Die Wirksamkeit von Agile Coaching – Teil 2
Im ersten Teil meines Beitrags habe ich mich damit beschäftigt, wie Debatten um den Beitrag von Agile Coaching typischerweise geführt werden und eine Erklärung angeboten, warum das so ist. In diesem Teil möchte ich einen Weg aufzeigen, wie man aus dieser Art der Auseinandersetzung aussteigen und die Wirksamkeit von Agile Coaching bewerten kann.
Entscheidend ist, was hinten rauskommt
Was ist der Sinn und Zweck eines agilen Teams?
Typischerweise geht es darum, Ergebnisse zu produzieren. Diese Ergebnisse bestehen aus Outputs – mehr oder weniger konkret spezifizierte Artefakte wie lauffähige Software oder Features – und Outcomes – Wirkungen, die mit Hilfe der erstellten Outputs erzielt werden.
Das Umfeld des Teams hat Erwartungen an das Team in Bezug auf Outputs oder Outcomes. Das Team gilt als erfolgreich, wenn es diese Erwartungen erfüllt oder übertrifft. Es gibt eine sehr große Bandbreite hinsichtlich der Art der Erwartungen, der Erwartungsträger (aka Stakeholder) und wie konkret oder vage die Erwartungen formuliert sind.
Ein zentrales Merkmal agiler Ansätze ist, dass die Art und Weise, wie diese Erwartungen erfüllt werden, so weit wie möglich in der Verantwortung des Teams liegt.
Die Essenz agiler Führung liegt für mich darin, Erwartungen so zu formulieren, dass ein Team daraus Orientierung gewinnt. Zudem ist es wichtig, Rückmeldung in Bezug auf die Erfüllung von Erwartungen zu geben, und dem Team größtmögliche Unterstützung bei der Erreichung seiner Ziele anzubieten.
Ein Beitrag des agilen Coachings zum Erfolg von Organisationen besteht darin, diesen Prozess des Formulierens und Kommunizierens von Erwartungen und des Feedbacks zu strukturieren und mit Leben zu füllen. Ein weiterer Beitrag – und dieser steht im Mittelpunkt dieses Beitrags – besteht darin, Teams auf jede erdenkliche Weise dabei zu unterstützen, eine effektive Art und Weise der Umsetzung zu entwickeln und zu verbessern.
Das Team entscheidet
Das Schlüsselwort ist „unterstützen“. Denn das Team erhält den Auftrag und das Team entscheidet, wie es den Auftrag erfüllt. Das Team bekommt Unterstützung angeboten. Ob das Team diese in Anspruch nimmt, sollte ihm überlassen bleiben. Eine Ablehnung der Unterstützung entbindet das Team nicht von den Erwartungen. Typischerweise ist es vorteilhaft, wenn ein Team regelmäßig – so oft wie sinnvoll möglich – Feedback erhält, um eine frühzeitige Umsetzung des Feedbacks zu ermöglichen. Dies ist der Kern aller iterativen Elemente agiler Ansätze.
Damit dieser Rückkopplungsmechanismus funktioniert, muss es Konsequenzen haben, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden. Damit meine ich nicht, dass Menschen entlassen werden. Sondern dass eine ernsthafte Auseinandersetzung stattfindet und Veränderungen entwickelt und umgesetzt werden, die plausibel zu einer Annäherung von Erwartung und tatsächlicher Leistung führen können. Welche Maßnahmen das sind, liegt weitgehend in der Verantwortung des Teams, wobei auch andere Akteure einbezogen werden können.
Diese Aussage bedeutet nicht, dass die Führung passiv an der Seite steht. Vielmehr ist die Führung gegenüber anderen für die Ergebnisse verantwortlich. Sie hat zu beurteilen, inwieweit sie dem Team zutraut, die Erwartungen zu erfüllen, oder, wenn Erwartungen wiederholt nicht erreicht werden, ein anderer Weg notwendig ist. Dabei darf die Führung selbstverständlich ihre Perspektive zur Herangehensweise des Teams äußern und auch Vorschläge machen.
Solange das Team den Auftrag hat, liegt die Verantwortung für die Umsetzung beim Team. Dazu gehört auch, ob Vorschläge angenommen werden und welche Unterstützung in Anspruch genommen wird. Auch die Frage, ob das Team die Dienste eines Agile Coaches in Anspruch nehmen möchte oder nicht, liegt in der Souveränität des Teams.
Betrachtet man Agile Coaching als eine Leistung, die Teams “pullen” können, um ihren Auftrag zu erfüllen, eröffnet sich damit eine qualitativ andere Möglichkeit, den Wert von Agile Coaching zu bewerten. In dem Augenblick, wo Teams sich für die Begleitung durch einen Agile Coach entscheiden (und Agile Coaches entscheiden, ob sie ein Team begleiten wollen), lässt sich an der Nachfrage der Wert ablesen, den Teams Agile Coaching zuschreiben. Wird Agile Coaching in Anspruch genommen, ist es wertvoll. Sonst nicht.
Was nichts kostet, ist nichts wert
Agile Coaching auf Nachfrage ist gut, weil es Freiwilligkeit ermöglicht. Ohne weitere Ergänzung stellt es jedoch eine einseitige Transaktion dar – wie ein Geschenk. Teams haben einen Anreiz, Agile Coaching auf Verdacht in Anspruch zu nehmen, ohne echte Motivation, Aspekte ihrer Arbeitsweise zu verbessern. Die Gefahr dazu steigt, wenn die Erwartungen an das Team nicht erfüllt werden und es einen Agile Coach in Anspruch nimmt, um zu zeigen, dass es “alles tut”.
Damit Agile Coaching einen Wert hat, muss es etwas kosten. Damit meine ich nicht Geld, sondern die Bereitschaft, Zeit und Energie in die eigene Verbesserung zu investieren und sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Ich habe immer wieder erlebt, dass Teams sagen, sie wollen besser werden, dann aber keine Zeit aufbringen, sich damit zu beschäftigen, wo und wie sie sich verbessern können. Sie erwarten, dass ihnen die Verbesserung „serviert“ wird. Grundlegende positive Veränderungen erfordern jedoch immer ein gewisses Maß an eigener Anstrengung und den Willen zur Veränderung.
Der Einsatz einer Coaching-Vereinbarung
Wenn sich ein Team dazu entschließt, Agile Coaching in Anspruch zu nehmen, ist dies die Gelegenheit und der richtige Zeitpunkt, die gegenseitigen Erwartungen explizit zu klären und in einer Coaching-Vereinbarung schriftlich festzuhalten:
- Was ist der Grund für die Anfrage?
- Was soll erreicht werden?
- Woran zeigt sich der Erfolg?
- Wie tragen das Team und der agile Coach zum Erfolg bei?
Und in dieser Vereinbarung können dann gerne die eingangs erwähnten Kennzahlen auftauchen – Durchsatz, Kundenzufriedenheit, Qualität etc. Der Unterschied ist, dass die Zahlen hier ausdrücken, was das Team erreichen will und nicht die Leistung des Agile Coaches messen.
Vielleicht spüren Sie jetzt einen gewissen Widerstand in sich:
- Warum sollte ich das tun?
- Was, wenn das Team mich nicht will?
- Woher sollen sie überhaupt wissen, wie toll es ist, von einem Agile Coach begleitet zu werden?
Die Fragen sind berechtigt. Zudem verursacht die Erstellung einer Coaching-Vereinbarung einiges an Aufwand, den sich so manches Teammitglied sicherlich sparen würden. In einer Zeit jedoch, in der die Sinnhaftigkeit von Agile Coaching in Organisationen auf den Prüfstand gestellt wird, müssen sich Agile Coaches vermarkten. Sie müssen ihr Wertversprechen reflektieren, mit Unsicherheit und auch mit dem einen oder anderen Vorurteil umgehen. Gerade weil die gegenseitigen Erwartungen in der Coaching-Vereinbarung explizit dokumentiert werden, ist dies eine hervorragende Möglichkeit, die Wirksamkeit als Agile Coach im Nachhinein zu belegen. Darüber hinaus ist die Verwendung einer Coaching-Vereinbarung Ausdruck von Selbstbewusstsein und Vertrauen in den Wert der eigenen Leistung.
Wer den Sinn seiner Arbeit in nachhaltiger positiver Veränderung sieht und keine Scheindebatten führen will, sollte aus meiner Sicht diesen Weg gehen und damit den Fokus auf die Produktion von Ergebnissen legen. Darum geht es letztlich bei der Arbeit mit und in agilen Teams.
Hinweise:
Hier finden Sie den ersten Teil des zweiteiligen Beitrags.
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Peter Rubarth hat weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht:
Peter Rubarth
Peter Rubarth ist Systemischer Agile Coach und als Senior Agile Coach für die solarisBank AG tätig. Großartige Teams sind seine Leidenschaft. Seit nun mehr als 14 Jahren unterstützt er Teams und Organisationen dabei, sich zu finden, Hindernisse zu beseitigen und das volle Potential agiler Konzepte für sich zu realisieren.