Motive beim Storytelling in Veränderungsprozessen

Gastbeitrag von | 28.08.2023

Storytelling hat sich in den letzten Jahren zu einer Wunderwaffe für alle Unternehmensbereiche entwickelt. Von Marketing und Vertrieb über Trainings bis hin zum Recruiting setzen Kommunikatoren auf die Kraft der Geschichten. Nur in der Kommunikation von Veränderungsprozessen wird es bisher noch stiefkindlich behandelt, obwohl es uns im Blut liegt, unsere Mitmenschen durch das Erzählen von Geschichten zum Umdenken oder anders handeln zu bewegen.

Damit Storytelling in der Change Kommunikation funktioniert, reicht es jedoch nicht aus, einfach eine spannende Geschichte zu erzählen und zu hoffen, dass sie alle erreicht und anspricht, oder dass die Empfänger gar genau die Botschaft rausziehen, die sich das Projektteam wünscht. Es kommt vielmehr auf die einzelnen Elemente an, die von Anfang an sitzen müssen, weil ein Nachbessern in diesem Bereich nur schwer möglich ist. Darunter fällt, dass die Change Story einen echten Bezug zum Projekt benötigt und in den Details so ausgearbeitet ist, dass sie die Menschen im Unternehmen tatsächlich berührt.

Die Motive der Menschen, die von der Veränderung betroffen sind, gehören zu diesen Details. Interessanterweise werden die Grundmotive in jedem Unternehmen ein wenig anders sichtbar.

Menschliche Grundmotive im Zuge von Veränderungsprozessen

Der Verhaltens- und Sozialpsychologe David Clarence McClelland beschreibt in seinem Buch „The achieving society“¹ drei wesentliche Motive, die auch im Zuge von Veränderungsprozessen wichtig sind:

  • Zugehörigkeit,
  • Macht und
  • Leistung.

Zugehörigkeit

Wir alle streben nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Mit Zugehörigkeit verbinden wir Sicherheit, Geborgenheit, Zuwendung und Freundschaft. Für den Geschäftskontext mag diese Aufzählung auf den ersten Blick merkwürdig anmuten, doch äußert sich Zugehörigkeit schon in kleinen Situationen. So fühlen wir uns schnell denjenigen zugehörig, mit denen wie bspw. gemeinsam lachen, eine Kaffeepause halten oder die uns ein Dokument vom Drucker mitbringen.

Macht

Das Machtmotiv scheint zuerst ein gegenteiliges Motiv zu sein. Es beschreibt das Bestreben einer Person, den eigenen Willen in einer Gruppe durchzusetzen, wenn nötig auch gegen Widerstände. Jedoch sichert uns genau das die Individualität, die wir in der Gruppe brauchen, um weiterhin sichtbar zu bleiben.

Leistung

Das letzte der drei am besten erforschten Motive ist das Leistungsmotiv. Damit verbunden ist das Erreichen von individuellen Zielen, Fortschritt, Kreativität und Abwechslung. Es zeigt uns unsere Selbstwirksamkeit und damit häufig den Wert in der Gruppe auf. Und auch, wenn es sich unter anderem im Wunsch nach Abwechslung äußert, kann es im Veränderungsprozess durchaus kritisch sein, wenn dieses Motiv nicht angesprochen wird.

Wir alle tragen diese Motive und die damit verbundenen Bedürfnisse in unterschiedlichen Ausprägungen in uns und meist halten sie sich die Waage.

Mögliche Auswirkungen einer Veränderung

Veränderungen wirken manchmal banal, für viele Betroffene stellen sie jedoch eine Überraschung dar. Die Change Kurve nach Kübler-Ross² zeigt ganz richtig, dass ein Mensch in einer Veränderung mit einem Schock startet und dann in das Tal der Tränen fällt. So dramatisch, dass echte Tränen fließen, muss es natürlich nicht sein. Doch in einem Veränderungsprozess werden die Karten neu gemischt, was immer mit Verunsicherung und Ungewissheit zu tun hat.

Wenn Führungskräfte bisher im Alltag die Motive einzelner Personen nur unbewusst bedienen konnten, dann reicht dies in unsicheren Zeiten meist nicht mehr. Schnell ist das Umfeld stärker mit sich selbst und der eigenen Reaktion auf die Veränderung beschäftigt, schnell sorgen Veränderungen für Verunsicherung. Und das hat Konsequenzen:

  • Menschen, denen Zugehörigkeit besonders wichtig ist, haben Sorge, alleingelassen zu werden.
  • Das Machtmotiv zeigt sich im vermehrten Bestreben, Kontrolle über Prozesse oder Menschen zu behalten.
  • Und wem Leistung besonders wichtig ist, verspürt schnell die Angst vor Schwäche oder Unfähigkeit.

All diese Auswirkungen lassen sich auch schon in ganz einfachen Veränderungsprojekten beobachten, bspw. bei der Einführung einer neuen Software:

Ein älterer Kollege lehnt die neue Software innerlich ab. Er mag die Benutzeroberfläche nicht, alles scheint nun irgendwo anders zu sein und überhaupt sind die neuen Features viel zu umständlich zu bedienen. Sein Büronachbar, mit dem er sich sonst wunderbar versteht, zieht die Augenbraue hoch: Wie kann das sein, das neue Programm ist doch super – modern, übersichtlich und schnell. Der ältere Kollege ist verunsichert. Liegt es an ihm? Er traut sich nicht mehr, seine Bedenken laut zu äußern. Aber vielleicht kommt auch sein Kollege von selbst noch darauf, wie viel besser das frühere Programm war.

Eine Führungskraft vermisst das alte Programm, in dem sie regelmäßig Reports ziehen konnte. Die neuen Reports sehen anders aus. Die Zahlen setzen sich jetzt anders zusammen und irgendwie kommen sie ihr nicht richtig vor. Haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen jetzt etwa die Möglichkeit, ihre Zahlen zu schönen? Da muss sie noch einmal genauer hinsehen und bittet alle Teammitglieder in Einzelgespräche.

Eine andere Kollegin mochte die Freiheit, die sie bisher hatte, jeden Fall individuell bearbeiten zu können. Mit der neuen Software sind die Prozesse und damit ihr Aufgabenbereich klar abgegrenzt. War es nicht immer gut, wie sie bisher im Kundensinne entschieden hatte? Anfangs fühlt sie sich nur in ihrer Kreativität beschnitten, doch je länger sie darüber nachdenkt, hält sie ihre Arbeit für wenig herausfordernd, fühlt sich nutzlos und einfach ersetzbar.

Und was können Sie in einer solchen Situation tun? Ich würde aktiv Storytelling betreiben und eine individuelle, durchdachte Change Story erzählen.

Wie eine Change Story die Motive anspricht

Wollen Sie sich ernsthaft mit der Entwicklung Ihrer Change Story befassen, dann empfehle ich Ihnen die Nutzung eines Protagonisten. Meiner Meinung nach hat er die wichtigste Rolle in der gesamten Change Story inne.

Die Nutzer und Nutzerinnen identifizieren sich mit dem Protagonisten und wollen ebenso wie er die Hindernisse überwinden, die sich ihm in den Weg stellen. Die Kommunikation der Motive fällt in dem Zusammenhang also schnell auf fruchtbaren Boden. Da jeder Mensch die zuvor genannten Motive in sich trägt, darf auch der Protagonist in Situationen stecken, in denen mal das eine, mal das andere Motiv angesprochen wird. Das kann bedeuten, dass sie entweder bei ihm selbst angekratzt sind, oder dass er damit umgehen muss, was bei Menschen in seinem Umfeld passiert. Und da Sie die Change Story am besten in kurzen Episoden erzählen, können Sie einzelne auf bestimmte Motive ausrichten.

Alle Motive können entweder von einer Partei in der Change Story aktiv angegriffen oder besonders gefördert werden. Immer wieder passiert dies in Erzähungen auch ohne absichtliches Zutun. Ein paar Beispiele aus Filmen zeigen, wie das aussehen kann:

  • In „Der Herr der Ringe“ entscheidet sich Frodo, selbst die Gemeinschaft des Ringes zu verlassen und die Reise allein fortzusetzen (Zugehörigkeitsmotiv).
  • Im Pixar-Film „Bolt“ wird der Protagonist, ein Hund, durch eine Verkettung ungünstiger Umstände von seinem Menschen getrennt und unbemerkt ans andere Ende der USA befördert (Zugehörigkeitsmotiv).
  • Die Figur „Morpheus“ in der „Matrix“-Reihe hat sowohl die Macht darüber, Menschen aus der Matrix zu befreien, als auch die Möglichkeit, den Rat zu einem Manöver zu zwingen, von dem die Ratsmitglieder nicht angetan waren (Machtmotiv).
  • Der junge Wissenschaftler John Nash in „A beautiful mind“, gespielt von Russell Crowe, hat sich zum Ziel gesetzt, nicht weniger als eine herausragende Entdeckung zu machen. Bis er das „Nash-Gleichgewicht“ beschreibt, kann und will er seine Doktorarbeit nicht abschließen (Leistungsmotiv).

Natürlich müssen Sie die Change Story und ihren Protagonisten nicht so tiefgehend und umfassend gestalten, wie dies in den genannten Filmen passiert, dennoch sollten Sie sich mit den Motiven in Ihrer Geschichte beschäftigen. Damit Ihre Change Story glaubwürdig und damit erfolgsorientiert bleibt, sind folgende Punkte besonders wichtig:

1. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Motiven

Der Protagonist sollte nicht der machthungrige Tyrann sein, der im Laufe der Zeit zu einer umsichtigen und vertrauenden Führungspersönlichkeit wird. Das nimmt Ihnen niemand ab. Ebenso wenig darf der Protagonist ewig unsicher im Bezug auf die eigenen Leistungen sein und sich mit einem Mal als Retter des Unternehmens wiederfinden, so etwas passiert eher im Märchen. Und auch eine Hauptfigur, die sich lange als traurigen Einzelgänger gesehen hat und plötzlich bemerkt, dass ihr Umfeld schon lange nur aus Fans bestanden hat, ist wenig glaubwürdig.

Das kommt Ihnen übertrieben vor? Täuschen Sie sich nicht. Im Eifer des Gefechts und wenn man ganz tief in der Entwicklung der Geschichte steckt, passiert das häufiger, als man glauben mag.

Behalten Sie also einen kühlen Kopf und betrachten Sie Ihre Change Story immer wieder mit ein wenig Abstand. Sind die Motive ausgewogen? Werden alle in kleinen und alltäglichen Situationen angesprochen, anstatt das Leben des Protagonisten zu überschatten? Und würden Sie sich diese Story noch selbst glauben?

2. Die Motive schaden dem Protagonisten nicht

Wenn Sie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den einzelnen Motiven schaffen, dann ist dabei auch wichtig, dass die Motive den Protagonisten nicht in seinem Ansehen schaden.

Sein Umfeld sieht ihn kritisch und reagiert auf die ausufernden Bedürfnisse. Es kann auch hier und da zu Konflikten kommen. Das ganze Ausmaß der verletzten Motive und die größte Kritik passieren jedoch im Kopf des Protagonisten.

3. Die Motive und die Bedürfnisse daraus müssen bedient werden

Der Protagonist darf kein Übermensch sein (sofern er denn ein Mensch ist). Im Gegenteil, er darf mit sich und der Situation hadern und Höhen und Tiefen erleben, denn so können sich Empfänger und Empfängerinnen der Change Story mit dem Protagonisten identifizieren.

Das bedeutet auch, dass er ein Recht darauf hat, dass seine Motive und die Bedürfnisse, die dadurch entstehen, bedient werden. Auch wenn er zeitweise allein unterwegs ist, sich ohnmächtig oder nutzlos fühlt, darf er wenigstens am Ende der Episode seine Selbstwirksamkeit wiedererkennen, ein wenig Macht erlangen und sich in einer Gemeinschaft wiederfinden.

Schließlich ist es das, was sich auch die Nutzer und Nutzerinnen für den Veränderungsprozess wünschen: Nach der unsicheren Phase folgt eine neue Sicherheit und die Situation wandelt sich für die Beteiligten zum Positiven.

Was Sie von Storytelling mit Change Storys erwarten können und was nicht

Storytelling ist ein mächtiges Tool, auch und gerade in Veränderungsprozessen. Wenn ich jetzt Ihr persönliches Machtmotiv anspreche, passiert das eher zufällig, doch tatsächlich sollten Sie sich auch der Grenzen dieser Macht bewusst sein:

Mit einer guten Change Story haben Sie die Möglichkeit, viele Kollegen und Kolleginnen anzusprechen, die sonst für Veränderungen nicht empfänglich wären. Doch auch mit Storytelling sollten Sie sich nicht ausmalen, wirklich alle Betroffenen „mitnehmen“ zu können, denn das wäre wohl eher ein Märchen. Und wer glaubt schon an Märchen im Zuge von Veränderungsprozessen?

 

Hinweise:

[1] David C. Mcclelland: The Achieving Society
[2] Elisabeth Kübler-Ross: On Death and Dying

Stephanie Selmer hat ein sehr nützliches, lesenswertes Buch über Storytelling und Change Storys geschrieben: Change Storys – Storytelling in Veränderungsprozessen.

Change Storys - Storytelling in Veränderungsprozessen

Im t2informatik Blog hat sie einige interessante Details zum Inhalt des Buchs, zu ihren persönlichen Motiven und zu den Zielpersonen verraten.

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Stephanie Selmer
Stephanie Selmer

Starke Unternehmen setzen für Weg in die Zukunft nicht nur auf neue IT-Systeme, sondern besonders auf ihre Mitarbeiter. Stephanie Selmer unterstützt Organisationen bei Veränderungen, bei der Verbesserung der Zusammenarbeit, beim Erreichen gemeinsamer Ziele und der Suche nach IT-Fachkräften. Zu ihren Kunden gehören mittelständische Unternehmen aus allen Branchen, die in der Digitalisierung eine Chance erkennen und ihre Mitarbeiter damit stärken wollen.