Die Sache mit der Verantwortung
Was ist Verantwortung?
Verantwortung? Nein, danke!
In den Austausch gehen
Aus dem Kimble Chef Check 2019¹ geht hervor, dass knapp 70 % der Befragten gerne mehr Verantwortung von ihrem Chef übertragen bekommen würden. Gleichzeitig hört man immer wieder Manager, die sich wünschen, dass die Mitarbeitenden mehr Verantwortung übernehmen. Wo liegt hier der Gap? Sprechen alle Beteiligten vom Gleichen? Und ist es überhaupt möglich, keine Verantwortung zu haben?
Was ist Verantwortung?
Wikipedia² definiert den Begriff wie folgt:
„[…] vorrangig die Fähigkeit, das eigene Können und die möglichen Folgen von Entscheidungen einzuschätzen und so zu handeln, dass die erwarteten Ziele mit größter Wahrscheinlichkeit erreicht werden.
Häufig ist damit das Bewusstsein verbunden, im Falle des Scheiterns Schuld und Scham zu tragen.
In diesem Zusammenhang kann aus der Verantwortung die freiwillige (verantwortungsbewusste) oder (bei Unwissenheit oder Fremdbestimmung) unfreiwillige Übernahme einer Verpflichtung hervorgehen, für die möglichen Folgen einer Handlung oder einer getroffenen Entscheidung einzustehen und gegebenenfalls dafür Rechenschaft abzulegen oder Strafen zu akzeptieren. Verantwortungsgefühl setzt ein Gewissen, die Kenntnis der Wertvorstellungen sowie der rechtlichen Vorschriften und sozialen Normen voraus. […]“
Das macht sehr deutlich, dass Verantwortung nur in geringem Maß etwas mit dem Außen zu tun hat, und die Übernahme und das Bewusstsein intrinsisch sind.
Der Duden³ hingegen definiert das Ganze anders:
„[mit einer bestimmten Aufgabe, einer bestimmten Stellung verbundene] Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass (innerhalb eines bestimmten Rahmens) alles einen möglichst guten Verlauf nimmt, das jeweils Notwendige und Richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht.“
Hier wiederum wird die klare Aktion in den Vordergrund gerückt, die in dem Bewusstsein entsteht, einen Handlungsspielraum zu haben.
Wenn Manager oder “Chefs” sich von ihren Mitarbeitern wünschen, dass diese aktiver werden sollen, ist das sicher der Wunsch nach eben diesem aktiven Handeln: Sorge dafür, dass alles Notwendige richtig getan wird und vermeide einen Schaden dabei.
Das geht dann meist auch mit der Übertragung einer konkreten Aufgabe einher, die dann pflichtbewusst erledigt werden soll.
„Sie müssen sich darum kümmern, dass X bis Y fertig wird.“
Aber ist dies tatsächlich die Übernahme von Verantwortung?
Ich wage zu behaupten, dass Mitarbeitende etwas anders meinen, wenn sie sagen, sie möchten gerne mehr Verantwortung übertragen bekommen (auch sehe ich einen großen Unterschied darin, ob man sie übertragen bekommt oder sie übernimmt).
Klar sein sollte in jeder Konstellation, dass sowohl die Übernahme als auch die Übergabe einige grundlegende Dinge benötigt, die klar definiert sein sollten:
- Will und kann die oder der Mitarbeitende Verantwortung übernehmen?
- Welchen Umfang bzw. welche Grenzen hat der Handlungsspielraum?
- Wie lautet das gewünschte Ergebnis / Ziel zu welchem Datum?
- Welche Ressourcen und auch Steuerungselemente stehen zur Verfügung?
- Wann und in welchem Rahmen erfolgen Reportings / Überprüfungen?
All diese Faktoren (und wahrscheinlich noch viele weitere) sind nötig, um eben die Anforderung zu erfüllen, etwas gut und richtig zum Abschluss zu bringen. Dies wird aber mit „Sie müssen sich darum kümmern, dass…“ nicht getan. Damit wird eine Aufgabe delegiert, nicht eine Verantwortung in den Raum gestellt.
Verantwortung? Nein, danke!
Die Verantwortungsübernahme geht oft mit Privilegien einher: man genießt das Vertrauen, hat seinen eigenen, vielleicht erweiterten Handlungsspielraum, die Aussicht einen Erfolg für sich verbuchen zu können und damit das Selbstbewusstsein zu stärken, usw. Diese Faktoren werden auch meist sehr deutlich herausgestellt und man könnte meinen, dass sich tatsächlich jeder darum reißt, endlich mehr Verantwortung übernehmen zu dürfen.
Aber, und das darf man nicht unter den Tisch kehren, es kann auch anders kommen. Es kann, trotz größter Mühe und Hingabe, zum Misserfolg kommen. Dinge können schief gehen, äußere Einflüsse können Vorhaben obsolete machen, getane Arbeit kann einfach plötzlich hinfällig sein. Eventuell hat man auch, je nach Umfeld, mehr oder minder schwere Konsequenzen zu erwarten.
Dafür steht man dann ein. Das kann unangenehm bis hin zu schwer belastend sein. Auch schon bevor klar ist, ob das Vorhaben ein Erfolg oder Misserfolg wird, kann einen diese Tatsache bedrücken. Aber ob das Vorhaben erfolgreich oder nicht erfolgreich ist, hängt von vielen Faktoren ab:
- Ist die Auftragsklärung eindeutig,
- ist die Priorisierung innerhalb der Organisation und in Bezug auf andere Vorhaben klar,
- sind die Anforderungen verständlich und widerspruchsfrei,
- sind die Ziele abstimmt und realistisch?
Die Liste an Faktoren lässt sich leicht verlängern. Wichtig ist eine Erkenntnis: Selbst wenn man freiwillig und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ein Commitment eingeht, hat man nicht immer die Kontrolle über alle Faktoren.
Wenn hierarchie-freie Teams (im Sinne von: mehrere Personen, ohne dedizierten Teamleiter, die an einem Thema arbeiten) Handlungsspielräume übertragen bekommen, wird meist sehr schnell deutlich, wer sich nicht nur für einzelne Aufgaben, sondern für das große Ganze verantwortlich fühlt und der Gruppe damit einen sicheren Rahmen gibt.
Wenn ich mir also von Mitarbeitenden wünsche, dass sie aktiver agieren, dann muss ich die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Ich muss ein Umfeld bereitstellen, das es auch erlaubt, nicht erfolgreich zu sein. Um Menschen zu ermutigen, Verpflichtungen zu übernehmen, braucht es ebenso einen konstruktiven Feedbackloop, der es erlaubt, Erfahrungen zu machen, zu verarbeiten, seine Handlungsweise anzupassen und daran zu wachsen.
Wenn Mitarbeitende scheinbar nicht aktiver werden möchten, nicht aktiv daran arbeiten, Handlungsspielräume auszunutzen oder auszubauen, oder dies in Gesprächen deutlich machen, liegt das meist nicht an der Fähigkeit der Person selbst. Diese übernimmt nämlich genau in diesem Moment die Verantwortung und entscheidet sich (aktiv oder passiv) gegen eine Option.
Und genau dann ist es die Aufgabe der Führungskraft bzw. des Chefs rauszufinden, warum Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter das in diesem Kontext nicht möchten. Sind es drohende Konsequenzen des Commitments oder ist es das Umfeld? Ist es vielleicht gerade der persönliche Umstand des Mitarbeitenden, der die Übernahme verhindert?
Genau so sollten aber auch Mitarbeitende klar kommunizieren, warum ihnen die Übernahme von Verantwortung nicht möglich oder zu riskant erscheint. Gerade durch „falsche“ Kommunikation kann sehr schnell der Eindruck entstehen, dass überhaupt keine Verantwortlichkeit im Raum steht, die man übernehmen kann. Oder es sind eben innere und/oder äußere Faktoren, die dem Entgegenstehen.
Meiner Erfahrung nach, ist man nie ohne Verantwortung. Sie haftet immer an einem. Die Frage ist nur, für wen bzw. was und in welchem Umfang man mit ihr zu tun haben möchte.
In den Austausch gehen
In Summe gilt wohl, wie bei so vielen Dingen: klare Kommunikation hilft. Sowohl Mitarbeitenden, die gerne mehr Verantwortung übernehmen würden, als auch Führungskräften, die gerne Verantwortung abgeben wollen. Zur klaren Kommunikation gehört allerdings auch eine klare Definition. Diese kann natürlich leben, aber initial muss das Gerüst stehen, auf dem man aufbaut.
Verantwortung zu leben, kann für viele erfüllend sein, für andere aber ist es eine Belastung. Diese Tatsache sollte man sich verinnerlichen. Es hilft weder dem Unternehmen noch den Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern, wenn Verantwortungen an den falschen Stellen verankert werden. Aber auch hier gilt: es passieren manchmal Fehler und nicht jeder Person kann mögliche Konsequenzen tragen. Dann ist es umso wichtiger (und auch eine Verpflichtung der Führungskraft), diesen Umstand zu beheben.
Wir sollten stärker in den Austausch gehen und nicht glauben, dass alle Beteiligten das gleiche Verständnis haben. Sprechen Sie in Ihrer Organisation darüber, was es heißt, verantwortlich zu sein, was daran Spaß macht und wovor man vielleicht sogar Angst hat. Unterscheiden Sie dabei zwischen Kontrolle und Verantwortung. Und identifizieren Sie die Personen, die unternehmerische Verantwortung tragen können.
Und zu guter Letzt: Es gibt nicht keine Verantwortung, es gibt aber einen Handlungsspielraum, den Sie justieren können.
Hinweise:
[1] Persoblogger: Kimble Chef Check 2019
[2] Definition bei Wikipedia
[3] Definition bei Duden
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Diesen Beitrag finden Sie auch im kostenlosen Blogpaper Selbstorganisation – Sechs Perspektiven auf Selbstorganisation.
Tamara-Jane Schickle hat zwei weitere interessante Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht:
Tamara-Jane Schickle
Tamara-Jane Schickle arbeitet als Product Manager und Teamleitung Entwicklung bei der Omikron Data Solution GmbH. Nach einer Ausbildung zur Verwaltungswirtin probierte Sie sich in verschiedenen Berufen aus, um etwas zu finden, dass wirklich zu ihr passt. 2015 hatte sie zum ersten Mal Berührung mit der agilen Softwareentwicklung und dort hat sie ihre Leidenschaft entdeckt: Etwas mit Menschen machen und dabei den gesunden Menschenverstand nutzen. Seit 2019 ist sie für Omikron aktiv und freut sich über die täglichen Herausforderungen.