Team Secrets – Die verborgenen Muster der Teamentwicklung

Gastbeitrag von | 25.02.2021

Lässt sich aus jeder Gruppe ein Team machen und wenn ja, wie geht das?
Gegenfrage: warum sollte man dies tun?

Was ist ein Team?

Ein Team zu sein bedeutet, sich zuzuhören bei der Diskussion über den besten Weg zum Ziel, sich aufeinander einzulassen, miteinander zu agieren und das gemeinsame Ziel wichtiger zu nehmen als das eigene Ego. So intensiv, dass es Spaß macht, gemeinsam für die beste Lösung zu kämpfen, sich blind aufeinander zu verlassen und wie ein Ballett oder Orchester zusammenzuspielen. Das kostet Zeit und Ausdauer und Kraft und das muss man wollen.

Es gibt nur einen Grund, das alles auf sich zu nehmen, aus einer Gruppe ein Team zu machen. Das ist eine konkrete Aufgabe, die gemeinsam arbeitsteilig erledigt werden muss. Dann macht es sehr viel Sinn, sich über die Optimierung von Arbeitsabläufen, Prozessen und Strukturen zu verständigen, über die Kompetenzen, Aufgaben und Rollen aller Beteiligten und über Sinn und Zweck der Aufgabe. Ob es dabei um Arbeit oder Freizeit geht, ist egal. Auch der Nachbarschafts-Vorgartenzirkel oder die Alumni-Volleyball-Truppe können ein super Team sein. Oder eben „nur“ eine coole Clique, mit der man gerne abhängt, ohne den anderen irgendwie verpflichtet zu sein.

Die gemeinsame Aufgabe ist gleichzeitig die Voraussetzung für diesen anstrengenden Prozess. Denn warum sollte ich mich auf andere einlassen, mit ihnen über Werte und Ziele diskutieren und Vorgehensweisen abstimmen, wenn es nichts gibt, dass wir zusammen erledigen wollen?

Es auch zu wollen ist nicht nur ein entscheidender Vorteil, es ist sogar die zweite Voraussetzung, dass diese Kraftanstrengung funktionieren wird. [Wer schon mal halbherzig darangegangen ist, abzunehmen oder Sport zu treiben, weiß, wovon ich rede.]

Aber jetzt zum „Wie geht das?“.

Erst mal eine Schocknachricht: Alle Gruppen entwickeln sich, ob man will oder nicht, nach bestimmten Mustern. Lässt man der Entwicklung von außen und innen freien Lauf, dann passiert, was Bruce Tuckman mit seinen Teamphasen beschrieben hat. 

Team Secret #1 – Tuckmans Phasen der Teamentwicklung

In Phase 1 [FORMING – WER SIND DIE?] kennt keiner keinen, alle fragen sich, wer die anderen sind und versuchen das herauszubekommen. Aufgaben werden nur benutzt, um sich selbst ins rechte Licht zu rücken und die anderen auszuchecken, das Ergebnis ist zweitrangig.

In Phase 2 [STORMING – WO BLEIBE ICH?], wenn man in etwa eine Vorstellung hat, wer die anderen sind, wie sie ticken, wofür sie gut sind und wie verlässlich, geht es darum, den Platz in der Gruppe einzunehmen, der einem zusteht. Die Aufgaben sind immer noch Mittel zum Zweck, niemand sollte schon viel von den Ergebnissen erwarten. Immer wieder gibt es heiße Diskussionen um das Recht, recht zu haben.

Erst ab Phase 3 [NORMING – ICH UND DIE!] geht es um die Lösungen selbst. Man versucht sich in kleineren Gruppen zu arrangieren und zu positionieren. Werte und Normen, Prinzipien und Regeln für die gemeinsame Arbeit werden aufgestellt. Das kann ziemlich ruppig ablaufen und meist sucht man bei Fehlern zuerst nach dem Schuldigen, oft ist es immer derselbe. Heiße Diskussionen für die eigene Lösung finden statt.

Team kann man es eigentlich erst nennen, wenn Phase 4 [Performing – Wir!] erreicht ist. Oberstes Kriterium ist jetzt die Lösung der Aufgabe, jeder bringt sich ein, so gut er es kann und wird genau so akzeptiert. Den Hut hat immer die beste Person für den Job in dem Moment auf. Heiße Diskussionen für die beste Lösung werden geführt.

Wie lange es von Phase 1-4 dauert, das entscheidet die soziale, kommunikative und fachliche Kompetenz aller Gruppenmitglieder. Insbesondere von ihrer persönlichen Reife hängt ab, ob die Reise bis zur Phase 4 geht oder vorher irgendwo abbiegt. [Eine Diktatur ist auch das Ergebnis einer Entwicklung und Demagogen werden von ihren Anhängern gewählt.]

Tuckman hat später noch eine 5. Phase hinzugefügt und für mich gibt es noch eine Phase 0, dazu komme ich weiter unten. Jetzt erst mal zur Frage, wie man diesen Prozess positiv beeinflussen kann und ob man das soll.

Ist eine gezielte Teamentwicklung möglich?

Einfach gesagt – Ja, wenn man die Muster kennt und erkennt und versteht, entsprechend zu handeln! Schaut man sich die 4 Teamphasen genauer an, wird schnell klar, dass die Teammitglieder in jeder Phase andere Bedürfnisse und Handlungsoptionen haben.

Ein aufschlussreiches Instrument dafür ist Delegation Poker – ein Stufenmodell der Teilhabe des Teams an Entscheidungen. Es reicht von „Chef entscheidet und informiert das Team“ über 5 Zwischenschritte bis „Chef fragt, wie Team entschieden hat“.

Welche der 7 Optionen passt optimal zu welcher Teamphase und wo würde sie eher irgendetwas zwischen Chaos, Unverständnis und Widerstand produzieren?

Wer das sich verändernde Wechselspiel von Orientierung und Freiheit kennt, kann angemessen unterstützen, ansonsten wird die Gruppe über- oder unterfordert.

Team Secret #2 – Lencionis Dysfunktionen eines Teams

Patrick Lencioni hat sich der Frage aus einer anderen Perspektive genähert. Was hat Teams gefehlt, die gescheitert sind, welche Bedürfnisse der Teammitglieder wurden nicht erfüllt? Das Ergebnis waren seine „5 Dysfunktionen eines Teams“:

  • Mangelndes Vertrauen,
  • Angst vor Konflikten,
  • fehlendes Commitment,
  • Ablehnung von Verantwortung und
  • unzureichende Ergebnisorientierung.

Positiv formuliert geht es um die Schaffung von Vertrauen oder psychologischer Sicherheit, um Streitkultur, um Engagement, um die Übernahme von Verantwortung und die Orientierung auf die Erzielung von Ergebnissen. Und – keine große Überraschung – jedes Element ist Voraussetzung dafür, dass auf dem nächsten Level erfolgreich gearbeitet werden kann. Alles steht und fällt mit dem Vertrauen zueinander und zum Umfeld.

Arbeitspunkte im Team (nach Lencioni)

Die Grafik ähnelt nicht ohne Grund dem Muster, mit dem Maslow den Zusammenhang zwischen den menschlichen Grundbedürfnissen beschrieben hat. [Übrigens stammt die bekannte Anordnung der Bedürfnisse als Pyramide nicht von Maslows Hand, der Ansatz war ihm zu mechanistisch.]

Die Bedeutung eines Bedürfnisses tritt mit seiner Befriedigung zurück und erlaubt die Beschäftigung mit dem nächsthöheren Level, von der physiologischen Existenzsicherung bis zur Selbstentfaltung. Allerdings wird im Moment der Gefährdung eines grundlegenderen Bedürfnisses die Arbeit an den darauf aufbauenden zurückgefahren. [Zu Beginn der Coronakrise wurde Toilettenpapier gehortet. In Kriegssituationen geht es nur noch um das blanke Überleben, bis zum Verfall aller Werte und Normen.]

Die innere Dynamik eines Teams

Mit einem Fingerschnipsen kann das Vertrauen im Team oder des Teams zum Umfeld zerstört werden und alles steht wieder auf Anfang. Doch damit sich der Zustand eines Team verändert, braucht es gar nicht diese gravierenden Ereignisse, denn ein Team, als lebender Organismus verstanden, ist ständig in Bewegung, jeder Input hat einen Effekt:

  • Nach dem Urlaub ist nicht wie vor dem Urlaub, dazwischen lagen viele Tage mit Erlebnissen und Gedanken, abgekoppelt von Arbeit und Team.
  • Montag früh ist nicht wie Freitagabend, dazwischen lag vielleicht eine einsame Reflektion eines Ereignisses der vergangenen Woche.
  • Mittwoch früh ist nicht wie Dienstagabend, dazwischen lag vielleicht eine sorgenvolle schlaflose Nacht.
  • Der Weggang eines Teammitglieds hinterlässt eine Lücke im eingespielten Team, die jeden Tag spürbar ist.
  • Ein Neuzugang bringt Unruhe, er kennt nicht die eingespielten Routinen, die Karten werden neu gemischt.
  • Der Wechsel eines Chefs mit eigenen, völlig anderen Vorstellungen wird das ganze Spiel verändern.

Tuckman ergänzte später noch Phase 5 [ADJOURNING – LASST UNS ABSCHIED FEIERN!], um die guten Momente zu feiern, Lernen zu zelebrieren und den Trennungsschmerz gebührend aufzufangen.

Ich empfehle, noch eine Phase 0 [WONDERING – WAS LÄUFT DA?] als kommunikative Herausforderung einzuplanen. Sie läuft in der Zeit von der ersten Entscheidung für ein Projekt bis zum offiziellen Start. Irgendwas sickert immer durch und fehlende Informationen werden schnell durch wilde Spekulationen ersetzt, die den Start erheblich verkomplizieren können.

Wer kann das Team auf dieser Reise begleiten?

Das geht von außen, als klassischer Vorgesetzter, als Teamleiter. Wenn er sich zusammen mit seinem Team auf diese Reise begibt, muss er loslassen können, das Team laufen lassen. Kennt er die Reise schon, dann wird „festhalten“ für ihn nie eine Option sein.

[Gute Filme dazu sind „Coach Carter“ mit Samuel L. Jackson und „Gegen jede Regel“ mit Denzel Washington, die sich beide der Aufgabe stellen, einen Haufen pubertierender Jungs zu einer erfolgreichen Basketball- bzw. Football-Mannschaft zu machen, beides Stories mit realem Hintergrund.]

Es geht auch als Teil des Teams, mit einem Mandat für eine Sonderrolle. Damit ist 100% der Job eines Scrum Masters beschrieben, einem Team-Mitglied mit dem Mandat für eine spezielle Aufgabe. Das Mandat sollte er sich nach jeder Retro anpassen und neu geben lassen, will er nicht irgendwann feststellen, dass seine Interventionen eher stören als helfen.

Ist das Mandat nicht von Beginn an so klar wie beim Scrum Master, dann gibt es noch die Möglichkeit, dass das Team die fachliche und insbesondere Führungskompetenz einer Person erkennt und ihr das Mandat gibt. Man erarbeitet sich diese Rolle, man empfiehlt sich dafür durch seine Handlungen.

[Gute Filme dazu sind „Die letzte Festung“, in der Robert Redford als Leutnant Irwin, Insasse eines Militärgefängnisses, eine Revolte gegen den skrupellosen Gefängnisdirektor anführt. Oder „Gladiator“ mit Russel Crowe ab dem Moment, wo der Tribun den Kampf im Kolosseum organisiert.]

Das jemand die ganze Zeit ein Team von hinten zu Höchstleistungen coacht, ohne erkannt und „befördert“ zu werden, halte ich für unwahrscheinlich. In Filmen sind das eher Außenseiter, die durch scheinbar dumme oder zufällige Bemerkungen andere auf die richtige Spur bringen.

Welche persönlichen Voraussetzungen jemand braucht, um die Teamentwicklung zu unterstützen, darum geht es demnächst hier im Blog.

 

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Conrad Giller
Conrad Giller

Conrad Giller ist seit ca. 30 Jahren unterwegs als Trainer, Coach und Berater für fast alle Herausforderungen der mündlichen Kommunikation: Konflikt, Team, Führung, Storytelling, Präsentieren, Moderieren, Medien, etc. Gerne gibt er seine Erfahrungen online und offline in Workshops weiter.