Pre-Mortem
Wissen kompakt: Ein Pre-Mortem ist eine vorausschauende Rückschau, die Ursachen identifiziert, die zum Scheitern von Projekten oder Entwicklungen beitragen werden.
Pre-Mortem – eine vorausschauende Rückschau
In den letzten Jahren haben Retrospektiven in vielen Organisationen Fuß gefasst. Eine Retrospektive ist eine Rückschau, bei dem Projekte oder Projektphasen, verwendete Prozesse, Workflows und Werkzeuge, sowie Fähigkeiten, Beziehungen und Erfahrungen reflektiert werden. Es ist ein Blick von Beteiligten auf eine naheliegende Vergangenheit. Ein Pre-Mortem ist vorausschauende Rückschau. Im Gegensatz zur Retrospektive findet sie NICHT nach einem Ereignis – einem Projekt, einer Iteration, einem Arbeitsschritt, einer Entwicklung oder einem Event – statt, sondern bereits am Anfang oder im Laufe des Ereignisses. Ziel ist es, mögliche Ursachen für die Verzögerung oder das Scheitern von Vorhaben zu identifizieren. Gerne wird daher auch von der Pre-Mortem-Analyse, der Pre-Mortem-Methode oder von einer Managementstrategie gesprochen.
Das Ziel beim Pre-Mortem
Ein Pre-Mortem ist das hypothetische Gegenteil eines Post-Mortem. Bei einer medizinischen Obduktion – dem Post-Mortem – geht es darum, die Ursache für den Tod einer Person zu ermitteln. Beim Pre-Mortem steht die Obduktion am Anfang eines Projekts und nicht am Ende, sodass das Projekt verbessert werden kann, anstatt es erst im Anschluss an das Projektende im Detail zu obduzieren.
Entscheidend ist die Frage, was schiefgegangen ist und nicht was schiefgehen kann. Es ist eine Betrachtung nach einem gedachten Projektende, mit dem Ziel, plausible Gründe für das Scheitern eines Projekts zu finden. Der Patient ist also bereits gestorben, das Projekt gegen die Wand gefahren.
In manchen Publikationen ist zu lesen, dass die Pre-Mortem-Analyse, die Stimmung der Beteiligten negativ beeinflusst. Tatsächlich ist dies zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, denn es geht darum, mögliche blinde Flecke frühzeitig zu erkennen. Idealerweise sollte dies sogar die Stimmung heben, denn die frühzeitige Identifikation von Ursachen für ein Scheitern bietet die Basis für etwaige Gegenmaßnahmen und somit für mehr Erfolg.
Der Ursprung der Idee
Als Erfinder der Pre-Mortem-Methode gilt Gary Klein, ein Fachmann auf dem Gebiet der Intuition und Entscheidungsfindung. 2008 veröffentlichte er im Harvard Business Review einen Artikel¹, indem er die Erkenntnisse einer Studie verarbeitet, die 1989 von Deborah J. Mitchell, Jay Russo und Nancy Pennington veröffentlicht wurde. Gemeinsam hatten die drei festgestellt, dass die Vorstellung, ein Ereignis hätte bereits stattgefunden, die Fähigkeit um 30 % erhöht, die Gründe für zukünftige Ereignisse richtig zu erkennen.
Klein erkannte, dass Menschen nur ungern Einwände oder Bedenken in der Planungsphase eines Projekts äußern, da sie Vorverurteilungen wie bspw. die geringe Identifikation mit dem Projekt oder mangelnde Teamfähigkeit fürchten. Der „Trick“, ein Projekt als gescheitert anzusehen, erleichtert es den Teilnehmern, ihre Bedenken zu äußern, um somit einen wichtigen Beitrag zum tatsächlichen Gelingen des Projekts beizutragen.
Der Ablauf beim Pre-Mortem
Ein Pre-Mortem lässt sich in 5 Teile gliedern:
- Erläuterung der Methode bzw. der Spielregeln und explizite Nennung des Ziels: die Identifikation von Umständen, die zum Scheitern des Projekts führen.
- Ein Blick in die Zukunft durch den Moderator oder die Projektleiterin mit der Storyline, dass das Projekt ein absoluter Flop war und alles was schiefgehen konnte, auch schiefgegangen ist.
- Die Sammlung von Ursachen, die für das Scheitern des Vorhabens wesentlich waren, bspw. mittels Brainstorming Session of Doom, Gruppenarbeit oder Einzelarbeit.
- Die Visualisierung, Gruppierung und Reihung bzw. Priorisierung der gefundenen Ursachen anhand von Schweregrad und Eintrittswahrscheinlichkeiten.
- Die Diskussion über wahrscheinliche, im eigenen Einflussbereich liegende Ursachen und die Suche nach Möglichkeiten, diese Ursachen zu beseitigen.
Vorteile eines Pre-Mortems
Ein Pre-Mortem hat einige zentrale Vorteile:
- Das Gruppendenken, das zum Abilene-Paradox führt, wird überwunden.
- Eine mögliche Selbstüberschätzung im Sinne von „das schaffen wir schon“ wird sichtbar.
- Dinge werden angesprochen, die üblicherweise nicht thematisiert werden, da es kein angemessenes Format zum Austausch gibt.
- Andere Perspektiven – bspw. durch die Sicht von Stakeholdern oder Mitarbeitenden, die nur indirekt von einem Projekt betroffen sind – werden wahrgenommen.
- Der Blick auf zentrale Punkte, die für den Erfolg eines Projekts oder einer Entwicklung wichtig sind, wird geschärft. Gleichzeitig fördert dies die Zusammenarbeit im Team, das gemeinsam die Ursache für das Scheitern bekämpft.
Darüber hinaus gibt es weitere Vorteile wie ein Out-of-the-Box-Denken, eine frühzeitige Einleitung von Gegenmaßnahmen oder ein stärkeres Commitment auf vereinbarte Ziele.
Pre-Mortem versus Risikomanagement
Was ist der Unterschied zwischen Pre-Mortem und Risikomanagement?
Risikomanagement umfasst sämtliche Aspekte innerhalb einer Organisation, eines Projekts oder einer Entwicklung von der systematischen Risikoidentifikation, Risikoanalyse, Risikobewertung, Risikopriorisierung, bis hin Definition von Maßnahmen zur Risikovermeidung, Risikominimierung oder Risikoduldung, und dem Festlegen von Verantwortlichkeiten sowie der Erfolgskontrolle der Maßnahmen.
Bei einem Pre-Mortem geht es darum, vorausschauend im Vorfeld eines Projekts oder einer Entwicklung, Gründe für ein Scheitern zu visualisieren. Es könnten Risiken identifiziert werden, die dann zu Maßnahmen zur Risikovermeidung führen. Es könnten aber auch Aspekte ermittelt werden, die im engen Sinne nicht als Risiko gelten, wie bspw. mangelnde Anwenderakzeptanz, unternehmenspolitische Veränderungen wie wechselnde Vorstände oder geringe Verfügbarkeiten in Läden vor Ort. Je nach Ergebnis oder Perspektive handelt es sich bei der Pre-Mortem-Analyse also um eine Methode des Risikomanagements oder eben nicht.²
Impuls zum Diskutieren
Ist eine Retrospektive eher ein Pre-Mortem, ein Post-Mortem oder eventuell sogar beides?
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[1] Harvard Business Review: Performing a Project Premortem.
[2] Abhängig von der Perspektive könnte man auch von einer Methode aus der Business Analyse, dem Projektmanagement oder zur Identifikation von Impediments sprechen. In gewisser Weise nutzt auch das Chaos Engineering einen ähnlichen Ansatz.
Murphys Gesetz besagt, dass wenn etwas schiefgehen kann, es auch schiefgehen wird. Es basiert auf einer Beobachtung von Edward A. Murphy Jr. und beinhaltet verschiedene Appelle, die auch bei einem Pre-Mortem nützlich sein können.
Hier finden Sie ergänzende Informationen aus unserem t2informatik Blog: