Transparenz in New Work
Achtsamkeit, Wertschätzung, Unternehmensdemokratie, New Work und New Pay – es gibt viele Begriffe, die sich mit dem Miteinander im Berufsleben und allgemein betrachtet auch mit dem Leben in unserer Gesellschaft beschäftigen. Fast könnte man meinen, die ganze Welt redet nur noch über neue Formen der Arbeit und die Ermächtigung der Mitarbeiter, eigenverantwortlich zu arbeiten. Diese Eigenverantwortung erfordert von Organisationen das Vertrauen in die Kompetenzen und den guten Willen der Mitarbeiter. Eine Organisation besteht aus einzelnen Menschen, aus Mitarbeitern, d.h. nicht nur die abstrakte Firma muss dieses Vertrauen aufbringen, sondern auch jeder einzelne Mitarbeiter. Wenn Sie also bspw. in Ihrer Firma nach mehr Mitbestimmung, nach Offenlegung der Gehälter oder nach Vorgesetztenwahlen rufen, bedeutet dies für Sie, dass Sie Ihren Kollegen und deren Meinungen und Entscheidungen vertrauen müssen. Und wie kann Vertrauen entstehen? Vielleicht durch Transparenz.
Was ist Transparenz?
Die meisten Menschen finden Transparenz „gut“. Sie setzen Transparenz mit frei zugänglichen Informationen, mit offener Kommunikation und Partizipation, und manchmal sogar mit Rechenschaft gleich. Mitarbeiter wünschen sich in Unternehmen häufig mehr Einblick in Entscheidungen und Abläufe, eine bessere Versorgung mit Informationen, mehr Eigenverantwortung und Beteiligung. Doch ist Transparenz immer gut? Kann es nicht auch sein, dass eine Geschäftsleitung Informationen bewusst für sich behält, um Mitarbeiter zu schützen, um Sorgen und Stress zu vermeiden? Ist Intransparenz also möglicherweise auch gut und manchmal sogar zielführender? Hier gehen die Meinungen natürlich weit auseinander, doch wenn die Existenz einer Information bekannt wird und Spekulationen entstehen, verkehrt sich die beabsichtigte Wirkung ins Negative. Dann ist Transparenz wieder gut, auch wenn die Information an sich negativ ist.
Wer benötigt welche Information?
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor:
- Mitarbeiter Heiko benötigt die Informationen A, B und C.
- Mitarbeiter Andreas benötigt für seine Tätigkeiten die Informationen A und C.
- Mitarbeiter Conny benötigt die Information D.
Wie verteilen Sie die Informationen? Woher wissen Sie, wer welche Information benötigt? Bei Heiko, Andreas und Conny können Sie sich vermutlich noch merken, wer an welchen Informationen Interesse hat. Was ist aber, wenn Olaf, Lars, Marc, Martin, Mark, Marcus und Maike auch noch mitwirken? Bei drei Mitarbeitern klappt die Informationsversorgung bestimmt, bei zehn Mitarbeitern vielleicht auch noch. Bei 20, 40 oder 100 Mitarbeitern aber vermutlich nicht mehr. Hier macht ein geregelter Zugang zu Informationen Sinn. Informationen gelten nicht umsonst als Holschuld. Die Informationen A, B, C und D sind sehr abstrakt. Wer sich für welche Informationen interessiert, können Sie im Zeitalter von Conversion, Cookies und Counter relativ leicht ablesen. Sie können auch einfach einen kleinen Test ohne technische Hilfsmittel machen: Gibt es eine Information, die Sie in Ihrem Umfeld regelmäßig verteilen? Einen Statusbericht zum Monatsende, eine aktualisierte Risikomatrix beim Passieren eines Meilensteins oder diverse Meeting-Protokolle? Was passiert, wenn Sie die Information nicht verteilen? Wer spricht Sie auf die fehlende Information an? Werden Sie gar nicht darauf angesprochen, könnte es daran liegen, dass die Informationen bestenfalls ungelesen abgelegt werden. Sprechen Sie einzelne Mitarbeiter darauf an, dann wissen Sie genau, wer Interesse an den Informationen hat. Vielleicht sind es wieder nur drei Mitarbeiter, so dass Sie beurteilen sollten, ob sich der Aufwand und die gewonnene Transparenz die Waage halten.
Zeitpunkt und Menge der Transparenz
Haben Sie schon einmal eine Information erhalten, für die Sie sich grundsätzlich interessieren, die Sie dann aber dennoch ignoriert, abgelegt oder gar gelöscht haben? Natürlich passiert dies immer wieder. Was im Bereich von Social Media oft als „best time to engage“ bezeichnet wird, gibt es auch bei der Zusammenarbeit im Unternehmen. Der Zeitpunkt ist ein wesentlicher Aspekt bei Transparenz. Genauso wie die Menge der Informationen. Führt das eigenverantwortliche Arbeiten von Kollegen zu übertriebener Abstimmung und Kommunikation, zu vielen Meetings, Mails und Dokumenten, wird die Transparenz schnell nicht mehr als „gut“ empfunden. Wer sich mit operativen Aufgaben beschäftigt, hat nicht permanent Zeit, sich mit 5-Jahres-Plänen zu beschäftigen. Eigenverantwortung bedeutet also auch, nicht nur selbst mit vielen Informationen umzugehen, sondern auch den Umgang der Kollegen mit Informationen zu betrachten. In anderen Worten: Transparenz muss einen konkreten Nutzen stiften. Dieser Nutzen kann sich auch im Verlaufe eines Projekts verändern. Zu Projektbeginn ist der Austausch über Projektziele und Ideen sehr wichtig. Die Kommunikation darüber fördert das Engagement der Mitarbeiter, die Transparenz steigert die Motivation und stiftet Sinn. Im Laufe des Projekts, bei drohenden Deadlines, beim Umgang mit zahlreichen Änderungswünschen, müssen Sie dann aber vermutlich die Informationsmenge anpassen. Dies gelingt durch kleine Tests (wie oben beschrieben) oder durch konkrete Absprachen mit den Kollegen und Mitarbeitern.
Individuelle Transparenz
Beim eigenverantwortlichen Arbeiten in Projekten und Organisationen ist Kommunikation sehr wichtig. Wie wichtig sie aber für einen einzelnen Mitarbeiter ist, entscheidet letztlich der Mitarbeiter. Auch bei der Transparenz ist das Individuum maßgeblich. Bietet Transparenz für Sie Chancen? Sehen Sie die Vorteile und sind Sie bereit auch für Transparenz in Ihrem Umfeld, bei Mitarbeitern und Kollegen zu sorgen? Ist es für Sie in Ordnung, wenn die Wahl von Vorgesetzten öffentlich stattfindet und somit jeder weiß, für wen Sie gestimmt haben? Wären Sie damit einverstanden, wenn ein Entwickler wüsste, dass Sie das dreifache Gehalt bekommen? Bei der persönlichen Forderung nach Transparenz stellt sich stets die Frage, was möchte ich warum wissen und was bin ich selbst bereit über mich und von mir preiszugeben. Bei der Beurteilung von Transparenz in Zeiten von Achtsamkeit, Wertschätzung, Unternehmensdemokratie, New Work und New Pay ist es auch sehr wichtig, die Meinung von Kollegen zu akzeptieren. Wenn neun von zehn Mitarbeitern bereit sind, ihr Gehalt zu veröffentlichen, muss sich dann der zehnte fügen oder wäre es nicht viel gesünder für das Unternehmen, wenn sich die neun Mitarbeiter zurücknehmen? Es wird immer Mitarbeiter und Kollegen geben, die Probleme mit persönlicher Transparenz haben. Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht, wollen sich nicht „gläsern“ und angreifbar machen. Transparenz ist für solche Mitarbeiter keine Chance, sondern Risiko. Transparenz kann somit zwei Seiten haben, eine positive und eine negative. Im Sinne von Achtsamkeit und Wertschätzung ist das eine sehr wichtige Erkenntnis.
Hinweise:
Michael Schenkel hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.

Michael Schenkel
Leiter Marketing, t2informatik GmbH
Michael Schenkel ist Diplom-Betriebswirt (BA) und macht Marketing mit Leidenschaft. Er bloggt gerne über Projektmanagement, Requirements Engineering und Marketing. Und er freut sich, wenn Sie ihn auf eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen treffen.
Lieber Michael,
danke für den inspirierenden und für mich provokanten Beitrag. Nein, nicht weil ich Transparenz per se für sinnvoll halte, soweit dürftest Du mich kennen.
Verteilungsproblem
Das von dir beschriebene Problem existiert nur dann, wenn eine Organisation die Verteilung der Informationen, bzw. der Zugriffsrechte zentral steuern und kontrollieren will. Information hat meistens eine Bring- und Holschuld. Wenn wir eigenverantwortliche Mitarbeiter wollen, dann müssen wir ihnen auch die Verantwortungsübernahme für ihren Informationsstand zumuten. Andererseits sehe ich auch eine Bringschuld bei der GF, Infos, die relevant für die Unternehmensentwicklung sind, eben auch aktiv mitzuteilen. Ansonsten sind wir bei der aktuellen Situation von Siemens, einer ziemlichen Sauerei: Die Betroffenen wurden nicht mal über den massiven Abbau informiert, sondern haben ihr Schicksal durch die Medien erfahren. Ziemlich armselig. Und mikropolitisch dämlich.
Schutzfunktion
Hm – da gehe ich jetzt so gut wie gar nicht mehr mit. Ist die GF Mama und Papa und die MA die Sprösslinge? Das scheint mir ein eher paternalistisches Modell von Verantwortungsübernahme zu sein. Ha, Micha, endlich was, wo wir uns mal produktiv reiben können… 🙂
Timing
Spannender Punkt! Zumindest, was das aktive Verteilen von Infos angeht. Bezüglich des freien Zugriffs auf Informationen gilt dann wieder die Eigenverantwortung der MA. Wenn jemand mitten im Projekt oder seiner operativen Arbeit kein Interesse hat an strategischen Infos, kann er/sie es sein lassen. Wenn das aber hilft, um die eigene Arbeit besser zu verorten – warum sollte der/diejenige sich die Infos nicht beschaffen dürfen?
Motivation/Sinnstiftung
Das Transparenz Motivation und Sinn stiftet glaube ich nun wieder gar nicht. Damit wären wir ja beim alten Konzept externaler Motivation/Sinnstiftung. Das funktioniert mit Motivation bei repetativer Arbeit, aber nicht bei kreativer Arbeit. Damit wäre Transparenz nur ein Substitut für Geld und geldwerte Vorteile.
Ich würde eher mal formulieren: Transparenz kann helfen, Barrieren zur intrinsischen Motivation und SinnKOPPLUNG abzubauen. Eben so, wie FK ihre MA nicht motivieren, sondern dafür sorgen, dass sie nicht demotiviert werden,
Wir könnten Deinen Beitrag ja dazu nutzen, einen Dialog bei den Unternehmensdemokraten zu publizieren – was meinste?
LGA
Hallo Andreas,
danke für Deine Gedanken. In vielen Punkten stimme ich Dir zu, in manchen nicht. 🙂
Ich weiß nicht, ob Informationen überhaupt zentral verwaltet werden können. Natürlich gibt es zentrale Systeme zur Datenverwaltung, deren Zugriff mit Regeln und Rechten ausgestattet sind. Aber: Viele Informationen werden gar nicht „verwaltet“ – gerade im Hinblick auf Transparenz ist dies eine Herausforderung. Somit ist auch die Kategorisierung von Bring- und Holschuld schwierig. Eine Bringschuld kann es meiner Meinung nach nur geben, wenn es entsprechende Vereinbarungen gibt. Natürlich wollen Menschen frühzeitig Informationen erhalten, wie Du es vor kurzem in Deiner Satire unter http://www.unternehmensdemokraten.de/siemens-robin-hood-und-unternehmensdemokratie/ beschrieben hast. Ich bin sicher, dass die betroffenen Mitarbeiter hier eine klare Bringschuld bei der Geschäftsführung sehen. „…Dann ist Transparenz wieder gut, auch wenn die Information an sich negativ ist.“
Das Thema Schutzfunktion sehe ich anders und ob es „ein eher paternalistisches Modell von Verantwortungsübernahme“ ist oder nicht, finde ich gar nicht sonderlich relevant. Es wird immer Informationen geben, die nicht allgemein zugänglich sein werden, und auch nicht zugänglich sein sollen. Natürlich sind Mitarbeiter keine kleinen Kinder, dennoch muss eine Geschäftsführung das Recht auf eigene Überlegungen haben, die nicht sofort veröffentlicht werden müssen. Wollen wir die Produktion verlagern, einen zusätzlichen Standort eröffnen, ein neues Produkt für einen neuen Markt entwickeln oder den Mitarbeitern einen Sonderbonus zu Weihnachten auszahlen? Bei vielen Überlegungen macht es Sinn, den Zeitpunkt der Veröffentlichung bewusst zu wählen. Damit geht immer ein Risiko der Spekulation einher, aber Risikomanagement heißt ja nicht, alle Risiken zu beseitigen, sondern sich der Risiken bewusst zu sein. Und daher entscheidet auch eine Geschäftsführung – oder allgemeiner: der Informationsinhaber – über den Zeitpunkt und das Motiv der Veröffentlichung/Nichtveröffentlichung.
Transparenz und Motivation – mmh, interessant. Und so umfangreich, auch in Bezug auf die Sinnkopplung von Gebhard Borck, dass wir darüber gerne auch bei den Unternehmensdemokraten diskutieren können. Aber eine Überzeugung von mir kann ich Dir hier schon verraten. Eine Führungskraft ist nicht verantwortlich für das Glück von Mitarbeitern, dennoch kann sie sowohl für die Absenz von Demotivation als auch für Motivation sorgen.
Sonnige Grüße und bis bald
Michael
„Transparenz“ bedeutet in vielen Unternehmen nur, dass die Wände, gegen die die Angestellten laufen, aus Glas sind. Deswegen holen sie sich aber genauso eine blutige Nase wie vorher auch. Nur ist der Frustrationspegel danach höher.
Information (auch als Big Data bekannt) ist die Währung, ja, das Betriebskapital der Zukunft. Ein Unternehmer muss damit also achtsam umgehen, will er am Markt bestehen. Die Geheimdienste kennen das „Need to know“-Prinzip schon lange: jeder bekommt die Information, die er notwenigerweise für die Erledigung seines Auftrages bracht, das „big picture“ kennen nur die Eingeweihten. Das wird oft als „Herrschaftswissen“ von denen verpönt, die es nichts angeht, und die nicht einmal ansatzweise verstehen, dass der dosierte Umgang mit Informationen ihren eigenen Arbeitsplatz schützt. Das sind meist auch diejenigen, die nach „Transparenz“ schreien, und sich wundern, dass sie gegen Glaswände rennen. Solche Leute sind halt „Angestellte“, und werden es nie schaffen, „Mit-Unternehmer“ zu werden.
Und ja, mein Einkommen geht nur mich etwas an. Dafür trage ich als Unternehmer auch das volle wirtschaftliche Risiko, und damit auch die Verantwortung für meine Mitarbeiter und deren Wohlergehen.
Hallo Herr Cogin,
danke für Ihr Feedback. Ich persönlich kenne Geheimdienste nur aus Film und Fernsehen, aber ich würde vermuten, dass ein Geheimdienst immer mit Geheimnissen hantiert und somit jeder Geheimdienstmitarbeiter weiß, dass Transparenz weder Ziel der Organisation ist, noch dass er sie als Individuum erwarten kann. Dieses Verständnis der Beteiligten ist vermutlich in vielen anderen Organisationen so nicht gegeben. Mitbestimmung, offene Kommunikation, die gemeinschaftliche Definition von Werten und Zielen etc. erfordern einen Diskurs, der dann zumindest in Teilen zu mehr Transparenz führen kann. Natürlich steht es auch Mitarbeitern frei, sich wegen mangelnder Transparenz nach neuen Arbeitsstellen in der Branche umzuschauen. Als Laie würde ich glauben, dass Geheimdienstmitarbeiter auch hier weniger Möglichkeiten haben …
Sonnige Grüße
Michael Schenkel
Als Michael Gorbatschow 1985 KPdSU-Generalsektretär wurde, prägten zwei Begriffe seine Zeit, Perestroika und Glasnost. Perestroika heißt in dem Falle Umbau der Gesellschaft und Glasnost Transparenz. Bekanntlich setzte man dadurch Kräfte in Gang, die 1991 zum Auflösen der Sowjetunion führten. Das Hauptproblem war, dass populäre Visionen fehlten, nur Einreißen und Transparenz ist destruktiv, wenn darauf aber etwas Neues, Visionäres entsteht dann ist Transparenz notwendig.
So sehe ich dies auch in Firmen, man benötigt neben der Transparenz auch eine Demokratisierung mit mehr Mitbestimmung , wo eben auch die Mitarbeiter z.B. über die Höhe der Gehälter Mitspracherecht besitzen. Sie erarbeiten das Geld, aber verteilt wird es durch das Management. Ziel sollte hier ein fairer und transparenter Prozess sein, bei dem auch die Managementgehälter miteinbezogen werden müssten.
Dies ist natürlich im Kapitalismus illusorisch, der Eigentümer hat das Sagen und das Monopol auf Entscheidungen. Damit ist auch die Mitbestimmung der Mitarbeiter nur bedingt möglich.
Das Tranparenz funktioniert sieht man bei start-ups, gleiche Rechte und Pflichten für alle Gründer generiert auch eine maximale Offenheit und Gleichberechtigung nicht nur beim Geld, sondern auch bei den Aufgabenbereichen und bei Strategiefragen. Diese Privileg endet aber sofort für Angestellte, daher wären für mich Unternehmen, wo alle Mitarbeiter Anteilseigner sind die optimale Lösung, dann gäbe es nicht nur Transparenz wie bei Aktionären, sondern man wäre auch hochmotiviert, die eigene Firma weiterzubringen.