Planung unter Vorbehalt
Planungssicherheit
Obwohl wir wohl alle der Aussage zustimmen werden, dass „Zukunft ungewiss ist“, haben wir dies gerade im professionellen Umfeld eher negiert; wir haben vor allem an Methoden gearbeitet, „Gewissheit zu vergrößern“. Wir haben darüber nachgedacht, Planung (noch) weiter zu verbessern, Risikomanagement auszubauen, Komplexität zu analysieren und zu strukturieren. All das sind Maßnahmen, Wissen und damit Kontrolle darüber zu haben, was passieren wird oder kann, und so die Steuerung zu behalten. Auch die angesagten Methoden des agilen Managements sind meiner Meinung nach Verfahren, Planung näher an die Realität zu bringen und damit Kontrolle und Steuerung in volatilen Zeiten aufrechtzuerhalten Grundsätzlich ist das auch nicht verwunderlich, denn Kontrolle zu haben, gibt uns ein Gefühl der Sicherheit. Gefühlte Sicherheit ist eine Basis, um handlungs- und entscheidungsfähig zu sein. Und da wir in einer Gesellschaft leben, die rational geprägt ist, sind eben verstandes-orientierte Ansätze, Sicherheit zu erzeugen – und Planung und Kontrolle sind solche – angemessene Mittel. Sie über das sinnvolle oder – vielleicht passender – effiziente Maß hinaus zu verbessern, ist in diesem Kontext folgerichtig. Genauso folgerichtig ist es, dass mit den Ansätzen zur Komplexitätsreduktion der Versuch gemacht wird, den Aufwand für Planung und Kontrolle wieder angemessener zu machen. Letztendlich drücken wir uns aber mit all diesen Ansätzen um die Tatsache herum, dass Zukunft eben ungewiss ist und damit eine Planung immer unter dem Vorbehalt der (zukünftigen) Realität steht.
Ungewissheit als Merkmal von (IT-)Projekten
Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für Projekte. Projekte sind per Definition Initiativen mit Einmaligkeitscharakter, d.h. sie sind zumindest in Teilen bisher so nicht erlebt, Erfahrungen fehlen. Das schränkt ihre Vorhersehbarkeit gegenüber Initiativen ohne diesen expliziten Einmaligkeitscharakter weiter ein. Agile Methoden haben hier eine deutliche Verbesserung gebracht, eben weil sie dieser Tatsache Rechnung tragen, indem sie mehr Flexibilität und Anpassung an erkannte Veränderung erlauben. Und sie beachten das Sicherheitsbedürfnis von Menschen, indem sie operatives Arbeiten unter klaren und zu bestimmten Phasen stabilen Rahmenbedingungen erlauben sowie gleichzeitig methodisch den regelmäßigen Abgleich von Realität und Planung unterstützen. Unter dem Strich aber bleibt auch hier der Fakt bestehen, dass Ungewissheit selbst bei allerbester Planung und hoch-flexiblen Steuerungsmethoden ein existentieller Bestandteil unserer Welt ist und dass sich diese in einer immer komplexer und heterogener werdenden Gesellschaft und Wirtschaft eben auch im Projekt – aber auch im allgemeinen Geschäftsalltag – immer deutlicher zeigt. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die zunehmende Digitalisierung, die gerade Projekte stark beeinflusst. Projekte nutzen nicht nur zunehmend mehr digitale Technik, sie sind ja eben auch die wesentliche Organisationsform zur Entwicklung und Einführung neuer IT-Technologien. Untersuchungen des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung München¹ zeigen, dass inzwischen Technologie ein wesentlicher Faktor für Ungewissheit ist. Unsere Annahme, dass Technik deterministisches Verhalten zeigt, ist also immer weniger zutreffend. Bei näherer Betrachtung ist das auch gar nicht verwunderlich, denn auch technische Komponenten unterliegen Umweltbedingungen, die nur bis zu einem gewissen Grad kontrollierbar sind. Mit zunehmender Komplexität wird dies immer offensichtlicher.
Noch reden wir im professionellen Bereich lieber von Komplexität; wir glauben, wir müssten einfach nur alle Parameter kennen, um treffsichere Vorhersagen zu machen. Dieser Glaube spiegelt unsere Hoffnung wieder, eines Tages alles zu verstehen und zu kontrollieren – und damit bräuchten wir den eingeschlagenen Weg, (IT-)Projekte beherrschbar zu machen, nicht grundsätzlich ändern. Es lässt sich jedoch eindeutig konstatieren, dass unsere bisherigen Ansätze der Planung und Kontrolle an Ihre Grenzen kommen. Und dabei ist es egal, ob die Welt nun zu komplex ist, um Ereignisse treffsicher vorherzusagen oder ob sie eben ungewiss ist und es damit selbst bei bester Planung keine treffsicheren Vorhersagen gibt. Weitere Verbesserungen an planungs-basierten Ansätzen gefährden die Effizienz, weil der Aufwand dafür überproportional ansteigt. Und schlimmer: Eine ausgeprägte Planung gaukelt uns eine Scheinsicherheit vor, alles im Griff zu haben und lässt uns daher darin fahrlässig werden, auf Signale zu achten, dass der Plan zunehmend von der Realität abweicht. Dies bedeutet natürlich nicht, dass ich gegen Planung bin, im Gegenteil, gutes Planen und ein fundierter Plan sind ein Muss in Projekten. Aber es gibt Situationen jenseits selbst der besten Pläne, und ein kompetenter Umgang mit und in solchen Situationen ist oft erfolgskritisch. Hier gilt es, nach neuen Ansätzen für die unvorhersehbaren Situationen, also für Ungewissheit zu suchen. Solche Ansätze müssen mit dem Ziel, Projekte erfolgreich zu machen, folgendes leisten:
- Eine gefühlte Sicherheit jenseits der Kontrolle anbieten
- Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit erhalten
- Das Erkennen fördern, dass der Plan nicht mehr zutrifft bzw. kurz davor steht, nicht mehr zuzutreffen.
Die Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) hat Ende 2016 eine Expertise veröffentlicht, in der wissenschaftliche sowie praktizierte Ansätze vorgestellt und systematisiert werden, die den Umgang mit Ungewissheit adressieren. Hier finden Sie die Studienergebnisse.
Ungewissheit als Chance
Eine wesentliche Botschaft aus der Studie der GPM ist, dass Ungewissheit keine Krise ist, der Umgang damit also kein Krisenmanagement. In Ungewissheit sind Chancen verborgen, Neues darf und muss gedacht werden. Viele große Projekte der Menschheit – denken Sie zum Beispiel an die Entdeckung von Amerika durch Christoph Kolumbus – sind so erst zu dem geworden, als das wir sie heute sehen. Durch Ungewissheit können Projekte Änderungen erfahren, die ihren langfristigen und nachhaltigen Erfolg fördern. Der Umgang mit Ungewissheit ist also eine Kompetenz, die es zu auszubauen und zu trainieren lohnt und die – und das ist eine weitere Botschaft aus der Studie – erlernbar ist. Dabei tritt der Mensch zunehmend in seiner Ganzheitlichkeit in den Vordergrund und wird nicht auf die Ressource „Verstand“ reduziert. Kompetenzen, die zu auch in Ungewissheit Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit erhalten und die Wahrnehmung dieser Situationen ermöglichen, werden gefördert.
Hinweise:
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[1] Zum Beispiel: Heidling, Eckhard (2016): Erscheinungsformen und Typen von Ungewissheit in Projekten. Oder: Fritz Böhle; Eckhard Heidling; Judith Neumer; Astrid Kuhlmey; Matthias Winnig; Nina Trobisch; Dieter Kraft; Karin Denisow: Umgang mit Ungewissheit in Projekten. Expertise für die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) e.V., Nürnberg, Seiten 13-57)
Astrid Kuhlmey hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.
Astrid Kuhlmey
Dipl.Inf. Astrid Kuhlmey verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung im Projekt- und Linienmanagement der Pharma-IT. Seit 7 Jahren ist sie als systemische Beraterin tätig und begleitet Unternehmen und Individuen in notwendigen Veränderungsprozessen. Ihr liegen Nachhaltigkeit sowie gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel und Entwicklung am Herzen. Gemeinsam mit einem Kollegen hat sie einen Ansatz entwickelt, Kompetenzen zum Handeln und Entscheiden in Situationen der Ungewissheit bzw. Komplexität zu fördern.