Die zwei Gesichter der Selbstorganisation

Gastbeitrag von | 17.02.2025

Warum ein differenziertes Verständnis von Selbstorganisation den Unterschied macht

„Wir arbeiten selbstorganisiert!“ Diese Aussage ist mir in den letzten Jahren häufig begegnet. In Stellenanzeigen, auf Unternehmenswebseiten und in Gesprächen mit Führungskräften. Doch was ist damit eigentlich gemeint?

Als Agile Coach beschäftige ich mich seit vielen Jahren intensiv mit der Gestaltung von Organisationen. In dieser Zeit habe ich sowohl als interner als auch als externer Coach in den unterschiedlichsten Organisationen gearbeitet. Dabei erlebe ich immer wieder, wie unterschiedlich der Begriff interpretiert und gelebt wird.

Da gibt es das Entwicklungsteam, das unter „selbstorganisiert“ versteht, dass sie ihre User Storys selbst schätzen und ihre Daily Standups ohne Product Owner durchführen. Es gibt die Führungskraft, die bei Selbstorganisation an Mitarbeiter denkt, die ihre Aufgaben eigenverantwortlich priorisieren. Und es gibt die Organisation, die ein komplexes Framework eingeführt hat, das Selbstorganisation durch detaillierte Regeln und Prozesse ermöglichen soll.

Diese Vielfalt der Interpretationen ist zunächst nicht problematisch – wird es aber, wenn wir beginnen, konkrete Entscheidungen auf der Basis unseres jeweiligen Verständnisses zu treffen. Denn je nachdem, welche Definition wir – bewusst oder unbewusst – zugrunde legen, ergeben sich grundlegend unterschiedliche Konsequenzen für die Gestaltung von Führung, Zusammenarbeit und Organisationsstrukturen.

In diesem Beitrag möchte ich die verschiedenen Facetten des Begriffs Selbstorganisation näher beleuchten. Dabei werde ich zwei grundlegend verschiedene Perspektiven vorstellen: Selbstorganisation als emergentes Phänomen, das wir in der Natur und in sozialen Systemen beobachten können, und Selbstorganisation als bewusst konstruiertes Organisationsprinzip, das durch Regeln und Rahmenbedingungen gestaltet wird.

Lassen Sie uns gemeinsam erkunden, welche praktischen Implikationen sich aus diesen unterschiedlichen Sichtweisen ergeben. Denn eines ist klar: Ein reflektierter Umgang mit dem Konzept der Selbstorganisation ist die Voraussetzung für seine erfolgreiche Anwendung in der Praxis. Mich treibt dabei die Überzeugung an, dass Menschen ihr volles Potenzial entfalten und gemeinsam Außergewöhnliches leisten können, wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Dazu brauchen wir ein tieferes Verständnis davon, was Selbstorganisation eigentlich bedeutet.

Zwei unterschiedliche Perspektiven auf Selbstorganisation

Das erste Gesicht: Emergente Selbstorganisation

Stellen Sie einen Vogelschwarm vor, der sich in perfekter Koordination am Himmel bewegt. Oder wie sich Menschen auf einem belebten Platz bewegen, ohne ständig zusammenzustoßen. In beiden Fällen beobachten wir ein faszinierendes Phänomen: Ordnung entsteht ohne zentrale Steuerung, allein durch das Zusammenspiel der einzelnen Elemente.

Dies ist das erste Gesicht der Selbstorganisation: ein emergenter Prozess, der in der Natur, aber auch in sozialen Systemen allgegenwärtig ist. Biologen, Systemtheoretiker und Komplexitätsforscher haben uns gelehrt, dass solche Formen der Selbstorganisation nicht „gemacht“ werden – sie entstehen aus den inhärenten Eigenschaften des Systems selbst.

Das zweite Gesicht: Konstruierte Selbstorganisation

Dem gegenüber steht ein zweites Verständnis, das ich besonders häufig in agilen Organisationen antreffe: Selbstorganisation als bewusst gestaltetes Organisationsprinzip. Hier geht es um Rahmenbedingungen, Regeln und Prozesse, die autonomes Handeln ermöglichen sollen. Von Scrum über Holacracy bis hin zur Soziokratie – viele moderne Organisationsmodelle basieren auf diesem Verständnis von Selbstorganisation.

Der entscheidende Unterschied zwischen den unterschiedlichen Perspektiven

Was auf den ersten Blick wie eine rein akademische Unterscheidung erscheinen mag, hat weitreichende praktische Konsequenzen. Emergente Selbstorganisation ist ein wertneutraler Prozess, der sowohl förderliche als auch dysfunktionale Muster hervorbringen kann. Konstruierte Ansätze gehen dagegen meist davon aus, dass die Einhaltung bestimmter Regeln und Prinzipien automatisch zu positiven Ergebnissen führt.
Diese Unterscheidung hat mir in meiner Praxis oft geholfen, scheinbar widersprüchliche Beobachtungen einzuordnen. Wenn ein Team trotz (oder manchmal: wegen) eines ausgeklügelten Frameworks dysfunktionale Verhaltensmuster entwickelt, sehen wir emergente Selbstorganisation am Werk. Wenn hingegen ein minimal strukturiertes Team hervorragende Ergebnisse erzielt, erleben wir oft die positive Seite emergenter Prozesse.

Im Folgenden möchte ich diese beiden Perspektiven näher beleuchten. Dies wird helfen, viele der praktischen Herausforderungen und scheinbaren Widersprüche besser zu verstehen.

Emergente Selbstorganisation: Wenn Ordnung von selbst entsteht

In meiner Praxis hat sich das Verständnis von Selbstorganisation als natürliches, emergentes Phänomen als besonders wertvoll erwiesen. Es zeigt uns, dass Selbstorganisation nichts ist, was wir „einführen“ können, sondern etwas, das immer schon da ist.

Was bedeutet Emergenz?

Ein typisches Beispiel, das ich immer wieder beobachte: Organisationen beschließen „mehr Selbstorganisation einzuführen“ und investieren viel Zeit in die Definition neuer Prozesse und Regeln. Trotzdem entwickeln sich eigene, zum Teil informelle Praktiken weiter – und zwar völlig unabhängig von den offiziellen Vorgaben. Was wir hier beobachten, ist emergente Selbstorganisation pur: Menschen organisieren sich auf eine Weise, die niemand geplant oder vorhergesehen hat.

Der grundlegende Unterschied zwischen traditionellen und agilen Managementansätzen ist meines Erachtens nicht das Vorhandensein von (emergenter) Selbstorganisation. Sie findet immer statt, ob man will oder nicht. Der Unterschied zwischen den Ansätzen ist, ob man diese Tatsache anerkennt oder nicht. Während klassisches Management versucht, Steuerbarkeit durch Kontrolle zu erreichen und Selbstorganisation als störend empfindet, erkennt agiles Denken die Allgegenwärtigkeit von Selbstorganisation an und versucht, sie konstruktiv zu nutzen.

Die Kraft lokaler Interaktion

Systemtheoretiker wie Niklas Luhmann haben uns gelehrt, dass soziale Systeme ihre eigenen Elemente und deren Beziehungen durch systemeigene Operationen erzeugen und reproduzieren. [1] Das klingt zunächst sehr theoretisch, beschreibt aber genau das, was ich täglich in Organisationen beobachte: Teams, Abteilungen und ganze Organisationen entwickeln ihre eigenen Kommunikationsmuster, Routinen und informellen Hierarchien – ob wir das wollen oder nicht.

Was ich dabei besonders spannend finde: Je größer der Kontext, desto komplexer und unberechenbarer werden diese Muster. Während es auf Teamebene noch möglich ist, dysfunktionale Muster gemeinsam zu erkennen und zu verändern, wird dies deutlich schwieriger, sobald mehrere Teams oder ganze Abteilungen betroffen sind. Die Dynamiken werden subtiler, die Wechselwirkungen vielfältiger und die Möglichkeiten gezielter Interventionen nehmen ab.

Die Wertneutralität emergenter Prozesse

Ein wichtiger Aspekt, den ich in meiner Arbeit immer wieder betonen muss: Emergente Selbstorganisation ist zunächst wertneutral. Sie kann sowohl förderliche als auch dysfunktionale Muster hervorbringen. Ich habe Teams erlebt, die ohne formale Strukturen hervorragend funktionierten, weil sich positive Interaktionsmuster etabliert hatten. Ich habe aber auch Teams erlebt, die trotz bester Absichten in dysfunktionale Routinen verfielen.

Diese Einsicht hat wichtige praktische Konsequenzen: Statt zu versuchen, Selbstorganisation zu „implementieren“, sollten wir uns darauf konzentrieren, die Bedingungen zu verstehen und zu gestalten, unter denen förderliche Muster entstehen können.

Und was bedeutet dies für die Praxis?

Aus dieser Perspektive ergeben sich für mich drei zentrale Handlungsfelder:

  1. Beobachten und Verstehen: Welche Organisationsmuster sind bereits entstanden? Wie funktionieren sie? Was bewirken sie?
  2. Bedingungen gestalten: Welche Rahmenbedingungen begünstigen die Entstehung konstruktiver Muster? Welche Interventionen sind hilfreich?
  3. Geduld und Demut: Die Erkenntnis, dass wir emergente Prozesse nicht direkt steuern, sondern nur indirekt beeinflussen können.

Meiner Erfahrung nach führt dieses Verständnis von Selbstorganisation zu nachhaltigeren Veränderungen als der Versuch, neue Strukturen von oben zu verordnen. Es erfordert aber auch mehr Geduld und ein feineres Gespür für die subtilen Dynamiken in Organisationen.

Konstruierte Selbstorganisation: Der Versuch der bewussten Gestaltung

Nach dieser Betrachtung des emergenten Charakters von Selbstorganisation wende ich mich nun der zweiten Perspektive zu – dem Versuch, Selbstorganisation durch bewusst gestaltete Rahmenbedingungen und Regeln zu ermöglichen. Diese Ansätze haben in den letzten Jahren stark an Popularität gewonnen und begegnen mir in meiner Praxis immer häufiger.

Die Logik der Frameworks

Die Grundidee dieser Ansätze ist zunächst bestechend: Wenn wir die richtigen Regeln, Prozesse und Strukturen schaffen, werden Teams und Organisationen in der Lage sein, sich effektiv selbst zu organisieren. Ausgehend von dieser Überzeugung haben sich verschiedene Frameworks entwickelt, die jeweils eigene Antworten auf die Frage geben, wie Selbstorganisation gestaltet werden kann.

Im Folgenden möchte ich die wichtigsten Ansätze und ihre jeweiligen Schwerpunkte betrachten:

Scrum: Selbstorganisation im Team

Im Kontext agiler Softwareentwicklung halte ich Scrum für den vielleicht pragmatischsten Ansatz: Selbstorganisation wird hier primär als Teamkompetenz verstanden. Das Framework gibt einen klaren Rahmen vor – mit definierten Verantwortlichkeiten, Events und Artefakten – innerhalb dessen das Team seine Arbeit selbstständig organisieren kann.

Das schätze ich an diesem Ansatz: Er macht die Grenzen deutlich. Teams organisieren sich innerhalb eines definierten Rahmens selbst, aber nicht darüber hinaus. Das schafft Klarheit und reduziert Komplexität.

Holakratie und Soziokratie: Der Versuch ganzheitlicher Organisationsmodelle

Einen deutlich umfassenderen Anspruch verfolgen Frameworks wie Holakratie und Soziokratie. Sie versuchen, Selbstorganisation auf der Ebene der Gesamtorganisation durch detaillierte „Betriebssysteme“ zu ermöglichen. Beide Ansätze arbeiten mit einem System von verschachtelten Kreisen und definierten Entscheidungsprozessen.

Was mich in der Praxis immer wieder beschäftigt: Diese Modelle gehen davon aus, dass sich eine förderliche Selbstorganisation durch die Einhaltung definierter Regeln und Ziele quasi automatisch einstellt. Meine Beobachtung ist: Die Wirklichkeit ist komplexer. Auch innerhalb dieser Rahmen entstehen – ganz unvermeidlich – emergente Muster und unbeabsichtigte Entwicklungen. Das ist keine Frage der Qualität der Implementierung, sondern liegt in der Natur sozialer Systeme. Natürlich hat die Art der Implementierung einen erheblichen Einfluss darauf, wie gut eine Organisation mit diesen Entwicklungen umgehen kann. Entscheidend ist vor allem die Fähigkeit, ungünstige Muster frühzeitig zu erkennen und wirksam gegenzusteuern.

Die Grenzen konstruktiver Ansätze

Diese Beobachtung führt mich zu einem zentralen Punkt: Konstruierte Ansätze der Selbstorganisation stoßen dort an ihre Grenzen, wo sie den emergenten Charakter sozialer Systeme nicht ausreichend berücksichtigen. Ich erlebe immer wieder, dass die sorgfältige Implementierung eines Frameworks allein keine Garantie für erfolgreiche Selbstorganisation ist.

Besonders deutlich wird dies bei der Skalierung: Je größer der Kontext wird, desto schwieriger wird es, die Selbstorganisation durch Regeln und Prozesse zu steuern. Die Anzahl der Interaktionen nimmt exponentiell zu und damit auch die Wahrscheinlichkeit unerwarteter Dynamiken.

Was können wir aus konstruierten Ansätzen lernen?

Heißt das, dass konstruierte Ansätze wertlos sind? Ganz und gar nicht! In meiner Praxis haben sie sich als wertvolle Orientierungshilfe erwiesen – allerdings weniger als Bauplan denn als Kompass. Sie bieten

  • eine gemeinsame Sprache für die Gestaltung der Organisation,
  • erprobte Praktiken und Prozesse, die als Ausgangspunkt dienen können und
  • explizite Grundsätze, die Orientierung geben.

Der Schlüssel liegt für mich darin, diese Frameworks nicht als Garantie für gelingende Selbstorganisation zu verstehen, sondern als Werkzeuge, die uns helfen können, förderliche Bedingungen zu schaffen.

Synthese: Ein integrierter Blick auf Selbstorganisation

Die beschriebenen Grenzen konstruktiver Ansätze werfen die Frage auf, wie Sie die Stärken beider Perspektiven kombinieren können. Ich glaube, der Schlüssel liegt in einer integrierten Sichtweise – einer Sichtweise, die sowohl die emergente Natur sozialer Systeme als auch den Wert bewusster Gestaltung anerkennt.

Die Realität ist hybrid

Was ich in meiner Praxis immer wieder beobachte: Erfolgreiche Organisationen kombinieren beide Perspektiven. Ein anschauliches Beispiel liefert ein mittelständischer IT-Dienstleister: Mehrere Entwicklungsteams nutzten intern und in der Zusammenarbeit untereinander das Scrum-Framework als Orientierung. Für die Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen entwickelten sie jedoch eigene, teamübergreifende Praktiken – von regelmäßigen informellen Abstimmungsrunden bis hin zu selbstorganisierten Innovationsworkshops. Die Organisation erkannte den Wert dieser emergenten Muster und schuf bewusst Raum für deren Entwicklung. So entstand im Laufe der Zeit eine hybride Organisationsform: Während die Entwicklungsteams intern und untereinander nach Scrum-Prinzipien arbeiteten, etablierten sich an den Schnittstellen zu anderen Unternehmensbereichen flexiblere, situativ angepasste Formen der Zusammenarbeit. Diese Kombination ermöglichte sowohl die notwendige Stabilität für die technische Entwicklung als auch die erforderliche Anpassungsfähigkeit im Umgang mit unterschiedlichen Stakeholdern.

Solche Beispiele zeigen: Selbstorganisation lässt sich nicht einfach „einführen“, aber durch geeignete Rahmenbedingungen fördern.

Der Systemzweck als Kompass

Ein kritischer Aspekt, der mir in meiner Arbeit immer wieder begegnet, ist die Frage nach dem eigentlichen Systemzweck. Stafford Beer hat es treffend formuliert: „The purpose of a system is what it does“ – der Zweck eines Systems zeigt sich in seinem Verhalten, nicht in seinen deklarierten Absichten.

Diese Erkenntnis hat weitreichende Konsequenzen für die Gestaltung von Selbstorganisation:

  • Der eigentliche Zweck eines Systems zeigt sich in seinem Verhalten, nicht in seinen deklarierten Absichten.
  • Bei konstruierter Selbstorganisation besteht die Gefahr, dass sich das System primär an internen Interessen orientiert.
  • Die externe Referenz (z.B. der Markt) als Korrektivmechanismus muss aktiv im System verankert werden.

Die Kunst der Balance

Was ich aus meiner Arbeit in unterschiedlichen Kontexten gelernt habe: Es geht nicht um ein Entweder-Oder zwischen emergenten und konstruierten Ansätzen, sondern um eine kluge Balance. Diese Balance muss drei wesentliche Aspekte berücksichtigen:

  1. Frameworks und Strukturen sollen Orientierung geben, ohne die natürliche Selbstorganisation zu ersticken. Sie sind Leitplanken, keine Schienen.
  2. Die Fähigkeit, entstehende Muster frühzeitig zu erkennen und zu verstehen, ist wichtiger als perfekte Prozesse. Dies erfordert ständige Beobachtung und Reflexion.
  3. Die gewählten Rahmenbedingungen müssen sich selbst anpassen können, wenn sich herausstellt, dass sie nicht die gewünschte Wirkung erzielen.

Praktische Implikationen

Für die praktische Arbeit mit Selbstorganisation ergeben sich für mich folgende Kernpunkte:

  • Bescheidenheit im Design
    Akzeptieren, dass man emergente Prozesse nicht direkt steuern, sondern nur indirekt beeinflussen kann. Konzentrieren Sie sich darauf, günstige Bedingungen zu schaffen.
  • Systematische Beobachtung
    Entwicklen Sie die Fähigkeit, Organisationsmuster zu erkennen und zu verstehen. Was funktioniert? Was funktioniert nicht? Welche unbeabsichtigten Wirkungen treten auf?
  • Schrittweise Anpassung
    Vermeiden Sie große Umstrukturierungen. Arbeiten Sie stattdessen mit kleinen, kontinuierlichen Anpassungen, die auf konkreten Beobachtungen basieren.
  • Fokus auf Lernen
    Schaffen Sie Räume und Mechanismen für kollektives Lernen. Die Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen und sich anzupassen, ist wichtiger als perfekte Planung.

Mit diesem integrierten Verständnis von Selbstorganisation können Sie die Stärken beider Perspektiven nutzen: Die Erkenntnisse der emergenten Ansätze helfen Ihnen, die natürliche Dynamik von Organisationen zu verstehen und zu nutzen. Und die konstruierten Ansätze bieten Ihnen praktische Werkzeuge für die bewusste Gestaltung förderlicher Rahmenbedingungen.

Fazit: Ein reflektierter Umgang mit Selbstorganisation

Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Facetten von Selbstorganisation führt mich zu einigen wesentlichen Erkenntnissen. Besonders wichtig erscheint mir: Es gibt nicht „die“ richtige Definition von Selbstorganisation – aber es macht einen großen Unterschied, welches Verständnis der eigenen Arbeit zugrunde liegt.

Im Rückblick auf meine eigenen Erfahrungen hat sich für mich vor allem eine Erkenntnis als wertvoll erwiesen: Selbstorganisation ist keine Methode, die wir einführen können, sondern ein natürliches Phänomen, das wir verstehen und nutzen müssen. Dies erfordert eine grundsätzlich andere Herangehensweise als traditionelle Managementansätze – eine Herangehensweise, die Emergenz nicht als Störfaktor, sondern als gestaltbare Kraft begreift.

Gleichzeitig habe ich den Wert strukturierter Ansätze schätzen gelernt. Frameworks, Regeln und definierte Prozesse können wertvolle Orientierung geben – solange wir sie als das verstehen, was sie sind: Werkzeuge zur Gestaltung von Rahmenbedingungen, keine Garantien für gelingende Selbstorganisation. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass weniger oft mehr ist: Je schlanker und fokussierter die gewählten Strukturen sind, desto größer ist der Raum für die Entfaltung konstruktiver emergenter Muster.

Aus meiner Sicht bedeutet dies vor allem eines: Die Qualität der Arbeit mit Selbstorganisation zeigt sich weniger in der Implementierung spezifischer Frameworks, sondern – getrieben von der Erkenntnis, dass emergente Selbstorganisation immer stattfindet – in der Fähigkeit, emergente Muster zu erkennen und förderliche Bedingungen für konstruktive Selbstorganisation zu schaffen. Dies erfordert sowohl systematische Beobachtung als auch Demut und die Bereitschaft, die eigenen Annahmen immer wieder zu überprüfen.

Meine Hoffnung ist, dass dieser Artikel dazu beiträgt, den eigenen Zugang zum Thema Selbstorganisation zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Denn eines ist klar: In einer Welt zunehmender Komplexität wird die Fähigkeit, Selbstorganisation konstruktiv zu gestalten, immer wichtiger – nicht als Modebegriff, sondern als grundlegende Organisationskompetenz.

 

Hinweise:

[1] Kneer/Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme – Eine Einführung
[2] Stafford Beer: The purpose of a system is what it does

Peter Rubarth hat eine ausführliche Analyse der verschiedenen Definitionen und ihrer theoretischen Grundlagen erstellt, die er interessierten Leserinnen und Lesern gerne zur Verfügung stellt. Sprechen Sie ihn dazu einfach auf LinkedIn an.

Definitionen der Selbstorganisation - Eine vertiefte Analyse
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Peter Rubarth
Peter Rubarth

Peter Rubarth ist als Lead Agile Coach für die Europace AG tätig. Organisationale Effektivität jenseits von Frameworks ist seine Mission. Seit vielen Jahren unterstützt er Teams und Organisationen dabei, sich zu finden, Hindernisse zu beseitigen, ihr Potenzial zu realisieren.

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