Projektleiterwechsel im laufenden Projekt
Ursachen für einen Projektleiterwechsel
Bei einem Projektleiterwechsel ist es wichtig, die Ursachen für die Notwendigkeit eines Wechsels zu kennen. Im Wesentlichen kann es drei Gründe geben:
- Organisatorische Gründe – bspw. wenn ein Projektleiter überlastet ist, er sich um zu viele verschiedene Projekte parallel kümmern muss, die Einsatzplanung zu optimistisch war oder es geänderte Projektprioritäten gibt.
- Persönliche Gründe – bspw. wenn ein Projektleiter krankheitsbedingt länger ausfällt, er sich für ein anderes Arbeitszeitmodell mit weniger Stunden entscheidet oder in Elternzeit geht.
- Mangelnde Performance – bspw. wenn die Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen des Projektleiters nicht ausreichen, die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Projektleiter und Team gestört ist oder Etappenziele zeit- und inhaltlich verfehlt werden.
Bei organisatorischen und persönlichen Gründen lässt sich ein Projektleiterwechsel relativ leicht umsetzen. Ist das Projekt zudem vielleicht nicht einmal in Verzug, lassen sich die Gründe direkt und einfach kommunizieren. Droht aber ein Projekt aufgrund der Leistung des Projektleiters und/oder der Leistung des Teams zu scheitern, wird der Projektleiterwechsel für alle Beteiligten zur Herausforderung. Vielleicht hat die Geschäftsführung früher selbst Fehler begangen, als sie Rückmeldungen aus dem Team ignoriert, nicht erreichte Meilensteine toleriert und Gespräche über Probleme mit dem Projektleiter gemieden hat? Wichtig ist daher ein Commitment der Geschäftsführung, im Zuge des Projektleiterwechsels, dem Projekt volle Aufmerksamkeit und Unterstützung zu geben. Ihr muss klar sein, dass es nicht ausreichen kann, den Projektleiter einfach auszutauschen. Darüber hinaus sollte sie mit dem derzeitigen Projektleiter über die Gründe sprechen, die zu seiner Ablösung führen. Wenn es dabei gelingt, gemeinsame Erkenntnisse zu gewinnen und eventuell sogar Qualifikationsmaßnahmen zu vereinbaren, kann auch der aktuelle Projektleiter aus einer solchen Situation etwas Gutes mitnehmen.
Die Bestandsaufnahme des Projekts
Vermutlich kennen Sie die Situation, wenn Sie fünf Menschen nach ihren Meinungen fragen, erhalten Sie sechs verschiedene Antworten. Menschen nehmen Situationen unterschiedlich wahr, interpretieren und bewerten sie. Für Ihre Entscheidung bedeutet dies, dass Sie sich vor der Übernahme des laufenden Projekts eine eigene Meinung bilden müssen. Sie müssen eine Bestandsaufnahme durchführen – auch wenn dies möglicherweise einige Tage in Anspruch nimmt. Sie sollten Gespräche mit den Projektmitarbeitern, dem derzeitigen Projektleiter und der Geschäftsleitung führen und zusätzlich alle Herausforderungen auflisten, die es zu lösen gilt. Sie müssen von der Machbarkeit des Projekts überzeugt sein, denn sonst dürfen Sie das Projekt nicht übernehmen.
In der Theorie klingt die Bestandsaufnahme einfach, in der Praxis ist dies aber keine leichte Aufgabe. Das Projekt steht unter Zeitdruck, es herrscht Unruhe und möglicherweise auch Unzufriedenheit bei vielen Beteiligten. Wenn Sie sich vor der Projektübernahme noch Zeit nehmen möchten, um die tatsächlichen Probleme des Projekts zu identifizieren, dann stößt dies selten auf Zustimmung. Umso wichtiger ist Ihre Bestandsaufnahme, selbst wenn Sie bereits zuvor in dem Projekt aktiv mitgewirkt haben. Als Projektleiterin bzw. Projektleiter haben Sie eine andere Sicht auf ein Projekt. Möglicherweise hat sich der Business Case geändert, der Auftraggeber hat unzählige neue Anforderungen geliefert, der Entwicklungspartner ist mit seinen Lieferungen im Verzug, Mitarbeiter werden mit Herausforderungen alleine gelassen oder technische Zusammenhänge wurden erst im laufenden Projekt erkannt – es gibt sehr viele Aspekte, die zu Problemen in Projekten werden können.
Folgende Informationen sind u.a. für Ihre Beurteilung des laufenden Projekts relevant:
- Wie lauten Projektvision und Projektziel?
- Was ist das Ergebnis der Stakeholderanalyse?
- Wie lautete der Business Case zu Projektbeginn und wie lautet er heute?
- Wie sehen der Terminplan und der Ressourcenplan aus? Welche realen Abweichungen gibt es zu den Plänen und warum?
- Welche Epics und Features gibt es im Backlog, wie ist der Stand der Anforderungen, welche User Storys werden gerade realisiert etc.?
- Wie ist das Projekt organisiert?
- Mit welchen Tools und Methoden wird gearbeitet und wie ist die Resonanz der Projektmitarbeiter?
- Was wird wie durch wen dokumentiert und welche Regeln bzw. Vereinbarungen gelten hinsichtlich Nachweispflichten?
- Gibt es einen Kommunikationsplan mit den Stakeholdern und wie sieht er im Detail aus?
- Wie sieht der Risikoplan aus und welche Maßnahmen zur Risikominimierung wurden getroffen?
- Wie sind die geplanten und die tatsächlichen Aufwände und Kosten?
- Wie ist die Motivation aller Projektbeteiligten und wie wichtig ist das Projekt?
Eventuell fallen Ihnen noch weitere Fragen ein – diese sollten Sie dann auf jeden Fall äußern. Das Ziel der Fragen ist es, einen realen Eindruck über das Projekt zu erhalten – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Sprachregelung und Übergangsfrist
Findet der Projektleiterwechsel statt, ist es wichtig, eine Sprachregel mit allen Beteiligten zu vereinbaren. Mitarbeiter sollten wissen, wieso es zu einem Wechsel des Projektleiters kommt – bei mangelnder Performance des vorherigen Projektleiters ist hier natürlich etwas Fingerspitzengefühl gefragt. Hat der Wechsel für externe Partner Relevanz, so müssen diese auch informiert werden.
In der Politik ist es relativ üblich, neuen Amtsinhabern eine 100-Tage-Frist zur Übernahme der Geschäfte zu gewähren. Etwas Vergleichbares lässt sich im Projektgeschäft vielleicht nicht immer realisieren, dennoch sollten Sie versuchen, eine Übergangsphase als persönliche Absicherung zu vereinbaren. In dieser Phase gleichen Sie die vorab gelieferten Projektinformationen mit Ihren tatsächlichen Projekteindrücken ab. Sie erkennen die Bedürfnisse Ihrer Mitarbeiter und identifizieren Schwachstellen in der bisherigen Planung. Idealerweise finden Sie auch die Ursache für die Projektschieflage, kommunizieren die tatsächliche Projektsituation der Geschäftsleitung, erörtern Lösungsoptionen und legen Maßnahmen fest. Eventuell definieren Sie sogar gemeinsam mit der Geschäftsleitung neue Projektziele und überarbeiten den Business Case.
Fazit
Beschäftigt Sie sich mit der Übernahme eins Projekts, sollten Sie zu einer fundierten Einschätzung des Status quo gelangen. Dabei ist es nicht entscheidend, ob Sie bereits aktiv im Projekt mitgearbeitet haben oder in welcher Phase sich das Projekt befindet. Ein Projektleiterwechsel lässt sich zwar in frühen Projektphasen leichter realisieren, entscheidend ist aber, ob Sie von der Machbarkeit des Projekts überzeugt sind. Hierzu ist eine individuelle Bestandsaufnahme unerlässlich. Auch wenn die Geschäftsleitung so schnell wie möglich eine Antwort von Ihnen benötigt, so sollten Sie sich die Zeit nehmen, um eine gute Entscheidung für sich und das Unternehmen zu treffen. Hektik ist hier ein schlechter Ratgeber. Fällt die Entscheidung zur Übernahme, ist es wichtig, ehrlich über die Probleme des Projekts zu sprechen, Lösungen zu finden und Maßnahmen festzulegen. Die Übergangsphase gibt Ihnen die Chance, weitere Erkenntnisse zu gewinnen und das Commitment der Geschäftsleitung zur maximalen Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Doch eines sollten Sie vor der Übernahme unbedingt bedenken: „Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steige ab.“
Hinweis:
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Michael Schenkel hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.
Michael Schenkel
Leiter Marketing, t2informatik GmbH