GOOD WORK – Prinzipien guter Zusammenarbeit
New Work ist in aller Munde. Doch was bewegt Menschen wirklich, wenn sie New Work hören, wenn sie damit in Berührung kommen? Kann der Gedanke, die Idee einer neuen Arbeitswelt echte Begeisterung entfachen?
Die Realität von New Work heute: Enthusiasmus auf der einen Seite trifft auf Augenrollen und Entnervtsein auf der anderen Seite. Aus guten Gründen:
- Das, was ursprünglich von Frithjof Bergmann in den 1980er Jahren als große Sozialutopie entworfen wurde, hat sich zwischenzeitlich in weiten Teilen zu einem Eigennamen ohne prägnanten Kern entwickelt. Irgendwo zwischen Selbstbestimmung, Homeoffice, Obstkorb und Agilität quetscht sich das Phänomen und erzeugt zunehmend Orientierungslosigkeit.
- Vielleicht liegt es auch ein Stück weit an dem Wörtchen “New”. Für empfindsame Ohren mag der Imperativ zum “Ewig Neuen” klingen wie eine Art mentale Räumungsklage.
Kurze Erinnerung: Neu allein macht nichts besser, geschweige denn gut. Dieses Gut sollte der Fokus sein, wenn wir über zukunftsfähige Arbeitskultur, über GOOD WORK sprechen.
GOOD WORK als moderierende Perspektive auf New Work
GOOD WORK¹ lenkt den Fokus auf das, was gut funktioniert, was hilfreich, zweckdienlich, zielführend und sinnstiftend ist. Es geht um gute Zusammenarbeit und um gute Ergebnisse.
GOOD WORK ist in erster Linie keine weiterer Methodenhype, kein modischer Gegenentwurf zu New Work. Es ist der realpolitische Blick darauf, wie eine zukunftsfähige Arbeitskultur gestaltbar wird. Dabei setzt GOOD WORK dort an, wo jedes Unternehmen, jedes Team, letzten Endes jeder Mensch aktuell steht. Was gilt es zu bewahren? Was gilt es zu adjustieren? Wovon müssen wir uns verabschieden? Und wohin wollen wir eigentlich steuern?
Das inhaltliche Gerüst von GOOD WORK sind folgende fünf Prinzipien. Sie werfen Schlaglichter auf die Ausgestaltung einer Arbeitskultur, die gleichermaßen zu den Menschen und die Zeit passt und sie in die Zukunft trägt.
1. Gelungene Beziehungsgestaltung
Fragen: Wie treten wir in Verbindung, wie bauen wir ein Netz an vertrauensvollen Beziehungen auf und verstärken es?
Essenz: Das Prinzip der gelungenen Beziehungsgestaltung lässt sich mithilfe von fünf Aspekten entblättern:
- Verbindung,
- Vernetzung und Verhältnis (äußeres, inneres),
- Verständnis,
- Verbundenheit und
- Vertrauen.
Wir brauchen ein weit verzweigtes und zugleich stabiles Netz an Beziehungen, das von Vertrauen getragen ist. Dabei sind Räume für zufällige Begegnungen und Kommunikation ohne Vorsatz ebenso wichtig wie der intensive fachliche und vertrauensvolle Austausch im engeren Referenzrahmen. Die Mischung aus beidem erhöht die Bindungsqualität innerhalb von Unternehmen und ist identitätsstiftendes Element für alle, die in Unternehmen mehr sehen als einen beliebigen Arbeitgeber.
Bindungsbereitschaft und Bindungskompetenz sind Future Skills. Die Fähigkeit, Vertrauen in ein System, in einen Menschen zu geben, Empathie zu zeigen, wird zur Schlüsselkompetenz in einer vernetzten Arbeitswelt.
Fokus: Netzwerke, Kommunikation, Interaktion.
2. Flexible Strukturen
Fragen: Welches Maß an Autonomie und Flexibilität brauchen wir? Wieviel Strukturen braucht unser System? Wie gelingt eine Balance?
Essenz: Polykrisen und steigender Veränderungsdruck verlangen von uns viel Flexibilität. Das trainiert und hinterlässt seine Spuren bei den Menschen. Sie erleben deutlich mehr Gestaltungsräume und erheben in der Konsequenz mehr Anspruch auf Autonomie, auch in der Gestaltung ihres Alltags und ihrer Arbeitsrealität.
Gleichzeitig braucht es das ordnende Element von Strukturen, die Stabilität und Halt gewährleisten.
In vielen Unternehmen lässt sich gerade ein Ringen und Austarierenn zwischen Autonomie und Eingebundensein beobachten. Beide Aspekte kennzeichnen ein an sich urmenschliches Bedürfnis, das jedoch in seiner Überhöhung eine leere Organisationshülle zurücklässt.
Die aktuelle Debatte über die Arbeit im Homeoffice zeigt, wie anspruchsvoll die Balance zwischen diesen Aspekten ist. Diese Spannung gilt es durch einen Dialog zu moderieren und Abstand von One-fits-All Lösungen zu nehmen. So zielen beispielsweise unternehmensweite, holzschnittartige Regelungen zu Arbeitsort und Arbeitszeit ins Leere. Es braucht den vernünftigen Diskurs, u.a. welche Arbeit an welchem Ort bestmöglich gelingen und welchen Mehrwert das Büro der Zukunft leisten kann. Hier sind Beziehungsgestaltung und Erleben von echter Co-Kreation an erster Stelle zu nennen. Flexible Strukturen sind kontextgerecht und passen sich den spezifischen Gegebenheiten, An- und Herausforderungen einzelner Wirkungsfelder an.
Fokus: Rahmenbedingungen, vor allem mit Blick auf räumliche und zeitliche Gestaltung von Arbeit.
3. Digitale Balance
Fragen: Wo bewegen wir uns zwischen analog und digital? Gibt es auch etwas jenseits von hybrid, vielleicht digital-integral?
Essenz: Digitale Balance als Prinzip rückt in den Blick, denn es geht um mehr als nur die Trennung zwischen analog und digital. Auch das Bild von “hybrid” ist an manchen Stellen irreführend, weil es lediglich die Kopplung zweier getrennter Zustände vorsieht. Hier digital, dort analog. Digitale Balance zielt verstärkt darauf ab, Digitales und Analoges sinnhaft zu integrieren und die Übergänge zwischen beidem sehr fluide, fast nicht mehr wahrnehmbar zu gestalten.
Das setzt ein hohes Maß an Digitalkompetenz voraus und umfasst auch die Souveränität, genau zu unterscheiden, wann und wo die digitale Sphäre an ihre Grenzen gekommen ist und wo sie ihre Stärken voll ausspielen kann. Eines scheint dabei jetzt schon sicher: Auch künftig wird es rein analoge Räume brauchen.
Ein weiteres Wachstumsfeld der digitalen Balance ist die Bedeutung von asynchroner, digitaler Collaboration. Sie wird mutmaßlich dramatisch zunehmen und den Glaubenssatz in Frage stellen, dass Zusammenarbeit zwingend immer synchrones Abstimmen voraussetzt.
Hypothese: Der Vormarsch der digitalen Sphäre wird paradoxerweise dazu führen, dass der Mehrwert echter Begegnungen steigt.
Fokus: Haltung und Kompetenz im Umgang mit Medien und Tools.
4. Gelebte Agilität
Fragen: Agile Prinzipien² > agile Frameworks. Auch hier gilt: Agilität ist kein Selbstzweck. Leben wir die Prinzipien und bringen sie wertschöpfend ein oder folgen wir stumpf Management-Hypes?
Essenz: Mit dem Begriff der Agilität verhält es sich ein wenig wie mit dem Phänomen New Work: Es hat sich zum Nebelwort entwickelt, das mehr verhüllt als dass es prägnante Lösungsansätze parat hält. Und dabei verspricht Agilität, eine sinnhafte Perspektive auf methodisches, strukturiertes Vorgehen bei komplexen Vorhaben zu bieten. Stattdessen sieht man viel Missverständnisse, Mythen und immer wieder auch Methodenüberhöhung und Methodengläubigkeit im Kontext von Agilität. Gelebte Agilität überwindet diese Methodenfixierung und stellt eher darauf ab, die Prinzipien, die in den unterschiedlichen Konzepten und Frameworks stecken, zu durchdringen und pragmatisch anzuwenden. Vier Fragen leiten dabei durch die relevanten Aspekte von gelebter Agilität.
- Müssen wir agil agieren?
- Können wir agil arbeiten?
- Dürfen wir agil arbeiten?
- Wollen wir agil arbeiten?
Fokus: Methoden und systematische Arbeitsweisen.
5. Denken in Möglichkeiten
Fragen: Wie erkennen, nutzen und verfolgen wir Möglichkeiten? Wie und worauf richten wir unser gemeinsames Tun sinnvoll aus?
Essenz: Denken in Möglichkeiten müsste als Prinzip strenggenommen um das “Handeln” ergänzt werden. Das fünfte Prinzip der Zusammenarbeit weist den Weg in Richtung Zukunft und wie sich unternehmerisches Denken und Handeln in der alltäglichen Bewältigung ausdrückt. Gerade dort, wo der Raum an Möglichkeiten maximal begrenzt erscheint, lässt sich hervorragend beobachten, wie Menschen und Unternehmen dennoch ins Gestalten kommen. Hier zeigt sich folgende, regelhafte Schrittabfolge:
- Gestiegene Achtsamkeit, Wachheit für Probleme, Herausforderungen Chancen im Umfeld, die ich/wir adressieren wollen und können.
- Fokussierung auf die eigenen, vorhandenen Skills, Netzwerken, Ressourcen. Umkehr von Ziel- zur Mittelorientierung.
- Umsetzung, die permanent die Achsen „Totes Pferd reiten“ und „vorschnell alles hinwerfen“ betrachtet.
- Vision. Jedes neue Projekt, jede neue Initiative, Gründung ist von Anfang an von einem Gedanken, einem Ziel angezogen, das oft nicht klar ausgesprochen ist. Eine Vision ist kein statischer Zustand und bedeutet mehr als ein paar strategische Schritte. Denken in Möglichkeiten bedeutet das fortwährende Abgleichen der nächsten Schritte mit dem großen Zielbild.
- Purpose. Der Sinn und Zweck unserer Handlungen – der Purpose³ – wird weder gebildet noch erforscht. Er existiert von Anfang an. Die Herausforderung besteht darin, ihn in Worte zu fassen. Das gelingt um so besser, je mehr wir uns ihm durch produktives Arbeiten nähern.
Fokus: Unternehmerisches Denken, Vision und Purpose.
Zehn Wege für mehr GOOD WORK
Und wie gelingt nun GOOD WORK in der Praxis?
- Schaffen Sie (analoge) Räume für absichtsfreie Begegnungen und Austausch, auch jenseits von Teamgrenzen. Nutzen Sie die Kraft des Zufalls.
- Ermöglichen Sie Peer-to-Peer Learning und sorgen sie mit bereichs- und hierarchieübergreifenden Austausch – am besten auch in kleinen Gruppen – für informelles Lernen, Vernetzen und ein Gefühl der Verbundenheit in einem größeren Ganzen.
- Sorgen Sie für einen Diskurs, wie viel Flexibilisierung von Raum und Zeit Ihre Organisation wünscht und verkraften kann. Formulieren Sie Hypothesen hinsichtlich des Nutzens von flexiblen Arbeitsmodellen und reflektieren Sie dies in regelmäßigen Zyklen.
- Denken Sie weniger in quantitativen Bezügen (3:2 Regel für Homeoffice), sondern mehr in qualitativen Kontexten. Was gelingt uns wo am besten? Wofür braucht es zwingend Präsenz?
- Gemeinsame Präsenztage sollten als mehrwertiger und sinnstiftender Austausch im Team empfunden werden und nicht als Silent-Disco, bei der jeder nach seiner eigenen Musik, in seinem eigenen Tunnel tanzt. Videokonferenz-freie Zeiten an Teamtagen können dabei helfen.
- Erklären Sie hybride Meetings nicht zum bequemen Goldstandard. Sie sind die anspruchsvollste Form von Begegnungsformaten. Hybride Meetings erfordern noch mehr als alle anderen Meetings eine gute Vorbereitung, einen klaren Zweck, optimale Technik und eine Moderation (am besten nicht durch die Führungskraft).
- Entdecken Sie die Kraft asynchroner digitaler Zusammenarbeit. Arbeiten ist viel mehr als Abstimmen. Nicht jeder Prozessschritt braucht ein synchrones Zusammenkommen.
- Methoden sind hilfreich, aber kein Selbstzweck. Werden Sie skeptisch, wenn in Ihrer Organisation der Fokus zu sehr auf die richtige (!) Anwendung der richtigen (!) Methode liegt. Formulieren Sie lieber handlungsleitende Prinzipien, die für Ihr Wirkungsfeld und Ihre Kultur zuträglich sind.
- Gehen Sie gemeinsam auf eine Denken-in-Möglichkeiten-Tour. Welche Aufgaben, welche Herausforderungen sehen Sie, die genau SIE, in Ihrem Team, in Ihrer Organisation angehen können und sollen? Drehen Sie den Spieß einmal um: Statt “Was fehlt uns noch für diese Aufgabe?” fragen Sie sich “Was haben, was können, wen kennen wir, um diese Aufgabe zu lösen?” Von der Ziel- zur Mittel-Orientierung.
- Zu guter Letzt: Verlieren Sie vor lauter strategischen Bemühungen nicht den Blick auf den nächsten Schritt. Der Sinn erschließt sich im praktischen Tun, nicht in einem Workshop.
Hinweise:
[1] GOOD WORK ging im März 2020 zunächst als Feldforschungsprojekt an den Start. Jule Jankowski wollte die Dynamik der Verwerfungen, die sich in der Arbeitswelt vor dem Hintergrund der Pandemie ergaben, aufzeichnen und auswerten. Dazu führte sie 100 Interviews mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Kontexten quer durch die Arbeitswelt. Herausgekommen sind der sehr beliebte GOOD Work Podcast und mit “Zwischen Alt und Neu liegt Gut” ein sehr interessantes Buch.
[2] Das Agile Manifest definiert 12 Prinzipien.
[3] Conny Dethloff hat einen interessanten Beitrag über den Purpose von Unternehmen veröffentlicht.
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Jule Jankowski
Jule Jankowski bringt in vielfältigen Rollen GOOD WORK auf die Bühne, in den Podcast, in die Unternehmen. Mit ihrer Beratungsagentur Humiq GmbH begleitet die systemische Organisationsberaterin Teams und Führungsmannschaften in Transformationsprozessen zu Fragen der Zusammenarbeit und der strategischen Ausrichtung.
Ihr fachlicher Hintergrund ist die Welt der Methoden und Insights. Ihre Karriere führte Jule Jankowski mit Fokus auf empirische Sozialforschung zunächst von der Beratungsindustrie in den Konzern. In ihrem heutigen beruflichen Wirken bringt sie alle diese Perspektiven zusammen: die Analyse gesellschaftlicher und psychologischer Phänomene, die methodische Expertise und den Blick aufs Wesentliche: den Menschen.