist.

Nach meiner Erfahrung bietet das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit eine sehr gute Unterstützung bei der Entwicklung von Bewertungskriterien. Es klassifiziert Attribute einer Lösung in sogenannte Basismerkmale, Leistungsmerkmale und Begeisterungsmerkmale. Besonders die Leistungs- und Begeisterungsmerkmale liefern wichtige Hinweise bei der Definition von Bewertungskriterien und das sowohl für funktionale als auch für nicht-funktionale Anforderungen.

Die Wichtung von Bewertungskriterien

Die Solution Evaluation lässt sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten einer Entwicklung nutzen. Sie kann bspw. auf Basis von Prototypen, Mock-Ups oder bereits teilweise entwickelten Produkten und Services angewandt werden. Sie lässt sich innerhalb einer Organisation zur Beurteilung vorhandener Lösungen verwenden und hilft bei der Klärung, ob vorhandene Produkte weiter entwickelt, weiter betrieben oder eingestellt werden sollen. Sie kann auch im Einkauf und in Fachabteilungen zur Bewertung von Lösungen mitsamt Lieferanten genutzt werden. Doch neben der Definition von Bewertungskriterien ist auch die Wichtung dieser wesentlich für die Solution Evaluation. Die Verwendung einer gewichteten Bewertungsmatrix kann hier wertvolle Dienste leisten. Besonders bewährt hat sich die doppelte Gewichtung, bei der Kriterien sowohl einzeln als auch gruppiert gewichtet werden. Dies bereitet zwar einige Mühe, lohnt sich in der Praxis aber, denn die Fragen, die bei der Wichtung auftauchen, führen oftmals zu weiteren Gesprächen mit den Stakeholdern. Idealerweise sollten daher auch die Kriterien und die Wichtung so wie möglich ermittelt werden. Kennen die Entwickler beides, stehen die Chancen gut, eine Lösung zu entwickeln, die Kunden zufrieden stellt und eventuell sogar begeistert.

Die kontinuierliche Überprüfung

Die Solution Evaluation ist eine Momentaufnahme. Ähnlich wie beim Kano-Modell der Kundenzufriedenheit, bei dem Begeisterungsfaktoren zu Leistungs- oder gar Basisfaktoren werden können, kann sich der Nutzen im Zeitverlauf verändern. In der Konsequenz bedeutet dies, dass auch die Ergebnisse der Solution Evaluation immer wieder hinterfragt werden sollten. Es gilt es bspw. schlicht zu klären, ob die Lösung noch den aktuellen Geschäftsbedarf abdeckt, ob sich dieser zwischenzeitlich verändert hat oder ob er gar entfallen ist.

In der Unternehmensrealität kommt es immer wieder vor, dass z.B. die Kosten für den Betrieb sowie die Pflege und Wartung den monetär bewerteten Nutzen nicht mehr oder nicht mehr deutlich übersteigen. Unternehmen müssen in der Folge entscheiden, ob sie Teile der Lösung oder die gesamte Lösung überarbeiten oder den Betrieb der Lösung aufkündigen und einstellen wollen. Wichtig ist bei einer solchen Entscheidung aber nicht nur eine reine Kosten-Nutzen-Analyse sondern auch die Betrachtung möglicher Opportunitätskosten bzw. -nutzen, so dass diejenigen Investitionen in Lösungen identifiziert werden, die am sinnvollsten sind und für das Unternehmen einen nachhaltigen, positiven Effekt haben.

Fazit

Der Nutzen einer Lösung ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Lösung. Stakeholder determinieren diesen Nutzen durch ihre Ziele, Wünsche und Bedürfnisse. Da aber Stakeholder ihre Meinungen ändern, und sich Märkte und damit die Produkte und Services in diesen Märkten weiterentwickeln, ist es wichtig, diesen Nutzen kontinuierlich – und am besten zyklisch und iterativ – zu analysieren. Dies kann bereits in der Phase der Produktentwicklung mit Hilfe von Mock-Ups, Prototypen oder Proof-of-Concept Installationen geschehen oder auch während des Betriebs einer Lösung. Erfahrungen zeigen jedoch, dass schlecht geplante und ungenügend strukturierte Evaluationen von Lösungen auch erhebliche Risiken mit sich bringen können. Einmal getroffene Entscheidungen führen häufig in der Praxis zum längerfristigen Einsatz von ungenügenden Lösungen. Und wie könnte der Schaden, der dadurch entsteht – also bspw. unnötige Kosten, große Aufwände, mögliche Umsatzeinbußen und unzufriedene Kunden oder Mitarbeiter – vermieden werden? Die Antwort lautet: mit einer guten Solution Evaluation.

 

Hinweise:

Interessieren Sie sich für weitere Tipps aus der Praxis? Testen Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit interessanten Beiträgen, Downloads, Empfehlungen und aktuellem Wissen.

Unter der Leitung von Herrn Wendt veranstaltet die masVenta Business GmbH eine jährliche Konferenz für Business Analysis und Requirements Engineering in Frankfurt, den European Business Analysis Day, kurz (BA-Day). Im Unterschied zu anderen Konferenzformaten in diesen Bereichen ist diese Veranstaltung konsequent international ausgelegt und bietet neben Vorträgen von exzellenten Speakern aus ganz Europa, Amerika und Kanada, viele Möglichkeiten zum Networking mit der internationalen BA und RE Community.

Rainer Wendt hat im t2informatik Blog zwei weitere Beiträge veröffentlicht:

t2informatik Blog: Simplified Requirements Management

Simplified Requirements Management

t2informatik Blog: Projektportfoliomanagement für bessere Entscheidungen

Projektportfoliomanagement für bessere Entscheidungen

Rainer Wendt
Rainer Wendt

Rainer Wendt, CBAP, PMP, PMI-PBA, PMI-ACP, bekannter Trainer und Experte für Business Analyse, Projektmanagement und agile Vorgehensweisen, ist immer fokussiert auf den nachhaltigen Nutzen und die Wirtschaftlichkeit von Projekten. Dafür sind seiner Überzeugung nach der Business Analyst und der Projektmanager gemeinsam verantwortlich. Als Geschäftsführer und selbst aktiver Berater der masVenta Business GmbH (www.masventa.de) hat er viele Projekte in verschiedenen Branchen begleitet. Zusätzlich ist Rainer Wendt amtierender Präsident des deutschen Chapters des International Institute for Business Analysis (IIBA).