Projektpolitik gestalten

Gastbeitrag von | 26.09.2022

In der letzten Zeit begegnet mir häufiger der Begriff Projektpolitik, den ich in diesem Artikel aus der Perspektive der Projektwelt beleuchten möchte. Dabei stellen sich mir zunächst folgende Fragen zum Kontext:

  • Macht ein Projekt Politik, und wenn ja in welchem Rahmen?
  • Wird Politik innerhalb eines Projekts gemacht?
  • Oder wird Politik sogar mit dem Projekt gemacht?

Zur Klärung der Begrifflichkeit erst einmal ein Blick in Google mit der Suche “Politik Bedeutung”. Da steht u. a. “Methode, Art und Weise, bestimmte eigene Vorstellungen gegen andere Interessen durchzusetzen.”1 Oder auch: “Politik bezeichnet jegliche Art der Einflussnahme und Gestaltung sowie die Durchsetzung von Forderungen und Zielen, sei es in privaten oder öffentlichen Bereichen.”2

Sehr prägnant finde ich in beiden Definitionen die Aussage des Durchsetzens, im ersten Fall sogar explizit gegen die Interessen anderer.

Projektpolitik in der Praxis

Auf meine erste Frage angewendet, bedeutet dies, dass EIN PROJEKT seine (möglicherweise im Projekt gemeinsam erarbeiteten) Vorstellungen GEGEN die der ANDEREN PROJEKTE oder auch der LINIENORGANISATION durchzubringen sucht. So etwas finden wir typischerweise bei der Zuteilung von Ressourcen. Und tatsächlich ist das nach meiner Erfahrung selten ein konsensorientierter Prozess.

Folgt man den oben genannten Definitionen ist Projektpolitik im Sinne von Politik IM Projekt für die Betroffenen wohl noch ungemütlicher. Hier versuchen Projektmitarbeiter oder Stakeholder ihre eigenen Vorstellungen GEGEN die der ANDEREN AM PROJEKT BETEILIGTEN durchzusetzen. Das trifft dann direkt die operative Arbeit im Projekt.

Erfolgreiche Projektleiter tun viel, um dies zu verhindern: Kick-off-Meetings, die gemeinsame Erarbeitung einer Projektvision unter Einbeziehung der Auftraggeber und die Disziplin des Stakeholdermanagements sind wichtige Aspekte, die auch in den Projektmanagement-Ausbildungen immer wieder betont werden. Untersuchungen zum Scheitern von Projekten deuten darauf hin, dass die Missachtung dieser Best Practices die Chancen auf Scheitern deutlich erhöhen. Gelebte Projektpolitik im Projekt scheint also das Gegenteil von einem Erfolgsgaranten zu sein.

Und last but not least, die Durchsetzung von Vorstellungen MITHILFE DES PROJEKTES. Auch das ist im Projektgeschäft keine Unbekannte. So werden z. B. IT-Projekte immer wieder benutzt, um notwendige Prozessveränderungen zu initiieren. Erfahrene Projektleiter kennen das und treffen entsprechende Vorsorge, z.B. angemessene Beteiligung und Verantwortlichkeit der Prozesseigner. Weniger erfahrene scheitern und bekommen dann meist auch noch den Schwarzen Peter zugeschoben.

“Zudem lässt sich auch beobachten, dass das Deklarieren von Unternehmungen als Projekt eine gute Möglichkeit ist, zusätzliche Budgets zu akquirieren. Wenn es also zu einem Mittel wird, um einen vorhandenen Missstand innerhalb einer Organisation zu umgehen – die Bereitstellung von Budgets wird verweigert, da entsprechende Titel in der Jahresplanung fehlen – dann ist es wenig verwunderlich, wenn Vorhaben scheitern. Es gab nie das Ziel sie erfolgreich zu gestalten, es ging immer um etwas anderes.”3

Projektpolitik mithilfe des Projektes ist also auch keine angenehme Situation – weder für die Projektbeteiligten noch in Summe für das Unternehmen.

Ein Ansatz gegen eine “ungesunde” Projektpolitik

Alle drei Szenarien sind nicht unbekannt. In meiner Rolle als globale Projektleiterin und als Führungskraft, die auch drei große Project Management Offices (PMOs) in globalen Konzernen aufgebaut und geleitet hat, kenne ich zahllose reale Beispiele und deren Konsequenzen.

Das Ganze klingt für mich ziemlich ungesund. Gleichzeitig dürfen wir nicht übersehen, dass es immer Projektpolitik gibt und geben wird. Menschen vertreten ihre Interessen, Projektmitarbeitende setzen sich für ihre Vorhaben und Ziele ein, Beteiligte und Betroffene streiten über Prioritäten. Der zentrale Unterschied und auch der Grund für das oft negative Image von Projektpolitik ist die Form des Miteinanders.

Und was können Unternehmen tun, um ein besseres Miteinander zu fördern und ungesunde Projektpolitik zu verhindern? Sie können das Handling von und in Projekten verbessern. Sie können bspw. ein Project Management Office (PMO) installieren. Ein PMO ist eine auf Dauer angelegte Funktion im Projektmanagement, die unterstützende Aufgaben für Projekte und das Management wahrnimmt. Dazu gehören bspw.

  • die Entwicklung und Definition von Methoden, Prozessen, Tools und Best Practices, damit eng verbunden auch die Bestimmung von Vorgaben und Leitlinien,
  • die Koordination von Projektportfolios und Ressourcen,
  • die Bereitstellung und das Coaching von Projektleitern,
  • die operative Unterstützung in Projekten, bspw. zur Verbesserung der Interaktion mit Stakeholdern oder der Klärung von Zielen und Zielkonflikten,
  • oder das aktive Lernen von anderen Projekten oder im Projekt selbst (Lessons Learned).

Ein PMO kann für Professionalität und Transparenz sorgen sowie konfliktäre Interessen mediieren (entsprechende Ausbildungen vorausgesetzt). So kann aus “durchsetzen” ein “miteinander gestalten” werden, eher im Sinne der Definition “Politik bezeichnet die aktive Teilnahme an der Gestaltung und Regelung menschlicher Gemeinwesen.”4

Das Verhältnis von Projektpolitik zu Projektkultur und Macht

Projektpolitik im Sinne der am Anfang dieses Artikels zitierten Definitionen hat viel mit Macht zu tun und wenig mit dem Bündeln von zumeist ohnehin knappen Ressourcen. Es kostet die Organisation Energie und Motivation, es gibt Gewinner und Verlierer. Die beteiligten Personen, Projekte, Abteilungen oder Bereiche nehmen die Auseinandersetzung um unterschiedliche Interessen selten sportlich, was fast automatisch massive Auswirkungen auf die Unternehmens- und Projektkultur hat. Vertrauen zwischen allen Beteiligten kann so nicht entstehen, eher lassen sich Tendenzen zu Stammesdenken erkennen.

Oft sehen wir in solchen Kulturen die wohl bekannten Silos, die Projekte (heimlich) steuern, oder Projekte, die niemals zu Ende gehen (auch Kakerlaken-Projekte genannt). Das widerspricht zwar dem grundsätzlichen Gedanken von Projekten als “beauftragtes, zielgerichtetes, einmaliges, risikobehaftetes, kontext- und ressourcenabhängiges, sowie ggf. komplexes Vorhaben”5, wird aber dennoch irgendwie akzeptiert. Heimat wird nach Möglichkeit bei den „Gewinnern“ gesucht, und Heimat – das wissen wir aus der Sozialforschung – braucht der Mensch.

Womit wir beim kulturellen Aspekt wären, nach meiner Meinung des Pudels Kern. Wenn es in einem Unternehmen um das “Durchsetzen der eigenen Vorstellungen GEGEN andere Interessen” geht, wird auch ein Project Management Office dies nicht einfach so ändern können. Zumindest nicht kurzfristig oder per Knopfdruck.

Die Kultur in einem Unternehmen und auch in und mit Projekten ist das Ergebnis des Miteinanders der Vergangenheit. Ist dieses Ergebnis u. a. von “eigene Vorstellungen gegen andere Interessen durchsetzen” geprägt, dann klingt das in meinen Ohren nach Besserwisserei, Rechthaberei, nach sehr viel Konfliktpotenzial und Machtstreben.

Eine solche Politik schließt sowohl ein abgestimmtes, gemeinsames Vorgehen als auch den Perspektivwechsel als methodische Komponente aus. Projekte, die ein ernsthaftes und konstruktives Engagement der Beteiligten benötigen, um erfolgreich zu sein – und das sind oft solche, die Zukunft gestalten in einer Organisation – sind in einer von “ungesunder” Projektpolitik dominierten Kultur schwierig zu stemmen. Stattdessen wird oft der Disput, ja fast ein Kleinkrieg um Ressourcen, Prioritäten oder Tools geführt. Projektinhalte und ein Miteinander in eine abgestimmte, gemeinsame Richtung bleiben auf der Strecke.

Fazit

In gewisser Weise ist die gelebte Projektpolitik und das Handling von Projekten in einem Unternehmen ein Spiegel der vorhandenen Unternehmenskultur. Ein Project Management Office kann dabei helfen, die Projektkultur eines Unternehmens zu entwickeln. Allerdings nicht per Knopfdruck, sondern durch Kommunikation, Abstimmung, Beteiligung. Das erfordert Durchhalte- und Mediationskompetenzen und die Unterstützung durch das Management. Letzteres ist oft eher den eigenen Linieninteressen verhaftet, das birgt die Gefahr, dass das PMO selbst in die “Methodenkiste der ungesunden Projektpolitik” greift. Natürlich ist dies kontraproduktiv, denn es fördert einen Kulturkampf Projekt gegen Linie. Hier braucht das PMO Bewusstheit und Verständnis für die anderen Interessen jenseits der Projektwelt, um federführend eine gesunde, professionelle Projektpolitik zu fördern und vorzuleben und damit letztendlich unternehmensweit kulturell mitzugestalten.

Und es braucht vor allem bei allen Beteiligten ein Mehr von „wir als Unternehmen“ und ein Weniger von „wir als Projekt/Linie“ und erst recht kein „Hauptsache Ich“. In der Praxis ist dies für viele Unternehmen sicherlich eher ein Langstreckenlauf als ein Sprint. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sich die Anstrengung lohnt – im Sinne einer gesunden Projektpolitik und für erfolgreiche Projekte, von denen alle im Unternehmen profitieren.

 

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[1] Wie mache ich Politik interessant für Jugendliche?
[2] [4] Bundeszentrale für politische Bildung: kurz&knapp: Politik
[3] Auszug aus Warum scheitern Projekte?
[5] Auszug aus Was ist ein Projekt?

Astrid Kuhlmey hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.

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Astrid Kuhlmey
Astrid Kuhlmey

Dipl.Inf. Astrid Kuhlmey verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung im Projekt- und Linienmanagement der Pharma-IT. Seit 7 Jahren ist sie als systemische Beraterin tätig und begleitet Unternehmen und Individuen in notwendigen Veränderungsprozessen. Ihr liegen Nachhaltigkeit sowie gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel und Entwicklung am Herzen. Gemeinsam mit einem Kollegen hat sie einen Ansatz entwickelt, Kompetenzen zum Handeln und Entscheiden in Situationen der Ungewissheit bzw. Komplexität zu fördern.