Projektitis

Wissen kompakt: Projektitis bezeichnet eine unsachgemäße, zweckfremde Verwendung des Projektbegriffs und eine damit einhergehende Überforderung der Beteiligten einer Organisation.

Projektitis – Wenn auf einmal alles ein Projekt ist

“In wie vielen Projekten bist Du gerade tätig?”

Wer eine solche Frage nicht eindeutig beantworten kann – “In fünf, sechs oder sieben!” wäre übrigens keine eindeutige Antwort – leidet möglicherweise an den Folgen einer Organisationskrankheit: Projektitis.

Projektitis steht umgangssprachlich für eine unsachgemäße, zweckfremde Verwendung des Projektbegriffs. Sie ist gleichzeitig ein Zeichen der Überforderung einer Organisation als auch ihrer Mitarbeiter.

Es gibt eine Reihe von Institutionen, die ein Projekt auf unterschiedliche Weise und mit verschiedenen Schwerpunkten definieren. Leider helfen diese Definitionen nicht immer in der Realität des Tagesgeschäfts von Unternehmen. Statt eines geordneten Ablaufs zur Projektdefinition werden viele Aufgaben kurzerhand zu einem Projekt definiert. So wächst die Menge an Projekten pro Mitarbeiter und in der Organisation schnell, was zwei Konsequenzen haben kann:

  • Entweder wird ein Projekt mit einem Sammelsurium von überdimensionierten Methoden adressiert, was nicht zweckdienlich ist, oder
  • Projektpraktiken, die sich in der Vergangenheit als nützlich erwiesen haben, werden vielfach über Bord geworfen, da schlicht die Zeit fehlt, das Projekt entsprechend zu strukturieren.

In beiden Fällen gehen die Vorteile eines dedizierten Projektmanagements verloren.

Woran lässt sich Projektitis erkennen?

Die Meinungen variieren, wenn es um die Identifikation einer Projektitis geht. Einerseits liegt dies daran, dass es sich bei dem Begriff um einen Jargon im Projektmanagement handelt und eben nicht um die DIN 69901¹ oder eine Definition des Project Management Institutes (PMI) oder der International Project Management Association (IPMA). Andererseits ist es ein Gefühl, das die Betroffenen nach und nach heimsucht, da sie unter den mit einem Projekt einhergehenden Erwartungen leiden. Die Arbeitslast wird schlicht zu hoch und so manches “Projekt” bleibt auf der Strecke.

Wenn also eine genormte Definition fehlt und es sich eher um ein Gefühl handelt, woran könnte man Projektitis in einer Organisation erkennen²:

  • Ein sicherer Indikator ist das zu Beginn beschriebene Szenario, in dem Beteiligte nicht beantworten können, in wie vielen Projekten sie tätig sind. Offensichtlich ist die Anzahl zu hoch und augenfällig fehlt eine passende Priorisierung durch ein Project Management Office (PMO).
  • Fehlen definierte Rahmenbedingungen wie Auftraggeber, Ausgangslage und Ziel, mögliche Klassifizierungen zu Art, Risiken, Komplexität, Innovationsgrad oder Nutzen, die Verantwortlichkeiten, die Mitwirkenden und der Zeitraum der Mitwirkung, die Inhalte und Umfänge, der Zeitraum von Beginn bis Ende, das Budget sowie die eigentliche Freigabe, dann ist dies sicherlich auch ein Indikator.
  • Ein weiterer Indikator ist die fehlende Trennung von Aufträgen, Aufgaben und Projekten. Schnell wird alles zu einem Projekt deklariert, selbst wenn dies der eigentlichen Projektdefinition widerspricht. In manchen Organisationen lässt sich das an extrem unterschiedlichen Umfängen festmachen: ein Ein-Personen-Projekt mit einer Aufwand von 2 Stunden, ein 5-Personen-Projekt mit einem Aufwand von 50 Personentagen und ein 30-Personen-Projekt mit einer Laufzeit von zwei Jahren. Wenig überraschend, wenn nicht in in jedem Vorhaben mit derselben planerischen Sorgfalt gearbeitet wird, oder?
  • Und auch die Absicht, die hinter der Definition eines Projekts liegt, kann als Indikator herhalten: Ein Projekt bekommt häufig mehr Aufmerksamkeit als eine “übliche” Linientätigkeit. Diese Aufmerksamkeit drückt sich ggf. auch in einem zugeteilten Budget aus. Hilft Projektis also bei der Allokation von Finanzmitteln, dann ist es wenig überraschend, wenn Mitarbeiter versuchen, das System für konkrete Belange – z. B. die Optimierung von Arbeitsmitteln, die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern oder die Verwendung neuester Tools – auszunutzen.

Kurzum: Es gibt verschiedene Indikatoren, die auf Projektitis hindeuten. Vermutlich ist es nicht sehr weit hergeholt, aufgrund der Existenz der Indikatoren auf die Projektreife einer Organisation zu schließen, oder?

Herausforderungen bei einer Projektitis?

Mit einer Projektitis können verschiedene Herausforderungen einhergehen:

  • Die Organisation beraubt sich in gewisser Weise der Möglichkeit, mithilfe einer planvollen, durchdachten Projektdefinition, frühzeitig die Weichen für den Projekterfolg zu stellen. Fehlende Strukturen, unklare Erwartungen, nicht geklärte Prioritäten, sich ggf. verschiebende Inhalte (Stichwort: Scope Creep), erschweren die Zusammenarbeit und machen eine Erfolgskontrolle praktisch unmöglich.
  • Die Mitarbeiter werden entweder durch die Arbeitslast überfordert oder aber sie nehmen einzelne Projekte von Anfang an weniger ernst, da sie aus Erfahrung lernen, und ihnen die Organisation quasi vorlebt, dass ineffektives Agieren in Ordnung ist.
  • Die Stimmung innerhalb der Organisation leidet, da unstrukturiertes Arbeiten in der Gemeinschaft anstrengend und nicht zielführend ist. Mit schlechter Stimmung leiden die Ergebnisse. Der interne und auch externe Erfolg geht zurück. Der Druck steigt und der Wert der Arbeitgebermarke sinkt. Autsch!

Und wie können Unternehmen die Herausforderung einer Projektitis meistern? Im Wesentlichen hilft nur die Verbesserung der gelebten Projektkultur. Es gilt ein gemeinsames Verständnis zu Projekten zu fördern, den konkreten Zweck von Projekten zu bestimmen, den Ablauf inklusive aller Rahmenbedingungen, Inhalten, Zeiten und Ergebnissen zu thematisieren, sowie klar und verständlich zu kommunizieren.  Das klingt auf der einen Seite relativ einfach, ist es aber vermutlich nicht, denn ansonsten würden Organisationen nicht unter Projektitis leiden.

Die Warnung vor der Projektitits durch Projektmanagement-Experten

In manchen Publikationen liest man von Warnungen vor Projektitits durch Projektmanagement-Experten. Ein Experte, der gegen die Existenz von Projekten argumentiert, wirkt auf den ersten Blick vielleicht ungewöhnlich. Auf den zweiten Blick aber ist das Ganze sehr einleuchtend: Experten leben davon, dass sie einen guten Job machen, dass sie Vorhaben zu Erfolgen führen, dass sie gewünschte Ergebnisse produzieren. Das kann ihnen allerdings nur gelingen, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Nur wenn die Beteiligten wissen, in welche Richtung ein Projekt gehen soll, nur wenn klar ist, wer was wie, mit welcher Priorität bis wann tun soll, dann besteht Aussicht auf Erfolg. Projektitis ist definitiv kein Indikator für Erfolg.

Projektitis - wenn auf einmal alles ein Projekt ist

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Impuls zum Diskutieren:

Wie “schlimm” finden Sie es, wenn in einer Organisation Projektitis herrscht?

Hinweise:

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[1] Die DIN 69901 beschreibt Grundlagen, Prozesse, Prozessmodell, Methoden, Daten, Datenmodelle und Begriffe im Projektmanagement.
[2] Weitere Indikatoren liefert das Projektmagazin im Beitrag Kennzeichen für Projektitis.

Hier finden Sie eine Checkliste zur Vorbereitung von Projekten als Download.

Und hier finden Sie ergänzende Informationen aus unserem t2informatik Blog:

t2informatik Blog: Der ausgehöhlte Projektbegriff und seine Folgen

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t2informatik Blog: Loslassen ist das neue Planen

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