Sind Likes eine Währung?

von | 26.01.2023

„Viele Menschen haben den Wunsch, bedeutend zu sein.“1 – Dale Carnegie

Wer auf verschiedenen Social-Media-Plattformen unterwegs ist, erkennt diesen Wunsch täglich 100-, wenn nicht gar 1.000-fach. Menschen stellen sich und Ihre Geschichten ins Schaufenster, sie promoten ihre Expertise, zeigen ihr Konterfei und vermarkten ihre Dienstleistungen. Sie teilen Videos und persönliche Perspektiven. Sie kommunizieren und kommentieren gefühlt fast ohne Unterlass. Als „Belohnung“ winken Follower, größere Reichweiten und Likes. Follower, Reichweite und Likes sind für viele Menschen etwas Schönes, ein Indikator für gefühlte Bedeutsamkeit. Sind sie aber auch eine moderne Form einer Währung?

Die Erfindung des Like-Buttons

Den Like-Button gibt es gefühlt schon immer, tatsächlich wurde er aber erst 2009 von Facebook eingeführt. Er war das Gemeinschaftswerk eines Teams, das ein Redundanzproblem lösen sollte, wie es Leah Pearlman formulierte: „Wenn zum Beispiel jemand geschrieben hat ‚Wir heiraten!‘, dann hattest du lauter Kommentare mit ‚Glückwunsch!‘. Ich fand das ästhetisch extrem hässlich, allerdings kam noch dazu, dass man die persönlicheren Kommentare unter den ganzen Redundanten kaum gefunden hat. Ich wollte also zwei Probleme auf einmal lösen.“2

Facebook-intern wurden ein Bomb- und ein Awesome-Button, ein Plus-Zeichen, ein Stern und der erhobene Daumen thematisiert. Das Design und die Benennung waren eine Herausforderung. „Verschiedene Symbole gelten in manchen Ländern als unangemessen. Manche Worte funktionieren nicht. ‚Awesome‘ klang zu jung, ‚Love‘ zu kitschig. Die Designer wurden immer frustrierter und haben das Projekt verlassen. Am Ende brauchten wir ein neues Team. Dann hatten wir das Design und Mark Zuckerberg sagte: Es wird ‚Like‘ mit einem Daumenhoch. Baut es und raus damit. Fertig.“3

Heute findet sich der Like auf vermutlich allen Social-Media-Plattformen. Und natürlich gibt es auch zahlreiche, individuelle Möglichkeiten, Emotionen auszudrücken. In LinkedIn gibt es zusätzlich Emojis für „Applaus“, „Unterstützung“, „Lustig“, „Wunderbar“ und „Inspirierend“. Auf Facebook ergänzen „Liebe“, „Lachen“, „Überraschung“, „Trauer“ und „Wut“ den Like-Button.

Interessanterweise gibt es – zumindest nach meinen Kenntnissen – in keinem populären Netzwerk einen Dislike-Button. Selbst YouTube hat sein Dislike abgeschafft bzw. stellt negative Bewertungen nicht mehr öffentlich dar.4

Warum liken Menschen Beiträge?

Oftmals ist es eine gute Idee, eine allgemeine Frage zu personalisieren. Also: Warum liken SIE Beiträge?5 Vielleicht weil Sie dem Inhalt zustimmen oder die Verfasserin oder den Verfasser mögen und ihr oder ihm etwas Gutes tun wollen?

Es gibt Menschen, die liken Beiträge, weil sie

  • das Thema des Postings für wichtig erachten.
  • der Verfasserin bzw. dem Verfasser zeigen wollen, dass sie das Posting oder den Kommentar wahrgenommen haben.
  • bewusst die Reichweite des Beitrags erhöhen wollen. Manche machen dies sogar mit eigenen Beiträgen oder Kommentaren.
  • bei einem eigenen Posting oder Kommentar als Gegenleistung auch ein Like erhalten wollen.
  • ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen (wollen).
  • den Beitrag zu einem späteren Zeitpunkt leichter auf der Plattform wiederfinden wollen.

Das sind sehr unterschiedliche Gründe und ein erster Hinweis darauf, dass Likes eher keine Währung sind.

Die Wirkung von Likes

Likes wirken mindestens

  • in Richtung Algorithmus der Internetplattform bzw. des Social-Media-Netzwerks und
  • in Richtung von Menschen bzw. Anwendern auf diesen Plattformen oder in den Netzwerken.

Likes sind wichtig für die Verbreitung von Inhalten. Likt B einen Beitrag von A, dann könnten – zumindest theoretisch6 – C und D, die B „folgen“, den Beitrag von A in ihren Timelines sehen. Spendiert nun auch C ein Like, könnten E und F, die mit C vernetzt sind, den Beitrag ebenfalls zu Gesicht bekommen. Je mehr Likes ein Beitrag erhält, desto mehr Menschen bekommen den Inhalt angezeigt.

Interessanterweise passiert durch den Like von B auf das Posting von A noch etwas anderes: B findet mit großer Wahrscheinlichkeit auch das nächste Posting von A in seiner Timeline. Der Algorithmus der Plattform sorgt somit aktiv für eine Intensivierung der Beziehung von A und B.

Und wie ist die Wirkung von Likes auf Menschen? In einem Wort: unterschiedlich!

  • Es gibt Menschen, die freuen sich einfach über ein Like und fühlen sich und ihre Ansichten bestätigt.
  • Es gibt Menschen, die schenken Likes keine sonderliche Bedeutung, da es ihnen nicht primär um Aufmerksamkeit, sondern um das Festhalten eigener Gedanken oder den inhaltlichen Austausch zu ausgewählten Themen geht.
  • Manche Menschen fühlen sich durch Likes berauscht und bedeutsam. Dale Carnegie lässt grüßen.
  • Andere Menschen sind ernüchtert, da sie sich mehr Wahrnehmung und/oder Zustimmung erhofft oder erwartet hatten. Sie sind verwundert über den „Erfolg“ anderer Postings, manchmal empfinden sie sogar Neid oder Wut.

Diese Wirkungen sind nicht exklusiv. Sie können sich heute über Likes freuen und morgen sind Sie Ihnen weniger wichtig. Sie können sich bestätigt fühlen und gleichzeitig mehr Rückmeldung erhoffen.

Interessanterweise erläutert Justin Rosenstein, ein früherer Kollege Leah Pearlmans, dass Menschen häufig Dinge mit den besten Absichten entwickeln, die irgendwann später unbeabsichtigte Folgen haben.7 Seiner Meinung nach sind Likes ein Teil der heutigen Aufmerksamkeitsökonomie. Sie beeinflussen die Selbstwahrnehmung von Menschen negativ und können sogar zu Depressionen führen. Verschiedene Studien bestätigen dies8, doch das führt etwas weg von der ursprünglichen Frage: Sind Likes eine Währung?

Die Monetarisierung von Likes & Co.

Ich möchte die These aufstellen, dass Likes für 9.996 von 10.000 Menschen keine Währung sind, denn sie zahlen keine Rechnung und stellen bestenfalls um die Ecke gedacht (siehe die Wirkung auf den Algorithmus) einen Wert dar.

9.996 von 10.000 Menschen bedeutet im Umkehrschluss, dass für vier Personen bzw. Personengruppen Likes eine Währung darstellen und sich entsprechend monetarisieren lassen. Es handelt sich dabei um:

  1. Influencer:9 Likes sind für Menschen mit „Influencer-Status“ oftmals ein Zeichen von Bekanntheit und Reichweite, von Einfluss und Meinungsführerschaft. Sie werden für Beiträge und Kommentare bezahlt, für Veranstaltungen als Keynote Speaker gebucht, zu Interviews gebeten oder als Buchautoren gewonnen. Inzwischen beschäftigt sich eine ganze Subbranche – das sogenannte Influencer-Marketing – mit diesem Thema. Zumindest indirekt ist dies ein Beleg dafür, dass Likes auch eine Währung sind.
  2. Personal Brands: Likes sind für Personal Brands wichtig, da sie dabei helfen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, um so individuelle Kompetenzen und Fähigkeiten zu vermitteln, die Menschen im Gedächtnis bleiben und für Vertrauen sorgen.
  3. Superstars: Die allermeisten Menschen werden es nicht schaffen, mehrere hunderttausend oder gar Millionen von Follower zu gewinnen. Plattformen haben jedoch ein Interesse, „besondere“ Menschen besonders zu promoten. „Superstars“ bieten Orientierung, sie sind Maßstab und Vorbild. Eine Plattform wie Twitter wollte lange Zeit Donald Trump nicht sperren, weil er die Plattform im Gedächtnis der Nachrichtenagenturen und Plattformnutzer hielt. Solche „Superstars“ dürften es an sich nicht nötig haben, über die Monetarisierung von Likes nachzudenken, auch wenn sie dabei helfen, Meinungen zu verbreiten (siehe wieder die Wirkung auf den Algorithmus) und das lohnt sich sicherlich an sehr vielen Stellen.
  4. Verkäufer von Likes: Im Internet gibt es tatsächlich die Möglichkeit, Likes zu kaufen. Mithilfe einer einfachen Google-Suche werden Sie schnell ein mannigfaltiges Angebot für praktisch jede Plattform finden. Und warum funktionieren solche Angebote? Weil Likes auf Menschen wirken, und zwar so stark, dass manche bereit sind, die Wirkung künstlich und gegen Bezahlung zu initiieren. Die schiere Existenz solcher Angebote belegt diese Wirkung leider.

Wenn Sie also weder Influencer, Personal Brand noch Superstar sind und auch keine Likes als Dienstleistung verkaufen, dann sind sie in sehr guter Gesellschaft. 9.996 von 10.000 Menschen gehören zu dieser Gesellschaft.

Fazit

Likes entfalten Wirkung in Richtung von Algorithmen und Menschen. Die Gründe, warum Menschen Likes verteilen, variieren ebenso wie die individuelle Bedeutungsbeimessung. Natürlich dürfen Sie sich persönlich über Likes zu Beiträgen, Videos oder Kommentaren freuen; ich freue mich auch darüber, auch wenn die zugrunde liegende Motivation der likenden Person oft im Verborgenen bleibt.

Für die allermeisten Menschen sind Likes keine Währung, für manche Personen bzw. Personengruppen – Influencer, Personal Brands, Superstars und Verkäufer von Likes – können sie aber wie eine Währung fungieren. Was diese Währung wert ist, verrät Google oder neuerdings auch ChatGPT.10

 

Hinweise:

[1] Dale Carnegie: Wie man Freunde gewinnt
[2] [3] Vice: Die Erfinderin des Like-Buttons hat kein schlechtes Gewissen
[4] Abschaffung des Dislike Buttons auf YouTube
[5] Auch die Frage „WAS liken Menschen“ ist interessant. Leider ist die Antwort „fast alles“ nur auf einen sehr oberflächigen Blick richtig. Die Antwort hängt von sehr vielen, verschiedenen Faktoren – bspw. dem Social-Media-Kanal, dem genutzten Endgerät, dem Alter der User und den individuellen Vorlieben – ab. Einen guten Überblick über die Nutzung von Social Media und aktuelle Informationen zur Internetnutzung in Deutschland liefert die ARD/ZDF-Onlinestudie.
[6] Es gibt verschiedene Aspekte, die eine Verbreitung von Inhalten einschränken. Ein zentraler Aspekt ist die Menge an Informationen, die veröffentlicht wird: Auf Twitter sind es bspw. 456.000 Tweets, die pro Minute gesendet werden, was etwa 656 Millionen Tweets pro Tag entspricht. Hinzu kommt, dass User nicht rund um die Uhr online sind und somit häufig auch Postings von „engen“ Kontakten verpassen.
[7] The Guardian: Our minds can be hijacked
[8] vgl. bei Interesse bspw. Engaging With Social Media Can Drain Your Brain
[9] Meiner Meinung nach sind alle Menschen Influencer. Und wir alle werden beeinflusst. Gerne empfehle ich dazu das Buch The Invisible Influence von Jonah Berger.
[10] Aussage von OpenGPT: „Der Wert eines Likes auf einer Social-Media-Plattform kann je nach Plattform, Zielgruppe und spezifischem Kontext variieren. Im Allgemeinen ist es jedoch schwierig, einem Like auf einer Social-Media-Plattform einen bestimmten Geldwert zuzuweisen. Ein ‚Gefällt mir‘ auf einer Social-Media-Plattform kann als eine Form des Engagements angesehen werden und kann darauf hinweisen, dass der Inhalt bei der Zielgruppe Anklang findet. Dies kann für Unternehmen oder Einzelpersonen, die ihre Marke aufbauen oder Leads generieren wollen, sehr wertvoll sein. Der Wert eines Likes in Bezug auf die Generierung von Einnahmen ist jedoch ungewiss, da er von der Umwandlungsrate von Likes in Verkäufe abhängt. Darüber hinaus verwenden einige Unternehmen Likes als Kennzahl, um die Popularität eines Beitrags, eines Profils oder einer Seite zu ermitteln, und diese Kennzahl ist nicht direkt monetarisierbar. Es ist erwähnenswert, dass es Unternehmen gibt, die Likes, Follower, Views usw. auf Social-Media-Plattformen verkaufen, aber diese werden oft von Bots generiert und stellen kein echtes Engagement oder Interesse der Nutzer dar.“

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Michael Schenkel
Michael Schenkel

Leiter Marketing, t2informatik GmbH

Michael Schenkel hat ein Herz für Marketing - da passt es gut, dass er bei t2informatik für das Thema Marketing zuständig ist. Er bloggt gerne, mag Perspektivwechsel und versucht in einer Zeit, in der vielfach von der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne von Menschen gesprochen wird, nützliche Informationen - bspw. hier im Blog - anzubieten. Wenn Sie Lust haben, verabreden Sie sich mit ihm auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen; mit Sicherheit freut er sich darauf!