Schlechte Marketing-Praktiken von Unternehmen

von | 17.07.2023

“Michael, die initiale Anfrage wird automatisiert erstellt. Leider ist das nicht immer ein perfekter Treffer, aber gut um mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Als Marketing-Experte kannst du das doch sicher nachvollziehen, oder?”

Ja, die Automatisierung greift auch bei initialen Kontaktanbahnungen um sich. In den allermeisten Fällen passen aber die Mail-Texte nicht zur Situation – wie sollten sie auch, wenn hunderte oder gar tausende Menschen in Unternehmen mit ein und derselben Nachricht angesprochen werden.

Und ja, es ist ein Zahlenspiel – kommt es in einigen wenigen Fällen zur Interaktion, entstehen Chancen auf Umsätze und das Vorgehen rechnet sich. Gleichzeitig sind es aber auch vertane Gelegenheiten, Menschen und ihre wahren Bedürfnisse kennenzulernen. Schade, wenn man nicht bereit ist, einige wenige Minuten zu investieren, um wenigstens ein individuell passendes Anschreiben zu formulieren.

„Nein, Martin, nachvollziehen kann ich das nicht!“

Eine Auswahl von schlechten Marketing-Praktiken

Es gibt zahlreiche Praktiken, die sich im Marketing beobachten lassen, die ich nicht gut finde. Übliche Vorgehensweisen, verbreitete Muster oder nicht zu Ende gedachte Aktionen, von denen ich die Finger lassen würde. Hier finden Sie eine Auswahl von Worst Practices1:

  • Unternehmen nehmen Personen ohne jegliche Zustimmung in Ihren Newsletter auf. Oder sie tricksen Personen in Ihren Newsletter, indem sie ihnen im Tausch einen Download anbieten, der allerdings nur verschickt wird, wenn das Newsletter-Abo bestätigt wird.
  • Unternehmen versenden nicht geöffnete Newsletter – ggf. mit leicht angepasstem Betreff und modifizierten Texten – am Tag nach dem initialen Versand nochmals. Viele Menschen lesen Newsletter aber mittels Vorschaufunktion, sodass die Auswahl der entsprechenden Mail-Adressen fehlerhaft ist. Häufig passiert im ersten Moment wenig, nach dem nächsten Newsletter steigt jedoch die Anzahl von Abmeldungen, da die “neue” Frequenz nicht den Erwartungen der Empfängerinnen oder Empfängern entspricht.
  • Beim Abmelden von einem Newsletter erscheint der Hinweis, dass die Nachricht erhalten wurde und es jetzt bis zu einer Woche dauern könnte, bis die entsprechende Anpassung im internen System vorgenommen wird. Abgesehen davon, dass manuelles Austragen von E-Mail-Adressen im Jahr 2023 etwas antiquiert wirken kann, müssen Unternehmen sicherzustellen, dass keine weiteren Newsletter an die Empfängerin oder den Empfänger verschickt werden. Verstöße können zu Abmahnungen führen.
  • Unternehmen benutzen Fantasiezahlen zur Werbung, gerne auch in Kombination mit beschönigenden Aussagen: “40.000 Menschen lieben unseren Newsletter.” Wenn es Ihnen wie mir geht, dann gefällt Ihnen so mancher Newsletter richtig gut, lieben werden Sie aber nicht viele Newsletter.
  • Unternehmen kontaktieren Menschen mit Kalt-Akquise-Mails, in denen sie ihre Produkte oder Dienstleistungen promoten. Wer nachfolgende Nachrichten vermeiden möchte, “darf” auf die Nachricht mit einem definierten Begriff in der Betreffzeile antworten oder sich per Link aus dem Verteiler austragen. Beeindruckend, wenn beides aber nicht funktioniert und man kurze Zeit später die nächste Nachricht erhält.
  • Unternehmen organisieren Ihre Kalt-Akquise nicht, was dazu führt, dass mehrere Mitarbeitende ein und dieselbe Person akquirieren wollen. Besonders schön wird es, wenn alle Mitarbeitende denselben Text verwenden…
  • Unternehmen beginnen Mails mit “Aw.” bzw. “Re:”, um zu suggerieren, es hätte bereits zuvor einen Austausch gegeben. Viele Menschen wissen aber sehr genau, mit wem sie kommunizieren und erkennen sofort die “Masche”.
  • Unternehmen beenden die Akquise nach einer Absage, ohne auf diese mit Bedauern zu reagieren. Schneller kann man Menschen nicht zeigen, dass sie nur eine Nummer, nur Mittel zum Zweck sind.
  • Unternehmen verwenden Logos als Kompetenznachweis auf ihren Webseiten, dies allerdings ohne Zustimmung der “Referenzen”; leicht zu erkennen, wenn Logos schwarz-weiß dargestellt werden und erst per Maus-Over ihre Original-Farbe annehmen. Da viele Logos Wort-Bildmarken sind, werden Unternehmen der Verfremdung ihrer Logos nie zustimmen. Das kann nur auf den ersten Blick Vertrauen aufbauen, spätestens beim geübten Blick ist das Vertrauen direkt gestört.
  • Unternehmen verwenden Logos auf ihren Webseiten ohne weiterführende Informationen, was das Ganze ziemlich sinnlos macht. Welches Produkt nutzt die Referenz, wie zufrieden ist sie mit der Dienstleistung oder dem Produkt?2
  • Unternehmen verwenden Zitate von Testimonials auf ihren Webseiten, aber ohne Nennung von Namen oder Positionen.
  • Unternehmen verwenden Abbildungen von umfangreichen Büchern, um ein Whitepaper oder eine Liste mit Tipps zu vermarkten. Wie gut kann der Inhalt sein, wenn 10 Seiten zu einem Thema bereitgestellt werden, zuvor aber den Eindruck vermittelt wurde, Interessentinnen oder Interessenten würden ein umfangreiches Buch zu dem spezifischen Thema erhalten? Das muss in Enttäuschung münden.
  • Unternehmen fordern Mitarbeitende auf, über ihre Social-Media-Accounts positiv über das Unternehmen zu berichten oder “Werbung” zu machen. Entsprechende Kommunikation durch Mitarbeitende ist häufig positiv, sollte allerdings freiwillig erfolgen und nicht “erzwungen” werden.3
  • Unternehmen kaufen Likes und Follower. Aua!
  • Unternehmen bauen auf Webseiten “Weiterlesen”-Links ein, die weder inhaltlich noch strukturell notwendig oder sinnvoll sind, nur um Tracking-Tools entsprechende Interaktionen zu übermitteln.
  • Unternehmen integrieren Werbevideos auf ihren Webseiten, jedoch nicht mit dem primären Ziel, nützliches Wissen bzw. notwendige Informationen zu vermitteln, sondern mit der Intention, die Verweildauer auf den entsprechenden Webseiten zu erhöhen. Verweildauer ist aber ein Mythos.
  • Unternehmen versenden Erinnerungsmails, wenn Schulungsvideos nicht bis zum Ende angeschaut wurden. Sie informieren Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Webinaren mit einem Set an Count-Down-Benachrichtigungen, Sie “fluten” den Posteingang mit unzähligen Mails. Vermutlich gibt es einen guten Grund, warum ein Schulungsvideo nicht bis zum Ende geschaut wurde, evtl. aktivieren Menschen die Benachrichtigungsfunktion im Kalender, um das gewünschte Webinar nicht zu verpassen, möglicherweise ist weniger manchmal mehr?
  • Unternehmen blenden diverse Pop-ups beim Besuch einer Webseite ein, um bspw. neue Newsletter-Abonnentinnen oder -Abonnenten zu gewinnen. Tatsächlich steigert dies entsprechende Zahlen, leider erhöht es aber auch die Menge an unzufriedenen Besucherinnen oder Besuchern, die an dem gehindert werden, was sie eigentlich tun wollen: einen Text lesen.4
  • Unternehmen nutzen Greenwashing, um Menschen ihre umwelt- und klimafreundliche Seite zu zeigen. Bedauerlicherweise decken sich häufig Worte und Taten nicht.
  • Unternehmen nutzen Logo- bzw. Rainbow-Washing, um ihre Unterstützung für die LGBTQ+-Gemeinschaft zu zeigen, was durchaus wünschenswert ist, aber nur geschieht, wenn es keine negativen Auswirkungen auf das Geschäft hat. “In den Regionen, in denen Menschen, mit einer von der ‘Norm’ abweichenden sexuellen Orientierung, verfolgt, bestraft, eingesperrt oder sogar getötet werden, fehlt jegliche Regenbogenflagge im Logo”.

Sicherlich lässt sich diese Liste leicht verlängern, oder?

Einige bedenkenswerte Praktiken aus anderen Unternehmensbereichen

Nicht, dass der Eindruck entsteht, nur im Marketing würden bedenkenswerte Praktiken durchgeführt, auch Bereiche wie Vertrieb oder Personalwesen haben einiges zu bieten:

  • Warum verwenden Unternehmen in Vertriebspräsentationen Darstellungen, auf denen ihre Unternehmensstandorte verzeichnet sind, oder Logo-Paraden, die einzig und allein zeigen sollen, dass sie renommierte Kunden haben? Ist es für den Kunden von Vorteil, wenn der potenzielle Partner ein Büro in Rio de Janeiro hat? Ist die Interessentin ebenfalls in der Automobilbranche unterwegs und sucht einen Branchenexperten? Falls es wichtig ist, sollten Unternehmen diese Informationen – gerne auch etwas kreativer als nur mit einer Weltkarte oder einer Logo-Parade – bereitstellen. Falls es aber nicht wirklich wichtig ist, ergibt es Sinn, die Aufmerksamkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Anfang der Präsentation besser zu nutzen, bspw. indem die Menschen vor Ort mit ihren Wünschen, Sorgen, Bedürfnissen in den Mittelpunkt gestellt werden.
  • Warum erhöhen Unternehmen die Preise für etwaige Abo-Modelle um mehr als 50 Prozent? Moderate Preiserhöhungen zu kommunizieren, ist bereits eine Herausforderung, drastische Preiserhöhung lassen sich aber selbst mit verbesserten Inhalten oder Funktionen nicht begründen. Sie deklarieren das Ende eines guten Preis-Leistungsverhältnisses und müssen zu unzufriedenen Anwenderinnen und Anwendern führen, selbst dann, wenn so manche Organisation die Nutzung der Abo-Lösung nicht kurzfristig beenden kann.

Eine besonders “interessante” Praktik lässt sich derzeit im Personalwesen beobachten:

Wissen Sie, was die größte Herausforderung bei der Entwicklung von Software als Dienstleistung ist? Der Entwurf der Softwarearchitektur und die eigentliche Softwareentwicklung mögen kompliziert und herausfordernd sein, das wahre Problem liegt aber an anderer Stelle: Was möchte die Kundin oder der Kunde genau?

Was auf den ersten Blick einfach anmutet, ist in sehr vielen Fällen im Detail nicht klar. Was tun Unternehmen, um dieses Problem zu meistern? Sie führen aufwändige Auftragsklärungen durch, sie veranstalten gemeinsame Workshops, um sich dem Ziel und den Vorstellungen eines Vorhabens schrittweise zu nähern.

Und was machen Personalabteilungen im Zeiten von Künstlicher Intelligenz und Prompt Engineering? Sie fragen Bewerberinnen oder Bewerber nach einem clever formulierten Prompt – sprich einem Befehl, der bei einem KI-basierten Tool5 ein entsprechendes Ergebnis liefert. Leider belegen Personalfachleute so, dass sie von der Arbeit in Fachbereichen wenig Ahnung haben. Wie soll ein gutes Ergebnis entstehen, wenn der konkrete Kontext fehlt? Zudem demonstrieren sie darüber hinaus mangelndes KI-Verständnis: Derselbe Prompt liefert nicht nur bei unterschiedlichen KI-basierten Tools unterschiedliche Ergebnisse, er tut es häufig auch bei der wiederholten Eingabe in derselben KI.

Selbst wenn der Input für solche Systeme wichtig ist, für Kunden oder Auftraggeberinnen ist der Output bzw. das Outcome entscheidend. Da KI-Systeme sich rasant weiterentwickeln und zukünftig die Verfeinerung initialer Outputs weiter voranschreiten wird, nimmt auch die Bedeutung entsprechender initialer Prompts ab. Ergo: Sollte Künstliche Intelligenz bedeutsam für die Ausübung einer Tätigkeit sein, tauschen Sie sich lieber über entsprechende Erfahrungen und Erwartungen aus.

Das eigene Handeln hinterfragen

Ich habe ein Herz für Marketing. Ich habe viele Jahre im Vertrieb gearbeitet und Personalwesen durfte in meinem Studium vertiefen. Mir geht es nicht darum, diese Bereiche schlechtzureden, im Gegenteil: Ich möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten, das eigene Handeln zu hinterfragen und auf den Prüfstand zu stellen. In allen Bereichen lassen sich Muster und Vorgehensweisen identifizieren, die häufig genutzt werden, deren Wirkungen aber oftmals nicht ausschließlich positiv sind. Zudem kommt es zu einer Art Übersättigung, wenn sich eine vormals kreative Idee auf gefühlt allen Websites der Welt wiederfindet.

In vielen Fällen lässt sich die Wirkung einzelner Punkte nicht genau bestimmen, wenn Sie aber in sich hineinhorchen, werden Sie vermutlich Praktiken identifizieren, die Sie als Adressat oder Empfängerin nicht wirklich gut finden. Wenn es Ihnen so geht, warum sollte es anderen Menschen anders gehen?

Natürlich lässt sich über das eine oder andere Beispiel diskutieren und natürlich müssen Sie nicht alle Tätigkeiten unterlassen. Dinge zu tun, nur weil viele andere es auch tun, ist jedoch meiner Erfahrung nach selten eine gute Idee. Blaupausen können, müssen aber nicht passen.

Happy Marketing!

 

Hinweise:

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[1] Auch die Verwendung von englischen Begriffen, für die es passende deutsche Worte gibt, ist nicht zu empfehlen. Genauso wenig wie die Integration von Links, die keine neuen oder vertiefenden Informationen bereitstellen … 😉
[2] Idealerweise haben Referenzen einen konkreten Bezug zur Situation und zum Kontext der Menschen, die sich für Ihr Unternehmen interessieren. Wie finden Sie das heraus? Indem Sie bei erst Bedarf entsprechende Referenzen nennen und so Ihre Kompetenz im konkreten Fall belegen.
[3] Kathrin Erasmus führt dazu eine interessante Diskussion auf LinkedIn.
[4] Durch die Verwendung des sogenannten Cookie-Consents, den Besucherinnen und Besucher einer Website bestätigen müssen, werden Menschen bereits zu einer Interaktion genötigt, die für sie keinen wirklichen Nutzen (und in manchen Fällen auch keine echte Cookie-Auswahl) bietet. Erzwungene Interaktionen sind per se nicht erstrebenswert.
[5] Futurepedia bietet eine sehr große Liste mit AI-Tools.

Michael Schenkel hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.

t2informatik Blog: Kreativität in Unternehmen

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t2informatik Blog: Projektmarketing - Tue Gutes und sprich darüber

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t2informatik Blog: Ich sehe was was Du nicht siehst: Stakeholder

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Michael Schenkel
Michael Schenkel

Leiter Marketing, t2informatik GmbH

Michael Schenkel hat ein Herz für Marketing - da passt es gut, dass er bei t2informatik für das Thema Marketing zuständig ist. Er bloggt gerne, mag Perspektivwechsel und versucht in einer Zeit, in der vielfach von der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne von Menschen gesprochen wird, nützliche Informationen - bspw. hier im Blog - anzubieten. Wenn Sie Lust haben, verabreden Sie sich mit ihm auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen mit ihm; mit Sicherheit freut er sich darauf!