Resilienz ist mehr als ein Buzzword
Warum Resilienz mehr als ein Buzzword ist und was das für Ihre Mitarbeiter:innen bedeutet
Manch einer macht sich angesichts der sich immer wieder häufenden Schlagworte den Spaß, ein Buzzword-Bingo einzuführen, wenn die Anzahl der Modewörter zu groß wird. Die derzeit häufig benutzten Begriffe umfassen bspw.
- #Achtsamkeit,
- #Agilität,
- #Bewusstheit,
- #Mindset,
- #Resilienz,
- #Selfcare,
- #VUKA,
- #WOL,
- #Zen oder
- #ZRM.
Die hinter diesen Schlagwörtern stehenden Prinzipien sind oft schon viele Jahrzehnte bis zu Jahrhunderten alt. Zu Buzzwords werden diese Themen, wenn wir den Eindruck haben, sie immer öfter zu hören und sie eine wesentliche Relevanz für unser Leben zu haben scheinen. Für diesen Eindruck wesentlich ist der #confirmationbias, mit dem wir die uns umströmenden Nachrichten nach entsprechenden Schlüsselwörtern unbewusst filtern. Unser Gehirn ist ständig bemüht, Muster in unseren Sinneseindrücken zu erkennen, um weniger Arbeit zu haben.
Darüber hinaus versprechen Modewörter oft einfache Antworten in einer komplexen, Sie kennen es: #VUCA-Welt. Weil sich unser Gehirn aber einerseits schnell langweilt und immer wieder neues Futter braucht1, und andererseits eine beschränkte Bandbreite der Aufnahmefähigkeit hat, haben wir den Eindruck, dass immer mal wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Auf einmal wird VUKA unwichtig, BANI taucht auf und plötzlich gibt es ein neues Thema für den nächsten Smalltalk.
Der Confirmation Bias und die Selektivität unseres Gehirns
Der Confirmation Bias ist Ihnen vielleicht bekannt: Sie interessieren sich für ein bestimmtes neues Auto, sagen wir einen blauen Tesla, und plötzlich entdecken Sie außergewöhnlich viele blaue Teslas im Straßenverkehr. Oder Sie lesen ein Buch, das Ihre bisherige Weltsicht bestätigt und Sie denken: „Das ist ein gutes Buch“. Dabei ist dieser Confirmation Bias nur einer von dutzenden Filterfunktionen, mit denen unser Hirn es sich gemütlicher macht, sich vor Überforderung schützt oder uns am Leben erhält:2
Die menschlichen Filterfunktionen begrenzen in erster Linie das, was wir bewusst mitbekommen. Unser Unterbewusstsein bekommt aber viel mehr mit. Am einfachsten ist das zu merken bei Reflexen, z.B. wenn sich unser Augenlid ohne Überlegung schließt, sobald sich ein Fremdkörper nähert, oder wir in bestimmten Situationen oder bei bestimmten Menschen ein „komisches Gefühl“ haben bzw. eine Abneigung spüren, ohne den Grund dafür zu kennen. Es gibt Erklärungen, dass dies wie beim Eisberg sei, bei dem nur ca. 10 Prozent oberhalb des Wasserspiegels sichtbar sind.3 „Unter Wasser“ liegt das „gigantische Unterbewusstsein“ oder auch #GUB, wie ich es in meiner Psychoedukation nenne.
Angst und Resilienz
Die uns umschwirrenden Eindrücke können wir, individuell unterschiedlich, mehr oder weniger gut ertragen. So gibt es scheinbar immer häufiger Menschen, die (Bingo!) unter ihrer #Hochsensibilität leiden. Spätestens, wenn wir den Eindruck des getrieben-Seins bekommen, uns der Kopf schwirrt oder wir gar ein ungutes Bauchgefühl oder Stimmungsschwankungen bemerken, weil wir (Bingo!) #FOMO verspüren, wird es Zeit, innezuhalten. FOMO (fear of missing out) ist die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen. Etwas, das wir eventuell für existenziell halten, weil wir ohne dieses „Wichtige“ möglicherweise sozial absteigen, sozial ausgegrenzt werden oder was auch immer der extreme Gedanke dahinter sein mag.
In Zusammenhang mit dieser Angst kommt die Resilienz ins Spiel. Sie kennen FOMO nicht? Haben Sie sich noch nicht dabei erwischt, wie Sie eine längere Zeit wie fremdgesteuert durch die Timeline Ihrer Twitter-, Instagram-, LinkedIn- oder Facebook-App gescrollt sind und Sie sich gefragt haben, wo die Zeit geblieben ist oder was Sie da eigentlich so lange gesucht haben? Haben Sie noch nie einen empörten Post zu irgendetwas geschrieben? Super! Dann haben Sie entweder eine natürlich hohe Resilienz oder diese gut trainiert. Gute Resilienz haben Sie außerdem, wenn Sie in Krisen die Ruhe und Zuversicht bewahren, den Überblick behalten, anpassungsfähig an schnelle Veränderungen sind, wenig kränkbar sind, etc.
Halten Sie bitte kurz inne und beantworten Sie sich selbst diese Coachingfragen:
- Was glauben Sie, wie lange würden Sie (im Sommer in den Alpen) schwer verletzt in einer Gletscherspalte überleben?
- Welchen Menschen würden Sie mehr zutrauen und warum?
Meine Lieblingsanekdote zum Thema Resilienz ist die des 70-jährigen Bergsteigers, der 2012 ganze 6 Tage mit Hüftbruch in einem Tiroler Gletscher überlebte. Nur, weil er auch am sechsten Tag noch Hilferufe von sich gab, wurde er gehört.
Ein Retter sagte damals: „Mir ist kein Fall bekannt, dass jemand je so lange in einer Spalte überlebt hat.“ Ausschlaggebend sei aber gewesen, so der behandelnde Arzt Volker Wenzel, dass der Bergsteiger nie die Hoffnung aufgegeben habe.4
Viele weitere Menschen haben eine natürliche Resilienz, sie sind „Stehaufmenschen“, die sich nach schweren Lebensereignissen wieder zurück ins Leben gekämpft haben, wie z.B. Samuel Koch nach seinem Unfall bei „Wetten dass…“.5 Andere haben mit einer Lebensbiografie mit „schwerer“ Kindheit zu einem „gelungenen“ Leben gefunden, wie z.B. Christian Peter Dogs.6
Doch was können Sie tun, wenn Sie Ihre Resilienz verbessern wollen?
Resilienz und Muskeln
Jetzt kommt die gute Nachricht, falls Sie Ihre Resilienz verbessern möchten:
Während frühe Forschung zum Ergebnis gekommen ist, dass Resilienz, die Abwehrkraft der Psyche, auf Persönlichkeitsmerkmale (sog. traits) zurückzuführen sei, ist die aktuelle Forschung weiter und hat wechselnde Persönlichkeitszustände (states) und Gewohnheiten (habits) erkannt, die die Resilienz formbar machen.
Und tatsächlich zeigt auch die Evidenz, dass Sie mit einem Verfahren, das ich in der praktischen integrativen kognitiven Verhaltenstherapie (piKVT) von Angststörungen verwende, Resilienz wie einen Muskel trainieren können. Und wie beim Muskel muss die Anforderung anstrengend aber bewältigbar sein. Sonst baut sich der Muskel, bzw. die Resilienz nicht auf.
Noch eine Coachingfrage:
- Stellen Sie sich vor, Sie sind schiffbrüchig in überlebbarem, warmem Wasser und haben keine Ahnung, in welcher Richtung die rettende Küste liegt. Sie wissen lediglich, dass sie nicht weit weg ist und Sie eine minimale Chance haben, sie zu erreichen. Was würden Sie tun? Einfach aufgeben oder wenigstens irgendwohin los schwimmen, um Ihre Chance zu nutzen?
Wenn Sie diese Metapher auf Ihr Leben übertragen, werden Sie merken, dass Sie oft mehr Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten haben, als Sie vermutlich zunächst glauben.
Deshalb glaube ich: Gutes Resilienztraining ist kein Wellnessprogramm und keine Selbstoptimierung, sondern ein wichtiges Element für psychische Gesundheit. Es gibt Ihnen die Möglichkeit, öfter die Chancen, Möglichkeiten und Gelegenheiten der Gegenwart zu erkennen, und Ihr Leben aktiv zu gestalten.
Resilienz in Unternehmen
Inzwischen beschäftigen sich viele Unternehmen (und auch Nationen7) mit dem Thema Resilienz. Da das Thema – der Begriff Resilienz leitet sich aus dem Lateinischen „resiliare“ ab und bedeutet zurückspringen – nicht nur in der Psychologie, sondern auch in anderen Wissenschaften genutzt wird, gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen und Interpretationen von Resilienz.
Eindeutig widersprechen möchte ich einem Bild, das ich schlicht für nicht hilfreich halte: Resilienz bedeutet nicht, Missstände widerstandslos zu ertragen und damit z.B. unpolitisch zu werden. Oft werden Beispiele von Nelson Mandela, Viktor Frankl oder anderen Häftlingen herangezogen, um zu erklären, dass man mit der entsprechenden inneren Haltung auch einen schwierigen Vorgesetzten, ein mieses Arbeitsklima oder schwierige persönliche Verhältnisse besser übersteht, wenn man eine Art „Survival-Camp“ durchmacht. Dies greift für mich deutlich zu kurz.
Ein gutes Resilienztraining bringt Sie unter anderem in die Position, Ihre „Situational Awareness“ zu steigern. Dieses Konzept habe ich vor allem in der Pilotenausbildung als sehr sinnvoll erlebt. Übersetzt auf das Leben am Boden bedeutet dies: Nach gutem Training sind Sie häufiger und besser befähigt, Ihre eigenen Ressourcen, Ihre Gestaltungsräume sowie mögliche, vorteilhafte Perspektivwechsel zu erkennen und zu merken, wann und wie Sie sich mit anderen Personen oder anderen Teams zum Wohle des Gesamtsystems verbünden können.
Weniger resiliente Menschen verfallen schneller oder länger in Grübelschleifen, Opferrollen, Depression oder blinden Aktivismus. Sie fahren mit dem „Hirnaufzug“8 abwärts. Und mit ihnen ganze Teams oder Organisationen.
Daraus ergibt sich: Resiliente Menschen sind die Grundlage für resiliente Teams. Sie können schneller und besser auf aktuelle Krisen reagieren9 , weil sie „klarer im Kopf“ bleiben.
Fazit
Warum ist Resilienz mehr als nur ein Buzzword und kein weiteres Thema einer schier endlos erscheinenden Selbstoptimierung?
Meiner Meinung nach liegt dies daran, dass Resilienz in uns schon angelegt ist und dass ein entsprechendes Training alles andere als ein Luxusgut ist. Manchmal kommt sie uns unter bestimmten Bedingungen abhanden, manchmal wird sie begünstigt.
Ich verstehe Resilienz wie die Fähigkeit, sich auf zwei Beinen fortzubewegen. Bewegen wir uns zu wenig, gefährden wir unsere Gesundheit. Bewegen wir uns regelmäßig, fördern wir unsere Gesundheit. Leichte, regelmäßige Bewegung an der frischen Luft wird nicht umsonst in der Therapie von Depressionen genutzt. Sie stützt auch ganz allgemein das Wohlbefinden viel mehr als eine Stunde mit Netflix und Co. auf dem Sofa.
Ähnlich sehe ich das mit der Resilienz. Wenn Sie sich z.B. 30-60 Minuten regelmäßig mit sich selbst beschäftigen statt mit Social Media oder Angelegenheiten, die Sie nicht beeinflussen können, oder Sie etwas meditieren statt sich abzulenken, sich in Akzeptanz üben ohne zu resignieren, sich in Zuversicht üben statt für die Zukunft schwarz zu sehen, dann stärken Sie Ihre Resilienz.
Als Konsequenz
- ärgeren Sie sich weniger oder seltener über den Stau, in dem Sie gerade stehen (oder bei ähnlichen Hindernissen im Leben),
- regen Sie sich weniger oder seltener über Verhaltensweisen anderer Menschen auf (gerade zu Corona-Zeiten),
- sind Sie weniger angreifbar gegenüber unsachlicher Kritik und weniger leicht gekränkt,
- sind Sie ein gutes Vorbild für Ihre Mitarbeiter:innen,
- tragen Sie auch zur Resilienz Ihrer Organisation bei,
- und wissen generell besser, wie Sie gut für sich sorgen und Ihre Energien für eine möglichst positive Zukunft einzusetzen können.
Hinweise:
Interessieren Sie sich für weitere Erfahrungen aus der Praxis? Testen Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit interessanten Beiträgen, Downloads, Empfehlungen und aktuellem Wissen.
Gerne erzählt Ihnen Mario Hauff in einem Infogespräch mehr und findet bei Bedarf mit Ihnen heraus, wie ein optimales Training zur Verbesserung Ihrer Resilienz aussehen könnte. Unter https://www.angstlotse.de/ können Sie leicht Kontakt aufnehmen.
[1] Hirnforschung bestätigt: Es lohnt sich Sorgen zu machen
[2] Cognitive Bias Codex
[3] Eisbergmodell
[4] Bayer überlebt fast eine Woche in einer Gletscherspalte
[5] Samuel Koch: So geht es ihm 10 Jahre nach seinem Unfall
[6] Christian Peter Dogs: Wir finden einen Ausweg. Katastrophen sind lösbar.
[7] Linking Resilience Thinking and Transformative Change
[8] Das Hirnaufzugsmodell nach Gerald Hüther
[9] Building Organizational Resilience
Mario Hauff hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht:
Mario Hauff
Dipl.-Ing. Mario Hauff – Angstlotse · Wachstumsbegleiter – führt Menschen und Organisationen durch schwierige Phasen, die mit Angst zu tun haben und legt mit ihnen deren Potenziale frei. Wie ein Lotse geht er „an Bord“ bis wieder „sichere Fahrwasser“ erreicht sind und vermittelt dabei Selbstwirksamkeit und Selbstbefähigung. Nach 20 Jahren als Elektroingenieur für Mikroelektronik in einem amerikanischen Unternehmen bietet er heute in Einzel- und Gruppencoachings, Workshops und Impulsvorträgen Wachstum in Sicherheit mit modernsten, wissenschaftlich fundierten, Erkenntnissen.