Wie lernst Du? Und wie lernen Organisationen?
Ein Impuls zur Reflexion: Individuelles Lernen und Lernen als Organisation.
Das Thema Lernen beschäftigt viele Menschen. Häufig wird in Publikationen lebenslanges Lernen propagiert, oft werden Herausforderungen in Organisationen thematisiert und vielfach finden sich gutgemeinte Ratschläge in Medien, wie wir in unserer und als Gesellschaft lernen sollten! Gerne möchte ich Lernen als Thema etwas konkreter verstehen. „Wie lernst Du?“ und „Wie lernen Organisationen?“ – diese beiden Fragen habe ich Julia Collard, Tim Robert Zander und Tobias Leisgang unabhängig voneinander gestellt.
Wie lernst Du, Julia Collard?
Julia Collard¹ ist Gründerin und Geschäftsführerin der Marketing-Agentur Doppel(t)spitze und beschäftigt sich mit den Themen Markenstrategie, Social Media und Personal Branding. Lernen und der Austausch von Wissen gehören zu ihren Leidenschaften.
Julia, wie lernst Du?
Lernen – das war für mich in der Schule tatsächlich eher kein Thema. Über das Lernen an sich haben wir nicht gesprochen. Inhalte sind mir zwar nicht zugeflogen, aber mit vertretbarem Aufwand bin ich zu ganz passablen Ergebnissen gekommen. Lernen gelernt habe ich in der Schule allerdings nicht. An der Uni habe ich Lernen gelernt – zumindest dachte ich das. Aber gelernt habe ich vor allem das „Büffeln“. Prüfungszentriertes Lernen. Das konnte ich auch ganz gut. Aber ich habe erst viel später wirklich verstanden, dass Lernen mit verstehen, scheitern, erfahren, anfassen, austauschen und kommunizieren zu tun hat. Selbst Lerngruppen waren zu meiner Zeit an der Uni (vor knapp 30 Jahren) ja fast schon innovative Think Tanks. Vorlesungen waren das, was der Name schon sagt.
Heute lerne ich jeden Tag und denke doch so gut wie nie darüber nach.
Ich lese viel und zwar das, was mir gefällt: Bücher, Tagespresse, Blogartikel, Posts. Ich hatte schon immer das große Glück viel zu reisen – verschiedene Lernorte sind Gold wert für Lernfortschritte, insbesondere wenn es um Kulturen, Geschichte und um das so wichtige Verstehen von Menschen geht. Nach 16 Jahren im Bildungsbereich weiß ich ziemlich genau wie ICH lernen möchte. Und wie nicht. Lernen findet nicht raum- und zeitgebunden statt. Vor allem findet es in heterogenen Gruppen nie im Gleichschritt statt – das aber setzt unser Bildungssystem viel zu oft voraus. Selbst in der Erwachsenenbildung.
Heute in meiner Selbstständigkeit kann ich mir Lernzeiten frei einteilen. Ich lerne projektbezogen oder oft auch, weil ich (via Social Media, mein größter Wissensspeicher) an Themen, Menschen, Meinungen hängenbleibe. Aber ich habe eben auch nicht nur Projekte, die ich mir wie Rosinen rauspicke. Damit muss auch ich Inhalte und Methoden lernen, die ich mir vielleicht nicht auf den ersten Blick ausgesucht habe. Meine Grenzen, Vorurteile und inneren Hürden zu überwinden, macht mich an manchen Tagen noch zufriedener, als innerhalb meiner Komfortzone zu lesen und zu lernen. Das ist überhaupt eine wichtige Erkenntnis – ähnlich wie beim Sport: Grenzen zu überwinden, ist alleine sauschwer. Da hilft schon mal ein externer Trainer, der streng ist.
Und wie lernen Organisationen?
Ich kann mir vorstellen, dass ein Mix aus intrinsisch motiviertem Lernen und „Vorgaben“ (oder besser Impulsen) von außen (aus dem Team, aus dem HR, vielleicht sogar zufällig aus unterschiedlichen Abteilungen je nach Unternehmensgröße) gut funktionieren kann. Die Mischung muss gut dosiert sein und das setzt Lernzeiten voraus. Aus dem Bauch heraus wäre ich für selbstorganisierte Lernzeiten, weiß aber, dass das Disziplin und Mut erfordert. Wer noch keine positiven Lernerfahrungen gesammelt hat, ist damit vielleicht überfordert. Also auch hier eine Mischung aus einem flexiblen Lernzeitbudget und z.B. zwei Teamlerntagen pro Monat.
Ich mag Lunchtalks, Lerncafés und Lernsnacks. Ein wesentliches Learning beim Lernen wäre aus meiner Sicht auch, die Organisation des Lernens, die Tools und Methoden ebenfalls zum Trainingsstoff werden zu lassen.
Damit wäre eine „klassische Teamfortbildung“
- thematisch von einem/mehreren Kolleg:innen vorgeschlagen,
- inhaltlich von ihnen vorbereitet und
- durch sie moderiert.
Das schließt die Buchung externer Angebote nicht per se aus. Alleiniger Lernkonsum wäre mir aber zu wenig. Kleine Einschränkung: Für alle Weiterbildungen, die standardisiert verfügbar sind (z.B. Fremdsprachen-oder IT-Kurse) würde ich weitestgehend auf gute Tools zurückgreifen und das so freiwerdende Budget in „Freestyle-Weiterbildung“ investieren.
Lernen ist für mich das Sammeln von Erfahrungen, die sich über das Handeln einprägen. Im Sport schreibt man Trainingspläne und zwar immer wieder neu. Organisationen sollten das mit und für ihre Mitarbeitenden auch tun. Einzel- und Teamtrainings. Es ist das mutige gemeinsame Erkunden neuer Themenfelder, die zu einem unmittelbar erkennbaren Bezug zur Tätigkeit stehen können, aber nicht müssen. Der ergibt sich ja vielleicht noch durch Innovation und Exploration. Das tut es ziemlich sicher.
Wie lernst Du, Tim Robert Zander?
Tim Robert Zander² ist Jungunternehmer, im Bereich Beratung, Training und Ausbildung tätig und als Sparringspartner für individuelle und organisationale Fitness aktiv.
Tim Robert, wie lernst Du?
Lernen ist eine der größten Stärke, die wir Menschen als Angehörige der Spezies Homo Sapiens als „Vernunftsbegabte“ haben. Ich bin, was ich lerne: Die prägenden Situationen meines Lebens, Ansätze, Methoden, Werte, Menschen, die ich kennenlernen durfte, Wissen, das ich sammeln durfte, Erfahrungen, die ich gemachte habe und noch vieles mehr gehört für mich dazu.
Lernen tue ich am besten, wenn ich Spaß an der Sache habe. Und das fängt schon im Kindesalter an: spielend lernen. Spätestens als junger Erwachsener, in der Rolle des Nachhilfelehrers, fing ich an, mich explizit an mit diesem wundersamen Prozess zu beschäftigen. Dabei durfte ich einige Jahre später als universitärer Tutor mich auch mit den Grundlagen der Didaktik sowohl praktisch in meinen Lehrveranstaltungen als auch theoretisch in Weiterbildungen beschäftigen.
Es gibt unterschiedliche Lerntypen: Der eine mag es zu lesen, die andere zu schreiben, wieder ein anderer mag es audio-unterstützt und der nächste Typus benötigt einen visuellen Zugang. Das, was ich für mich entdeckt habe – und was auch im Allgemeinen mit am besten funktionieren soll – ist es, anderen etwas beizubringen bzw. im Austausch mit anderen zu lernen. Das soll die besondere Stärke des Menschen zu sein, Schwarmintelligenz sieht man aber auch im Tierreich.
Zusammenfassend lerne ich gerne, in dem ich Wissen aufbereite, darstelle und umsetze. Laut zu denken und mich mit anderen in eine Thematik einzuarbeiten, unterstützt diesen Vorgang. Auch das Experimentieren, die Überprüfung von Annahmen und die Möglichkeit „Fehler“ zu machen ist sehr nützlich. Idealerweise mit Bezug auf einen konkreten Zweck; sei es im Urlaub kommunizieren zu können oder im Beruflichen ein Problem für meine Kundschaft zu lösen.
Und wie lernen Organisationen?
Passend zur vorherigen Antwort, denke ich, dass wir die Fehlerkultur mehr als Experimentierkultur fassen dürfen. Wir möchten keine Fehler machen, sondern so früh und so schnell wie möglich nichtzutreffende Modelle widerlegen, verbessern oder ersetzen. Besonders spannend finde ich den Ansatz der Start-up-Kultur, welche für mich aus einer gesunden Mischung aus Resilienz und Agilität entsteht. Bildhaft gesprochen, dürfen Organisationen und ihre Mitarbeitenden ihre Komfortzonen verlassen, um mit suboptimalen Routinen zu brechen und sich schrittweise an ein Optimum heranzutasten.
Das braucht Mut, Freiraum und eine Organisationskultur, die Vertrauen fördert und auch einen Mehrwert in einem scheinbar nicht erfolgreichen Ergebnis sieht. Herauszufinden, dass ein Ansatz nicht funktioniert, ist nämlich auch unheimlich wertvolles Wissen. Diese Herangehensweise soll auch zur Erfindung der Glühbirne geführt haben. Außerdem findet er sich in der Evolution wieder.
Mitarbeitende sollten bestärkt werden, eigene Ideen einzubringen, auszuprobieren und dann daraus zu lernen. In den krisenhaften Zeiten, in denen wir uns befinden, reicht ein Augenpaar nicht aus, um einen Weg durch den Nebel zu finden. Vernetztes Denken spielt dabei eine wesentliche Rolle, die sich in Retrospektiven und Reviews niederschlagen darf und dann organisational gespeichert wird. Letztlich ist aber die Grundhaltung jeder einzelnen Person und die daraus folgende gemeinsame Einstellung essenziell.
Hierbei wünsche ich mir keinen Aktionismus, aber gerade in Deutschland mehr Mut zum Risiko mit der gehörigen Portion Selbstverantwortung. Märkte von morgen entstehen spätestens heute und wer nicht mitentwickelt, wird Schwierigkeiten haben zu partizipieren. Dabei kommt es wie immer auf die Menschen an. Gerne möchte ich abschließend auch auf die multiperspektivischen Ansätze hinweisen. Zu nennen wären dabei Diversität und Interdisziplinarität, die auf Augenhöhe und einer gesunden Koordination gelebt werden dürfen.
Wie lernst Du, Tobias Leisgang?
Tobias Leisgang³ hilft Menschen, Innovationen von der Ideenphase bis zum wirtschaftlichen Erfolg zu realisieren. Seit über 10 Jahren leitet er erfolgreich globale und virtuelle Teams von bis zu 30 Personen und genießt es, Menschen innerhalb und außerhalb von Unternehmen zu verbinden.
Tobias, wie lernst Du?
Denke ich ans Lernen, denke ich zuerst an meine eigene Schulzeit, mein Studium und die eine oder andere Weiterbildung im Unternehmen. Findet Lernen also zu diskreten Zeitpunkten im Laufe unseres Lebens statt? Vor etwa einem Jahr bin ich über den Hashtag #reflectandlearn auf LinkedIn gestolpert. Eine wachsende Community blickt anhand einer Sammlung von Impulsfragen öffentlich auf die vergangene Woche zurück. Seitdem veröffentliche auch ich meist sonntags meine Reflexion. Und siehe da, ich lerne jede Woche. Eigne mir Wissen über Podcasts, Artikel und Bücher an. Lerne in freudvollen Momenten und Phasen, die mich nachdenklich machen. Manchmal gibt es auch einen Fail der Woche. Auch da lerne ich – the hard way.
Erkenntnis #1: Ich lerne kontinuierlich.
Meine Kinder waren an einer Montessori-Grundschule. Man spricht dort von sensiblen Phasen der Kinder. Das sind Phasen, in denen bestimmte Themen mühelos erlernt werden. Nur hat jedes Kind seinen eigenen Rhythmus und die sensible Phase fürs Rechnen beginnt nicht exakt um 9:30 Uhr, wenn die Mathestunde im Stundenplan steht. Dafür gibt es an der Montessori-Schule die Freiarbeit. Irgendwann habe ich erkannt, dass diese Prinzip auch auf mich als Erwachsenen passt (oder ist es das Kind im Manne? 😂). Ich folge deshalb meiner intrinsischen Motivation und nutze meine sensiblen Phasen. Da kann es schon mal passieren, dass ich alles um mich herum vergesse. Leider interessiert mich als Scanner-Persönlichkeit recht viel.
Erkenntnis #2: Ich lerne am besten bei Themen, für die ich ein intrinsisches Interesse habe, und in sensiblen Phasen.
„Hilf es mir selbst zu tun.“ Noch so ein Montessori-Prinzip, das auch auf mich passt. Ich habe in der Schule sowohl einen passablen Latein- als auch Englisch-Wortschatz gelernt. Englisch klappt heute noch super, weil mir vor allem 15 Jahre US-Konzern geholfen haben, es selbst zu tun. Na gut, bei manchem Texaner dachte ich mir eher „Hilfe! Ich versteh kaum ein Wort.“ Die Lateinhausaufgabe meines Juniors ist für mich eher Kategorie „böhmische Dörfer“ statt „gallische Dörfer“. Ich lerne also nur, wenn ich es auch mache.
Learning by doing gilt für mich auch bei Innovationsmethoden, Präsentationsskills, Moderation, Schreiben, Basketball, Mountainbiken. Ich könnte die Liste beliebig lange fortführen. Übrigens lerne ich auch noch dazu, wenn ich anderen helfe, etwas zu tun, was ich schon ganz gut kann. Zum Beispiel, weil ich plötzlich Wege sehe, etwas noch effektiver zu machen.
Erkenntnis #3: Ich lerne am besten übers Machen. Und wenn ich Anderen beim Machen helfe.
Und wie können Organisationen lernen?
Die Antworten auf diese Frage überlasse ich den Experten für das Thema. Meine drei persönlichen Erkenntnisse werfen für mich eher Fragen für das Lernen in Organisationen auf:
1. Kontinuierliches Lernen
Gerät das nicht viel zu oft im hektischen Tagesgeschäft in Vergessenheit? Basketballer spendieren mehr Zeit fürs Training als für Spiele. Im Unternehmen ist die meiste Zeit der Wettkampf. Wie wäre es für den Anfang mit einem wöchentlichen 30-minütigen #reflectandlearn für die Organisation!?
2. Sensible Phasen fürs Lernen und intrinsische Motivation
Erlauben wir freies Lernen, oder versuchen wir Menschen anhand von Rollen in Curriculi einzuordnen? Wieviel Prozent unserer Arbeitszeit ist Freiarbeit, also Arbeitszeit, in der Menschen ihrem intrinsischen Interesse folgen? Zählt es als Arbeitszeit, wenn man am Wochenende bei der Lektüre eines Fachbuchs im Flow ist?
3. Learning by doing
Helfen wir Menschen, etwas selbst zu tun? Oder lassen wir nur die Profis ran, weil die Zeit mal wieder knapp ist? Wie tolerant sind wir gegenüber Fehlern, die zu Beginn des Selbst-Tuns passieren?
Hinweise:
[1] Weitere Informationen zu Julia Collard finden Sie auf der Website von Doppeltspitze und auf LinkedIn. Im t2informatik Blog hat sie gemeinsam mit Sven Schnitzler über Augenhöhe, Kompetenzen beim Recruiting, Fehlerkultur und Talent Management Beiträge veröffentlicht. Hier finden Sie eine Übersicht.
[2] Weitere Informationen zu Tim Robert Zander finden Sie auf der Website von Resilienz Consulting und auf LinkedIn. Im t2informatik Blog hat er einen Beitrag über Agilität und Resilienz veröffentlicht.
[3] Weitere Informationen zu Tobias Leisgang finden Sie auf CompanyPirate und auf LinkedIn. Im t2informatik Blog hat er Beiträge über Remote Work, Entscheidungen per Zufall, Gedankenexperimente, Pläne und Weihnachten veröffentlicht. Hier finden Sie eine Übersicht.
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Michael Schenkel hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.
Michael Schenkel
Leiter Marketing, t2informatik GmbH