Agilität? Haben wir probiert! Funktioniert nicht! – Teil 3

Gastbeitrag von | 30.01.2020

Warum das durchaus so sein kann: Ein Überblick in mehreren Teilen

​“Agilität um der Agilität willen” ist nicht immer eine gute Idee und kann in manchen Fällen sogar gefährlich werden. Im ersten Artikel meiner kleinen Serie über Agilität in Unternehmen ging es vor allem um die Frage, ob Agilität überhaupt der passende Ansatz für Organisationen ist und falls ja, welcher konkrete Ansatz auf welche Situation passen könnte. Im zweiten Teil ging es vor allem um typische Probleme bei der Einführung und Umsetzung von Agilität. In dieser dritten Folge möchte ich den Fokus vor allem auf die Menschen selbst legen.

Auch dieses Mal werde ich weder eine universelle Lösung noch ein Kochrezept für erfolgreiche Agilität liefern können. Die eine oder andere aufmerksame Leserin wird vielleicht erkennen, dass sich meine Argumente teilweise widersprechen. Willkommen in der Realität: Mehrdeutigkeit bzw. Ambiguität ist – je nach Experte – eine Ausprägung oder ein Begleiter von Komplexität, jedenfalls unvermeidbar. Und dennoch bin ich überzeugt, dass der geneigte Leser mit dem einen oder anderen meiner Impulse etwas anfangen kann.

Und Vorsicht: Auch dieser Beitrag kann wieder Spuren von Ironie beinhalten!

Sie spielen Agilitätstheater, um am Arbeitsmarkt zu bestehen: Vorsicht! Ganz ganz dünnes Eis!

Vor ein paar Jahren saß ich im beeindruckenden Dienstwagen eines Partners eines deutschen Beratungsunternehmens, ein Tochterunternehmen eines deutschen Automobilkonzerns mit großer Markenstrahlkraft. Wir kamen ins Plaudern und er klagte mir sein Leid, dass sie es schwer hätten, wirklich gute und motivierte Berater*innen zu finden. Er hatte den Eindruck, die meisten würden sich vor allem wegen der Aussicht auf einen exklusiven Dienstwagen bewerben, mit dem sie im Freundeskreis und bei den Eltern Eindruck machen können, nicht weil Sie für Beratung brennen und Kunden erfolgreich machen wollen …

Der Vergleich hinkt natürlich. Selbst wenn sich plötzlich viele Bewerber*innen nur noch deswegen bei Ihnen bewerben sollten, weil Sie in Ihrer Stellenausschreibung die Stichwörter Agilität, Scrum, New Work, Augenhöhe, Selbstorganisation etc. eingebaut haben, ist das ehrlicherweise etwas anderes, als wenn sie sich aufgrund eines reinen Statussymbols, das nichts mit dem Job an sich zu tun hat, bei Ihnen bewerben. (Damals war es der Dienstwagen der Luxusmarke, heute stehen Sabbaticals, Homeoffice oder auch coole Jobtitel in manchen Kreisen hoch im Kurs.)

Und dennoch ist Vorsicht geboten!

Wenn Sie nämlich voll auf Agilität setzen, “nur” um am Arbeitsmarkt bestehen zu können, kann dies offensichtlich gefährlich werden, wenn Agilität auf Ihrem Absatzmarkt (noch) gar keinen Sinn macht, wie ich beispielsweise im ersten Teil dieser Reihe beschrieben habe.

Wenn Sie dagegen nur so tun als ob, wenn Sie also bspw. einfach die Projektleitungsrolle in Product Owner umbenennen ohne sonst etwas zu ändern, wenn Sie mit Selbstorganisation werben und zugleich strikte Regeln, Prozesse und Tools vorgeben, wenn Sie wie gewohnt fixe Lastenhefte erstellen, diese nun aber “total agil” in Sprints abarbeiten lassen, … wenn Sie also nur „Agilitätstheater“ spielen, auch dann bewegen Sie sich auf sehr dünnem Eis!

Vielleicht können Sie sich so kurzfristig tatsächlich die erhoffte Entlastung am Arbeitsmarkt verschaffen. Vielleicht lassen sich mit „agilen Statussymbolen“ in der Tat die dringend benötigten Talente in Ihr Unternehmen locken. Und dann?

Diejenigen, die Agilität verstanden haben und wirklich so arbeiten wollen, bemerken es schnell, wenn bei Ihnen nur Theater gespielt wird. Anfangs werden sie sich wahrscheinlich noch engagieren und für echte Agilität kämpfen. Irgendwann aber werden sie aufgeben und entweder frustriert bleiben oder einfach gehen. Was ist schlimmer?

Jene, die frustriert bleiben, sind nun nicht mehr die engagierten Mitarbeiter*innen, die Sie eigentlich mithilfe der agilen Schlagwörter hatten einstellen wollen. Und noch schlimmer: Oft strahlt ihre Frustration auf die Kolleginnen und Kollegen aus und vergiftet die Stimmung weiträumig. Und wenn Sie später mit einer ernst gemeinten Veränderung kommen, wenn Sie künftig vielleicht „wirklich“ agiler werden müssen, dann nimmt das niemand mehr ernst.

Jene, die noch immer an Agilität glauben und genervt Ihr Unternehmen verlassen, sind offensichtlich ebenfalls verloren. Sie müssen also neue Mitarbeiter suchen und einarbeiten, das ist teuer. Und in Zeiten von Social Media und hoher Vernetzung ist es zudem nicht auszuschließen, dass sich die Frustration der Gegangenen auch außerhalb des Unternehmens herumspricht. In der gut vernetzten agilen Community werden Sie die gewünschten Bewerberinnen und Bewerber vielleicht gar nicht mehr erreichen – das schmerzt spätestens dann, wenn Sie es später einmal wirklich ernst meinen sollten und dringend agile Expertise benötigen.

Und dann bleiben noch diejenigen, die wegen der agilen Statussymbole gekommen sind und damit auch voll und ganz zufrieden sind und bleiben. Womit wir wieder bei der Anekdote zu Beginn wären: Sind das wirklich die hochmotivierten Talente, die Ihre Organisation nach vorne bringen und Ihre Kunden glücklich machen?

Deshalb mein Rat: Seien Sie ehrlich! Zu sich selbst, zu Ihren Bewerber*innen und zu Ihren Kunden! Ehrlichkeit kann ein erster Schritt zu einer agilen Haltung sein! Und es zahlt sich langfristig aus. Davon bin ich überzeugt.

Sie predigen Augenhöhe und etablieren steile Karriereleitern: Vorsicht! Absturzgefahr!

Gehen wir einen Schritt weiter und über das Recruiting hinaus. In der Regel kommt irgendwann im Laufe einer „Agilen Transformation“ die Frage auf, ob es nicht auch „Agile Karrierepfade“ (also Karrierepfade für Mitarbeitende in agilen Rollen), insbesondere für Scrum Master und Product Owner, geben müsse. Auf den ersten Blick ist das auch eine gute Idee. Es wäre ja auch unfair, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in agilen Rollen nicht dieselben Aufstiegschancen bekämen wie ihre Kolleginnen und Kollegen in den Führungs- und Fachrollen.

Und – ähnlich wie im Absatz zuvor – geht es ja im Rahmen einer Transformation auch darum, Bedingungen so zu gestalten, dass die internen Talente gerne in die Agilen Teams kommen. Und solange es ja nicht (zumindest nicht formal) auf ihre individuelle Karriereleiter einzahlt, wird sich der eine oder die andere eventuell gegen die Übernahme einer agilen Rolle und für eine klassische Karriere entscheiden. Denn wer weiß, ob dieses „Agil“ nicht doch nur wieder eine Modeerscheinung ist und dann wäre es ja schon blöd, wenn man einige Monate oder gar Jahre verschwendet hätte, aus Sicht der eigenen Karriere.

Doch ist ein „agiler Karrierepfad“ mit Stufen wie „Junior Scrum Master, Scrum Master, Senior Scrum Master, Agile Coach, Executive Agile Coach, …“ der richtige Ansatz, um Agilität zu fördern? Ersetzt man dadurch nicht die intrinsische Motivation derjenigen, die immer bessere Scrum Master im weitesten Sinne werden wollen durch einen extrinsischen Anreiz?

Wer hier tiefer einsteigen möchte: Im zweiten Teil meiner kleinen Artikelreihe ging es schon einmal um intrinsische Motivation versus extrinsische Anreize.
Mindestens simplifiziert man meiner Meinung nach mit einer klassischen Karriereleiter vielfältige individuelle Entwicklungspfade und schränkt diese unnötigerweise auf einen vorgegebenen „Pfad“ ein. Durch die Platzierung der Rollen auf einer „Leiter“ suggeriert man meines Erachtens auch ganz automatisch eine Wertigkeit, ein Wechsel vom Agile Coach zum Scrum Master wäre also ein Rückschritt. Das schränkt automatisch den möglichen Lösungsraum für die Organisation und für das Individuum ein: Nehmen wir an, ich habe die „agile Karriereleiter“ vom Junior Scrum Master zum Agile Coach erfolgreich durchlaufen. Ich war ein hervorragender Scrum Master und hatte Spaß dabei. Nun wurde ich endlich zum Agile Coach befördert und freue mich sehr darüber. Dummerweise stelle ich jetzt fest, dass mir diese Rolle weder Spaß macht, noch wirklich gut liegt. Ich arbeite viel lieber ganz intensiv mit einem Team und bin da auch wirksamer als in meiner neuen Rolle als Agile Coach, in der ich mich verstärkt um übergreifende Themen kümmere, andere Scrum Master coache und mit hochrangigen Stakeholdern arbeite. Aber soll ich wirklich freiwillig einen Schritt zurück auf der Karriereleiter gehen? Oder sogar unfreiwillig?

Eine solche Situation erscheint mir weder für die Person noch für die Organisation besonders gut. Im Endeffekt haben wir so das gute alte Peter Prinzip in neuem, agilem Gewand …

Peter Prinzip - ein kleines Video

Kurz zusammengefasst: Ich halte klassische Karriereleitern für ein gefährliches Instrument, wenn Sie Agilität im Unternehmen etablieren möchten. Je steiler die Leiter, desto größer die Gefahr, tief zu fallen!

Was aber stattdessen tun? Ich befürchte, es es wie so oft: komplex! Ich denke, dass ein Schlüssel darin liegen wird, die Aspekte Rolle, Hierarchie, persönliche Entwicklung und Bezahlung voneinander zu trennen.

Ich bin davon überzeugt, dass Menschen sich weiterentwickeln können, ohne jedes Mal einen neuen Jobtitel zu bekommen und sich dadurch (bewusst oder unbewusst) gegenüber anderen abzugrenzen.

Persönliche Entwicklung kann durch Ausprobieren neuer Rollen oder durch Vertiefung einer Rolle und/oder durch flankierende Maßnahmen (Trainings, Coachings, Hospitationen, Auszeiten, …) erfolgen. Die jeweils individuell und situativ passende Weiterentwicklung folgt keinem standardisierten Masterplan oder vordefinierten Karrierepfad, sondern ist dynamisch und komplex. Warum also nicht regelmäßig dazu in den Dialog gehen? Mit Scrum Master, Agile Coach, Führungskräften, der Personalentwicklung und mit den direkten Kolleginnen und Kollegen (im Team) sowie mit einem Mentor? Ja, das ist Arbeit.

Sie setzen auf flache Hierarchien und kompensieren den “Verlust” durch andere Privilegien? Eine hochexplosive Mischung!

Wenn Sie im Zuge der „agilen Transformation“ auf flachere Hierarchien setzen, dann kann das der eine oder die andere als Verlust empfinden. Und das ist auch verständlich, wenn man sich jahrelang über die eigene Position in der Hierarchie, auf der Karriereleiter oder durch den Jobtitel definiert hat.

Es liegt nahe, diesen Verlust formaler Auszeichnungen irgendwie anderweitig auszugleichen. Doch seien Sie vorsichtig! Unter Umständen erreichen Sie damit mehr Ungleichheit als zuvor!

Ich habe vor ein paar Jahren einen Workshop in einem Schulungszentrum einer deutschen Luftfahrtgesellschaft moderiert und wollte gerne einen Youtube Clip zeigen. Da ich im Workshop-Raum keine Information zum W-LAN fand, ging ich zur Anmeldung am Eingang und fragte nach einem W-LAN-Zugang. Es hätte mich nicht sonderlich überrascht, wenn man mir gesagt hätte, dass ich als Externer leider keinen Zugang bekommen könne, da man noch kein W-LAN für Gäste eingerichtet hätte. Das war damals (und ist auch heute noch) nicht unüblich, leider. Doch die Dame schaute mich kritisch an und fragte: “Sind Sie Pilot?” Ich antwortete, etwas perplex: “Äh … nein.”, worauf Sie erwiderte, dass Sie mir dann leider nicht weiterhelfen könne, W-LAN gebe es nur für Piloten … Nun verstand ich einige Äußerungen meiner Ansprechpartner – sämtlich Nicht-Piloten – zum damaligen Pilotenstreik. Um es vorsichtig auszudrücken: Die Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen im Cockpit hielt sich in Grenzen.

Pilot und Nicht-Pilot sind offensichtlich keine hierarchischen Positionen. Der Titel „Pilot“ könnte einfach nur eine Rolle sein, so wie „Pförtner“. Durch Privilegien wie „W-LAN“, besondere Parkplätze oder Eckbüros werden Unterschiede auf andere Art und Weise manifestiert. Unter Umständen wirken solch subtile Diskriminierungen sogar noch weitaus toxischer auf die Unternehmenskultur als formale Hierarchien und Jobtitel.

Das geht weit über Agilität hinaus, es geht um Respekt und Augenhöhe als Basis für ein gutes Miteinander.

Also seien Sie vorsichtig! Die vermeintlich einfachsten Lösungen („Lasst uns den ehemaligen Teamleitern als Kompensation doch einfach eine höhere Dienstwagenkategorie geben!“) sind nicht immer die besten. Individuelle Wertschätzung und spezifische Entwicklungsperspektiven bedeuten allerdings Arbeit. Doch ich wiederhole mich gerne: Es zahlt sich aus.

Sie trauen Ihren Mitarbeiter*innen Agilität (noch) gar nicht zu: Bitte fassen Sie sich erst einmal an die eigene Nase!

In einem etablierten und traditionellen Unternehmen aus der Finanzbranche hörte ich vor kurzem die Aussage, dass Agilität und Selbstorganisation ja toll klingt. Und man sei auch davon überzeugt sei, dass dies künftig eine notwendige Voraussetzung für Erfolg bei steigender Dynamik und Komplexität sein wird. Doch man habe die letzten Jahre und Jahrzehnte die falschen Menschen eingestellt. Man habe Sachbearbeiter*innen eingestellt, die einfach Fälle abarbeiten sollten. Wie sollen die sich denn nun selbst organisieren und plötzlich selbst Entscheidungen treffen?

Nach dieser Erklärung musste ich erst einmal schlucken. Einerseits: Hut ab vor der offenen Selbstkritik. Andererseits: Was für ein erschreckendes Menschenbild!
Wenn ich es meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht zutraue, selbst zu denken, dann bin zuerst einmal ich selbst nicht bereit für Agilität.

In Workshops nutze ich gerne die X-Y-Theorie nach Douglas McGregor¹, um das eigene Menschenbild zu hinterfragen:

Es gibt genau zwei Arten von Menschen auf dieser Welt, hier verkürzt dargestellt:

  • X-Menschen sind faul und scheuen Verantwortung. Ohne Anreize und Androhung von Strafen werden sie nie von sich aus arbeiten, sie schwimmen immer nur mit. Man muss ihnen auch immer ganz genau sagen, was und wie sie es tun sollen und die Ergebnisse eng kontrollieren, sonst kommt nichts brauchbares dabei heraus.
  • Y-Menschen dagegen sind engagiert und übernehmen gerne Verantwortung. Sie sind kreativ und motiviert, wollen etwas erreichen und sich selbst weiterentwickeln.

 

Theory X and Y
Auf dieser Basis bitte ich alle Anwesenden, zwei Notizen zu machen, ohne voneinander abzugucken:

  1. Was bin ich selbst? X oder Y?
  2. Welcher Prozentsatz meiner Kolleginnen und Kollegen (gerne in der Nachbarabteilung oder beim Kunden) sind vom Typ X?

In der Regel schreiben 100% der Anwesenden sich selbst dem Typ Y zu. Die Prozentzahlen zur zweiten Frage variieren stark, je nach Umfeld. Interessanterweise kam der höchste Wert in meinen bisherigen Abfragen von einer französischen Studentin, die schätze, dass 90% ihrer Kommiliton*innen vom Typ X, also menschliche Roboter, seien.

Tatsächlich gibt es ausschließlich Menschen vom Typ Y. Jedenfalls kommt jeder Mensch als Typ Y auf die Welt: Ein Neugeborenes ist neugierig und intrinsisch motiviert, es muss nicht motiviert oder gezwungen werden, sprechen, greifen, krabbeln und später laufen zu lernen.

Dummerweise kommen die meisten Menschen irgendwann mit extrinsischen Anreizen in Berührung, die dann oftmals die intrinsische Motivation verdrängen: Beispielsweise wird die intrinsische Motivation Neues zu lernen oft durch den extrinsischen Anreiz „Du bekommst 5 Euro, wenn Du Deine Hausaufgaben machst“ verdrängt. Warum sollte ich künftig meine Hausaufgaben ohne Belohnung machen?

Leider können wir nicht in die Köpfe und Herzen unserer Mitmenschen hinein schauen und ihre intrinsische Motivation sehen. Oft sehen wir nur ihr angelerntes Verhalten, also „der macht nur Dienst nach Vorschrift, ohne Anreiz strengt der sich nicht an“. Also machen wir möglichst genaue Vorgaben und loben Boni aus, wenn die Ziele erreicht werden. Unser Mitarbeiter bemerkt, dass er ja offensichtlich gar nicht mitdenken soll und optimiert seine Arbeit so, dass er den Boni maximiert. Das wiederum sieht der Vorgesetzte und sieht sich bestärkt: Ganz klar ein Typ X! Und so entsteht der Teufelskreis des beobachteten Verhaltens, ein sich selbst verstärkender Mechanismus.

Der Teufelskreis des beobachteten Verhaltens

Und wo ist die intrinsische Motivation hin? Es lohnt sich ein Blick ins Private: Eine Familie gründet man selten auf Anweisung. Auch ist es immer wieder erhellend, wenn man erkennt, dass vermeintliche Dienst-nach-Vorschrift-Mitarbeiter*innen sich in Vereinen engagieren und große Verantwortung übernehmen, ganz ohne Zwang.

Mit einen „die sind doch alle Typ X“-Menschenbild wird es schwer, Agilität und Selbstorganisation im Unternehmen zu ermöglichen. Man sollte den eigenen Mitarbeitern zumindest zutrauen, den eigenen Typ Y zu finden und zu entwickeln. Und gute Führungskräfte helfen dabei. Zugegebenermaßen: Nach Jahrzehnten im Typ X-Teufelskreis kann es durchaus schwer fallen, dem eigenen Typ Y eine Chance zu geben. Und es ist ganz gewiss kein Schalter, den ich einfach umlege. Da ist wahrscheinlich tief sitzendes Misstrauen zu überwinden und mit Vertrauen zu ersetzen. Das ist nicht einfach und kann dauern. Aber es wird sich lohnen, davon bin ich überzeugt!

Sie fordern Teamgeist und knüpfen Bonuszahlungen an individuelle Zielvereinbarungen? Wenn das klappt, können Sie sicher auch Kreise quadrieren!

Ernsthaft: Natürlich klappt das! Oder anders ausgedrückt: Es klappt irgendwie, weil man sich ja daran gewöhnt hat. Also ist doch alles gut, machen wir das mit den individuellen Zielen und Boni doch einfach erst einmal so weiter, Agilität hin, Agilität her. Man kann ja nicht alles auf einmal ändern …

Das ist in den meisten Fällen richtig. Fokus und Priorisierung sind wichtig und ein wesentlicher Aspekt von Agilität!

Ich befürchte allerdings, dass man gerade mit der Nicht-Änderung individueller Zielvereinbarungen und deren Verknüpfung mit Bonuszahlungen ein großes Potenzial verschenkt. Oder anders ausgedrückt: dass man damit das Potenzial von Agilität massiv limitiert. Ich stelle mir das gerne wie einen Bonsai-Orangenbaum vor: Der Baum ist niedlich und die Orangen sehen toll aus. Und wenn man nur Bonsai-Bäume kennt, kommt man auch gar nicht auf die Idee, dass der Baum eigentlich ein ganz anderes Potenzial hat, dass er große saftige Früchte tragen könnte, wenn man ihn nur ließe … Man vermisst nichts, was man nicht kennt.

Ich bin in der Tat immer wieder erstaunt, wie gut viele Organisationen funktionieren, wie gut die Menschen zusammenarbeiten und gemeinsam erfolgreich sind. Meine These lautet: Das klappt trotz – und nicht etwa wegen – Abteilungssilos, standardisierten Prozessen, strikten Regeln und individuellen Zielvereinbarungen!

Wenn ich mich mit Menschen über den Sinn und Unsinn individueller Zielvereinbarungen in Verbindung mit Bonuszahlungen unterhalte, dann herrscht in der Regel Einigkeit: Das macht keinen Sinn, es ist sogar kontraproduktiv – jedenfalls, wenn Kreativität und Miteinander Erfolgsfaktoren sind und gefördert werden sollen. Doch wenn ich dann frage, warum man das dann nicht abschaffe, antwortet man meist mit Achselzucken oder mit einem tiefen Stöhnen: Das sei nicht so einfach …

Im ersten Teil meiner kleinen Artikelreihe habe ich vor der Trägheit alter Gewohnheiten gewarnt und Hinweise gegeben, wie man stattdessen damit umgehen könnte: Kalter Entzug! Einfach abschaffen! Ich bin überzeugt, dass Ihr Unternehmen nicht sofort implodiert. Im Gegenteil. Und ja: Es gibt bereits einige Unternehmen, die das gemacht haben, mit Erfolg!

Übrigens soll das kein Plädoyer gegen Ziele sein! Empirie (z. B. Plan, Do, Check, Act oder Build, Measure, Learn) ist eine wesentliche Grundlage agilen Arbeitens, was oft vergessen oder verdrängt wird. Doch das ist eine andere Geschichte, die ich vielleicht beim nächsten Mal erzählen werde.

Ausblick

Ich hoffe, ich konnte Ihnen auch in diesem dritten Teil ein paar Hinweise dazu geben, woran es liegen könnte, wenn Agilität bei Ihnen vielleicht nicht so funktioniert, wie Sie es sich erwünschten. Und eventuell haben Sie auch den einen oder anderen hilfreichen Impuls dazu gefunden, was Sie vielleicht anders machen könnten. Und übrigens: Ich habe noch längst nicht alles Wichtige thematisiert. Da kommt noch etwas. Seien Sie gespannt.

 

Hinweise:

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[1] X-Y-Theorie nach Douglas McGregor

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Heiko Bartlog
Heiko Bartlog
Heiko Bartlog verfügt über mehr als 20 Jahre Projekterfahrung, als Berater, Trainer, Coach in vielen Facetten. Seit mehreren Jahren ist er „Gastgeber für Innovationen“ und begleitet Unternehmen auf ihrem Weg zu Agilität, besserer Zusammenarbeit und erfolgreicher Innovation. Er verwendet Techniken wie Scrum, Effectuation, Lean Startup, Management 3.0 und Liberating Structures, um Veränderungen zu einer praktischen Erfahrung zu machen. 2018 hat er gemeinsam mit Olaf Hinz hat das Buch „#PM2025 – Projekte. Gut. Machen“ zur Zukunft der Projektarbeit veröffentlicht.