Anforderungen mit oder ohne Excel

von | 15.03.2018

Was ist die am häufigsten genutzte Software zum Managen von Anforderungen? Rational Doors von IBM, Enterprise Architect von Sparx Systems oder Polarion REQUIREMENTS von Siemens? Die Antwort lautet: MS Excel. Was immer die großen und kleinen Hersteller von Requirements Engineering Lösungen auch versuchen, MS Excel wird in sehr vielen Firmen weltweit genutzt. Und nicht nur zur Erfassung und Verwaltung von Anforderungen, sondern auch zur Planung und Steuerung von Projekten oder zum Managen von Änderungen. Warum ist das so? Warum setzen viele Unternehmen auf MS Excel, wo macht es Sinn und wo macht es keinen Sinn?

Die Arbeit im Team

Ich nutze Excel. Privat. Selten beruflich. Es eignet sich für mich hervorragend zur Verwaltung von Ausgaben und Einnahmen, zur Berechnung von Überschüssen oder Verlusten. Vereinzelt muss ich hinterlegte Formeln anpassen, oft sind es aber nur kleinere Korrekturen. Excel ist einfach. Selbst Makros oder Pivot-Tabellen lassen sich mit etwas Übung erstellen. Dazu läuft es natürlich quasi kostenlos auf meinem Rechner. Ein einfaches Szenario, ein „walk in the park“. Ein ähnlich einfaches Szenario ist im beruflichen Kontext auch möglich: Ein kleines Team nutzt Excel als Ablage, zur Verwaltung von Aufgaben oder zur Erfassung von Anforderungen. Bei kleinen Teams erfolgt die Aufgabenverteilung häufig auf Zuruf: „Peter, legst Du bitte die Excel-Liste mit den wichtigsten Eigenschaften an.“ Oder: „Bettina, kopiere doch einfach die Struktur der alten Excel-Datei und lege sie im Netz ab.“ Eine größere Abstimmung zwischen den Teammitgliedern und auch ein separates Training sind meistens nicht notwendig. Natürlich sollten alle Beteiligten darauf achten, dass es keine unterschiedlichen Versionen einer Datei gibt, bspw. durch das Abspeichern auf lokalen Datenträgern oder das häufige Versenden von Dateien per E-Mail. Solche Hinweise oder Regeln lassen sich leicht kommunizieren, so dass die Arbeit mit Excel auch im Team funktionieren kann.

Was passiert, wenn wir das Setting etwas verändern? Das Zusammenspiel im Team funktioniert bei genauerer Betrachtung nur, wenn die Excel-Datei selten aufgerufen wird, bspw. bei einem relativ kleinen Team, dessen Mitglieder gelegentlich und sequentiell auf die Datei zugreifen. Bei jedem anderen Setting, wenn z.B. die Anzahl der Zugriffe auf die Datei steigt, da die Teamgröße steigt, oder wenn die Excel-Datei als zentrales Arbeitsmittel genutzt wird, auf das mehrere, viele oder alle Mitarbeiter des Teams gleichzeitig zugreifen müssen, funktioniert die Arbeit im Team schon nicht mehr so gut. Auch die gemeinsame Bearbeitung von Excel-Dateien mittels festgelegten Freigaben und der Excel-Option, mit mehreren Nutzern zur selben Zeit die Datei bearbeiten zu können, klingt in der Theorie deutlich einfacher als sie letztendlich ist.

Der Zugang zu den Anforderungen

Wer Anforderungen in einer Excel-Tabelle verwaltet, sollte einige Fragen beantworten:

  • Dürfen mehrere Kollegen gleichzeitig an den Inhalten der Datei arbeiten?
  • Wenn es bei der parallelen Bearbeitung zur inhaltlichen Änderung einer Information kommt, welche Änderung gilt – die zuletzt gespeicherte oder gibt es andere, sinnvollere Mechanismen?
  • Wer darf überhaupt auf die Informationen zugreifen, wer darf Anforderungen lesen oder verändern, wer darf neue Anforderungen hinzufügen oder vorhandene löschen?

Es gibt Unternehmen, die nutzen MS Excel in Kombination mit einer Versionsverwaltung bzw. einem Konfigurationsmanagement-System. In einem solchen System werden die Dateien bei jeder Änderung mit einer Benutzerkennung und einem Zeitstempel gesichert, so dass jederzeit nachvollzogen werden kann, wer wann was an einer Datei geändert hat. Die Versionsunterschiede zwischen beliebigen Versionen einer Datei lassen sich miteinander vergleichen und frühere Versionen können auch wieder hergestellt werden. Das manuelle Versionieren, das Anwender gerne im Dateinamen vornehmen („Afo-FirmaABC-Version-1.2-vom-2018-03-14.xlsx“) entfällt gänzlich. Auch der Zugang zu Informationen sowie Lese-, Schreib-, Änderungs- und Lösch-Rechte lassen sich definieren. Klingt gut und sicher, oder? Tatsächlich funktioniert eine Kombination aus MS Excel und Konfigurationsmanagement-Software nur auf Datei-Ebene; es lässt sich also festlegen, wer auf eine Datei zugreifen darf, aber nicht wer in der Datei eine konkrete Information verändern darf. Professionelle Requirements Engineering Lösungen bieten hier deutlich mehr Möglichkeiten. Ist die eingesetzte Lösung dann noch Mandanten-fähig, können auch Auftraggeber oder verschiedene Kunden auf vorab definierte Bereiche und Informationen zugreifen, sehen dabei aber nicht alle vorhandenen Informationen. Ein deutliches Plus gegenüber dem Anforderungsmanagement mit Excel.

Die Standardisierung von Anforderungen

Haben Sie von einem Kollegen schon einmal eine Excel-Datei erhalten, deren Aufbau Ihnen nicht gefallen hat? Haben Sie sich vielleicht schon einmal eine Formel in der Excel-Datei gefunden, die umständlich implementiert wurde? Wer mit MS Excel arbeitet, gibt jedem Mitarbeiter die Gelegenheit, die Struktur einer Datei nach seinen Vorstellungen anzupassen. Das kann sinnvoll sein, denn sobald eine strukturelle Anpassung im Team abgestimmt wird, lässt sie sich meist zügig umsetzen. Erfolgt jedoch keine Abstimmung mit Kollegen, könnte eine gut gemeinte Änderung nicht nur Freude hervorrufen. Und selbst wenn die Anpassung Sinn macht, wer sorgt dafür, dass diese Änderung in vergleichbaren, aktuell genutzten Excel-Dateien integriert wird?

Standardisierung erscheint häufig einfacher als es tatsächlich ist. Ohne Standardisierung wird in einem Projekt mit einer Anforderungs-ID gearbeitet und in einem anderen nicht. Darüber hinaus ist auch die Typisierung von Informationen in Excel schwierig – in Projekt A könnte eine ID „Projekt_Afo-Kurzbezeichnung_Afo-Nummer_Version“ heißen, in Projekt B schlicht „A-Nummer“. Innerhalb einzelner Projekte wäre das nicht schlimm, aber sobald projektübergreifend gearbeitet wird und Features in verschiedenen Lösungen integriert werden, wird es schnell unübersichtlich. Auch die Standardisierung und Typisierung von Informationen ist ein deutliches Plus bei professionellen Requirements Engineering Lösungen.

Die Übersichtlichkeit von Informationen

Apropos Übersichtlichkeit: Excel-Dateien lassen sich sehr übersichtlich gestalten. Spalten- und Zeilenbezeichnungen, die Verwendung von Farben oder die temporäre Nutzung von Funktionen wie „Vorgänger“ oder „Nachfolger“ helfen bei der Strukturierung und bieten Orientierung. Das gilt grundsätzlich auch für die Verwaltung von Anforderungen in Excel. Doch was passiert, wenn Sie andere Informationen wie Skizzen, Grafiken, Screenshots etc. verwalten wollen? Kopieren Sie diese in eine Zelle oder verlinken Sie die Information und verwalten die Daten außerhalb der Excel-Datei? Wenn Sie nun die Datei per E-Mail verschicken wollen – funktioniert der Zugriff auf die Informationen dann auch noch?

Stellen Sie sich vor, eine Anforderung verändert sich – was machen Sie dann? Wenn Sie die bestehende Anforderung überschreiben, können Sie später nicht mehr nachvollziehen, wie die Anforderung ursprünglich formuliert wurde. Wenn Sie eine neue Zeile unterhalb der bestehenden Anforderung einfügen, blenden Sie dann die ursprüngliche aus? Wie aktualisieren Sie Beziehungen zwischen der ursprünglichen Anforderung und Testfällen, Aufwandsplanungen oder bereits investierten Arbeitszeiten? Wo verwalten Sie die Testfälle zu einer konkreten Anforderung? Lassen sich die Testfälle einfach zu Testläufen gruppieren? Und wo halten Sie fest, warum sich eine Anforderung geändert hat; verlinken Sie vielleicht auf zusätzliche Dokumente oder E-Mails, die Sie vom Auftraggeber erhalten haben?

Die Menge an Informationen pro Element wächst im Anforderungsmanagement oft schnell an und ist meist deutlich zu umfassend, so dass eine übersichtliche Darstellung von Informationen in Excel überhaupt nicht möglich ist. Im Gegensatz dazu stellen viele datenbankgestützte Lösungen alle Informationen im Kontext einer Anforderung – bspw. mit anpassbaren Formularen oder definierbaren Sichtenkonzepten – übersichtlich und auch gut nachvollziehbar dar.

Der Austausch von Anforderungen

Wenn Sie mit einem Unternehmen kooperieren und Anforderungen austauschen wollen, könnte Ihnen Excel helfen. Sie können Ihrem Partner einfach die Datei mailen, die er mit größter Wahrscheinlichkeit lesen und mittels Mapping der Information in sein System überführen kann. Selbst die direkte Bearbeitung der Inhalte in der Datei ist natürlich möglich und der Aufwand mit unterschiedlichen Excel-Dateien und Strukturen von unterschiedlichen Unternehmen zu arbeiten, hält sich vermutlich in Grenzen. Das setzt zwar guten Willen der Mitarbeiter voraus, funktioniert aber relativ gut. Erfolgt eine Kommunikation mit dem Kooperationspartner über die Inhalte, könnte es sich vielleicht sogar anbieten, in der gelieferten Datei zu arbeiten und neue Informationen dort zu integrieren. Halt. Ist ein solches Vorgehen sicher? Wie lässt sich bei einem wiederholten Austausch der Datei sicherstellen, wer welche Informationen geändert, verworfen oder akzeptiert hat? Bei wenigen Anforderungen haben Sie das vielleicht noch im Blick, doch wie sieht es bei 100, 500, 1000 oder 5000 Anforderungen aus? Wäre es hier nicht besser auf einen Standard zu setzen, der genau für ein solches Szenario entwickelt wurde? Der Standard heißt ReqIF und Dr. Michael Jastram fast ihn im Beitrag „Anforderungen verlustfei austauschen“ kurz zusammen.

ReqIF steht für „Requirements Interchange Format“. Es wurde explizit für den Austausch von Anforderungen entwickelt und hat keine der oben beschriebenen Schwächen. Und warum ist der Austausch per ReqIF besser als der Austausch per Excel-Datei? Stellen Sie sich vor, ein Auftraggeber schickt eine Anforderung zu seinem Lieferanten, der diese mit dem Status „Akzeptiert“ zurücksendet. Inzwischen hat der Auftraggeber die Anforderung jedoch erweitert. Natürlich ist die erweiterte Anforderung damit nicht mehr „Akzeptiert“. In Excel muss nun eine manuelle Anpassung durch einen Mitarbeiter erfolgen, der den Zusammenhang erkennt und den Zustand anpasst. In einer professionellen Requirements Engineering Lösung passiert so etwas automatisch und somit ist das Arbeiten für alle Beteiligten deutlich sicherer, einfacher und transparenter.

Fazit

MS Excel ist ein großartiges Tool. Es lässt sich im privaten Umfeld sehr leicht zur Verwaltung von Informationen und zur Berechnung von Daten verwenden. Auch die Arbeit von kleineren Teams in Organisationen kann durch Excel erleichtert werden. Sobald aber mehrere Mitarbeiter parallel an den Inhalten einer Excel-Datei arbeiten müssen, wird die Nutzung schwierig. Der Zugang zu den Informationen, die Versionierung der Daten, die Rechte bei der Bearbeitung, die Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit, die Standardisierung und Typisierung – es gibt sehr viele Gründe, die gegen eine Verwendung von Excel im Anforderungsmanagement sprechen. Für Excel spricht, dass nur selten eine Schulung der Mitarbeiter notwendig wird. Darüber hinaus ist Excel auf den meisten Computern eines Unternehmens bereits installiert und gerade im Vergleich zu den zusätzlich Aufwänden einer Softwareauswahl erscheint dies auf den ersten Blick günstig; die Praxis zeigt aber, dass sich ein Investment in entsprechende Lösungen schnell lohnt, sobald es zu einer Professionalisierung im Anforderungsmanagement kommt.

 

Hinweise:

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Michael Schenkel hat im t2informatik Blog weitere Beiträge zum Umgang mit Anforderungen veröffentlicht, u. a.

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Michael Schenkel
Michael Schenkel

Leiter Marketing, t2informatik GmbH

Michael Schenkel hat ein Herz für Marketing - da passt es gut, dass er bei t2informatik für das Thema Marketing zuständig ist. Er bloggt gerne, mag Perspektivwechsel und versucht in einer Zeit, in der vielfach von der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne von Menschen gesprochen wird, nützliche Informationen - bspw. hier im Blog - anzubieten. Wenn Sie Lust haben, verabreden Sie sich mit ihm auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen; mit Sicherheit freut er sich darauf!