Unsere Welt der Glaubenssätze

von | 16.09.2024

Ein Gedanke zum Mitnehmen

Glaubenssätze prägen unbewusst unser Denken und Handeln, können motivieren oder blockieren. Sie als solche zu erkennen, eröffnet die Chance, einschränkende Muster zu durchbrechen.

„Das haben wir schon immer so gemacht.“ – Dieser Satz schwebt wie ein unsichtbares Mantra durch viele Büros und Besprechungsräume. Er klingt so harmlos, fast wie ein vertrauter Freund, der uns Sicherheit bietet. Aber steckt hinter dieser Behauptung nicht manchmal eher eine träge Bequemlichkeit?

Oder wie wäre es mit: „Fehler können wir uns hier nicht leisten.“ Eine Aussage, die klingen mag wie das Rezept für Perfektion, aber in Wirklichkeit lähmt sie Kreativität und erstickt Innovation im Keim.

Und dann gibt es noch das beliebte „Wir brauchen mehr Daten, bevor wir eine Entscheidung treffen können.“ Ein Glaubenssatz, der zur ewigen Analyse führt, während die Konkurrenz längst handelt.

Diese und ähnliche Sätze begegnen uns täglich in Unternehmen – wie Schallmauern, die uns davon abhalten, neue Wege zu gehen. Aber was sind Glaubenssätze eigentlich? Warum sind sie so stark verankert, und wie beeinflussen sie unser Handeln – sowohl im Positiven als auch im Negativen? Zeit, den Schleier zu lüften und einen genaueren Blick auf diese unsichtbaren Treiber zu werfen.

Was sind Glaubenssätze?

Stellen Sie sich vor, Sie tragen eine Brille – eine Brille, die Sie nicht absetzen können. Ihre Gläser bestehen nicht aus Glas, sondern aus Überzeugungen, die tief in Ihnen verankert sind. Diese unsichtbaren Gläser formen Ihren Blick auf die Welt und beeinflussen jede Entscheidung, die Sie treffen, ohne dass Sie sich dessen immer bewusst sind. Genau diese unsichtbaren Filter sind das, was wir Glaubenssätze nennen.

Glaubenssätze sind tief verwurzelte Überzeugungen darüber, wie die Welt funktioniert. Sie steuern unser Denken, unsere Wahrnehmung und letztlich unser Handeln – meist auf unbewusster Ebene. Der Psychologe Albert Ellis, einer der Begründer der kognitiven Verhaltenstherapie, beschrieb Glaubenssätze als „stille Annahmen, die unser Leben und unsere Reaktionen auf die Umwelt beherrschen“ [1]. Diese Annahmen sind so tief verankert, dass wir sie selten hinterfragen, obwohl sie unser Handeln täglich beeinflussen.

Der Ursprung vieler Glaubenssätze liegt in unserer Kindheit und der Prägung durch unser soziales Umfeld. Eltern, Freunde, Lehrerinnen, Trainer und sogar Nachbarn beeinflussen uns kontinuierlich mit ihren Überzeugungen und Werten. Sätze wie „Ohne Fleiß kein Preis!“ oder „Fehler werden bestraft!“ begleiten uns oft schon seit jungen Jahren und beeinflussen unser Selbstverständnis. Diese Überzeugungen formen unsere Erwartungshaltungen und bestimmen, wie wir uns Herausforderungen stellen. Im Laufe der Zeit werden sie durch Erfahrungen immer wieder bestätigt oder verstärkt – und so werden sie zu einem festen Bestandteil unseres Weltbildes.

Doch Glaubenssätze existieren nicht nur auf persönlicher Ebene. Auch in Unternehmen oder ganzen Branchen finden sich kollektive Glaubenssätze, die wie ungeschriebene Regeln das Verhalten prägen. „In der Mittagspause erreichst du keine wichtigen Ansprechpartner“ oder „Innovation ist immer ein Risiko“ sind typische Beispiele für solche Überzeugungen. Sie geben Orientierung und Sicherheit, können jedoch den Fortschritt hemmen, wenn sie unbewusst und ungeprüft das Handeln bestimmen.

Glaubenssätze sind nicht nur Kindheitsrelikte

Es wäre zu einfach, anzunehmen, dass Glaubenssätze nur in unserer Kindheit entstehen und für immer unverändert bleiben. Tatsächlich formen sich Glaubenssätze auch im Erwachsenenalter ständig neu – besonders durch äußere Einflüsse wie Werbung, Medien und soziale Normen. Hierbei spielen verschiedene Mechanismen eine Rolle:

Ein zentrales Konzept, das die Entstehung neuer Glaubenssätze beeinflusst, ist das sogenannte Framing. Dabei handelt es sich um die Art und Weise, wie Informationen präsentiert werden, um bestimmte Interpretationen zu fördern und andere zu unterdrücken. Durch gezielte Wortwahl und den Kontext, in dem Aussagen gemacht werden, wird unsere Wahrnehmung beeinflusst – und somit auch unsere Glaubenssätze.

Ein klassisches Beispiel aus der heutigen Zeit ist die Überzeugung, dass „Investitionen in grüne Technologien teuer sind“. Diese Aussage wird uns regelmäßig in den Medien und politischen Diskussionen präsentiert, häufig in einem Rahmen, der die finanziellen Risiken betont. Durch dieses Framing wird der Fokus auf die Kosten gelegt, während die langfristigen Vorteile oder Einsparungen in den Hintergrund rücken. Wiederholte Darstellungen dieser Art formen nach und nach einen Glaubenssatz, der sich festsetzt und Entscheidungen beeinflusst, ohne dass die ganze Realität abgebildet wird.

Aber Framing allein reicht oft nicht aus, um Glaubenssätze zu verankern. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Wiederholung. Je häufiger wir eine bestimmte Botschaft hören, desto eher verinnerlichen wir sie. Im Content-Marketing wird bspw. seit Jahren behauptet, dass die Verweildauer der Nutzer auf einer Webseite ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg ist. Die ständige Wiederholung hat zu einem Glaubenssatz geführt, der mittlerweile weit über die Marketingbranche hinaus in anderen Bereichen übernommen wird. Doch bei genauerer Betrachtung hält diese Überzeugung der Realität oft kaum stand. Die Verweildauer allein ist kein aussagekräftiger Erfolgsindikator [2] – dennoch hat sich diese Überzeugung in vielen Köpfen festgesetzt.

Ein weiterer Aspekt, der Glaubenssätze stark beeinflusst, ist der Einfluss von Respektpersonen. Wenn der Chef eines Unternehmens oder eine andere Autoritätsperson bestimmte Überzeugungen regelmäßig äußert, wird die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass sich diese Überzeugungen in den Köpfen der Mitarbeitenden festsetzen. Einfache Slogans wie „Just do it“ oder „Nothing is impossible“, die an sich auf Konsumenten abzielen, können durch die Wiederholung durch Führungskräfte und deren Vorbildfunktion auch zu Glaubenssätzen innerhalb eines Unternehmens werden. Diese Glaubenssätze prägen nicht nur die Unternehmenskultur, sondern schaffen eine Umgebung, in der bestimmte Überzeugungen – wie der Glaube, dass alles machbar ist, solange man sich anstrengt – als selbstverständlich gelten.

Es ist also nicht nur die Botschaft selbst, die Glaubenssätze formt, sondern auch wer sie überbringt und wie oft wir sie hören. Glaubenssätze entstehen dadurch nicht nur in der Kindheit, sondern auch fortlaufend im Erwachsenenalter. Die Kombination aus Framing, Wiederholung und Autorität kann dazu führen, dass sich diese Überzeugungen tief in unser Denken eingraben – oft ohne dass wir es bewusst wahrnehmen.

Der Glaube versetzt Berge

Haben Sie schon einmal beobachtet, wie jemand fest an etwas glaubt und trotz aller Widerstände oder gegenteiligen Argumente nicht von seiner Überzeugung abweicht? Vielleicht spüren Sie auch selbst die Kraft des Glaubens – ob in Ihrer eigenen Entschlossenheit oder bei Menschen in Ihrem Umfeld. „Der Glaube versetzt Berge“ heißt es treffend. Und tatsächlich ist ein fester Glaube oft mächtig und tief verwurzelt, und prägt große Teile des Lebens und Handelns der Gläubigen. Entsprechende Glaubenssätze werden durch persönliche Erfahrungen, gemeinschaftliche Rituale und Werte immer wieder bestätigt. Wenn Sie versuchen, jemanden von einer anderen (religiösen) Perspektive zu überzeugen, werden Sie schnell feststellen, wie stark der Glaube bzw. die Glaubenssätze sind [3].

Doch nicht nur religiöse Überzeugungen haben diese Kraft. In der Psychologie spricht man von selektiver Wahrnehmung – dem Phänomen, dass Menschen dazu neigen, nur das wahrzunehmen, was ihre bestehenden Überzeugungen bestätigt, während gegenteilige Informationen ignoriert werden. Wenn jemand fest davon überzeugt ist, dass bestimmte Nahrungsergänzungsmittel die Gesundheit enorm verbessern, wird er positive Erfahrungsberichte und Studien dazu eher beachten, während kritische Stimmen und Warnungen eher ausgeblendet werden. Das zeigt, wie Glaubenssätze die Wahrnehmung der Realität filtern und beeinflussen können.

Interessanterweise lässt sich diese selektive Wahrnehmung nicht nur Einzelpersonen, sondern auch in Organisationen beobachten. Unternehmen, die an bestimmte Erfolgsmuster glauben, neigen dazu, alternative Ansätze abzulehnen. Wenn ein Unternehmen zum Beispiel fest davon überzeugt ist, dass „nur durch strikte Kostensenkung Erfolg möglich ist“, werden Vorschläge, die auf Innovation und Wachstum setzen, als riskant oder unrealistisch abgetan – selbst wenn es klare Hinweise gibt, dass andere Ansätze notwendig wären.

Der Glaube kann also nicht nur Berge versetzen, sondern auch mentale Mauern bauen. Manchmal ist das vermutlich gut, in anderen Fällen vermutlich nicht.

Positive und negative Funktionen von Glaubenssätzen

Sind Glaubenssätze gut oder schlecht?

Meiner Meinung nach sind Glaubenssätze weder per se gut noch schlecht – sie erfüllen unterschiedliche Funktionen, die sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben können.

Nehmen wir zum Beispiel den Glaubenssatz „Sicherheit geht vor“. Für manche Menschen bedeutet das, Entscheidungen sehr sorgfältig und mit Bedacht zu treffen. So minimieren sie Risiken, was ihnen ein Gefühl der Kontrolle gibt. Gleichzeitig kann dieser Glaubenssatz jedoch auch einschränkend wirken. Wer zu stark auf Sicherheit fokussiert, vermeidet möglicherweise neue und unbekannte Situationen und verpasst Chancen im privaten wie im beruflichen Umfeld. Ein Wechsel des Arbeitgebers, verbunden mit einem Umzug in eine neue Stadt, die Ausübung einer Tätigkeit ohne große Erfahrung oder die Gestaltung einer Stellenanzeige, die nicht jedem zusagt [4] – all das sind Situationen, in denen Chancen leicht übersehen oder nicht genutzt werden, weil der Fokus zu sehr auf Sicherheit liegt.

Ein weiteres Beispiel ist der oft geäußerte Glaubenssatz „Kunden wissen nicht, was sie wollen“ [5]. Im positiven Fall könnte dieses Statement Unternehmen dazu motivieren, mehr Zeit in die Auftragsklärung und Anforderungsanalyse zu stecken, um ein tieferes Verständnis der Bedürfnisse ihrer Kunden zu gewinnen. Methoden wie Wireframing, Prototyping, iteratives Vorgehen und regelmäßige Feedbackzyklen sind hilfreiche Optionen, um das Beste aus einer solchen Situation zu machen und passgenaue Lösungen zu entwickeln.

Alternativ könnte dieser Glaubenssatz aber auch dazu führen, dass Unternehmen annehmen, sie verstehen ihre Kunden besser als diese es selbst tun. In der Folge produzieren sie Lösungen, von denen sie glauben, dass sie dem Unternehmen Nutzen stiften, ohne jedoch die spezifischen Bedürfnisse ihrer Kunden wirklich zu adressieren. Wenig überraschend zeigt die Praxis, dass dies relativ selten gelingt.

Kurzum: Die Wirkung von Glaubenssätzen ist individuell. Zudem kann sie sich im Laufe der Zeit verändern: Was viele Jahre förderlich war, kann irgendwann zum Hindernis werden. Schon alleine deshalb ergibt sich, dass Glaubenssätze weder positiv noch negativ sind. Dies wirft jedoch die Frage auf: Wie sollten wir als Individuen und Organisationen mit Glaubenssätzen umgehen?

Der Umgang mit Glaubenssätzen

Kann man Glaubenssätze verändern? Die Antwort lautet: Ja, es ist möglich. Doch der Mensch ist ein komplexes Wesen, und Veränderungen – besonders von tief verankerten Überzeugungen – folgen selten einer geradlinigen, mechanischen Logik. Oftmals werden in Organisationen vereinfachte Ansätze propagiert: „Tue A, und B wird passieren“ oder „Lerne C, und D ist sicher“. Doch das Leben, und insbesondere der Mensch, ist nicht so linear. Was bei einer Person wirkt, funktioniert bei einer anderen nicht. Glücklicherweise macht genau diese Komplexität das menschliche Leben so faszinierend und unvorhersehbar.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle also keine Anleitung geben, wie Sie Ihre Glaubenssätze verändern oder überwinden können. So etwas wäre unrealistisch und wenig hilfreich. Stattdessen möchte ich Sie ermutigen, Ihre Augen und Ohren offen zu halten – sowohl für Ihre eigenen Glaubenssätze als auch für die anderer. Denn oft entfalten Glaubenssätze ihre Kraft im Verborgenen, ohne dass wir es merken.

Mein Ratschlag lautet: Hinterfragen Sie Glaubenssätze – aber nicht, um sie einfach zu widerlegen. Sie erinnern sich: „Glaube versetzt Berge“. Das Hinterfragen dient vielmehr dazu, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, wie diese Überzeugungen unser Verhalten und unsere Entscheidungen beeinflussen. Wenn Sie mit anderen interagieren, nehmen Sie sich die Zeit, aufmerksam zuzuhören. Was als bloße Aussage beginnt, könnte einen tiefer liegenden Glaubenssatz offenbaren. Indem Sie Fragen stellen und achtsam zuhören, geben Sie nicht nur sich selbst, sondern auch der anderen Partei die Chance, auf eigene Glaubenssätze aufmerksam zu werden.

Es geht nicht darum, Glaubenssätze zu brechen oder zu ändern, sondern sie zu verstehen – und sie im Kontext der jeweiligen Situation bewusst wahrzunehmen. Dieses Verständnis öffnet Türen für Dialoge, die nicht darauf abzielen, den anderen zu überzeugen, sondern zu einer tieferen Einsicht zu gelangen. Genau darin liegt der wahre Wert des Umgangs mit Glaubenssätzen: sich und anderen die Möglichkeit zu geben, zu reflektieren und möglicherweise neue Perspektiven zu gewinnen.

 

Hinweise:

[1] Albert Ellis: Reason and Emotion in Psychotherapy
[2] Mythos Verweildauer
[3] Im Kontext von Unternehmen und Produkten lassen sich verschiedene Phänomene wie Markenanhängerschaft oder Produktloyalität beobachten, die in manchen Fällen eher auf Glauben als auf Fakten beruhen. Was gefällt Ihnen besser: Playstation oder Xbox, Coca-Cola oder Pepsi-Cola, Apple oder Microsoft?
[4] Gutes Recruiting muss abschrecken
[5] Kunden wissen nicht, was sie wollen

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Michael Schenkel
Michael Schenkel

Leiter Marketing, t2informatik GmbH

Michael Schenkel hat ein Herz für Marketing - da passt es gut, dass er bei t2informatik für das Thema Marketing zuständig ist. Er bloggt gerne, mag Perspektivwechsel und versucht in einer Zeit, in der vielfach von der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne von Menschen gesprochen wird, nützliche Informationen - bspw. hier im Blog - anzubieten. Wenn Sie Lust haben, verabreden Sie sich mit ihm auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen; mit Sicherheit freut er sich darauf!