Braucht es ein digitales Mindset?

Gastbeitrag von | 28.11.2019

Seit einiger Zeit berate ich kleine und mittelständische Unternehmen zur digitalen Transformation und Arbeit 4.0. Von vielen Unternehmer*innen wird Digitalisierung oft gleichgesetzt mit Technologisierung: Es herrscht die Meinung, dass Prozesse, Services und die Kommunikation mit Kunden entweder vollständig digitalisiert oder mithilfe von Technologie vereinfacht werden müssen. Als Folge werden Apps entwickelt, Social Media Budgets aufgestockt und Chief Digital Officers eingestellt, die digitale Produkte entwickeln sollen.

Damit glauben viele Unternehmen digital gut aufgestellt zu sein. Im Rahmen meiner Beratungen führe ich sowohl Befragungen mit Führungskräften hinsichtlich des Prozesses der digitalen Transformation durch, als auch Workshops mit den Mitarbeitenden. Dabei kommt es immer wieder auch zu der Frage, wie erfolgreich die Mitarbeitenden den Prozess der Transformation einschätzen. Die Antworten auf diese Fragen haben mich zu der Frage geführt, ob es evtl. ein spezielles, ggf. digitales Mindset braucht, um mit den Veränderungen durch New Work und Arbeit 4.0 umgehen zu können.

Mindset – Haltung – Denkweise

Der englische Begriff Mindset kann unterschiedlich übersetzt und gedeutet werden:

  • Denkweise,
  • Haltung,
  • Lebensphilosophie oder
  • Mentalität.

Das Mindset bestimmt, in welcher Art wir Informationen filtern. Es ist dabei geprägt von den Erfahrungen, die wir gemacht haben. Wenn wir zum Beispiel bei einem Vortrag in der Schule einen kleinen Blackout hatten und unsere Klassenkamerad*innen lachten uns aus, kann es passieren, dass wir uns auch viele Jahre später noch für einen schlechten Redner halten und weitere Gelegenheiten meiden, das Wort zu ergreifen. Ein Mindset arbeitet also vor dem Hintergrund unserer Prägungen wie ein Filter, der bestimmt, wie wir unsere Umgebung, aber vor allem unsere eigenen Möglichkeiten wahrnehmen.

Unter der Dichotomie growth mindset vs. fixed mindset forscht die Motivationspsychologin Carol Dweck, wie Menschen mit Niederlagen umgehen und was manche dazu veranlasst, unbeeindruckt Herausforderungen zu suchen, während andere aufgeben. Anhand ihrer Studien lassen sich Menschen in zwei Kategorien tendenziell einordnen:

  • Diejenigen, die eher in die Kategorie fixed mindset gehören, neigen dazu, bestimmte Fähigkeiten als angeboren anzusehen. Scheitern sie, fehlt ihnen aus ihrer Sicht die nötige Begabung.
  • Und jene, die in die Kategorie growth mindset gehören, und der festen Überzeugung sind, dass sie alles erreichen können, solange sie genügend Einsatz bringen, trainieren oder lernen. Diese grundsätzlich positive und handlungsorientierte Haltung führt bei den Menschen mit growth mindset nicht nur zu mehr (selbst erarbeitetem) Erfolg, sie sind tendenziell auch stressresistenter, weil sie daran glauben, an ihrer Situation etwas ändern zu können.

In einer Studie zum positiven Feedback oder Lob kam zudem heraus, dass der Effekt von Lob vom jeweiligen Mindset abhängen kann.

Mindset und Lob

Carol Dweck untersuchte das Verhalten von Grundschulkindern in zwei Gruppen, die Aufgaben lösen mussten. Den Teilnehmern der einen Gruppe wurde nach dem Lösen der Aufgaben gesagt, dass sie sehr klug seien. Bei der anderen Gruppe wurden hingegen die Anstrengungen gelobt. Danach wurde das Mindset der Schüler erfasst, indem sie folgender Aussage zustimmen oder widersprechen konnten: „Intelligenz ist etwas Fundamentales, das nicht wirklich verändert werden kann.“

Diejenigen Kinder, die für ihre Intelligenz gelobt wurden, stimmten mit überwiegender Mehrheit der Aussage zu und wählten im weiteren Versuchsverlauf diejenigen Aufgaben aus, die ihnen keine Schwierigkeiten bereiteten. Sie vermieden die Chance, etwas Neues zu Lernen. Diejenigen Kinder, die für ihre Anstrengung gelobt wurden, verneinten die Aussage zur konsistenten Intelligenz und stützten diese Meinung im Fortgang dadurch, dass sie immer wieder herausfordernde Aufgaben auswählten, um an ihnen zu wachsen und zu lernen.

Dwecks Studien zeigen, dass Kinder, deren Intelligenz gelobt wird, sehr viel wahrscheinlicher ein starres Mindset entwickeln, während diejenigen, deren Anstrengungen gelobt wurden, dazu tendieren, ein dynamisches Mindset zu entwickeln.

Diese Tendenz bei Heranwachsenden ergibt sich aus der Erkenntnis, dass unser Gehirn dazu neigt, einen Abgleich des Feedbacks von außen mit unseren inneren Bildern zu erreichen, mit anderen Worten: Eine Übereinstimmung von Selbst- und Fremdbild ist für das Gehirn energieeffizient, so dass wir dazu neigen, unsere inneren Bilder anzupassen. Das zeigen auch schon die sog. Rosenthal-Experimente¹: Bei diesen Experimenten haben sich Kinder alleine aufgrund des (evtl. unbewussten) Feedbacks ihrer Lehrer*innen in einer bestimmte Richtung entwickelt, nachdem den Lehrkräften zu Beginn des Schuljahres die jeweils vertauschte Gruppe von Schüler*innen als die „Einser- bzw. Sechser-Kandidat*innen“ genannt wurden. Im Experiment waren die (vormals) guten Schüler*innen am Ende des Schuljahres am unteren Ende der Leistungsskala, während die (ehemaligen) Wackelkandidat*innen plötzlich zu den Klassenbesten gehörten.

Während Menschen mit fixed mindset Niederlagen vermeiden, indem sie Herausforderungen umschiffen, sind Menschen mit growth mindset gewohnt zu verlieren. Sie geben aber nicht so schnell auf und erreichen damit in der Tendenz umso häufiger ihr Ziel. Sie sind offen für Neues und halten Fehler für Chancen, um etwas zu lernen.

Dwecks Studien mit jungen Menschen belegen aber ebenso, dass sich das Mindset durch Interaktionen und Aktivität entwickeln und ändern lässt.

Mindset und Digitalisierung

Im Zeitalter von Arbeit 4.0 und (zukünftigen) neuen „Kolleg*innen“ in Form von künstlicher Intelligenz stellt sich die Frage, ob im Vergleich zur KI die eigene Intelligenz überhaupt noch ausreichen kann. Mitarbeiter*innen mit fixed mindset müssen sich angesichts von KI dauerhaft als nicht ausreichend talentiert wahrnehmen und werden eine entsprechend negative Einstellung zum Thema Digitalisierung & KI haben.

Wie kann es also gelingen, die Mitarbeiter*innen dahingehend zu entwickeln, dass sie ein growth mindset ausbilden und die Herausforderung des lebenslangen Lernens und von New Work annehmen?

Unterschiedliche Dimension spielen aus meiner Sicht dabei eine Rolle und sollten durch Lob der Anstrengung in diese Richtung gestärkt werden:

  1. Innovationsorientierung – Neue Ideen entstehen nicht zufällig. Gut ist, wenn ich ständig nach neuen Ideen Ausschau halte und mit meinen Kollegen und Kunden über die Ideen diskutiere.
  2. Kreativität ist etwas, das man trainieren kann. Man muss es nur tun. Jedes Problem kann mit entsprechenden “Leitplanken” gelöst werden. Neue Blickwinkel bringen sogar noch kreativere Lösungen. Diversity matters.
  3. Akzeptanz vorübergehender Unsicherheit – Um etwas Neues zu probieren, muss ich das Risiko akzeptieren. Die Unsicherheit muss ich eine Zeit lang aushalten, bevor sich Ergebnisse zeigen.
  4. Durchhaltevermögen – Es gibt keine Probleme, nur Möglichkeiten zum Lernen. Um immer wieder neu zu lernen und Probleme zu lösen, benötigt es Disziplin und Durchhaltevermögen. Das ist jedoch weniger eine Fähigkeit sondern vielmehr die Umgebung in Form von Routinen, die uns helfen zu lernen und Personen, die uns unterstützen.
  5. Pragmatismus – Wenn ich etwas ändern möchte, starte ich damit einfach. Selbst anzupacken und den ersten Schritt zu machen ist besser, als auf andere zu warten. Was ich ändern kann, dafür übernehme ich Verantwortung.
  6. Ehrgeiz – Ich möchte es besser machen als bisher. Ich bin niemals ganz zufrieden. Ich setze mir Ziele und arbeite daran, diese zu erreichen. Ich ändere mein Vorgehen iterativ und passe es regelmäßig an neue Situationen an.

Ebenso kann eine Organisation für Bedingungen sorgen, die die Entwicklung in Richtung der sechs Dimensionen ermöglichen. Dadurch können Individuen ein growth mindset entwickeln, so dass sie den Herausforderungen der digitalen Transformation und den damit verbundenen Veränderungen in Organisationen leichter begegnen können.

Und wie lautet die Antwort?

Definiert man ein digitales Mindset im Sinne des Persobloggers.de² als die Summe von Verhaltensmustern, basierend auf einer offenen und neugierigen Grundhaltung gegenüber State-of-the-art-Technologien und dem Anspruch, jede Herausforderung zuerst digital lösen zu wollen, so kann die Frage “Braucht es ein digitales Mindset” nicht eindeutig mit JA beantwortet werden.

Mitarbeitende, die mit den Veränderungen durch die digitale Transformation umgehen können, werden vermutlich anerkennen, dass digitalisierte Prozesse massiven Einfluss auf ihre Arbeit, ihr Leben und ihre Kommunikation haben. Dennoch sollten die o.g. sechs Dimensionen im Vordergrund stehen, die ein growth mindset begünstigen und so die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen fördern. Kombiniert mit der Erlaubnis, sich die Zeit zum Lernen (z. B. dem Umgang mit neuen Apps) auch wirklich nehmen zu dürfen (bspw. durch einen Learning Friday o.ä.) kann der Change erfolgreich gemeistert werden.

Es braucht folglich nicht zwingend ein digitales Mindset, aber zumindest ein growth mindset mit entsprechender Innovationsorientierung, Kreativität, Ehrgeiz, Pragmatismus und Durchhaltevermögen sowie der Offenheit für Neues in Form einer Akzeptanz von Unsicherheit.

 

Hinweise:

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[1] Rosenthal-Effekt oder die sich selbsterfüllende Prophezeiung, abgerufen am 24.11.19
[2] Digitales Mindset nach Persobloggers.de, abgerufen am 25.11.19

Weitere Quellen:

https://www.bitkom-akademie.de/seminare/digitale-transformation/digitales-mindset-warum-digitalisierung-mehr-ist-als-nur, abgerufen am 24.11.19
https://karrierebibel.de/mindset/#fixed-mindset-und-growth-mindset-nach-carol-dweck, abgerufen am 24.11.19

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Barbara Hilgert
Barbara Hilgert

Barbara lebt in Schleswig-Holstein und arbeitet in Berlin & Lübeck. Sie ist agile Coach, berät kleine und mittelständische Unternehmen zur Thematik der digitalen Transformation und hat viel Know-how in den Bereichen Teamentwicklung und (New) Learning. „Wissen teilen ist Macht“ ist nicht nur ihre Lebensmaxime, die Entwicklung dieses Mindsets ist auch das Ziel ihrer Beratungen und Qualifizierungen: Die Ausbildung eine der Kernkompetenzen für die Zukunft der Arbeit  und eine wichtige Voraussetzung für die kollaborative Netzwerkarbeit und „Neues Lernen“.