Sind Sie schon Projektbotschafter?

von | 07.12.2023

Wenn Sie in Ihren Arbeitsvertrag schauen, welche Jobbezeichnung finden Sie da? Projektleiter, Product Ownerin, Anforderungsanalyst, Systemdesignerin, Vertriebsleiter, Account Managerin, Grafik Designer oder Softwareentwicklerin? Was Sie mit Sicherheit nicht lesen werden: Projektbotschafter.

Warum das so ist, warum sich viele Vorhaben über Projektbotschafter freuen würden, und warum die Tätigkeit für Organisationen wichtig sein kann, verrate ich Ihnen in den nächsten Zeilen.

Projektbotschafter – eine Rolle oder Tätigkeit?

Was ist ein Projektbotschafter? Im Internet findet sich leider keine praktische Definition des Begriffs. Diese Nicht-Existenz dürfte folgende Gründe haben:

  • Es ist keine entsprechende Rolle, sie taucht weder in Arbeitsverträgen, noch in Frameworks wie Scrum oder in Projektmethoden wie PRINCE2 auf. Selbst das V-Modell XT – ein deutscher Standard für die Planung und Durchführung von Systementwicklungsprojekten, das sich sowohl an Auftraggeber als auch an Auftragnehmer richtet – mit seinen 32 Projektrollen und 6 Organisationsrollen kennt den Projektbotschafter nicht.¹
  • Möglicherweise wird in Organisationen oft der Bedarf nicht erkannt oder der Aufwand im Umgang mit dem Projektbotschafter gescheut.
  • Es ist eine Tätigkeit, die implizit einer Rolle zugeordnet wird. Scrum bspw. definiert seit einigen Jahren Accountabilitys bzw. Verantwortlichkeiten, das Project Management Body of Knowledge (PMBOK) kennt in der 7. Edition das Stewardship und damit eine Person, die wohlwollend, respektvoll und fürsorglich agiert.

Angesichts dieser Gründe und der Tatsache, dass eine klare und etablierte Definition des Begriffs “Projektbotschafter” im Internet bisher fehlt, ergibt sich hier eine einzigartige Gelegenheit: Wir schließen die Lücke und schaffen eine erste Definition. So bieten wir eine Orientierungshilfe für alle, die sich mit Projektmanagement beschäftigen, und tragen dazu bei, die Bedeutung einer essenziellen, wenn auch oft unsichtbaren Tätigkeit im Projektumfeld zu unterstreichen.

Projektbotschafter – eine Definition

Ein Projektbotschafter ist eher eine implizite Tätigkeit als eine explizite Rolle, die idealerweise von mehreren Personen eines Projektteams übernommen wird. Diese Tätigkeit beinhaltet das aktive Fördern und Vertreten der Projektziele, sowohl innerhalb der Organisation als auch nach außen gegenüber externen Stakeholdern. Projektbeteiligte, die sich als Projektbotschafter sehen, vermitteln bei Bedarf die Vision, die Werte und den Nutzen des Projekts. Sie tragen dazu bei, Unterstützer und Unterstützung zu gewinnen, Akzeptanz zu schaffen und positive Beziehungen zu pflegen, die für den Erfolg des Projekts wichtig sind.

Wie gefällt Ihnen die Definition?

Abgeleitet von den Tätigkeiten eines diplomatischen Botschafters, liegen einige Tätigkeiten auf der Hand. Der Projektbotschafter

  • vertritt die Interessen des Projekts.
  • übt sich in Diplomatie.
  • wirkt in Richtung Organisation und Stakeholder.
  • fördert den inhaltlichen Austausch und stärkt die Beziehungen zwischen den Projektbeteiligten und Projektbetroffenen bzw. Nutznießern.
  • agiert als Sprachrohr im Projektumfeld.
  • beseitigt Unklarheiten.

Kurzum: Der Projektbotschafter kommuniziert mit dem Projektumfeld und macht “moderne Öffentlichkeitsarbeit”.

Die Bedeutung für Projekte und Organisationen

Warum sind Projektbotschafter positiv für Projekte und Organisationen? Werfen wir einen Blick auf ein fiktives Beispiel:

Projekt 1 gerät leicht in Schieflage. Regelmäßig präsentiert Kunde X neue Anforderungen. Die Projektplanung mit den vereinbarten Lieferzeitpunkten ist gefährdet. Die Projektleiterin rennt von Meeting zu Meeting. Zusätzliche Kapazitäten werden benötigt, Mitarbeiterin B aus Projekt 2 soll vorübergehend in Projekt 1 mitwirken.

Wenn wir dieses Beispiel in seine Einzelteile zerlegen, stellen wir fest, dass

  • es möglicherweise ein Ungleichgewicht in der Zusammenarbeit mit dem Kunden gibt. Weiß X um die Folgen seiner neuen Anforderungen? Was geschieht mit ursprünglichen Anforderungen, mit bereits geleisteten Arbeitsstunden, mit halbfertigen Implementierungen, mit Deadlines oder angefallenen Kosten?
  • die Projektleiterin ihr Bestes gibt, sie aber möglicherweise Teil eines ungesunden Systems mit unzähligen Besprechungen ist. Mehr Arbeitslast wird häufig durch Mehrarbeit kompensiert; dies sollte aber die Ausnahme und nicht die Regel sein. Zudem ist anzunehmen, dass die Projektleiterin für Rückfragen, oder individuelle Gespräche in Projekt 1 immer weniger Zeit findet, was sich zusätzlich auf die Stimmung der Beteiligten auswirkt.
  • Mitarbeiter A in Projekt 2 auf die Arbeitsleistung von Kollegin B verzichten muss. Über den Zeitraum der Verzögerung und zukünftige Priorisierungen herrscht Unklarheit. Wer jetzt mit dem Auftraggeber über nicht absehbare Folgen sprechen darf, wird vermutlich keine Freudensprünge machen.

Wäre es in einer solchen Situation, die vielleicht in so mancher Organisation gar nicht so fiktiv ist, nicht vorteilhaft, weitere Mitstreitende auf seiner Seite zu wissen? Oder anders gefragt: Wie profitiert das betroffene Projekt von den Tätigkeiten der Projektbotschafter?

Das Projekt mit seinen Beteiligten gewinnt, wenn mehrere Personen – aka Projektbotschafter – die konkrete Situation organisationsintern thematisieren. Sie schultern die Aufgabe der Kommunikation gemeinsam, sie fungieren als Sprachrohr in Echtzeit, sie werben für Unterstützung, sie klären Prioritäten, sie involvieren andere Bereiche, sie schaffen Akzeptanz. Sie agieren kontinuierlich und ausdauernd, ganz im Sinne des Projekts und seiner Ziele.

Und wie profitiert die Organisation? Sie gewinnt mit ihren Gremien und Entscheidungsverantwortlichkeiten, da sie einen realen Einblick in das Projekt und seine Herausforderungen erhält. So könnte bspw. die Vertriebsleiterin in der Folge die kontinuierlich neu formulierten Anforderungen mit dem Ansprechpartner auf Auftraggeberseite thematisieren und ein abgestimmtes, strukturiertes Vorgehen vereinbaren. Das schafft Klarheit, erhöht die Vorhersehbarkeit von Lieferzeitpunkten, senkt den Druck für die Projektbeteiligten und sorgt für mehr Transparenz auf Auftraggeberseite.

Klingt fast wie eine Win-Win-Situation, oder?

Fähigkeiten von Projektbotschaftern

Welche Fähigkeiten sollten Projektbotschafter mitbringen? Aus dem fiktiven Beispiel lassen sich mögliche Fähigkeiten ableiten:

  • Die Fähigkeit, klar und überzeugend zu kommunizieren, ist sicherlich sehr wichtig. Projektbotschafter sollten komplizierte Zusammenhänge verständlich vermitteln können.
  • Sie sollten Beziehungen mit Menschen aufbauen und pflegen können. Empathie und emotionale Intelligenz sind dabei wichtig, um die Bedürfnisse und Perspektiven verschiedener Stakeholder zu verstehen.
  • Projektbotschafter sollten andere für die Projektziele gewinnen und deren Unterstützung mobilisieren können. Dazu gehört auch, Widerstände zu erkennen und diplomatisch zu agieren.
  • Die Fähigkeit, ein breites und effektives Netzwerk aufzubauen und zu nutzen, könnte wichtig sein, um Mitstreiter zu gewinnen.
  • Konflikte sind in Projekten unvermeidlich. Die Fähigkeit, Menschen zuzuhören, um diese wirklich zu verstehen und nicht um ihnen zu antworten, ist mehr als wünschenswert.
  • Projekte sind häufig dynamisch. Botschafter sollten sich daher schnell an veränderte Bedingungen und Anforderungen anpassen können.
  • Die Fähigkeit, das große Bild zu sehen und strategisch zu handeln, ist wichtig, um die langfristigen Ziele des Projekts UND der Organisation zu fördern.
  • Projektbotschafter sollten proaktiv handeln können, ohne ständige Anleitung oder Überwachung.

Sicherlich lässt sich diese Liste ergänzen, vermutlich ist sie aber bereits ein guter Start für Menschen, die eine Tätigkeit als Projektbotschafter effektiv ausfüllen wollen.

Fazit

Den Projektbotschafter finden Sie weder als Stellenbezeichnung in Ihrem Arbeitsvertrag, noch in diversen Frameworks, Projektmanagementmethoden oder Vorgehensmodellen. Selbst im Internet finden sie ihn kaum. Natürlich ändert sich dies mit diesem Beitrag… 😉

Inhaltlich ist es eher eine implizite Tätigkeit als eine explizite Rolle. Eine Tätigkeit, die idealerweise vielfach geschultert wird, um im Projektumfeld bei direkt und auch indirekt betroffenen Menschen Akzeptanz zu schaffen. Eine Tätigkeit, die vermittelt und vielleicht auch etwas wirbt, die zuhört, um zu verstehen, die kommuniziert, die Wahrheit spricht und Mitstreitende findet, Probleme thematisiert und für Transparenz sorgt.

Ich hatte als einen Grund für die Nicht-Existenz des Begriffs im Internet den “nicht erkannten Bedarf in Organisationen und den möglichen Aufwand im Umgang mit dem Projektbotschafter” genannt.  Tatsächlich sehe ich gar keinen zusätzlichen Aufwand, alles was es in der Projektpraxis braucht, ist eine Ermutigung der Projektbeteiligten Partei zu ergreifen und im Sinne des Projekts zu agieren. Vieles wird sich dann fast automatisch ergeben. Ich glaube allerdings, dass der Bedarf übersehen wird. Das kann aber jeder von uns in seinem Unternehmen fortan ändern:

Sind Sie schon Projektbotschafter?

Extra-Bonus

Hier finden Sie 3 zusätzliche Fragen über Projektbotschafter, die Michael Schenkel beantwortet (bitte auf Plus drücken):

Sind nicht alle Projektmitarbeiter Projektbotschafter?

Michael Schenkel: Ja, an sich ist jeder Projektmitarbeiter potenziell ein Botschafter des Projekts. Ähnlich wie wir alle auch Unternehmensbotschafterinnen, Markenbotschafter, Influencerinnen und Personal Brands sind. Die Reichweite und der Wirkungsgrad mögen im Einzelfall variieren, Einfluss und Wirkung entfalten sich aber auch im Kleinen. Der Appell lautet daher: Organisationen (und Projekte) sollten sich und den Beteiligten die Bedeutung der Tätigkeit bewusst machen. Das kostet fast nichts, kann aber eine große Wirkung im Denken und Handeln bewirken.

Gibt es Tätigkeitsüberschneidungen mit vorhandenen Rollen?

Michael Schenkel: Ja, in der gelebten Praxis wird es Überschneidungen geben. Es dürfte sogar eher die Regel als die Ausnahme sein. Aber: ich sehe den Projektbotschafter nicht als eine konkurrierende Rolle, sondern als ergänzende Tätigkeit. In der Praxis der agilen Softwareentwicklung spricht bspw. die Product Ownerin mit den Stakeholdern einer Entwicklung über Anforderungen. Idealerweise ist er aber nicht die einzige Person, die das tut, denn auch Softwareentwicklerinnen sollten Kontakt mit Stakeholdern – bspw. mit Anwendern oder Key Usern – haben, denn so erhalten sie unmittelbares, ungefiltertes, wertvolles Feedback. Genauso verhält es sich mit der Tätigkeit als Projektbotschafter. Sie fördert Austausch, verbessert das Verständnis, ermöglicht Perspektivwechsel und schafft Akzeptanz.

Wie lässt sich die Wirkung eines Projektbotschafters messen?

Michael Schenkel: Bis dato kenne ich keine Möglichkeit, die Wirkung eines Projektbotschafters zu messen. Leider ist das ein Schwachpunkt in der Argumentation, und selbst wenn sich die Wirkung vieler Tätigkeiten nicht messen lässt, macht dies die Lücke nicht kleiner. Vielleicht ergibt sich in Zukunft eine Möglichkeit, den realen Impact in Einzelfällen zu bestimmen; mich würde das jedenfalls sehr freuen. Bis dahin glaube ich einfach an die Wirksamkeit der Tätigkeit.

Hinweise:

[1] Projekt- und Organisationsrollen im V-Modell XT

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Michael Schenkel hat weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht, u. a.:

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Michael Schenkel
Michael Schenkel

Leiter Marketing, t2informatik GmbH

Michael Schenkel hat ein Herz für Marketing - da passt es gut, dass er bei t2informatik für das Thema Marketing zuständig ist. Er bloggt gerne, mag Perspektivwechsel und versucht in einer Zeit, in der vielfach von der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne von Menschen gesprochen wird, nützliche Informationen - bspw. hier im Blog - anzubieten. Wenn Sie Lust haben, verabreden Sie sich mit ihm auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen; mit Sicherheit freut er sich darauf!