Das Lastenheft in der agilen Welt

Gastbeitrag von | 28.09.2020

Lasten- und Pflichtenheft stammen aus dem klassischen Projektmanagement, sind aber auch bei agilen Projekten nicht wegzudenken – denn sie verhelfen Auftraggeber und Dienstleister zu einem gemeinsamen Ziel.

Agile Projekte? Sind eine prima Sache, darauf können sich die meisten heutzutage einigen. Aber wenn aus “agil” eher “wild und chaotisch” wird, wenn keiner weiß, was eigentlich das Ziel ist oder jeder ein anderes verfolgt, dann zeigt sich: Bei aller Flexibilität schaffen Lastenheft- und Pflichtenheft, diese vermeintlich spießigen Helfer aus klassischen Projektmanagement-Zeiten, auch heute die Basis für vertrauensvolle Zusammenarbeit. Sie sind noch immer das “Sicherheitsnetz” für beide Seiten, sorgen für Klarheit und Struktur: Verfolgen alle das gleiche Ziel? Und wie?

Manche Kunden empfinden sie als Gegenpol zur beliebten Agilität. Sie fürchten, dass so kein Raum für Unvorhergesehenes bleibt. Oder sie sich, ohne je ein Teilergebnis gesehen zu haben, in einer Art blindem Treueschwur festlegen müssen. Die Lösung, die Planbarkeit und spontane Anpassungen vereint, das Beste aus beiden Welten quasi, ist: flexibles Anforderungsmanagement. Andere bezeichnen es auch als Backlog – die Anforderungen eben, die es im Projekt abzuarbeiten gilt, die sich aber dynamisch anpassen lassen. Ich nenne es nach wie vor Lastenheft, weil Kunden meiner Erfahrung nach mit diesem Begriff eher etwas anfangen können. Und weil es meiner Meinung nach auch sprachlich zeigt: In agilen Zeiten existieren auch Budget- und Zeitrahmen, und die würdige ich. Bei deren Einhaltung helfen festgelegte Anforderungen – “einfach mal anfangen” auf Basis mündlicher Absprachen mit vermeintlich geklärten Zielen kann ordentlich nach hinten losgehen.

Flexibles Anforderungsmanagement: Das Beste aus klassischer und agiler Welt

Am “klassischen” Ablauf mit

  • Auftragsklärung,
  • Projektplanung,
  • Durchführung und
  • Abschluss

ändert sich erst einmal nichts. Allerdings wird die Zusammenarbeit mit den Kunden enger und besteht kontinuierlich über den gesamten Projektzeitraum. Das Lastenheft ist nach seiner Erstellung nicht fix. Stattdessen entwickelt das Projektteam aus zunächst festgelegten Key Features agil das spätere Endprodukt. Das funktioniert am besten über die gemeinsame Arbeit in digitalen PM-Tools – in denen Lasten- und Pflichtenheft anders als früher nicht immer trennscharf abgrenzt sind.

Wir nutzen agiles, flexibles Anforderungsmanagement besonders bei innovativen Produkten: Bei einem unserer aktuellen Technologie-Projekte schreibt das Team des Kunden zum Beispiel nebenher am Fachkonzept seines Produkts. Wir bleiben flexibel, indem wir neue Anforderungen in wöchentlichen Abstimmungen in das Lastenheft einarbeiten. So entsteht eine Verbindlichkeit, die Projekten gut tut. Denn keiner kann lange “abtauchen”, alle Beteiligten kennen stets den aktuellen Projektstand und vor allem: das übergeordnete Gesamtziel.

In unserem agilen Arbeitsalltag haben sich einige Punkte herauskristallisiert, die ich als Tipps für andere Projektteams teilen möchte:

#1 Nicht zu wenig, nicht zu viel: Das Lastenheft als gemeinsame Grundlage

Bei unseren Projekten hat es sich bewährt, das Lastenheft gemeinsam zu erarbeiten – der Kunde bringt sein Branchenwissen und seine Wünsche ein, wir unser Technologiewissen und Lösungskompetenz. Das gemeinsame Erstellen, bei dem wir die Wünsche analysieren, geht zügiger über die Bühne als ein Ping-Pong des Konzepts.

Wir spezifizieren bei dieser Analyse gemeinsam alle Anforderungen – fachlich, funktional und visuell – soweit sie sichtbar sind. Gleichzeitig aber nur so weit, wie sie sowohl der Kunde als auch der Entwickler verstehen. Beide Seiten müssen zu hundert Prozent wissen, warum es eine Anforderung gibt und wie sie aussieht. Als Leitfaden dienen dabei User Storys und die Frage: WER soll WAS machen – und MIT WELCHEM Nutzen? Kunden und Entwicklern hilft sie gleichermaßen, Anforderungen stets aus Nutzersicht zu planen.

#2 Der Kunde wünscht, der Entwickler löst: Warum nur der Dienstleister Pflichten hat

Wir beschreiben im Lastenheft initial das jeweilige Ziel der Anforderung – und nicht die Lösung. Denn die können wir als Dienstleister besser entwickeln oder auswählen. Der Kunde kennt zwar sein Unternehmen extrem gut, doch vielleicht nicht alle technischen Möglichkeiten und damit im Zweifelsfall auch nicht den besten Weg zu seinem Ziel.

Trotzdem haben Kunden anfangs oft das Gefühl, die Lösung selbst “mitbringen” zu müssen – ein guter Projektmanager muss es schaffen, Kunden diese gefühlte “Lösungspflicht” abzunehmen. Wenn ein Kunde zum Beispiel glaubt, seine Website brauche einen grünen Button, fragen wir erstmal: Was soll dieser Button können? Welches Problem soll er lösen? Und warum glaubt der Kunde, dass der Button grün sein sollte?

#3 Digitale Tools verbinden: Agiles Anforderungsmanagement mit Jira und Confluence

Wir arbeiten mit den Projektmanagement-Tools Jira und Confluence in Kombination, Lasten- und Pflichtenheft gehen dort zum Teil fließend ineinander über. Über die Tools dokumentieren und organisieren wir Lösungen und Projektetappen. Das Rad muss man dafür nicht neu erfinden: Der klassische Projektstrukturplan bewährt sich und hilft, auch bei Projekten mit zahlreichen Anforderungen den Überblick zu behalten. Dank der Tools ist das Anforderungsmanagement außerdem revisionssicher.

Wir geben Kunden innerhalb der Tools vollen Zugriff auf die gemeinsamen Projekte. Diese Transparenz ist auch eine vertrauensbindende Maßnahme, denn wir bieten ihnen den größtmöglichen Einblick und ständigen Zugriff auf den aktuellen Projektstand. In der Regel können Verantwortliche auf Kundenseite von Haus aus gut und sicher mit den Tools arbeiten.

#4 Richtung ändern erlaubt: Puffer für Change Requests

Wir definieren schon bei der initialen Analyse explizit mit dem Kunden, wie wir im Projektverlauf mit Change Requests umgehen werden. Das heißt: wir berücksichtigen ggf. im Voraus ein Puffer-Budget. Wir nutzen es, wenn sich bei Abstimmungen und dem Prüfen der Projekt-Roadmap Änderungen ergeben, die von den ursprünglich festgelegten Anforderungen abweichen. Es garantiert, dass wir in solchen Fällen nicht extra ein neues Angebot samt Freigabe durchlaufen müssen – und das Projekt wirklich agil bleibt.

Fazit

Die Methodik im Projektmanagement muss immer zum Projekt passen. Aber bestmögliche Planungssicherheit ist für alle Beteiligten gut. Ich habe auch in agilen Zeiten noch keinen Kunden erlebt, der bei der Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern einen Projekt-Blindflug nach dem Motto “Legen wir einfach mal los” anstrebt. Komplett agiles Arbeiten kann sicher bei Projekten wie interner Produktentwicklung funktionieren. Ich glaube aber, dass die Definition von Anforderungen immer Sinn hat, um weder Geld noch Zeit zu verwenden.

Wir setzen deshalb auf das hier geschilderte “Hybrid-Verfahren” aus Lastenheft und agilem Arbeiten: Beim Projektauftakt erstellen wir das initiale Lastenheft mit Grobkalkulation, das aber dynamisch wachsen und sich verändern darf. Dafür ist der erwähnte Budget- und Zeitpuffer für Change Requests essentiell. So vereinen wir klassische und agile Welt und arbeiten sowohl zielstrebig-ressourcenfreundlich als auch dynamisch an Projekten.

 

Hinweise:

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Philipp Menzel
Philipp Menzel

Philipp Menzel kennt als früherer Webentwickler und Teamleiter Projektanforderungen aus ganz verschiedenen Blickwinkeln. Beim Dresdner IT-Unternehmen 3m5. verantwortet er inzwischen als Projektleiter agile Projekte für große Marken und betrachtet dabei die beteiligten Menschen und Unternehmen als Dreh- und Angelpunkt.