Resilienz und Agilität mit dem richtigen Fokus

Gastbeitrag von | 19.06.2023

Meister Konfus, der Großmeister der Konfusion und Verschwendung sagt, willst Du die Verschwendung in Deiner Organisation maximieren, ignoriere die Bedürfnisse der Menschen, die die Leistung erstellen und am Ende abnehmen.

Organisationen sollen resilient im Sinne von krisenfest und agil im Sinne von anpassungsfähig an sich ständig verändernde Rahmenbedingungen sein. Sie müssen es sein, wenn sie auf Dauer „überleben“ wollen. In einem solchen Kontext ist der Slogan „Wir müssen resilienter und agiler werden“ folglich nachvollziehbar und verständlich.

Ich frage mich jedoch, ob wir nicht die Aufmerksamkeit auf die „falschen“ Stellschrauben lenken, die viel mehr das Ergebnis ganz anderer Weichenstellungen sind. Meine These: Organisationen werden resilient und agil, wenn sie sich konsequent an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. An den Bedürfnissen derer, die die Wertschöpfung in der Organisation ermöglichen und an den Bedürfnissen derer, die die geschaffene Leistung der Organisation am Ende abnehmen. Organisationen werden resilient und agil, wenn wir Prozesse, Abläufe, Standards gezielt von rechts nach links durchdenken, weiterentwickeln und verbessern. Keine neue Idee, keine wirkliche Revolution. Eher eine Wiederentdeckung des Kerngedankens des Toyota Produktionssystems (Lean, Monozukuri) verbunden mit der Erkenntnis, dass nicht (allein) Methoden agil und resilient machen.

Die Welt der Dinge und die Welt der Menschen im Fokus

Die Unterscheidung zwischen der Welt der Menschen und der Welt der Dinge (Prozesse, Verfahren, Maschinen) ist der erste Schritt. Der Mensch gibt den Takt an. Seine Bedürfnisse bestimmen, wie die Dinge beschaffen sein müssen, damit sie Nutzen stiften können. Der Mensch bestimmt die Dinge, nicht die Dinge den Menschen. Prozesse und Abläufe sind nicht Selbstzweck. Sie sind Hilfsmittel. Hilfsmittel, die uns helfen, ein Ergebnis zu erzielen, mit dem wieder ein anderer Mensch arbeitet und für den es einen Mehrwert bietet.

  • Wie oft sind unsere Prozesse und Abläufe weit davon entfernt, wirklich Nutzen zu stiften?
  • Wie oft müssen wir uns als Menschen den Prozessen und Abläufen unterwerfen, ohne wirklich Nutzen zu stiften, nur weil es so definiert ist?

Eigentlich müsste es umgekehrt sein. Zuerst steht der Mensch im Mittelpunkt. Mit seinen Bedürfnissen und Anforderungen. Die Menschen in der Wertschöpfungskette, die Rahmenbedingungen brauchen, damit sie im Zusammenspiel ein Bedürfnis eines Menschen erfüllen können. Und die Menschen, die am Ende der Kette das Endergebnis abnehmen und nach deren Bedürfnissen und Nutzen sich der Gesamtprozess ausrichtet.

Wenn wir Dinge verändern und weiterentwickeln, sollten wir uns fragen: Trägt die Verbesserung dazu bei, dass die Arbeit besser fließt und wir Nutzen bzw. Mehrwert schaffen, und führt die Veränderung dazu, dass wir bessere Ergebnisse für unsere Kunden erzielen? Wenn wir auch nur eine dieser Fragen verneinen, handelt es sich um keine Verbesserung.

Was wollen wir für wen erreichen und tun?

Wir benötigen Klarheit, um Nutzen zu schaffen und Verbesserungen zu realisieren. Klarheit darüber, was wir für wen erreichen und tun wollen. Die 5S aus dem Lean Management bieten mit ihren Prinzipien einen guten Denkrahmen. 5S steht für

  • Seiri = Strukturierung
  • Seiton = Systematisierung
  • Seiso = Reinigung
  • Seiketsu = Standardisierung
  • Shitsuke = Selbstdisziplin

Strukturierung bedeutet, das Nützliche vom Unnützen zu trennen. Was bringt uns weiter, was ist notwendig, um zum Ergebnis zu kommen? Was wollen wir für wen tun und warum?

Systematisierung heißt, die Werkzeuge, die wir brauchen, so zu organisieren, dass wir schnell und einfach darauf zugreifen können. Wir definieren, wie es sein soll, damit wir erfolgreich sind. Das gibt uns einen Anhaltspunkt, um den Soll- mit dem Ist-Zustand zu vergleichen.

Reinigung bedeutet, regelmäßig zu überprüfen, ob alles so ist, wie es sein soll, und wenn nicht, dafür zu sorgen, dass es wieder in die richtige „Ordnung“ kommt. Dazu gehört auch zu prüfen, ob die Ordnung noch zielführend ist oder ob sie weiterentwickelt werden muss.

Standardisierung bedeutet in diesem Zusammenhang, das, was zum Erfolg beiträgt, zum Standard zu machen, damit wir uns auf das konzentrieren können, was wir nicht standardisieren können. Normen sind nicht in Stein gemeißelt. Sie sind lebendig. Wir passen sie an. An neue Erkenntnisse, an Veränderungen.

Und Selbstdisziplin bedeutet, den Prozess der Klärung regelmäßig zu wiederholen und immer wieder zu überprüfen. Nur wenn wir uns immer wieder vor Augen führen, was es braucht, damit Ergebnisse gelingen und was dafür wirklich notwendig ist, und wenn wir wissen, für wen wir was tun, können wir unser Handeln konsequent danach ausrichten.

Von rechts nach links denken

Wenn wir Nutzen schaffen wollen, sollten wir unsere Prozesse vom Ergebnis her betrachten und uns bei jedem Schritt von rechts nach links die Frage stellen, was es wirklich braucht, damit es gelingt. Gelingen heißt: Was braucht der Nächste in der Kette, damit er nahtlos übernehmen kann? Was brauchen wir, damit das gelingt, was wir erreichen wollen? Was können wir vereinfachen und weglassen, ohne dass die Qualität darunter leidet?

Für mich heißt das, wie ein Handwerker zu denken und die „Effizienz“ in den Mittelpunkt zu stellen. Der „Kaufmann“ hat nur zwei Stellschrauben, an denen er drehen kann: den Einkauf und den Verkauf. Wie die Ware entsteht, interessiert ihn zunächst nicht. Darauf kann er keinen Einfluss nehmen. Er kann den Einkaufspreis „drücken“ und den Verkaufspreis „treiben“, um den Erlös zu erhöhen. Er hat jedoch keinen Einfluss darauf, ob und wie die Arbeit geleistet und wie Mehrwert geschaffen wird. Er schafft selbst keinen Nutzen, sondern kann nur kaufen und verkaufen. Anders der Handwerker: Er schafft etwas. Und er kann mit seinem Wissen und Können die nicht wertschöpfende Arbeit so weit wie möglich reduzieren, ohne die Qualität zu vernachlässigen. Er versucht möglichst alles zu vermeiden, was nicht zum Ergebnis beiträgt. Dazu entwickelt er sein Wissen und Können weiter, indem er sich auf das konzentriert, was er erreichen will. Nicht für sich selbst, sondern für die Menschen, die am Ende seine Arbeit nutzen und abnehmen.

Übertragen auf unsere Abläufe, Prozesse und Arbeitsweise bedeutet dies, dass wir uns vom Kunden und seinen Bedürfnissen her nähern. Betrachten wir jeden Schritt von rechts nach links, denken wir vom Ende her und stellen uns die Frage:

  • Was braucht es wirklich, damit wir zum gewünschten Ergebnis kommen?
  • Was braucht der Nächste in der Kette, damit er nahtlos übernehmen kann, damit am Ende etwas herauskommt, das Mehrwert schafft.

Alles andere ist überflüssige Arbeit und können wir weglassen! In diesem Moment konzentrieren wir uns auf die Dinge, die zum Erfolg beitragen. Wie kommen wir zu dem, was wirklich gebraucht wird und wie können wir dafür sorgen, dass es leichter von der Hand geht. Wenn es uns gelingt, uns auf das Wesentliche, das Notwendige zu konzentrieren, sind wir beweglicher und können agieren statt reagieren.

„Einfachheit – die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren – ist essenziell.“¹

Der Wandel zum Besseren

Kaizen ist

  • eine Denk- und Arbeitshaltung, die eine schrittweise Verbesserung und Perfektionierung in den Fokus stellt.
  • etwas, das ständig stattfindet und worin alle eingebunden sind.
  • wenn jeder einzelne Mitarbeitende zum Mitdenkenden und Mithandelnden wird.

 

Kaizen ist...

Abbildung 1: Kaizen ist… ²

„Überprüfung“ ist keine einmalige Sache. Der stetige Wandel zum Besseren (Kaizen) findet ständig statt. Er ist nicht etwas, das wir nur vorübergehend ab und zu tun, sondern etwas, das in unserem täglichen Handeln und Denken selbstverständlich ist.

Wenn wir Kaizen als etwas Selbstverständliches begreifen, wird es etwas Normales. Nichts Bedrohliches. Die Organisation sieht neue Impulse, Ideen, veränderte Bedürfnisse, neue Erkenntnisse als Chance, Dinge besser gelingen zu lassen. Besser gelingen im Sinne von einfacher und im Sinne von effektiver. Veränderung bedeutet dann nicht Krise, weil die Organisation gelernt hat, mit Veränderung umzugehen, sondern ganz normaler Teil der Weiterentwicklung hin zu neuen Erkenntnissen und Ideen. Auch dann wenn wir uns in stabilen Umfeldern bewegen. Dinge besser, einfacher und dennoch sinnvoll zu machen, stärkt jede Organisation. Durch die ständigen kleinen Verbesserungen lernt die Organisation damit umzugehen, wenn etwas nicht so funktioniert, wie es sollte und wird krisenfester.

Organisationen werden resilienter und agiler, weil…

Organisationen werden resilienter und agiler, weil sie Veränderungen zum Besseren als etwas Normales betrachten und weil sie sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, die den Mehrwert schaffen, und d Menschen, die das Ergebnis annehmen. Eine Organisation, die sich auf den Erfolg und das wertschöpfende Ergebnis konzentriert, passt sich Veränderungen konsequent und kontinuierlich an. Eine solche Organisation reflektiert Veränderungen und entwickelt sich kontinuierlich weiter. Resilienz und Agilität der Organisation sind das sichtbare Ergebnis. Als Organisation agiler und resilienter zu werden bedeutet, zuerst die Frage nach dem Warum zu beantworten und von diesem Warum ausgehend den Fokus auf den Erfolg zu richten, indem die Bedürfnisse der Menschen für den Erfolg vor die Dinge gestellt werden. Ganz im Sinne von Lean und Agile zur krisenfesten Organisation.

 

Hinweise:

Kennen Sie schon Toms Gedankenblog? Seit vielen Jahren reflektiert er dort unterschiedliche Perspektiven zu Agilität, Lean Management, Kanban etc. Und auch seine neuen Gedankenblitze freuen sich großer Beliebtheit!

[1] Prinzipien hinter dem agilen Manifest
[2] Illustration von Alejandra García und Adam Rohn

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Thomas Michl hat weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht, u. a.

t2informatik Blog: Scrum Master und Agile Coach im Vergleich

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Thomas Michl
Thomas Michl

Thomas Michl ist Dipl.-Verw.Wiss. und MBA. Zehn Jahre lang war er im öffentlichen Dienst tägig, bevor er 2018 für borisgloger consulting GmbH und im Anschluss für die Exxeta AG arbeitete.  Heute ist der leidenschaftliche Agilist für die FourEnergy GmbH als Senior Business Consultant aktiv.

Thomas Michl zählt zu den Gründungsmitgliedern des Forums Agile Verwaltung und ist Vorstandsmitglied des Trägervereins. Das Forum Agile Verwaltung wird ehrenamtlich getragen und hat sich zum Ziel gesetzt, die Idee des Agilen Manifests in die öffentliche Verwaltung zu tragen, in dem es eine Plattform für den Austausch und die kollegiale Beratung bietet.