Auch New Work braucht Eignungsdiagnostik

Gastbeitrag von | 04.07.2022

Eignungsdiagnostik – ein professionelles Handwerkszeug zur Bestimmung von benötigen Kompetenzen

In New Work Unternehmen wird so ziemlich alles in Frage gestellt. Auch das Recruiting! Es wird von agiler Personalauswahl gesprochen und es fallen Begriffe wie Peer Recruiting. Grundsätzlich finde ich diese Überlegungen gut. Sie werden meines Erachtens jedoch häufig nicht zu Ende gedacht. Ich habe noch gelernt: Personalauswahl ist Führungsaufgabe. Die Einbindung des Teams bestand maximal darin, dass es nach dem offiziellen Verfahren noch einen Kennenlerntermin gab und vielleicht noch Meinungen erfragt werden. Den Ansatz, Teams beim Recruiting stärker einzubeziehen, finde ich gut. Wichtig ist mir nur dabei, dass sie begleitet werden und das entsprechende Handwerkszeug erhalten.

Peer Recruiting braucht professionelle Begleitung

Warum begleitet? Vielleicht fragen Sie jetzt, warum die Begleitung des Team so wichtig ist, wenn es doch in New Work auch um Selbstorganisation geht. Ja, das stimmt. Deswegen ist Peer Recruiting grundsätzlich auch ein guter Ansatz, denn dadurch wird das Team in den Recruiting-Prozess involviert. Und das beinhaltet

  • die Erstellung eines Anforderungsprofils,
  • die Teilnahme an dem Auswahlprozess und
  • auch ein Mitspracherecht bei der Entscheidung, wer eingestellt werden soll.

Jedoch verlangt Personalauswahl eine gewisse Expertise. Es geht darum, mithilfe entsprechender Methoden eine Voraussage über die berufliche Leistung eines*einer Kandidat*in zu machen. Diese Methodik muss bekannt sein und beherrscht werden. Wird diese Methodik nicht angewendet, wird möglicherweise nicht die geeignetste Person eingestellt. Möglicherweise wird der geeignetsten Person sogar abgesagt, weil man es schlicht und ergreifend nicht merkt, wenn sie vor einem sitzt. Dieses Risiko gilt es durch professionelles Handeln zu minimieren.

Ist jemand nicht geschult, wählt er*sie neue Kolleg*innen hauptsächlich nach Sympathie, Pseudokriterien¹ oder danach aus, dass er *sie sich nicht in seiner*ihrer Kompetenz und seinem*ihrem Platz im Unternehmen gefährdet sieht. Das ist menschlich, jedoch nicht förderlich, wenn ein gut funktionierendes und fachlich starkes Team zusammengestellt werden soll.

Ich halte allerdings auch nichts davon, nun alle Teams fachlich so gut zu schulen, wie ein*e Recruiter*in geschult ist. Teams haben fachliche Aufgaben zu erledigen, für die sie in diesem Unternehmen eingestellt wurden. Sie darüber hinaus auch noch zu professionellen Recruiter*innen machen zu wollen, geht zu weit. Daher meine klare Empfehlung: Teams sollten von einem*r Recruiter*in begleitet werden, der*die

  • für die Stolpersteine im Recruiting-Prozess sensibilisiert,
  • eine professionelle Vorgehensweise sicherstellt und
  • die Entscheidungsfindung begleitet und reflektiert.

 

Eignungsdiagnostik ist ein professionelles Handwerkszeug – auch bei New Work

Und was für Handwerkszeug braucht man jetzt? Ich bin großer Fan der DIN-Norm DIN 33430:2016-07 Anforderungen an berufsbezogene Eignungsdiagnostik.² Im Wesentlichen geht es bei der Eignungsdiagnostik darum, sich im Vorfeld zu überlegen, welche Kompetenzen soll der*die zukünftige Kolleg*in konkret mitbringen? Wie genau definieren wir diese und woran erkennen wir sie? Wie können wir sie in einem Vorstellungsgespräch abfragen?

Beispiel: Der*Die Kandidat*in soll teamfähig sein. Teamfähigkeit bedeutet, unter anderem, Informationen eigeninitiativ mit den Kolleg*innen zu teilen. (Sie können selbst definieren, was für Sie Teamfähigkeit bedeutet.) Wenn die Definition steht, kann die Fragentechnik des Verhaltensdreiecks angewendet werden.

Beispiel: Beschreiben Sie mir eine Situation, in der Sie zuletzt erfolgreich im Team zusammengearbeitet haben?

Kandidat*in erzählt.

Wir erfragen, was der*die Kandidat*in konkret getan hat. Wie hat er*sie sich in der Situation verhalten?

Kandidat*in erzählt.

Wir erfragen, was das Ergebnis dieser erfolgreichen Zusammenarbeit war.

Kandidat*in erzählt.

Klingt einfach, oder? Ist es auch. Allerdings habe ich das hier sehr verkürzt dargestellt und immer wieder stelle ich auch fest, dass es schwierig ist, diese Vorgehensweise konsequent in einem Vorstellungsgespräch durchzuhalten. Vor allem, wenn man nicht so häufig Vorstellungsgespräche führt, weil es nicht zu den eigenen Kernaufgaben gehört. Und damit wären wir wieder bei der zuvor beschriebenen Begleitung!

Hiring for Attitude – Haltung als Einstellungskriterium

Häufig erlebe und höre ich, dass Unternehmen, die sich mit New Work und Agilität beschäftigen, neben den fachlichen Anforderungen auch sehr auf das Mindset des*der Kandidat*in achten. Der Ansatz geht auf das Buch von Mark Murphy “Hiring for Attitude: A Revolutionary Approach to Recruiting and Selecting People with Both Tremendous Skills and Superb Attitude” zurück, welches 2016 veröffentlicht wurde.

Ich möchte mich davon distanzieren, dass es ein richtiges oder falsches Mindset gibt. Jedoch ist unbestritten, dass der*die neue Kolleg*in eine passende innere Einstellung haben und kulturell mit dem Team und dem Unternehmen harmonieren sollte. Dies ist wichtiger als eine fachliche Qualifikation, da diese häufig nachgeschult werden kann.

Oft höre ich, dass man den Kandidat*innen nicht in den Kopf gucken kann und die Passung zum Team und dem Unternehmen erst während der Probezeit herausfindet. Meiner Erfahrung nach kann hier die gleiche Vorgehensweise wie beim Beispiel mit der Teamfähigkeit herangezogen werden. Es geht darum, explizit zu machen, was es genau bedeutet, wenn jemand das passende Mindset hat und woran wir das im Arbeitsalltag erkennen.

Ganz klassisch müssen wir wieder ein Anforderungsprofil erstellen, welches für das Unternehmen im Allgemeinen, aber auch für die zu besetzende Stelle im Speziellen passt. Verhaltensweisen, die ich in der neuen Arbeitswelt für hilfreich halte und die in Vorstellungsgesprächen abgeprüft werden könnten sind:

  • Ist in Netzwerken aktiv und nutzt diese, um seine Themen voranzutreiben.
  • Befindet sich auf einer kontinuierlichen Lernreise und investiert daher selbstgesteuert Zeit ins Lernen.
  • Ist bereit, loszulassen und sich auf die Umstände einzustellen und entsprechend zu reagieren.
  • Ist bereit, Neues auszuprobieren, auch wenn er Gefahr läuft, zu scheitern.
  • Ist in der Lage sich in seine Kund*innen hineinzuversetzen und nimmt deren Bedürfnisse ernst.
  • Denkt ganzheitlich und siloübergreifend, versucht dabei so viele Potenziale wie möglich zu heben.
  • Lebt Werte wie Transparenz, Vertrauen, Selbstverpflichtung, Fokus, Mut, Offenheit, Respekt.
  • Lebt Teamarbeit und Zusammenarbeit.

Diese müssten natürlich noch konkretisiert werden, z.B. für den ersten Punkt:

  • Hat bei der Lösung einer Fragestellung, sein Netzwerk um Unterstützung gebeten und die daraus gewonnen Erkenntnisse in seine Arbeit einfließen lassen. Das kann in Offline-Netzwerken oder in Online-Netzwerken wie Xing, LinkedIn oder Twitter passiert sein.

Die Frage, die wir nutzen könnten, um in das Thema einzusteigen, könnte wie folgt lauten:

  • Erzähle mir, wie du zuletzt bei der Lösung eines komplexen Problems vorgegangen bist?

 

Aber Eignungsdiagnostik ist so Old Work

Ja, die Eignungsdiagnostik stammt aus den 70ern. Frithjof Bergmann hat sein New Work Konzept allerdings auch schon in den 70ern entwickelt, stimmt’s?

Ich bin großer Fan davon, gerne alles zu hinterfragen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Arbeitswelt dringend einen Wandel notwendig hat und wir auch einiges hinter uns lassen sollten. Eignungsdiagnostik steht aus meiner Sicht aber genau für die Menschenzentrierung, die New Work propagiert.

Eignungsdiagnostik unterstützt dabei, die*den neue*n Kolleg*in besser kennenzulernen und eine gute Entscheidung zu treffen. Sie schafft mehr Diversität, weil sie uns hilft, über den Tellerrand unserer eigenen Erfahrungen zu schauen. Sie sorgt dafür, dass die kompetentesten Menschen an der Stelle sind wo sie sein sollten und das kann doch für unsere gesellschaftliche und unternehmerische Transformation nur von Vorteil sein, oder nicht?

 

Hinweise:

[1] Ein Pseudokriterium ist z.B., dass viele Menschen glauben, Menschen, die eine Teamsportart ausüben oder ehrenamtlich tätig sind, wären teamfähig und sozial kompetent. Ein solcher Kausalzusammenhang trifft jedoch nicht zu.
[2] DIN-Norm DIN 33430:2016-07 Anforderungen an berufsbezogene Eignungsdiagnostik
[3] Hiring for Attitude

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Katharina Nolden hat drei weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Moderne Personalauswahl vs. Fachkräftemangel

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t2informatik Blog: Ressourcenorientiertes Personalmarketing

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Katharina Nolden
Katharina Nolden

Katharina Nolden ist Diplom-Pädagogin, Coach der Wirtschaft (IHK) und Scrum Master (scrum.org). Sie bringt mehrjährige Erfahrung aus der Unternehmensberatung und Bildungs-, Energie-, Dienstleistungs- und Gesundheitsbranche mit. Ihr Ziel ist es, als Expertin für moderne Arbeitsformen, die Arbeitswelt zu verändern. Sie berät Organisationen zu den Themen neue Arbeitsformen, digitale Zusammenarbeit, Recruiting und Personalmarketing.