Agilität in der Energiewirtschaft – funktioniert doch!
Beim Thema Agilität finden sich oft Beschreibungen von Negativbeispielen und gescheiterten Versuchen. Hier im Blog gibt es auch eine eigene Reihe dazu, erfreulicherweise lässt sich das Augenzwinkern bei Agilität? Haben wir probiert! Funktioniert nicht! schon in den ersten Zeilen erkennen. Die siebenteilige Serie thematisiert viele Missverständnisse, Probleme und Hindernisse bei agilen Transformationen und bietet interessante Tipps und Beispiele aus der Praxis, aber natürlich kein allgemeingültiges Kochrezept.
Haben Sie Interesse an einem Gegenbeispiel?
Wir haben zahlreiche Projekte bei verschiedenen Kunden in der Energiewirtschaft durchgeführt. Spannende Erkenntnis: Leider ist die Wahrnehmung innerhalb der Energiewirtschaft – auch beim Thema Agilität – häufig negativer als die Realität. Tatsächlich funktioniert Agilität aber ganz gut. Jedenfalls oft deutlich besser als frühere oder parallele andere Versuche, selbst wenn die Skepsis und die Anpassungsschwierigkeiten der Organisation sowie manchmal auch der Menschen zu Beginn relativ groß sind.
Unser Weg zu (mehr) Agilität seit 2018
Wie sind wir auf die Idee gekommen, uns mit dem Thema Agilität zu beschäftigen?
Es war kein spontaner Einfall, sondern ein längerer Prozess. Wir haben das Innovationsklima in unserem Team erhoben und erhielten ein eindeutiges Ergebnis: Die Klarheit der Ziele (Subskala im Faktor „Vision“) erreichte lediglich den Wert 2. Hier haben wir angesetzt und uns die Frage gestellt, wie wir diesen Wert verbessern können.
In der Diskussion haben sich schnell zwei Ansätze herauskristallisiert: Objectives and Key Results (OKR) oder partizipatives Produktivitätsmanagement PPM (siehe: Produktivität und Menschlichkeit – Gegensatz oder Win-Win?). Nach langer Diskussion haben wir uns für OKR entschieden und Spoiler: Es war eine gute Wahl. Vieles hat sich seitdem sehr positiv in unserem Unternehmen entwickelt.
Agilität, Selbstbestimmung und Freiräume sind mittlerweile feste Bestandteile eines Team- oder Betriebsklimas, das wir im Zuge des Strukturwandels und der Anpassung an die neue Arbeitswelt anstreben. Sie eröffnen den Mitarbeitern die Möglichkeit, sich dort einzubringen, wo sie ihrer Ansicht nach den größten Nutzen stiften.
Google, Ebay und andere bekannte Größen agieren hier, wie so oft, als Vorreiter und haben vor diesem Hintergrund auch das Management-Framework OKR eingeführt. Mittlerweile wird es hierzulande von vielen Unternehmen (u. a. Edeka, Zalando, BMW) – auch von uns – genutzt. Uns hilft es,
- den Fokus,
- die Transparenz
- und die Identifikation mit der – meist doch abstrakten – Strategie
in unserem Team zu verbessern. Wir organisieren und koordinieren uns selbstbestimmt anhand von gemeinsam definierten Objectives und Key Results. Natürlich ist die Umsetzung einer neuen Vorgehensweise immer ein Lernprozess der Beteiligten. Wir haben wichtige Erkenntnisse gewonnen, bspw. indem wir unsere Analyse des Innovationsklimas wiederholt haben. Die Ergebnisse lassen sich der folgenden Abbildung entnehmen und sprechen meiner Meinung nach für sich:
Bild 1: Ergebnisse Innovationsklima – vorher und nachher im Vergleich (Grafik auf Basis eigener Erhebung)
Vier Lessons Learned bei der Arbeit mit OKR
Lesson learned 1: Das Heranführen an eine selbstbestimmte Organisation braucht Zeit
Nicht jeder kommt ad-hoc mit der Situation zurecht, sich selbst organisieren zu dürfen oder sollen. Es gibt durchaus Kollegen, die Zielvorgaben „von oben“ schätzen oder dies zumindest gewohnt sind. Der Mensch ist schließlich ein Gewohnheitstier. Es benötigt Zeit, um Gewohnheiten zu ändern. Diese Zeit muss man sich gönnen oder einplanen und die Veränderung an vielen Stellen annehmen. Das erleben und diskutieren wir auch noch nach mehreren Jahren.
Lesson learned 2: „Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige“ – Lucius Annaeus Seneca
Oft ist es uns passiert, dass wir Aktionen zur Erreichung der Key Results relativ unkonkret benannt haben. Dies hatte zur Folge, dass wir im Nachgang nicht mehr wussten, was sich hinter einer Aktion genau verbarg und wie wir sie konkret verfolgen sollten.
Wichtig ist es daher, die sich selbst vorgenommenen Aktionen SMART zu formulieren:
- Spezifisch,
- Messbar,
- Akzeptiert,
- Realistisch und
- Terminiert.
So weiß jeder, woran die Kollegen gerade arbeiten und kann zielgerichtet fragen oder Hilfe anbieten. Diese deutliche Verbesserung lässt sich in der Grafik gut erkennen.
Lesson Learned 3: OKR dient nicht der Überwachung
Einige Kollegen hatten Bedenken, dass OKR dazu dienen, unseren eigenen Fortschritt zu überwachen und so nichts anderes als getrackte Zielvereinbarungen sind. Das ist aber nicht die Intention des Frameworks! Im Gegenteil: OKR fördern die eigenen Stärken, die Kommunikation im Team und die Auseinandersetzung mit sich selbst. Es ist wichtig, am Ende eines Quartals ein Resümee über die Erreichung der Objectives zu ziehen, aber nur, um mit dem Team an dem Ziel selbst zu arbeiten, nicht um Rechenschaft abzulegen.
Auch wenn jeder seine eigenen Aktionen definiert: Es zählt das gemeinsame Ergebnis im Team und die gegenseitige Unterstützung! Dies haben auf jeden Fall alle bei uns gelernt und sehen die konkreten Ergebnisse als Fokussierung auf die wesentlichen Aufgaben.
Lesson Learned 4: Klare Verantwortlichkeiten
Auch wenn vielleicht ein Thema von mehreren Leuten bearbeitet wird, sollte nur einer den Hut dafür aufhaben. Ist dies nicht der Fall, bleibt das Thema ggf. komplett liegen, da sich niemand in der Verantwortung dafür sieht.
Lesson Learned 5: Die Organisation und die Führung muss es wollen
Das Motiv der Identifikation mit der Aktion und der intrinsischen Motivation ist sehr wichtig für die Funktion der OKR. Das beginnt bei der Führung des Unternehmens. Unser ehemaliger Geschäftsführer wollte das System, hat dabei gelernt und sich auch verändert. Für ihn und mit ihm war es ein richtiger Weg mit vielen wertvollen Erkenntnissen.
Bild 2: Dimensionen OKR
Erfahrungen aus zahlreichen Scrum-Projekten
Als bei einem Kunden im Jahr 2011 ein IT-Kollege mit Scrum „um die Ecke kam“, war es mir völlig neu. Aber der Einstieg war spannend und es gab schnell erste Erfolge – inhaltlicher und insbesondere menschlicher Art. Das hat mich damals schon fasziniert. Viele Dinge aus meinem Studium und der wissenschaftlichen Arbeit bekamen plötzlich „ein Gesicht“.
Mittlerweile haben oder durchlaufen alle Mitarbeiter der sbc eine entsprechende Ausbildung. Meist mind. PSM I oder in einem Fall auch die zum Scrum Product Owner. Auch hier hat sich wie beim Thema OKR gezeigt, dass die Einbringung in Unternehmen mit verschiedenen Schwierigkeiten und Lerneffekten einhergeht. Interessanterweise lassen sich dabei fast alle oben beschriebenen Lessons Learned mindestens näherungsweise übernehmen. Zudem spielen auch typische Grundprobleme von Projekten mit rein – wie z. B. die Zeit für ein Projekt oder die Schwierigkeiten zwischen Linienführung und der Führung im Projekt. Hier tun sich manche Führungskräfte mit den Konzepten der Selbstorganisation schwer. Sprüche wie, „es gibt keinen Projektleiter, wie soll das denn funktionieren“ hört man häufiger.
Methodisch richtig – kann gut funktionieren
Werden agile Ansätze, Methoden und Frameworks richtig angewendet, können sie viel Nutzen bieten. Wir haben sicherlich auch nicht immer alles richtig gemacht (Lernkurve!), es hat aber ziemlich gut geklappt (Verbesserung und Erfolg!). Und natürlich müssen wir auch immer mal wieder nachsteuern. Die stetige Entwicklung hin zum Besseren ist auch ein Teil des Wegs und sicherlich ein zentraler Erfolgsfaktor.
Im aktuellen Tertial werden wir uns wieder externe Hilfe holen. Ein OKR-Master wird uns begleiten und sicher noch einige Möglichkeiten für Verbesserungen identifizieren. Dies ist auch eine wesentliche Erkenntnis der letzten Jahre: Die gemeinsame Entwicklung ist ein wichtiger Effekt der Zusammenarbeit. Wer es richtig anwendet, kann gute Ergebnisse erreichen. Zudem sind die Veränderungen in der Art der Zusammenarbeit und der kollektiven Selbstregulation ein realer Gewinn für unsere Organisation.
Agilität in der Energiewirtschaft – kurz und knapp
Agilität in der Energiewirtschaft kann sehr gut funktionieren – wie in anderen Branchen vermutlich auch. Der Schlüssel dazu ist,
- sich gemeinsam auf den Weg zu machen,
- stetig zu lernen und
- neben der Methodik auch die weiteren Aspekte der Zusammenarbeit zum Besseren zu verändern.
Das haben wir bei uns und in vielen Kundenprojekten erlebt. Zufriedenheit oder Begeisterung sind regelmäßig die Folge. Wichtig ist dabei der Gedanke, dass der Weg in die Agilität nie enden wird: das kann zwar einschüchtern, aber auch sehr zufrieden machen.
Hinweise:
Wollen Sie sich mit Sascha Rülicke über seine Erfahrung austauschen? Dann vernetzen Sie sich gerne mit ihm auf LinkedIn. Gerne steht er natürlich auch für Gespräche zur Energie- und Wärmewende zur Verfügung.
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Sascha Rülicke hat drei weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht:
Sascha Rülicke
Sascha Rülicke ist Geschäftsführer der sbc soptim business consult GmbH. Bevor er 2009 bei sbc als Consultant einstieg und sich um Themen wie Arbeits- und Prozessgestaltung, Innovation, Innovationsklima, Projektmanagement sowie Team- und Organisationsentwicklung kümmerte, war er knapp sieben Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter am A.U.G.E. Institut der Hochschule Niederrhein in der angewandten Forschung tätig. In verschiedenen Forschungsprojekten lernte er dort die Team- und Organisationsentwicklung bei kleineren und mittleren Unternehmen kennen.