Von Warum-Fragen zu Wunder-Fragen

Gastbeitrag von | 31.05.2021

“Fragen können wie Küsse schmecken” ist der Titel eines wunderbaren Buches von Carmen Kindl-Beilfuß über systemisches Fragen.¹ Und wenn sie so schmecken, bringen sie auch sehr viel Erkenntnis, sogar auf beiden Seiten. Das ist sehr hilfreich, wenn man dabei ist, ein Problem zu lösen, das die Emotionen hochkochen lässt.

Einer, der sich da auch gut auskennt, ist der etwas schrullige “ach-eine-Frage-hätte-ich-noch” TV-Inspektor Columbo. Unser Vorteil – wir können ihm über die Schulter schauen, wie er seine Probleme löst. Jede Woche wieder. Was sehen wir? Als erstes die bekannten Standards der offenen und geschlossenen Fragen.

Geschlossene Fragen

Columbo stellt geschlossene Fragen meist in der Art “Um 21:00 Uhr waren Sie schon zu Hause?” oder “Sind Sie davor oder danach ins Restaurant gefahren?”

Die Fragen nach dem Muster “Ja oder Nein / A oder B” eignen sich gut zur Bestätigung und Präzisierung eines Sachverhalts. Die Beteiligten können ihre Positionen sauber definieren oder Sachverhalte und Abläufe präzise bestätigen. Sehr gut, das können wir auch für unsere Problemlösung übernehmen.

Aber – so eine Kaskade von geschlossenen Fragen im Zusammenhang mit einer “Fehlerdiskussion” kann schon ein etwas bedrückendes Gefühl produzieren. Neben diesem emotionalen Nachteil haben geschlossene Fragen auch noch einen informationstechnischen Nachteil: Man erfährt nichts Neues. Die Fragen bewegen sich im Bereich des schon bekannten. Ein dritter Nachteil – wenn die andere Seite keine Lust auf ein Gespräch hat, dann entsteht mit geschlossenen Fragen auch keins. Frage, Antwort, Ende. Man muss immer wieder neu ansetzen, es entsteht kein Gesprächsfluss. Die Bezeichnung “schließende Fragen” beschreibt ihren Einfluss auf den Gesprächsverlauf viel besser.

Offene Fragen

Um etwas Neues zu erfahren, müssen die Fragen Freiräume schaffen, treffender wäre also der Titel “öffnende Fragen”.

Damit wären wir bei der großen Gruppe der W-Fragen. Die erste, die einem dabei meist über die Lippen kommt – vor allem beim spontanen Check einer unbefriedigend erledigten Aufgabe – ist die Warum-Frage. “Warum hast Du das so/nicht gemacht?” Vergessen Sie Warum-Fragen bitte gleich wieder, denn sie produzieren häufig Frust und liefern keine verwertbaren Informationen. Sie zielen auf ein Motiv und wirken leicht wie ein Angriff, der Rechtfertigung verlangt.

Bei Columbo werden wir diese Frage deshalb nie hören, das Motiv findet er auch so heraus und auf die Empörung seiner Gesprächspartner kann er gut verzichten. Einige W-Fragen nutzt er gerne zur Klärung von Sachverhalten. Sie beginnen mit “wo, wann, wie, wer… “. Diese Fragen können wir auch nehmen, um herauszubekommen, was eigentlich passiert ist:

  • “Wo hat das stattgefunden?”
  • “Wann hat die Sache angefangen?”
  • “Wie ist das abgelaufen?”
  • “Wer war noch alles im Team?”

Ob es uns gelingt, mit diesen Fragen tatsächlich einen Gesprächsraum zu öffnen, hängt jedoch davon ab, wer sie wie einsetzt:

  1. Gibt es ein Machtgefälle zwischen den beiden Seiten? Augenhöhe ist hilfreich!
  2. Klingen die Fragen nach Vorwürfen? Nicht gut!
  3. Wird von der gewohnten informellen Alltagssprache umgeschaltet auf formelle Formulierungen, um die Wichtigkeit zu betonen? Auch nicht gut!

Columbo wird da schon mal deutlicher, wenn die Leute ihm nicht gefährlich werden können. Nobody is perfect! Das sollten Sie nicht übernehmen, falls Sie vorhaben, etwas gemeinsam zu besprechen. “Sag mal, wann haben diese Störungen eigentlich angefangen?” wirkt doch irgendwie einladender als ein steifes “Wann ist der Fehler das erste Mal aufgetreten?”.

Eine zweite Gruppe von W-Fragen klingt deutlich inspirierender. Statt um die Reproduktion von Ereignissen geht es um Vorstellungen, Wünsche, Ideen:

  • “Wie hättest Du das alles organisiert?”
  • “Was sollten wir beim nächsten Mal anders machen?”
  • “Was war Deiner Meinung nach die Ursache für die Abweichungen?”

Vorwurfsfreie, lösungsorientierte Formulierungen in annehmbarer Sprache, die zur Reflexion animieren. Das Gespräch könnte zu guten Erkenntnissen führen. Bei Columbo klingt das dann so: “Haben Sie eine Idee, wie jemand unbemerkt in Haus gelangen konnte, nachdem Sie die Alarmanlage eingeschaltet hatten?”.

Antworten bekommen, ohne zu fragen

Und Columbo geht noch einen sehr interessanten Schritt weiter, der ihn tatsächlich zum Meister der Gesprächsführung werden lässt. Statt jemanden konkret anzusprechen, denkt er lieber laut nach, lässt Gedankensplitter fallen, die andere aufgreifen und weiterdenken. Er formuliert Fragen nur halb und seine Gesprächspartner vollenden sie. Damit das klappt, spielt er mit Pausen.

Um in unserem Beispiel zu bleiben:

  • “Ich frage mich gerade, wann diese Störungen eigentlich angefangen haben?”
  • “Sag mal, ich frage mich gerade, was wir ändern müssten, damit es beim nächsten Mal …”
  • “Du meinst, störungsfrei läuft?” “Yo!” “Ich denke, …”

Genug von Columbo.

Skalierende Fragen

Skalierungsfragen sind eine Mischform, die zunächst einen Sachverhalt abfragen und anschließend in eine sehr offene Diskussion münden.

  1. “Auf einer Skala von 1-10 – welcher Wert beschreibt aus Deiner Sicht am besten die Qualität des Projektablaufes?”
  2. “Und was müsste passieren, was müsste sich ändern, damit Du eine 10 geben könntest?”

Der Trick dabei: Für den Bauch ist es einfacher, eine Zahl zu nennen als für den Kopf, gleich mit der passenden Erklärung zu formulieren und dabei unzählige Eventualitäten zu berücksichtigen. Wenn die Zahl erst mal genannt ist, lässt es sich leichter über die Gründe reden, denn die erste Hürde ist schon genommen. Noch besser klappt das übrigens, wenn der Bauch nicht mal etwas sagen muss, sondern einfach ein Kreuz machen oder einen Chip auf den richtigen Skalenwert schieben kann. Unsere rationale Kontrollinstanz bekommt das nicht mit, die scannt nur Fakten.

[So funktionieren übrigens die “Moving Motivators” von Jurgen Appelo und so lässt sich auch sehr gut mit dem Delegation Poker arbeiten, Planning Poker läuft aus diesem Grund genauso ab. „First Vote, then discuss“ nannte es David Marquet in seinem aktuellen Buch “Leadership is Language”².]

Meine Perspektive – Deine Perspektive

Die Gemeinsamkeit aller bisher behandelten Fragemuster: Sie beschäftigen sich nur mit der Sicht der befragten Person auf das Ereignis und das auch eher eindimensional: „Ich sehe das so!“

Die Zeiten werden anspruchsvoller, die Einflussfaktoren nehmen zu, die wechselseitigen Abhängigkeiten sind schwer zu überschauen, vieles hängt mit vielem zusammen.

Das Sender-Empfänger-Modell ist zu kurz gedacht, denn nicht nur in der menschlichen Kommunikation ist jede Wirkung gleichzeitig auch immer wieder Ursache für eine neue Re-Aktion, wann etwas angefangen hat, kann eine Reihe ohne Ende werden.
Was wir brauchen sind zusätzliche Sichtweisen, Perspektivenwechsel ist der Schlüssel zu mehr Durchblick. Das führt uns zu einer neuen Klasse von W-Fragen, zu einer anderen Art zu fragen.

Systemische Fragen

Systemische Fragen betrachten die Ereignisse ich ihren wechselseitigen Zusammenhängen und haben primär den Erkenntnisgewinn bei der befragten Person zum Ziel. Es sind Coaching-Fragen. Das kann bei einem Konfliktlösungsgespräch nur von Vorteil sein. Schauen wir uns ein paar Beispiele an.

Als erstes klären wir den Rahmen, in dem sich das Problem bewegt, möglichst aus der Sicht anderer Personen.

Der Auftrags-Rahmen

  • Wer hatte die Idee zu dieser Besprechung? Wie ist der Kontakt entstanden?
  • Angenommen, diese Besprechung wäre für Sie ein Erfolg und Sie wären sehr zufrieden, wer würde dies als erster bemerken und woran würde diese Person es bemerken?
  • Angenommen, ein Kollege fragt Sie nach dem Termin was Sie erfahren haben, was werden Sie erzählen?

Das Problem-Rahmen

  • Wann zeigt sich das Problem? Wann zeigt es sich nicht?
  • Was darf bei Ihnen/im Team etc. nicht angesprochen werden?
  • Wer trägt zum Gelingen des Projektes o.ä. bei?

Die Lösungs-Rahmen

  • Was wäre das erste Anzeichen dafür, dass sich etwas ändert?
  • Was denken Sie können wir maximal erreichen?
  • Was müssen Sie tun, um Ihrem Ziel einen Schritt näher zu kommen?

Als nächstes graben wir zusammen das Problem aus, wieder aus anderen Perspektiven oder mit veränderten Zeithorizonten.

Konkretisierung des Problems

  • Was glauben Sie, denkt Ihr Chef, wie Sie mit dem Thema umgehen sollten?
  • Was glauben Sie, wird in 6 Monaten anders sein, wenn Sie das Problem heute lösen?
  • Wenn Sie die Situation verschärfen wollten, was müssten Sie tun?

Erklärung des Problems

  • Wie erklären Sie sich, dass das Problem manchmal entsteht und manchmal nicht?
  • Wie haben Sie es unter diesen Umständen so weit schaffen können?
  • Was müssten Sie tun, damit Sie noch einmal in eine ähnliche Situation kommen?

Schließlich bringen wir die befragte Person dazu, die eigenen Handlungen mit fremden Augen zu betrachten oder in der Zeit zu reisen.

Zirkuläre Fragen

Nun geht es nicht mehr darum, was die befragte Person denkt, sondern was sie denkt, was andere denken oder sagen, beobachten oder erleben. Das wird spannend.

  • Was würde X sagen, wenn Sie das tun/sagen würden?
  • Wie würde ein außen stehender Beobachter die Situation beschreiben?
  • Was glauben Sie, wird X über Y denken, wenn Sie Y auffordern, … zu tun/zu sagen?

Hypothetische Fragen

Was wäre wenn? Spielen wir mal ein paar Situationen durch. Eine andere Realität simulieren.

  • Was würde passieren, wenn Sie jetzt nichts unternehmen?
  • Gesetzt dem Fall wir hätten uns schon vor 4 Wochen getroffen, was …?
  • Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen, wenn Sie wieder in der Situation wären?

Wunder-Fragen

Nehmen wir mal an, über Nacht geschieht ein Wunder und Ihr Problem ist gelöst! Unbeschwerter als mit der Wunder-Frage kann man nicht denken.

  • Woran würden Sie morgen früh erkennen, dass dieses Wunder passiert ist?
  • Wer außer Ihnen bemerkt als Erster dieses Wunder?
  • Wie würden Ihre Kollegen es wissen, ohne dass Sie ihnen ein Wort darüber sagen?

Sie können jetzt diese ganzen systemischen Fragen auswendig lernen und bei passender Gelegenheit aus dem Ärmel ziehen. Sie können sich aber auch mit den dahinter liegenden Prinzipien vertraut machen und sie situativ ableiten.

So oder so, viel Spaß und lassen Sie sich von den Antworten und Erkenntnissen überraschen.

 

Hinweise:

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[1] Carmen Kindl-Beilfuß, Fragen können wie Küsse schmecken. Systemische Fragetechniken für Anfänger und Fortgeschrittene. Carl-Auer Heidelberg 2008
[2] David Marquet, Leadership is Language, Portfolio Penguin 2020

Weitere Literatur:

Carmen Kindl-Beilfuß, Einladung ins Wunderland. Systemische Feedback- und Interventionstechniken. Carl-Auer Heidelberg 2012

Systemische Fragen / Übersicht / z.B.:
Die 8 wichtigsten systemischen Fragen
Systemische Fragen: 6 Varianten & 71 Beispielfragen, die Sie unbedingt in Ihrem Repertoire haben sollten

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Conrad Giller
Conrad Giller

Conrad Giller ist seit ca. 30 Jahren unterwegs als Trainer, Coach und Berater für fast alle Herausforderungen der mündlichen Kommunikation: Konflikt, Team, Führung, Storytelling, Präsentieren, Moderieren, Medien, etc. Gerne gibt er seine Erfahrungen online und offline in Workshops weiter.