10 Tipps in der Projektkrise

Gastbeitrag von | 27.05.2021

Es kommt immer wieder vor, dass Projekte in Schieflage geraten. Schnell wird aus einer Schieflage eine handfeste Projektkrise. Was tun Sie in einer solchen Situation? Nutzen Sie die Chancen, die durch die Krise entstehen?

Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass in dem Moment, in dem eine Projektkrise konkret benannt wird, die Legitimation zur Veränderung erfolgt. Eine Legitimation, um besondere Maßnahmen einzuleiten und Grundlegendes zu verändern. Im positiven Sinne schafft die Projektkrise damit die Basis für einen Neustart.

Nachfolgend möchte ich Ihnen gerne meine 10 Tipps zum Umgang mit Projektkrisen nennen. Zuvor möchte ich Ihnen kurz beschreiben, woran Sie eine Projektkrise erkennen können.

Kennzeichen einer Projektkrise

Als wesentliche Kennzeichen einer Projektkrise erkennen wir

  • ein unkontrollierbares Problem – denn sonst hätten die Problemlösungsmaßnahmen ja gegriffen!
  • ein eingetretenes Risiko – ich hoffe zumindest, dass die Krise sich zuvor in ihrer Risikobewertung gezeigt hat.
  • eine Situation, die den gesamten Projekterfolg und unter Umständen sogar das ganze Unternehmen gefährdet – folglich sprechen wir von einer existenziellen Gefährdung.

Wir müssen das Risiko als mögliche Gefährdung und das Problem, als eingetroffene Gefährdung ganz klar von der Projektkrise abgrenzen, denn die Auswirkungen in der Krise sind immer existenziell, unkontrollierbar und entziehen sich den üblichen / bekannten Lösungsmethoden.

Schauen wir darauf, welche Kennzeichen wir noch für die Projektkrise finden:

  • Sie geht immer mit einem Kontrollverlust einher!
  • Es herrscht eine hohe Komplexität!
  • Der Entscheidungsdruck ist enorm!
  • Und die bekannten Methoden und Maßnahmen greifen nicht mehr!

Ich bin sicher, wenn sie in einer Projektkrise stecken, dann wissen sie das und die Begriffsdefinition ist ihnen in solch einem Moment ziemlich egal. Werfen wir also zügig einen Blick auf meine 10 Tipps.

Tipp #1: Akzeptieren Sie die Krise

Gesehen Sie sich ein, dass Sie mit Ihrem Projekt in der Krise stecken.

Das Aussprechen dieser Tatsache im Projektmanagement und Lenkungsausschuss ist wesentlich: „Das Projekt steckt in einer Krise!“

Sich einzugestehen, sich in einer Krisensituation zu befinden, den neuen Weg aktuell noch nicht zu erkennen und derzeit keine Kontrolle zu haben, ist ein erster, sehr wichtiger Schritt und betrifft in der folgenden Kommunikation alle Stakeholder des Projekts.

Tipp #2: Stoppen Sie das Projekt und seien Sie mutig

In der Praxis lässt sich häufig der Effekt des „einfach Weitermachens“ beobachten. Obwohl den Beteiligten längst klar ist, dass man mitten in einer Projektkrise steckt, wird wie gewohnt gearbeitet, als sei alles wie immer. Hier ist es wichtig, einen bewussten STOPP durchzuführen.

Dieser Tipp hilft generell in allen Projektphasen und vielleicht kennen Sie das: Alle wissen, wenn wir so weiterarbeiten, geht das schief oder die Lösung wird niemals praxistauglich sein! Hier braucht es den Mut, genau das gegenüber dem Kunden und der Geschäftsführung deutlich auszusprechen.

Tipp #3: Ändern Sie die Perspektive

Öffnen Sie sich für eine neue Perspektive. Dazu gehört auch, sich in der Krise einzugestehen, dass Sie Hilfe benötigen. Sicher kennen sie den vielzitierten Satz von Albert Einstein: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“. Das gilt insbesondere in einer Projektkrise – wir erinnern uns, eine Krise ist ein unkontrollierbares und existentielles Problem. Holen Sie sich also Hilfe, um Probleme klarer zu benennen und neue Wege zu erkennen.

Die Bewertung, welche Sofortmaßnahmen eingeleitet werden und welche mittelfristigen Maßnahmen initiiert werden, sobald die neue Richtung klar ist, muss ganz individuell in der jeweiligen Krise betrachtet werden. Es gibt hier keine klare WENN-DANN Strategie; gäbe es die, gäbe es keine Projektkrise. Oh ja, hier rotiert unser Denken, denn der Kopf will immer schnelle, klare Lösungen, Kontrolle und anwendbare Methoden.

Tipp #4: Benennen Sie die Ursache

Wenn ich in Krisenprojekten hinzugeholt werde, gehe ich in meiner Arbeit durch alle Bereiche des Projektes und schaue in tiefere Ebenen. Oft ist die wirkliche Ursache gar nicht das offensichtlich, allgemein Postulierte. Betrachten Sie hier ganz offen und ohne Schuldfrage, wo es stagniert und welches Bündel an Themen zu dieser Krisensituation geführt hat.

Seien Sie bereit, die wahren Ursachen der Krise zu erkennen, aufzudecken und mutig auszusprechen!

In kleinen Projekten liegt die Ursache manchmal vielleicht auf der Hand, in großen Projekten ist sie häufig sehr viel tiefschichtiger. Fragen Sie sich bspw.:

  • Arbeiten alle am gleichen Ziel?
  • Sind die richtigen Personen an der richtigen Stelle eingesetzt?
  • Welche Widerstände sind vorhanden und wo liegen diese begründet?
  • Gibt es Bereiche der Unmachbarkeit, die ausgesprochen werden müssen?
  • Wurde monatelang an etwas gearbeitet, was dennoch nicht funktioniert?
  • Ist man sehr formalistisch und vertragsorientiert unterwegs?
  • Sind Vertrauen und Kommunikation gestört?
  • Gibt es externe Ursachen für die es aktuell keine Lösung gibt (z.B. Materialengpässe, Ressourcenknappheit, neue Gesetzesauflagen)?

Nutzen Sie diese Analysephase, um wirklich ALLES aufzudecken und auszusprechen.

Tipp #5: Das Commitment zum Projekt

Es muss die Bereitschaft im Lenkungsgremium und im Projektmanagement bestehen und eingeholt werden, dass eine Lösung für die Projektkrise gewollt ist. Ist das nicht der Fall, sollte ein Projektabbruch mit allen relevanten Folgen ganz klar ausgesprochen werden.

Ein totes Pferd zu reiten, macht wahrlich keinen Sinn. Persönlich gehe ich lieber im Wald spazieren, bevor ich Zeit in tote Projekte investiere.

Es braucht also ein klares Commitment der maßgeblichen Stakeholder, dass ein neuer Weg, Maßnahmen und Veränderung gewollt sind, um aus der Projektkrise heraus zu kommen. Das ist die erste wesentliche Entscheidung. Auf diese folgen viele weitere Entscheidungen, um das Projekt aus der Schieflage zu befreien und auf den richtigen Weg zu bringen.

Tipp #6: Methoden helfen nicht

Vielfach sucht man im Projektmanagement nach Methoden und generischen Modellen, um einer Krise zu entkommen. Das ist aus meiner Erfahrung eine Sackgasse, denn diese Methoden und Modelle konnten das Eintreten der Projektkrise nicht verhindern oder rechtzeitig Lösungen aufzeigen. Genauso wenig helfen Aussagen wie „Aber ich habe doch…“, „Dieser Kunde ist doch…!“, „Dieser Vertrag war nie umsetzbar…!“, „Die Entwicklungsabteilung hat nicht geliefert…!“ nicht weiter.

Aus meiner Sicht werden Ansätze benötigt, die außerhalb des aktuell Sichtbaren liegen, sowie das Eingeständnis der Beteiligten, dass die bisherigen Methoden nicht funktioniert haben. Kurzum: es braucht eine andere Sichtweise auf die Situation. Ich mache hier sehr gute Erfahrung mit systemischer Arbeit, in dem ich die Projekte und Teams „aufstelle“ und Zusammenhänge neu betrachte und ordne. So lassen sich Widerstände und Ängste bei den Beteiligten erkennen und lösen. Erst auf dieser Basis kann ein neues Vorgehen definiert und abgestimmt werden.

Tipp #7: Der Wille, Dinge zu ändern

Es braucht ganz dringend die Bereitschaft seitens Auftraggeber und Auftragnehmer, Dinge ganz anders zu machen! Dieses „anders machen“ ist differenziert zu betrachten. Es umfasst wieder alle Bereiche und Ebenen des Projektes und der beteiligten Menschen, es umfasst die Kommunikation und die persönliche Haltung zu der Situation und zur Projektkrise!

Einen Mentor ins Projekt zu holen, um die Situation von außen zu analysieren und gemeinsame Lösungen zu entwickeln, ist hier oftmals sehr hilfreich.

Darüber hinaus ist Kommunikation natürlich ein wichtiger Schlüssel, um Dinge im Projekt zu ändern. Hier helfen bspw. folgende Fragen:

  • Wie wird Führung im Projekt gestaltet, um alle relevanten Personen einzubinden?
  • Wie werden Zusammenhänge für alle Beteiligten klarer?
  • Welche Aspekte können für eine spätere Umsetzung herausgelöst werden?
  • Welche Anforderungen lassen sich an kleinere Expertenteams oder externe Auftragnehmer vergeben?
  • Wie lassen sich Methoden am konkreten Bedarf skalieren?
  • Wo müssen Veränderungen passieren, um weitere Risiken abzuwenden?
  • Welche Personen braucht es für das weitere Projekt bzw. wer ist die ideale Besetzung im Projekt?

 

Tipp #8: Das Ziel und den Weg neu definieren

Aus meiner Sicht braucht es eine Person, die das Team und die Beteiligten durch die Projektkrise führt. Es gilt das Ziel und mögliche Teilziele anzupassen und ggf. neue zu definieren, sowie wichtige Meilensteine festzulegen. Hinzu kommt das Verständnis um eine gemeinsame Projektkultur und das WIE in der Umsetzung.

Hier helfen folgende Empfehlungen:

  • Kreative Problemlösungsansätze starten! Wissen und Erfahrung der Beteiligten und externer Fachleute bündeln und schnell nutzbar machen!
  • Komplexität Schritt für Schritt adressieren und alle Beteiligten im Verstehen und Vorgehen mitnehmen!
  • Kritik als Hinweise zur Verbesserung sehen, mit Respekt und Selbstreflexion!
  • Keine Zeit verschwenden mit Erklärungen, dir nur die Vergangenheit beschreiben!
  • Erfolge UND Fehler wertschätzen zur stetigen Verbesserung!
  • Prozesse würdigen – Lösungen suchen – Zwischenwege akzeptieren!
  • Ängste führen zu Formalismus – Vertrauen führt zu mutigen Entscheidungen.
  • Fokus halten und immer wieder das Projekt auf das neue Ziel ausrichten!

 

Tipp #9: Bewusstsein und Selbstwert

Holen Sie Experten zusammen und lassen Sie in der Krise nur Personen mitreden und entscheiden, die dazu befähigt sind.

Was mir besonders am Herzen liegt und was nicht immer direkt verstanden wird, ist die Erfordernis die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein zu erhöhen! Beteiligen Sie, wenn sie den Weg aus der Krise suchen, nur Menschen, die bereit sind über den Tellerrand hinaus zu denken, und die wissen, dass es eine Lösung gibt, auch wenn diese noch nicht direkt erkannt wird.

Was hat Selbstwert damit zu tun? Menschen, die ihre eigenen Qualitäten kennen und sich derer bewusst sind, halten sich weder mit Schuldfragen, noch mit „Recht haben zu wollen“ auf.

Vermutlich kennen auch Sie den Unterschied, umgeben von Menschen zu sein, die sich gemeinsam mit sehr hoher Aufmerksamkeit, Erfahrung und einer offenen Haltung einer Problemlösung nähern, oder mit Kollegen zu arbeiten, die zerstreut, gestresst, erschöpft, abgelenkt sind, so dass der Raum für die Lösungsfindung sehr begrenzt bleibt.

Fortwährende Wiederholung der Probleme und Erklärungen, warum etwas nicht geht, sind übrigens ein Indiz für die eigene Begrenzung – hier ist die Selbstbeobachtung sehr hilfreich.

Tipp #10: Kommunizieren Sie das Ende der Krise

Es gibt den Effekt, das Ende einer Krise zu verschweigen und dieser ähnelt dem Effekt vor der Krise, nicht so genau hinzuschauen. Also kommunizieren Sie, wenn die Krise überwunden und das Projekt wieder in einem guten Fahrwasser fährt.

Aus Erfahrung kann ich sagen, dass manche Projektbeteiligte mehr Zeit benötigen, um zu erkennen, dass eine Projektkrise überwunden ist. Für diese Menschen bedeutet dies, dass Sie ständig im Krisenmodus unterwegs sind und das ist keine gute Idee.

Nutzen Sie aktives Projektmarketing und informieren Sie daher alle Beteiligten über das neue Ziel, den neuen Weg dahin und über das Ende der Projektkrise. Wohlwissend, dass es weiterhin Herausforderungen und Risiken im Projekt gibt, die jedoch jenseits einer Krise liegen.

1010 Tipps in der Projektkrise

Fazit

Diese 10 Tipps in der Projektkrise sollen Ihnen helfen, die Veränderungskraft der Krise zu erkennen und als neuen Gestaltungsspielraum zu erfahren.

Falls Sie sich fragen, ob Ihr Projekt in einer Krise steckt, ist das wahrscheinlich noch nicht der Fall, denn eine Projektkrise ist immer existenziell und unkontrollierbar. Und Sie werden genau spüren, dass die üblichen und bekannten Lösungsmethoden nicht mehr greifen.

Falls sie ein Opfer der Krise sind oder sich als solches sehen, machen Sie sich auf, die Situation aus persönlicher Sicht zu betrachten und für sich selbst zu bewerten. Auch hier ist es wesentlich, den Rahmen des gewohnten Denkens zu verlassen, aus der Opferrolle herauszutreten, um Chancen zu erkennen, die in jeder Krise liegen. Hätten Sie bspw. vor einem Jahr gedacht, dass es möglich wäre, die Zusammenarbeit in sehr vielen Unternehmen per Videokonferenz zu organisieren, den Flugverkehr nachhaltig zu reduzieren und so die Umwelt zu entlasten, oder Schulen von Präsenz- auf Distanzunterricht umzustellen? Es gibt viele solcher Bespiele, die zeigen, dass Krisen auch Chancen bieten.

Einige Empfehlungen möchte ich Ihnen noch mitgeben:

  • Drucken Sie sich die 10 Tipps aus.
  • Markieren Sie die Tipps, die Ihnen wesentlich erscheinen.
  • Schreiben Sie hinter jedem markierten Tipp die für Sie relevante Aktion oder Erkenntnis.
  • Und wiederholen Sie das Ganze im Team, denn so erzeugen Sie einen gemeinsamen Nutzen.

Und last but not least: Haben sie den Mut zum Neustart. Fahren Sie alle persönlichen Barrieren und Widerstände herunter und seien Sie bereit für eine grundlegende Veränderung im Projekt! Machen Sie sich bewusst, dass genau jetzt Dinge möglich sind, die zuvor nicht mal im Ansatz möglich erschienen. Jammern hilft niemanden und wenn sie dennoch jammern müssen, machen sie es intensiv und kurz; und nutzen Sie im Anschluss die 10 Tipps gegen die Projektkrise.

 

Hinweise:

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Katja Schäfer hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.

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Katja Schäfer
Katja Schäfer

Katja Schäfer ist Beraterin für komplexe Healthcare-IT Großprojekte im deutschsprachigen Raum. In ihren Coachings, Seminaren und Trainings geht sie neue Wege im Projektmanagement und bringt Struktur, Klarheit und Erfolg in große Projekte. Durch Projektkrisen führt sie mit reicher Erfahrung und systemischer Arbeit.