Tipps zum Online Onboarding
„Mein erster Tag als Praktikant ging los mit: ‚Von Ihnen wissen wir ja gar nichts.‘ Aber ab Tag 2 wurde es immer besser.“¹
Können Sie sich vorstellen, wie sich der Praktikant an seinem ersten Arbeitstag fühlte? Wie würde es Ihnen gehen, wenn Sie zu Ihrem ersten Arbeitstag im neuen Unternehmen erscheinen, und der Vorgesetzte überrascht ist, dass Sie bereits heute beginnen? Wenn Arbeitsplatz und Arbeitsmaterialien fehlen? Wenn das Onboarding ein erster Schritt in Richtung Offboarding ist? Vermutlich nicht sonderlich gut, oder?
Die Geschichte des Praktikanten liegt 14 Jahre zurück. Sie ist inzwischen eine kleine Anekdote. Ich bin sicher, dass es viele solcher Anekdoten gibt. Die mit einem Augenzwinkern erzählt werden und zur allgemeinen Erheiterung beitragen. Leider ist das Thema immer erst mit einigem Abstand unterhaltsam, in der konkreten Situation ist schlechtes Onboarding alles nur nicht erheiternd.
Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Zuerst die schlechte: Viele Organisationen müssen eine neue Herausforderung meistern: Online Onboarding. Social Distancing lautet ein Gebot der Stunde, das vielfach die Integration von neuen Mitarbeitern über die Ferne erzwingt. Und nun die gute: Organisationen können neue Mitarbeiter zukünftig besser integrieren, denn in der Herausforderung liegt auch eine Chance. Eine Chance, die Situation als Impuls zu nutzen, um bestehende Abläufe zu hinterfragen und mit neuem Leben zu füllen.
Onboarding kompakt
In unserer Rubrik „Wissen kompakt“ finden Sie zu Onboarding viele nützliche Informationen, Tipps, Hinweise und Impulse, sowie eine Checkliste als Download.
Kurz gesagt: Onboarding ist der Prozess zur Aufnahme und Integration neuer Mitarbeiter in ein Unternehmen. Meist werden drei Phasen beim Onboarding unterschieden:
- Das Preboarding bezeichnet die Phase von der Bewerbung oder der Vertragsunterschrift bis zum ersten Arbeitstag.
- Die Phase der Orientierung beginnt mit dem ersten Arbeitstag und dauert meist ca. zwei Arbeitswochen.
- Die Integration ist die Phase, in der die eigentliche Einarbeitung stattfindet. Sie endet normalerweise / vermutlich / spätestens zum Ende der Probezeit.
Neben den Phasen lassen sich auch Arten unterscheiden:
- formales,
- soziales,
- kulturelles und
- fachliches Onboarding.
Phasen und Arten überschneiden sich in Teilen. Bspw. beinhaltet das formale Onboarding organisatorische Aspekte, typischerweise die Ausstattung von Arbeitsplätzen und die Bereitstellung von Arbeitsmitteln (Telefon, Laptop, oder auch Firmenausweis, Visitenkarten etc.) sowie deren Einrichtung (Programmfreigaben, Einträge in Verzeichnisse, Zugangsberechtigungen etc.). Es findet idealerweise bereits im Preboarding, häufig aber auch erst in der Orientierungsphase statt. Das soziale Onboarding adressiert den Austausch mit Kollegen, Mitarbeitern und Vorgesetzten (und später zu Kunden) und beginnt normalerweise in der Orientierungsphase, in manchen Organisationen sogar bereits im Preboarding,
Hier sehen Sie eine schematische Darstellung der Überlappung von Phasen und Arten:
Die Herausforderungen bei Online Onboarding
„Nun, dann kommen Sie mal mit. Ich zeige Ihnen Ihren Arbeitsplatz und stelle Ihnen Ihre Kollegen vor. Alles weitere gehen wir dann gemeinsam in Ruhe an.“
So könnte der Vorgesetzte bspw. die Situation mit dem Praktikanten „retten“. Dem Axiom von Paul Watzlawick „Man kann nicht nicht kommunizieren“² folgend, würde er signalisieren, welche Kultur im Unternehmen herrscht (es passieren Fehler, wir bewahren Ruhe und lösen Herausforderungen gemeinsam und Schritt für Schritt) und wie das soziale Miteinander funktioniert (keine Schuldzuweisungen nach dem Motto „Warum hat mir das niemand gesagt?!“, stattdessen eine einfache Lösung der Situation durch eigene Aktion).
Leider funktioniert eine solche „Rettung“ im Online Onboarding nicht oder zumindest ungleich schwerer. Probleme, die bereits beim „vor Ort“ Onboarding auftreten, werden beim Online Onboarding verstärkt. Insbesondere fehlt
- das persönliche Kennenlernen und der einfache, unkomplizierte und oft auch situative Austausch mit Kollegen.
- die Orientierung in Bezug auf das Miteinander, die Interaktion zwischen Kollegen, die Stimmung in der Organisation oder den Arbeitseinsatz.
- die Sichtbarkeit und damit die Einschätzung von Körpersprache, Intention und Motivation.
- der fachliche Austausch mit Kollegen, da die Kommunikation untereinander deutlich mehr organisatorischen Aufwand erfordert.
Kurzum: Herausforderungen potenzieren sich. Und zwar in allen Bereichen des Onboardings: beim formalen, sozialen, kulturellen und fachlichen „an Bord nehmen“.
Tipps zum Online Onboarding
Bevor ich versuche, einige Tipps zum Online Onboarding zu geben, möchte ich kurz auf die Ziele der Mitarbeiterintegration eingehen. Onboarding ist kein Spiel! In gewisser Weise stellt es einen Investitionsschutz dar. Unternehmen, die nach Unterstützung durch neue Mitarbeiter suchen, investieren oftmals viel Mühe und Aufwand in die Suche, Auswahl und Beschäftigung von Mitarbeitern. In anderen Worten: sie investieren Geld. Und für dieses Geld erwarten sie eine Gegenleistung. Damit diese Gegenleistung erbracht werden kann, müssen Voraussetzungen erfüllt sein: organisatorische bzw. formale, interaktive bzw. soziale und kulturelle, sowie inhaltliche bzw. fachliche Voraussetzungen. (Online) Onboarding ist kein Spiel.
Leider gibt es auch Unternehmen, die bei der Mitarbeiterintegration etwas wichtiges übersehen: den Mitarbeiter. Für ihn liefert das Onboarding die Bestätigung seiner Entscheidung. Er gleicht die kommunizierten Arbeitsinhalte mit der Realität im Job ab. Er beurteilt die tatsächliche Unternehmenskultur und das soziale Miteinander und nicht die geschönte Fassung der HR-Abteilung oder des Marketings. Er stellt Diskrepanzen fest und beurteilt, ob sich eine Tätigkeit dauerhaft für ihn lohnt.
Einfach ausgedrückt: (Online) Onboarding wirkt in zwei Richtungen: in Richtung Unternehmen und in Richtung Mitarbeiter.
Und nun zu den Tipps zum Online Onboarding. Grundsätzlich gelten alle Tipps beim Online Onboarding wie beim „vor Ort“ Onboarding, oftmals mit einer „digitalen oder remoten Anpassung“:
- Stellen Sie benötigte Arbeitsmaterialien vor dem ersten Arbeitstag zur Verfügung. Idealerweise versehen Sie dies mit einem Hinweis zur Inbetriebnahme und der Telefonnummer eines Ansprechpartners bei Rückfragen.
- Begrüßen Sie den neuen Mitarbeiter mit einer Grußkarte des Teams, bei dem alle Teammitglieder unterschrieben haben. Sofern es zur Unternehmenskultur passt, Sie also bspw. auch Geburtstage oder Erfolge feiern, senden Sie zusätzlich einen Blumenstrauß oder einer Tafel Schokolade. Die meisten Menschen freuen sich über solche Aufmerksamkeiten und fühlen sich dadurch willkommen.
- Vereinbaren Sie vorab für den ersten Arbeitstag ein Telefonat zwischen dem neuen Mitarbeiter und dem Vorgesetzten (zu einer unternehmensüblichen Zeit wie bspw. 9:00 Uhr) und ein zweites dreißig Minuten später mit einem konkreten Ansprechpartner für die nächsten Wochen (idealerweise wählen Sie einen Kollegen als Buddy aus, der offen ist, Erfahrung im Unternehmen besitzt, integrativ wirkt und Lust auf diese Aufgabe hat).
- Kommunizieren Sie Erwartungen und ein Plan zur Integration. Und fragen Sie unbedingt die Vorstellungen des neuen Mitarbeiters ab und versuchen Sie diese – sofern möglich und sinnvoll – auch zu erfüllen. (Dies sollten Sie übrigens auch außerhalb der Einarbeitung mit jedem Mitarbeiter machen.)
- Integrieren Sie den neuen Mitarbeiter von Anfang an. Lassen Sie ihn an Meetings teilnehmen, auch wenn er erst wenig oder vielleicht noch nichts dazu beitragen kann. Geben Sie ihm die Möglichkeit, zu partizipieren. Möglicherweise verfügt er über Erfahrungen, die dem Team fehlen, oder er hat einen frischen Blick auf eine Situation, den die vorhandenen Mitglieder nicht (mehr) sehen können.
- Richten Sie einen Chat ein, um einen kontinuierlichen, direkten Austausch zwischen dem Team ohne viel Organisationsoverhead zu ermöglichen.
- Sorgen Sie für Ersatz für fehlende Treffen in der Kaffeeküche oder gemeinsame Mittagessen. Vereinbaren Sie einmal pro Woche einen Videochat für ein gemeinsames Online Kaffee trinken und verabreden Sie sich als Team zum Online Lunch.
Da die Erfahrungen mit Videochats in Unternehmen sehr unterschiedlich sind (Thema: Vertrauen und Aktivierung der Kamera), möchte ich an dieser Stelle keinen allgemeinen Tipp zur kontinuierlichen Nutzung geben. Aber: nicht nur Herausforderungen potenzieren sich beim Online Onboarding, auch Vorbehalte, Ängste, Probleme werden verstärkt.
Die genannten Tipps beziehen sich alle auf formales, soziales oder kulturelles Online Onboarding. Wie lässt sich aber fachliches Wissen auf- und ausbauen?
Tipps zum fachlichen Online Onboarding
Fachliches Online Onboarding ist die größte Herausforderung, vor der Unternehmen bei der Integration von neuen Mitarbeitern stehen. Blumensträuße sind nett, ersetzten aber keine firmenspezifische, fachliche Einarbeitung. Darüber hinaus sind allgemeingültige Ratschläge schwierig, denn die Fachlichkeit hängt stark von der Aufgabenstellung und den Vorkenntnissen des Mitarbeiters ab. Dazu ein Beispiel:
Eine Firma stellt zwei Softwareverkäufer ein. Verkäufer A ist 48 Jahre alt und „Vertriebsprofi“. Verkäufer B ist 27 Jahre jung und „Einsteiger“. Beide Verkäufer sollen eine Software X in einem definierten Postleitzahlengebiet verkaufen. Vertriebsprofi A kennt bereits die üblichen Begriffe der Branche. Er ist vertraut mit typischen Anforderungen von Unternehmen und die Kontaktaufnahme mit potentiellen Kunden fällt ihm leicht, da er dies bereits tausende Male getan hat und er auf ein Netzwerk von Kontakten zugreifen kann. Einsteiger B hat diese Kenntnisse nicht. Er verfügt über kein Netzwerk und auch die Begriffe der Branche sind ihm noch fremd.
Zur Einarbeitung können beide Verkäufer ggfs. vorhandene Tutorials oder E-Learning-Angebote nutzen. Beide können Präsentationen studieren, an Webinaren oder Schulungen teilnehmen. Und beide können die Bedienung der Software erlernen. Dennoch wird es einen großen Unterschied zwischen den beiden neuen Verkäufern der Software X geben. Der Vertriebsprofi weiß, worauf er achten muss. Er ist geübt, Verkaufsargumente zu erkennen. Er kann leichter Unterschiede zu Konkurrenzprodukten feststellen, um diese für seine Präsentationen zu nutzen. Der Einsteiger hingegen weiß nicht, wie er überhaupt eine Präsentation halten soll. Ihm fällt die Kontaktaufnahme schwer, denn er hat bis dato noch nicht versucht, im professionellen Kontext mit potentiellen Kunden zu telefonieren. Und er hat auch keine Erfahrung, wenn es um die Verarbeitung von Absagen bzw. Rückschlägen geht.
Aus diesem Beispiel lassen sich einige Tipps für ein fachliches Online Onboarding ableiten:
- Menschen sind individuell. Selbst wenn sie ähnliche Tätigkeiten ausführen, so haben sie unterschiedliche Kenntnisse und Fähigkeiten. Daraus ergibt sich, dass eine fachliche Einarbeitung zumindest in Teilen individuell erfolgen muss. Diesen individuellen Anteil gilt es gemeinsam festzustellen, und im Einarbeitungsplan festzuhalten.
- Kommunikation ist ein wesentlicher Faktor. Verfügt der Buddy über entsprechende fachliche Kenntnisse, so kann er als primärer Ansprechpartner und ggfs. Trainer-on-the-Job agieren. Liegt sein Schwerpunkt eher auf den sozialen und kulturellen Aspekten der Integration, könnte ein zweiter Buddy als fachliche Unterstützung fungieren.
- Entwickeln Sie die Integration bzw. Einarbeitung gemeinsam mit den neuen Kollegen weiter. Fragen Sie daher nach Feedback. Und geben Sie auch Feedback. Kommunizieren Sie Erwartungen und fragen Sie Erwartungen der neuen Mitarbeiter ab.
- Natürlich lassen sich Kommunikation und Feedback institutionalisieren, aber in der Praxis kann auch ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl kleine Wunder bewirken. Ein Vorgesetzter, der sich per Telefon offen und ehrlich nach dem Befinden des neuen Mitarbeiters erkundigt, oder ein Teamkollege, der in einem Videochat bei einem Thema aktiv seine Hilfe anbietet, sind wichtige Zeichen für ein entstehendes Miteinander.
Und ein letzter Tipp: Versetzen Sie sich in die Lage des neuen Mitarbeiters. Was würden Sie sich an seiner Stelle wünschen? Was würden Sie für die Ausübung seiner Tätigkeit benötigen? Wie könnte die Kommunikation und in der Folge die fachliche Einarbeitung so einfach und sinnvoll wie möglich erfolgen? Wenn Sie Antworten auf diese Fragen finden, dann nutzen Sie die Chance, die Online Onboarding Ihnen bietet. Und wenn Sie die Fragen nicht auf Anhieb beantworten können, so behalten Sie diese stets im Blick. Antworten entstehen auch aus einer Situation heraus. Und: fragen Sie einfach den neuen Mitarbeiter, denn dieser weiß ganz genau, was er benötigt und welchen Bedarf er hat.
Fazit
Online Onboarding stellt für viele Organsationen eine große Herausforderung dar. Fast könnte man von Onboarding mit Verstärker sprechen, denn Schwächen bei der Integration von neuen Mitarbeitern, unproduktive Zeiten, Leerläufe, fehlende Absprachen, mangelnde Unterstützung werden – zumindest für den neuen Mitarbeiter – relativ schnell sichtbar. Natürlich ist es leicht, Tipps zu geben und von Chancen zu schreiben, doch deren Umsetzung ist häufig aufwendig, zeit- und mitarbeiterintensiv. Hinzu kommen noch technische Herausforderungen, auf die ich hier im Artikel nicht eingegangen bin. Und auch Fragen, wer in einem Unternehmen den Online Onboardingprozess mit unterschiedlichen Maßnahmen für verschiedene Mitarbeiterprofile konzipiert und vorantreibt, habe ich nicht thematisiert.
Festzuhalten bleibt: Auch Online Onboarding ist eine Kombination aus formalen, sozialen, kulturellen und fachlichen Aspekten. Es ist eine Maßnahme, die eine Investition schützt und Wirkung für das Unternehmen UND den Mitarbeiter entfaltet. Es ist die Basis für eine weiterführende Zusammenarbeit. Ohne diese Basis ist eine erfolgreiche Zusammenarbeit nur schwer vorstellbar. Aber die Hoffnung bleibt, schließlich lief es auch bei dem Praktikanten ab dem zweiten Tag besser. 😉
Hinweise:
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[1] Aussage von Daniel Herrmann auf Twitter
[2] Axiome von Paul Watzlawick
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Michael Schenkel hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.
Michael Schenkel
Leiter Marketing, t2informatik GmbH