Mit Working Out Loud Kompetenzen für agiles Arbeiten entwickeln

Gastbeitrag by | 08.07.2019

Working Out Loud – WOL: drei Buchstaben, fünf Kernprinzipien, zwölf Wochen. WOL taucht immer häufiger insbesondere im Kontext von New Work und digitaler Transformation auf. Es gibt eine große Community von begeisterten „WOLlies“ und viele Unternehmen, die große Hoffnung in diese Methode setzen. Aber was genau ist das eigentlich und kann Working Out Loud auf dem Weg zu einer agil arbeitenden Organisation helfen?

Was ist WOL und wie funktioniert es?

Vier bis fünf Menschen treffen sich einmal pro Woche für eine Stunde – digital oder analog – über einen Zeitraum von zwölf Wochen, um sich dabei zu unterstützen, individuell gesetzte Ziele zu erreichen. Innerhalb dieser 12 Wochen orientieren sie sich an den sog. Circle-Guides¹, die in unterschiedlichen Sprachen kostenfrei zur Verfügung stehen. Die Methode definiert ein Peer-Coaching in einem “Schutzraum” – dem Circle -, in dem selbstorganisiert (mit Unterstützung der anderen) gelernt wird.

Die 12 Guides unterstützen Schritt für Schritt das Erreichen der individuellen Ziele mithilfe von Übungen und zielen langfristig auf eine Einstellungs- und Verhaltensänderung ab. Das Ziel selbst ist dabei nicht so wichtig, sondern dient eher als eine Art Vehikel, um über die 12 Wochen „bei der Stange zu bleiben“ und den Lernprozess durchzuführen. Es kann daher im Laufe des Prozesses auch angepasst werden.

Die erlernten Techniken helfen dabei, durch den Aufbau und die Nutzung eines verlässlichen Netzwerks, die eigene Arbeit sichtbar(er) zu machen. So viel zur Theorie.

Die Wirkung von WOL

Immer dann, wenn wir neue Dinge lernen, insbesondere, wenn es darum geht, unser Verhalten langfristig zu verändern, brauchen wir Übung und ausreichend viele erfolgreiche Wiederholungen bis sich die neuen Verhaltensweisen etabliert und automatisiert haben.

In einem WOL-Circle erhält jede*r Teilnehmer*in immer wieder positive Verstärker und die Motivation, weiter zu machen. WOL schafft damit im Idealfall eine Grundlage für dauerhafte Verhaltensänderung von Individuen. Sie lernen Vernetzung (und was Vernetzung für sie an Vorteilen bringt), Kollaboration und üben sich im sozialen Lernen (von anderen / mit anderen zusammen lernen durch Peer-Coaching). Damit ist WOL eine vergleichsweise günstige Personalentwicklungsmaßnahme (12 x 1 h entspricht einer Trainingsmaßnahme von ca. anderthalb Tagen, jedoch OHNE Organisationskosten für Fahren oder Hotelübernachtungen).

Darüber hinaus ermöglicht WOL durch den eigeninitiierten Lernprozess und dem damit einhergehenden (vermutlich) stärkeren Kontextbezug eine bessere Transfersicherung. Heißt im Klartext: ich lerne die für mich wirklich relevanten Dinge und nutze sie ggf. direkt in meinem beruflichen Kontext.

Hinzukommt der für das Unternehmen völlig kostenlose Multiplikatoren-Effekt einer Graswurzelbewegung: Schaut man in die einschlägigen Communities, so ist das Begeisterungspotential der WOLlies groß. Viele sind schnell von der Methode überzeugt und intrinsisch motiviert, diese Erfahrung den Kolleginnen und Kollegen ebenfalls zu ermöglichen.

Beide Effekte können in der Ausbildung eines neuen Mindsets der Mitglieder von Organisationen münden, nämlich der Erkenntnis, dass „Wissen zu teilen, Macht ist“, und dass die Weitergabe von Know-how wertgeschätzt wird, zumindest innerhalb des Circles und der WOL-Community.

WOL kann die Kommunikationskultur in Unternehmen verändern

Die Übungen bei WOL zielen in der Regel auf die Reflexion des eigenen Kommunikationsverhaltens bzw. des eigenen Kompetenz-Portfolios ab. Basis des Ganzen ist ein respektvoller Umgang miteinander und eine wertschätzende Kommunikation, begleitet von Empathie und (vernetzter) Schwarmintelligenz: Der Vorteil: Die Circle-Mitglieder können sich mit der Unterstützung der anderen schneller neue Themen erarbeiten. Oftmals wird im Zuge der Circle-Teilnahme sogar gelernt, anders (über Hierarchiegrenzen hinweg) zu kommunizieren bzw. unabhängig von Abteilungs- (Silo-)Grenzen zusammen zu arbeiten.

Erreicht die WOL-Community innerhalb eines Unternehmens eine kritische Masse bzw. nehmen Opinion Leaders dieses Verhalten an und leben es vor, kann dieses neue Kommunikationsverhalten sogar die Unternehmenskultur positiv verändern. Zumindest wenn man Luhmanns Systemtheorie folgt, die besagt, dass Organisationen aus der Kommunikation der Mitglieder bestehen und dass Unternehmenskultur nur ex post entsteht bzw. sich verändert.

Sicherheit durch Struktur und gemeinsame Basis

Die Circle-Guides bieten Struktur, Sicherheit und insbesondere Komplexitätsreduktion, genauso wie der Scrum-Guide dem Scrum-Team. Erfolgskritisch ist es jedoch, trotz dieser Struktur, ein gemeinsames Verständnis sicher zu stellen.

Aus meiner Erfahrung ist selbst in Gruppen, die alle der gleichen Profession angehören, nicht automatisch sichergestellt, dass alle dasselbe meinen, wenn sie über ein Thema sprechen. Teilweise wird auch bei einem Team aus Experten ein Fachbegriff unterschiedlich verstanden und interpretiert.

WOL hilft, zu üben, sich in die Perspektive des anderen hineinzuversetzen und ein gemeinsames Verständnis, eine gemeinsame kommunikative Basis zu erlangen. Darüber hinaus kann WOL als individueller Lernprozess dabei unterstützen, die Kollaborationsfähigkeit der Mitarbeitenden im organisationalen Kontext zu stärken (im privaten Kontext ist es für viele längst selbstverständlich). Denn: Wer morgen agil arbeiten möchte, braucht nicht nur (ggf. digitale) Tools, sondern auch das richtige Mindset und das richtige Skillset in Form von Kommunikationskultur und Verhaltensweisen der Mitarbeitenden. Und genau an diesem Punkt kann der WOL-Ansatz helfen, eine Basis für agile Zusammenarbeit zu schaffen.

Die fünf Kernprinzipien von WOL bezogen auf agile Zusammenarbeit

1. Großzügigkeit: Bei WOL wird das Geben, ohne dafür etwas zu erwarten, groß geschrieben. Im gesamten WOL-Prozess geht es um die gegenseitige Unterstützung und das Peer-Coaching. Hat man das gelernt und verinnerlicht, fällt es im Scrum-Team ggf. leichter, die Regel „wir teilen untereinander unser Wissen“ zu etablieren, so dass das Team schneller von der Storming- in die Norming-Phase übergehen kann. (Hier finden Sie einen Beitrag zur Teambildung in Scrum.)

2. Zielorientierung/zielgerichtetes Entdecken: Wie dargestellt, ist die Zielsetzung bei WOL deshalb relevant, weil dieses Ziel die Circle-Teilnehmer*innen durch den gesamten Prozess zieht. Das Ziel muss immer wieder dazu motivieren, weiter zu machen, und 12 Wochen lang (in einem Circle) an sich selbst zu arbeiten. Die einzige (aber lerntheoretisch sehr effektive) Konsequenz der Nicht-Erreichung des Zieles bei WOL ist es, dass oftmals ein weiterer Circle angestrebt und der selbstorganisierte Lernprozess wiederholt wird.

Ebenso wichtig ist die Zielsetzung bspw. bei Scrum, am Ende jeden Sprints mindestens ein funktionierendes Teil eines Gesamtproduktes erstellt zu haben. Auch dieses Ziel schafft die Motivation, schnell und konzentriert zu arbeiten. Die Nicht-Erreichung des Scrum-Ziels hat zur Konsequenz, dass es in der nächsten Iteration überdacht und im Team gemeinsam eine neue Zielkategorie entwickelt wird.

3. Sichtbare Arbeit & Transparenz: sind für Scrum & Co. unerlässlich und ebenso der Grundpfeiler von WOL, schließlich geht es darum, „laut zu arbeiten“. Transparenz ist die Voraussetzung für ein stetiges Inspect & Adapt. Die dafür erforderliche Fehlerkultur und Feedback-Kompetenz kann ebenfalls im WOL-Prozess gelernt bzw. geübt werden.

4. Lebens langes Lernen/growth mindset: WOL schafft jedes Mal aufs Neue Anknüpfungspunkte für neue Wissensstrukturen und fördert auf diese Weise das positive Erleben von neuen Erfahrungen bzw. die sog. „Offenheit für Neues“, die relevant für den (positiven) Umgang mit Veränderung ist. Agilität heißt im Prinzip aber genau das: sich immer wieder auf neue Gegebenheiten einzustellen und ggf. einen anderen Weg einzuschlagen. „Offenheit für Neues“ ist somit relevant für das psychologische Gleichgewicht der Teammitglieder.

5. Ein belastbares Netzwerk/Beziehungen: Respekt, Offenheit und Mut sind nicht umsonst Werte von Scrum, sie sind besonders wichtig, um eine agile Haltung einnehmen und verinnerlichen zu können. Ohne diese Grundwerte wird eine erfolgreiche crossfunktionale Zusammenarbeit und Kollaboration auf Augenhöhe schwierig. Ebenso wichtig sind diese Werte für WOL, wo gleich zu Beginn festgelegt wird, dass über Inhalte des Circles nicht mit Außenstehenden gesprochen wird. Auch braucht es Mut, um sein Netzwerk zu erweitern und evtl. Personen zu kontaktieren, die man bislang immer nur von Ferne bewundert hat.

WOL hilft dabei zu erkennen, wie wichtig die Beziehung und Beziehungspflege zum Kunden, zu weiteren Stakeholdern und zu den Teammitgliedern ist. Ohne diesen konstruktiven Austausch kann kein empirisch optimierter, iterativer Prozess entstehen. Auch wenn Techies evtl. ein breites, verlässliches Netzwerk nicht für nötig halten, können sie Dank WOL die positive Erfahrung machen, dass der Austausch mit anderen zu neuen, innovativen Lösungen führen kann, bzw. evtl. hilft, in der nächsten Iteration noch schneller und effektiver zu guten Ergebnissen zu kommen.

Working Out Loud als Kompetenzentwicklung für agiles Arbeiten

„Wissen teilen ist Macht“ ist nicht nur der Leitsatz von WOL, sondern meiner Ansicht nach auch der implizite Leitsatz des agilen Manifests: Die Interaktion und die Kommunikation im Team und mit den Kunden ist immer wichtiger, als der Prozess selbst.

Offene, wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe und ein gemeinsames Verständnis ist dabei unerlässlich ebenso wie die Reflexion des eigenen Kommunikationsverhaltens (inklusive Selbst- und Fremdbild). WOL hilft, hier Know-how und Routinen zu entwickeln und kann auf diese Weise die agile Zusammenarbeit unterstützen.

 

Hinweis:

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[1] Die Circle-Guides können Sie kostenfrei unter https://www.workingoutloud.com/ herunterladen.

Quellen und Inspiration für den Artikel:

https://ilonalibal.com/wie-working-out-loud-agiles-mindset-foerdert-ein-praxisbericht, abgerufen am 22.06.19
https://www.inspectandadapt.de/working-out-loud-ist-keine-change-methode/#.xrzweyvoliu, abgerufen am 27.06.19
https://www.inspectandadapt.de/es-geht-nicht-um-selbstorganisation/#comment-8072, abgerufen am 27.06.19

Barbara Hilgert hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.

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Barbara Hilgert
Barbara Hilgert

Barbara lebt in Schleswig-Holstein und arbeitet in Berlin & Lübeck. Sie ist agile Coach, berät kleine und mittelständische Unternehmen zur Thematik der digitalen Transformation und hat viel Know-how in den Bereichen Teamentwicklung und (New) Learning. „Wissen teilen ist Macht“ ist nicht nur ihre Lebensmaxime, die Entwicklung dieses Mindsets ist auch das Ziel ihrer Beratungen und Qualifizierungen: Die Ausbildung eine der Kernkompetenzen für die Zukunft der Arbeit  und eine wichtige Voraussetzung für die kollaborative Netzwerkarbeit und „Neues Lernen“.