Rollenbasiertes Arbeiten in nicht selbstorganisierten Teams

Gastbeitrag by | 12.09.2024

Das Arbeiten in Rollen wird sehr regelmäßig mit selbstorganisierten Teams und dem Holokratie-Ansatz [1] in Verbindung gebracht. Die Frage, die sich mir immer wieder stellt: warum wird die Bedeutung von rollenbasiertem Arbeiten so selten bei nicht selbstorganisierten Teams thematisiert?

Ich will mit einer kurzen Geschichte starten: Meine Geschäftspartnerin Teresa und ich haben jeden Montagvormittag für unser gemeinsames Business geblockt. In dieser Zeit arbeiten wir an unserem Produkt, an der Entwicklung unserer Dienstleistungen, eben an allem, was so ansteht. Wenn wir beide die Zeit haben, essen wir nach dem Arbeitsblock auch noch gemeinsam. Nun gab es einen dieser besagten Tage, an dem wir beschlossen haben, gemeinsam zu kochen. Gesagt getan! Wir waren bei mir zuhause, sind in die Küche gegangen, haben den Kühlschrank inspiziert und uns für einen Salat, Gemüse und gebratenem Tofu entschieden.

Prompt kam die erste Frage von Teresa: “Rebecca, was soll ich machen?”

Meine Antwort: “Du kannst die Radieschen schneiden.”

Direkt gefolgt von der zweiten Frage: “Wie soll ich die Radieschen schneiden, wie hättest du es gerne?”

Ich war irritiert von der Frage: “Wie du möchtest, du bist die Radieschen-Queen.”

Und schon sind wir mitten im Thema. Genau diese Situation können wir täglich im Arbeitskontext beobachten. Natürlich wissen die Mitarbeiter:innen, welche Stelle sie innehaben, beispielsweise Referent:in Personalentwicklung, aber das heißt noch lange nicht, dass sie wissen, welche Verantwortlichkeiten und Entscheidungsrahmen mit dieser Stelle einhergehen. Was nicht an den Mitarbeiter:innen liegt, sondern an der Unklarheit klassischer Anforderungsprofile. Und genau an dieser Stelle scheitern diese klassischen Anforderungsprofile auch und Rollen rücken in den Fokus.

Was heißt rollenbasiertes Arbeiten?

Gehen wir zurück zu dem Beispiel in der Küche. Hätten Teresa und ich rollenbasiert zusammengearbeitet, wären wir in die Küche gelaufen, hätten vereinbart, was wir essen, beide hätten gewusst, wofür wir verantwortlich sind, und es wäre keine der beiden Fragen notwendig gewesen. Jede Person hätte direkt gewusst, was zu tun ist und was sie entscheiden kann. Bei zwei Personen mag das noch keinen so großen Unterschied machen, aber stellen Sie sich vor, Sie sind ein Team von zehn Personen und alle neun fragen Sie als Führungskraft: Was soll ich tun? Und wie soll ich es tun? Damit verlieren Sie viel von Ihrer wertvollen Zeit – und nicht nur Sie, sondern auch Ihr ganzes Team.

Rollenbasiertes Arbeiten bedeutet, dass für alle wiederkehrenden Aufgaben, die es im Team zum Zeitpunkt X gibt, klare Rollen definiert sind, die

  • den Zweck der Rolle,
  • die Verantwortungsbereiche und
  • den Entscheidungsrahmen, in dem die Rolle eigenverantwortlich Entscheidungen treffen darf, beschreiben.

Hierbei kann eine Rolle, vor allem dann, wenn es sich um sehr wichtige Verantwortlichkeiten für das Team handelt, immer von mehreren Personen ausgeübt werden, und eine Person hat auch immer mehrere Rollen inne.

Rollen sind sehr viel kleinteiliger formuliert als klassische Stellenprofile.

Ein Beispiel:

Hier sehen Sie eine ganz klassische Stellenbeschreibung für eine:n Referent:in Personalentwicklung, die ich aus Stepstone kopiert habe:

Klassische Stellenbeschreibung ohne klare Rollenbeschreibung

Angenommen, Sie sind die Person, die diese neue Stelle antritt. Wissen Sie, wofür Sie konkret verantwortlich sind oder was Sie entscheiden dürfen? Vermutlich nicht.

Angenommen, das neue Team, in das Sie kommen, arbeitet mit klaren Rollenbeschreibungen – was wäre anders? Ich nehme den Punkt “Sie sind verantwortlich für das Ausgestalten digitaler Weiterbildungsprogramme im Rahmen unserer Lernplattform” heraus und zeige Ihnen ein verkürztes Beispiel, wie dazu eine Rollenbeschreibung aussehen könnte:

Rolle: “Digitale-Weiterbildungsfee”

Zweck: Das digitale Weiterbildungsprogramm ist jederzeit auf dem neuesten und bedarfsgerechten Stand für die Mitarbeiter:innen.

Verantwortung:

  • Ermittelt regelmäßig den Weiterbildungsbedarf der Mitarbeiter:innen
  • Wählt passende digitale Lernangebote aus
  • Recherchiert, prüft und wählt passende Anbieter:innen aus

Was entscheidet die Rolle:

  • Welche digitalen Lerninhalte zur Verfügung gestellt werden (ggf. bis Summe X)
  • Mit welchen Anbieter:innen zusammengearbeitet wird

Mit dieser Rollenbeschreibung wäre eine klare Aufnahme der Tätigkeit sofort möglich.

Und jetzt sagen Sie mir, warum sollte dies nur in selbstorganisierten Teams genutzt werden?

Was sind Herausforderungen und Vorteile von rollenbasierter Zusammenarbeit?

In Teams kommt es häufig zu folgenden Herausforderungen in der Zusammenarbeit:

Verwirrung: In Teams ist nicht immer klar definiert, wer welche Verantwortung hat und wer was entscheiden darf.

Effizienzverlust: Durch Unklarheit entsteht häufiges Nachfragen, was an allen beteiligten Stellen zu Unterbrechungen und Zeitverlust führen.

Qualitätsverlust: Aufgaben sind nicht immer nach Stärken und Kompetenzen verteilt.

Demotivation: Entsteht ebenfalls durch fehlende Stärken- und Interessenorientierung bei der Aufgabenverteilung.

Konflikte: Unklare Verantwortungen und nicht ausgesprochene unterschiedliche Erwartungen in Teams führen zu Konflikten.

Bottleneck-Führungskraft: Durch ständige Unterbrechungen und fehlende Verteilung von Verantwortung kommt es zu großen Zeitverzögerungen.

Werden Rollen klar definiert und neben dem Zweck der Rolle, den Verantwortungsbereichen und dem Entscheidungsrahmen auch noch die Stärken und Kompetenzen für die Rolle definiert, können diese Herausforderungen gelöst werden.

Klarheit über Verantwortung: Durch definierte Verantwortungsbereiche pro Rolle, weiß jedes Teammitglied, was es zu tun hat.

Klarheit über Entscheidungsrahmen: Durch die Definition von klaren Entscheidungsrahmen weiß jedes Teammitglied, bis wohin es Entscheidungen treffen darf, und wenn nicht, wer stattdessen.

Effizienzsteigerung: Durch Klarheit bezüglich Verantwortung und Entscheidungsrahmen werden Absprachen sowie Unterbrechungen reduziert.

Bessere Qualität: Stärken- und kompetenzbasierte Rollenverteilung sowie stetige Fort- und Weiterbildung im Thema.

Höhere Motivation: Durch die stärken- und kompetenzbasierte Verteilung von Rollen macht jede:r worin er:sie gut ist und Spaß hat. Daher auch größere intrinsische Motivation an der eigenen Weiterentwicklung im Thema.

Und wie gelingt rollenbasierte Zusammenarbeit in der Praxis?

Rollenbasierte Zusammenarbeit fördert in der Regel eine klare und strukturierte Arbeitsweise, da Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Entscheidungen anhand von genau definierten Rollen verteilt werden. Damit diese Vorteile auch genutzt werden können, braucht es jedoch eine große Klarheit bezüglich der Rollenbeschreibungen. Werden Rollen unklar definiert und Verantwortlichkeiten nicht eindeutig festgelegt, kann es auch hier zu Missverständnissen und Konflikten kommen. In diesem Fall spricht man von Rollenkonflikten, worunter die Effizienz dann leidet.

Die Rollen sollten regelmäßig, also beispielsweise in einem Turnus vor 3 Monaten, hinterfragt, ergänzt oder ggf. auch gestrichen werden. Mögliche Fragen:

  • Welche Unklarheiten sind in den letzten Wochen entstanden?
  • Welche Entscheidungen sollten Sie in Ihrer Rolle treffen können und dürfen es noch nicht, um diese gut auszufüllen?
  • Welche Schnittstellen und Abhängigkeiten gibt es zu anderen Rollen? Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
  • Zwischen welchen Rollen gibt es Konflikte? Was brauchen Sie, um diese zu lösen?
  • Welche Rollen brauchen Sie zusätzlich und welche nicht mehr?

Es sollte Transparenz über die Rollen bestehen. Das heißt konkret, die Rollen sollten für alle zugänglich an einem zentralen Ort abgelegt werden.

Und Rollen, die das gesamte Team betreffen, wie ggf. die Rolle der Moderation von Meetings, können rotiert werden.

Auch in der rollenbasierten Zusammenarbeit ist es wichtig, dass das ganze Team die Verantwortung für die Erreichung der Teamziele übernimmt. Eine starre Ausführung der eigenen Rolle, ohne den Blick für Aufgaben zu haben, die ins Team kommen und bisher in keiner Rolle definiert sind, funktioniert nicht. Das heißt konkret, es braucht eine gewisse Flexibilität und auch den Blick über den Tellerrand der eigenen Rolle hinaus. Auch das könnte beispielsweise eine Teamrolle sein, die im Team rotiert.

Eine weitere Herausforderung könnte sein, dass jede:r nur noch in seiner Rolle denkt und wenn gute Ideen für eine andere Rolle entstehen, diese nicht geteilt werden. Die klare Abgrenzung der Rollen ist wichtig, aber der Teamgedanke und das Erreichen der gemeinsamen Ziele stehen nach wie vor an erster Stelle. Auch im rollenbasierten Arbeiten ist das Motto der “Egofreiheit” unerlässlich.

Zu guter Letzt sollte auch nicht vergessen werden, dass es zu Beginn herausfordernd sein kann, plötzlich alleine Entscheidungen zu treffen und nicht mehr zu allem Rücksprache zu halten. Denn dies ist immerhin ein Verhalten, das in vielen Organisationen und Teams über Jahre so gelernt wurde. Ein “Eingrooven” in diese neue Arbeitsweise ist anfangs normal.

 

Hinweise:

Interessieren Sie sich für Teamwork und die Entwicklung einer Vertrauenskultur und eines Wir-Gefühls? Wollen Sie mit externer Hilfe Rollen, Verantwortlichkeiten und Erwartungen klären? Dann lohnt sich ein Blick auf die tolle Website von Rebecca Hartmann. Nehmen Sie gerne Kontakt auf, wenn Sie sich für Teamworkshops, Einzelcoachings, Trainings oder Impulsvorträge interessieren.

[1] Holokratie: Eine Form der Strukturierung von Organisationen mit dem Ziel des Abbaus von Hierarchien.

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Rebecca Hartmann hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Sprechen Sie über Bedürfnisse im Team?

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Rebecca Hartmann
Rebecca Hartmann

Rebecca Hartmann ist als systemische Teamentwicklerin, Coach und New Work Facilitatorin im Einsatz. Sie ist studierte Wirtschaftspsychologin und begleitet Organisationen und Führungskräfte dabei, gesunde und leistungsstarke Teams aufzubauen und ihre Zusammenarbeit verantwortungsbewusst, gesund und effizient zu gestalten. Hierbei nutzt sie ihre mehrjährige Organisationserfahrung und verbindet ihre psychologischen Kenntnisse mit ihrer systemischen Expertise.