New Work im Klassenzimmer
Mit New Work eine neue Lernkultur in Schulen entwickeln
In einer Welt, die sich durch den digitalen Wandel und technologische Innovationen ständig verändert, ist auch das Konzept der Arbeit einem grundlegenden Wandel unterworfen. New Work beschreibt eine Art des Arbeitens, die durch Flexibilität, Selbstorganisation und ein hohes Maß an Eigenverantwortung geprägt ist. Diese Prinzipien beeinflussen nicht nur die Arbeitswelt, sondern halten zunehmend auch Einzug in das Bildungssystem. Doch was bedeutet New Work für die Schule? Wie können agile Methoden und eine neue Lernkultur den Schulunterricht revolutionieren und Schüler auf die Anforderungen der modernen Arbeitswelt vorbereiten?
Die Relevanz von New Work für Unternehmen und in der Bildung
Der Begriff New Work wurde in den frühen 1980er-Jahren vom österreichisch-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann [1] geprägt und beschreibt u.a. ein Arbeitsmodell, das sich bewusst von traditionellen, hierarchischen Strukturen abgrenzt. Im Fokus stehen Autonomie, Sinnhaftigkeit und das Streben nach einem erfüllten Leben durch Arbeit, die den individuellen Fähigkeiten und Interessen entspricht.
Im Laufe der Zeit erkannten viele Unternehmen die Vorteile dieses Ansatzes und begannen bspw., Hierarchien abzubauen und mehr Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeiten, Arbeitsorte und die Gestaltung von Arbeitsplätzen zu ermöglichen. Sie setzten zunehmend auf agile Ansätze wie Scrum und Kanban, die in ihren Werten und Prinzipien gut zu den Ideen von New Work passen. Diese agilen Ansätze fördern und fordern Teamarbeit, Eigenverantwortung und kontinuierliche Verbesserung – alles Fähigkeiten, die auch in der schulischen Bildung immer wichtiger werden.
New Work und Scrum in der schulischen Praxis
Schon seit einer Weile ist aus der Lerntheorie und verschiedenen Studien bekannt, dass das reine Wiederholen von Lerninhalten kein Wissen generiert, das dauerhaft erhalten bleibt. Im Gegenteil: da das gepaukte Wissen nicht fest verankert wird, ist es nach kurzer Zeit wieder verschwunden. Hier können Ansätze wie New Work in Kombination mit Elementen bspw. aus Scrum helfen und anders wirken. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass Lehrkräfte und Schüler:innen in einem kollaborativen Umfeld arbeiten, in dem Wissen nicht nur vermittelt, sondern gemeinsam erarbeitet wird.
Vom Oktober 2023 bis Februar 2024 durfte ich ein solch kollaboratives Umfeld begleiten: das Projekt „School ’n‘ Work“ an der Friedrich-List-Schule in Lübeck. [2] Gefördert von der Dräger Stiftung, arbeiteten die Schülerinnen und Schüler des 11. Jahrgangs der Fachrichtung BWL des Beruflichen Gymnasiums zwölf Wochen lang an drei realen unternehmerischen Herausforderungen, die das Lübecker Medizin- und Sicherheitstechnikunternehmen Dräger formuliert hatte.
Die Herausforderungen wurden in kleinen Teams in sogenannten Sprints – kurzen, fokussierten Arbeitsphasen – bearbeitet. Am Ende eines jeden Sprints folgte eine Retrospektive, in der die jeweiligen Teams ihre Arbeitsweisen reflektierten und Verbesserungspotenziale identifizierten. Wie in der gelebten Unternehmenspraxis stärkt eine solche Arbeitsweise auch im schulischen Kontext die Zusammenarbeit, Kommunikation und Selbstorganisation der Beteiligten. Zudem fördert es auch die Fähigkeit, flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren. Und – wenig überraschend – stieg auch die Zufriedenheit der Beteiligten; eine Untersuchung der Hochschule Luzern hatte bereits im Jahr 2020 gezeigt, dass Schüler:innen, die mit agilen Methoden arbeiten, eine höhere Zufriedenheit und Selbstwirksamkeitserwartung aufweisen. [3] Verstärkt wurde dies im Projekt auch durch die Präsentation der Lösungen vor Unternehmensvertretern.
Übrigens: Eine Studie der Universität Stanford belegt, dass agile Methoden wie Scrum die kognitive Flexibilität und Problemlösungsfähigkeiten von Lernenden signifikant verbessern. Ein weiteres Forschungspapier betont, dass agiles Lernen die intrinsische Motivation fördert und somit zu nachhaltigeren Lernerfolgen führt. [4]
Wissen teilen und vermehren in der Schule
Ein zentraler Pfeiler von New Work ist das Teilen von Wissen – ein Prinzip, das auch in Klassenzimmern eine entscheidende Rolle spielen sollte. In traditionellen Bildungssystemen wird Wissen oft als eine Ressource betrachtet, die hierarchisch von Lehrkräften an die Schülerinnen und Schüler weitergegeben wird. Diese einseitige Weitergabe stellt Wissen als Machtmittel dar, das von oben nach unten verteilt wird. Doch New Work fördert eine völlig andere Herangehensweise: eine offene Kultur des „Knowledge Sharings“, bei der Wissen gemeinschaftlich erarbeitet, geteilt und erweitert wird.
In einem solchen Umfeld geht es nicht nur darum, dass Schüler:innen von ihren Lehrkräften lernen, sondern auch voneinander. Dieser dynamische Austausch von Wissen stärkt das Gemeinschaftsgefühl und fördert eine Atmosphäre des Vertrauens und der Zusammenarbeit. Wenn Lernende ihre Erkenntnisse und Ideen miteinander teilen und in offenen Diskussionen hinterfragen, entwickelt sich ein tieferes Verständnis für komplexe Zusammenhänge. Sie lernen, dass Wissen nicht starr ist, sondern wächst, wenn es gemeinsam genutzt und diskutiert wird.
In einer Schule, die auf diesen Prinzipien basiert, wird der Klassenraum zu einem Ort, an dem nicht nur Fakten vermittelt, sondern aktiv miteinander vernetzt und erweitert werden. So werden Schüler:innen zu aktiven Gestaltern ihres eigenen Lernprozesses, was ihre Kreativität und ihr kritisches Denken fördert – Kompetenzen, die in der heutigen Wissensgesellschaft unerlässlich sind.
Herausforderungen und Erfolgsfaktoren
Die Einführung von New-Work-Prinzipien in Schulen ist jedoch nicht ohne Herausforderungen. Lehrkräfte müssen zunächst für diese Methoden sensibilisiert und geschult werden, da sie eine andere Art der Unterrichtsführung erfordern als traditionelle Lehrmethoden. Zudem müssen die schulischen Strukturen angepasst werden, um eine flexible und selbstorganisierte Lernumgebung zu ermöglichen.
Ein entscheidender Aspekt bei der Einführung von New Work in Schulen ist sicherlich die Etablierung einer offenen Fehlerkultur. In einer solchen Umgebung werden Fehler nicht als Versagen betrachtet, sondern als wertvolle Lernchancen. Um dies zu ermöglichen, müssen jedoch nicht nur die Schüler:innen, sondern auch die Lehrkräfte ihre Denkweise ändern. Traditionell werden Fehler in vielen Bildungssystemen noch stigmatisiert und oft als Zeichen mangelnder Kompetenz gewertet. Diese Sichtweise steht im Widerspruch zu den Prinzipien von New Work, das ständiges Lernen, Ausprobieren und iterative Verbesserung fördert.
Für viele Lehrkräfte bedeutet dies einen tiefgreifenden Wandel im Selbstverständnis ihrer Rolle. Sie sind nicht mehr primär die allwissenden Autoritäten in ihrem Fachbereich, sondern agieren zunehmend als methodische Lernbegleiter. Diese Rolle erfordert es, den Raum für Experimente, Fragen und Missverständnisse zu schaffen, ohne dass Fehler sanktioniert werden. Lehrkräfte müssen sich von der traditionellen Erwartung lösen, immer die richtige Antwort zu kennen, und stattdessen den Lernprozess der Beteiligten in den Vordergrund stellen. Sie unterstützen ihre Klassen dabei, selbstständig zu denken, Probleme kreativ zu lösen und aus Fehlern zu lernen – ähnlich wie in der modernen Arbeitswelt, in der kontinuierliches Lernen und Anpassung zentrale Elemente sind.
Der Weg hin zu dieser neuen Fehlerkultur ist allerdings oft noch lang und herausfordernd. Schulen müssen Strukturen schaffen, in denen Lehrkräfte selbst die Möglichkeit erhalten, sich weiterzubilden und diese neuen Ansätze zu verinnerlichen. Dazu gehört auch, dass Schulen den Lehrkräften die notwendige Sicherheit geben, sich selbst in ihrer neuen Rolle auszuprobieren, ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Nur wenn Lehrkräfte diese offene Fehlerkultur selbst erfahren und leben, können sie sie glaubwürdig an ihre Schüler:innen weitergeben.
Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist zudem die Zusammenarbeit mit externen Partnern wie beim Projekt „School ’n‘ Work“. Durch die Einbindung von Unternehmen und anderen Institutionen in den schulischen Lernprozess kann der Transfer von theoretischem Wissen in die Praxis gestärkt werden. Dies bietet den Schüler:innen die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten in echten Projekten zu erproben und wertvolle Einblicke in die Arbeitswelt zu gewinnen. Gelingt es darüber hinaus Unternehmen als Kooperationspartner zu gewinnen, profitieren idealerweise auch die jeweiligen Unternehmen. Das Unternehmen Dräger hat bspw. ein festes Kontingent an Praktikumsplätzen für Schülerinnen und Schüler der Friedrich-List-Schule reserviert – in Zeiten von fehlenden Arbeitskräften definitiv ein cleverer Zug.
Fazit
Die Integration von New Work in das Bildungssystem bietet eine vielversprechende Perspektive für die Zukunft der Schule. Agile Ansätze wie Scrum, Kanban, Design Thinking, ein aktiver Wissensaustausch auf Augenhöhe, die Etablierung einer Fehlerkultur und die Förderung individueller Talente können dazu beitragen, die schulische Bildung zu revolutionieren und Schüler:innen besser auf die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt vorzubereiten.
Projekte wie „School ’n‘ Work“ zeigen, dass es möglich ist, innovative Bildungsformate zu entwickeln, die sowohl den Bedürfnissen der Schüler:innen als auch den Anforderungen der Wirtschaft gerecht werden. Diese Ansätze können als Modell für weitere Schulen dienen und dazu beitragen, die Bildung in Deutschland zukunftsfähig zu gestalten.
Insgesamt verdeutlicht die Verbindung von Schule und New Work, dass Bildung mehr sein kann als das bloße Vermitteln von Wissen: Es geht darum, Schüler:innen zu befähigen, eigenverantwortlich zu handeln, kreativ zu denken und ihre eigenen Potenziale zu entfalten.
Hinweise:
Interessieren Sie sich für weitere Informationen über School ’n‘ Work? Oder wollen Sie vielleicht ein eigenes Projekt auf die Beine stellen? Sprechen Sie Barbara Hilgert gerne an.
[1] Frithjof Bergmann
[2] Abschluss mit Anschluss: Die Friedrich-List-Schule und die Dräger-Stiftung setzen gemeinsam das Projekt „School ’n’ Work“ um
[3] Osterwalder, A., Pigneur, Y., Bernarda, G., & Smith, A. (2020). Design a Better Business: New Tools, Skills, and Mindset for Strategy and Innovation. Hoboken: Wiley.
[4] Kapp, K. M. (2012). The Gamification of Learning and Instruction: Game-based Methods and Strategies for Training and Education. San Francisco: Pfeiffer.
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Barbara Hilgert hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.
Barbara Hilgert
Barbara lebt in Schleswig-Holstein und arbeitet in Berlin & Lübeck. Sie ist agile Coach, berät kleine und mittelständische Unternehmen zur Thematik der digitalen Transformation und hat viel Know-how in den Bereichen Teamentwicklung und (New) Learning. „Wissen teilen ist Macht“ ist nicht nur ihre Lebensmaxime, die Entwicklung dieses Mindsets ist auch das Ziel ihrer Beratungen und Qualifizierungen: Die Ausbildung eine der Kernkompetenzen für die Zukunft der Arbeit und eine wichtige Voraussetzung für die kollaborative Netzwerkarbeit und „Neues Lernen“.