Internes Agile Coaching
Der undefinierte, definierte und dauerhafte interne Einsatz von Agile Coaches
Agiles Arbeiten ist 20 Jahre nach der Veröffentlichung des Agilen Manifests ein großes Thema und das wird wohl auch noch eine Zeitlang so bleiben. Agile Konzepte entstanden als Antwort auf zunehmende Komplexität und das Versagen etablierter Methoden – erst in der Softwareentwicklung und später darüber hinaus. Diese Gründe sind aktueller denn je, denn auch nach zwei Jahrzehnten scheint die Etablierung echter Agilität immer noch eher die Ausnahme als die Regel zu sein. Deshalb gibt es Agile Coaching.
Die Aufgabe von Agile Coaches ist, vereinfacht gesagt, Organisationen dabei zu helfen, agile Konzepte erfolgreich anzuwenden. Und die meisten Coaches verstehen „Coaching“ als einen Ansatz bei dem es eher darum geht, die ratsuchenden Personen bei der Lösungsfindung zu begleiten als die Lösung vorzugeben.
Neben der Rekrutierung von externen Agile Coaches entschließen sich viele Organisationen heutzutage für den Einsatz interner Agile Coaches. Ich habe in meiner Praxis einige typische Modelle für den Einsatz von internen Coaches kennen gelernt und angewendet. In diesem Beitrag möchte ich die Vor- und Nachteile dieser Modelle beleuchten und Vorschläge zur Integration der Ansätze machen.
Drei Modelle für internes Agile Coaching
Bei meiner Betrachtung geht es um Agile Coaches auf Bereichs- oder Teamebene und nicht um Enterprise Agile Coaches, die – angesiedelt bei der Unternehmensführung – Agilität auf Gesamtunternehmensebene im Blick haben. Agile Coaches auf Bereichs- oder Teamebene befassen sich damit, agile Arbeitsweisen bei einem oder mehreren Teams einzuführen oder weiterzuentwickeln. Sie sind dabei keine Führungskräfte im traditionellen Sinn, sie stehen außerhalb der Hierarchie und verfügen insbesondere über keine disziplinarische Macht hinsichtlich der Teams und Individuen, mit denen sie arbeiten.
Die Frage, die ich beleuchten möchte, lautet: Wie wird die Beziehung zwischen Agile Coach und Klienten konzeptionell gestaltet?
Eins vorweg: Nicht immer wird diese Beziehung bewusst gestaltet; im Gegenteil: sie formt sich häufig implizit. In meiner Praxis habe ich folgende drei Modelle erlebt:
- Undefinierte Zuordnung: Es gibt einen Agile Coach, jedoch ohne eindeutige Definition von Verantwortungsbereich und Zuständigkeit. Dieser Ansatz ist kein Modell im eigentlichen Sinne, sondern in der Regel das Ergebnis davon, dass keine bewusste Auseinandersetzung über die Rolle des Coaches stattgefunden hat. In der Praxis obliegt es dem Agile Coach, den Zuständigkeitsbereich selbst zu gestalten.
- Permanente Zuordnung: Bei der permanenten Zuordnung werden Agile Coaches dauerhaft einer oder mehreren Organisationseinheiten zugeordnet. In der Regel sind dies Teams, aber es können auch Abteilungen, Business Units, Chapters oder Circles sein. Es gibt auch Organisationen, die Coaches als Zweierteams einsetzen. Für diesen Artikel ist dieser Unterschied unerheblich.
Ich habe den Eindruck, dass dieses Modell häufiger in IT-Organisationen anzutreffen ist, insbesondere wenn diese mit Scrum arbeiten oder zumindest gearbeitet haben. Bei Scrum ist die Rolle des Scrum Masters fest angelegt. In vielen Fällen handelt es sich bei den Agile Coaches auch um vorherige Scrum Master. In der Regel sitzen die Coaches bei den Teams, nehmen an deren Alltag teil und sind mehr oder weniger Teil des Teams. - Projektmodell: Agile Coaches arbeiteten für einen definierten Zeitraum mit einem Bereich, einem oder mehreren Teams. Dieses Modell entspricht der typischen Arbeitsweise von externen Agile Coaches oder Beratern. Meist wird es eingesetzt, wenn die Anzahl der verfügbaren Agile Coaches für eine permanente Betreuung aller infrage kommenden Teams nicht ausreicht oder/und, weil man sich aus diesem Ansatz verspricht, typische Probleme der permanenten Zuordnung zu vermeiden.
Vergleich der Modelle
Im Folgenden möchte ich die Modelle näher betrachten:
Undefinierte Zuordnung
Grundsätzlich bietet diese Vorgehen die größte Flexibilität. Der Agile Coach ist nicht an eine Zuordnung gebunden und kann sich initiativ überall einbringen. In dieser Flexibilität liegt aber auch das größte Risiko: Unverbindlichkeit. Da der Aufgabenbereich des Agile Coach nicht abgegrenzt ist, fehlt oft die Verzahnung mit dem Rest des Unternehmens. Der Agile Coach kann Impulse geben, aber es gibt keinen Grund, diesen zu folgen. Insbesondere wenn diese Impulse unbequeme Einsichten oder Veränderungen erfordern, laufen die Initiativen oft ins Leere.
Dazu kommt, dass es allein von der persönlichen Wahrnehmung des Agile Coach abhängt, welche Themen mit welcher Zielrichtung angegangen werden. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang der Begriff „Selbstbeauftragung“ verwendet. In der Folge passiert es oft, dass der Agile Coach mit fast missionarischem Eifer seine Vorstellung von agilem Arbeiten vermarktet, die Ideen jedoch oft nicht anschlussfähig sind und im Sande verlaufen.
Permanente Zuordnung
Bei der permanenten Zuordnung ist das Agile Coaching in die regulären Abläufe der bereuten Organisationseinheit eingebunden. Daraus ergibt sich der große Vorteil, dass der Agile Coach einen sehr viel besseren Einblick bekommt und Vertrauen aufbauen kann. Er kann sich bietende Gelegenheiten für agile Veränderungen wahrnehmen und nutzen. Außerdem können Veränderungen langfristig begleitet und justiert werden, so dass der Rückkehr zu alten Verhaltensweisen vorgebeugt werden kann.
Der größte Nachteil dieses Modells liegt in der schleichenden Betriebsblindheit. Mit zunehmender Verweildauer wird es für den Agile Coach immer schwieriger, eine Außenperspektive aufrechtzuerhalten, und aus einer dissoziierten Haltung heraus zu agieren. Der Agile Coach wird immer mehr Teil des Systems. Damit geht die Gefahr einher, dass die Verantwortung zur kontinuierlichen Verbesserung von dem Team und der Führungskraft an den Agile Coach delegiert wird – gerne zusammen mit administrativen Aufgaben wie der Administration von Tool und der Organisation von Meetings.
Projektmodell
Das Projektmodell ähnelt dem Einsatz von externen Beratern oder Coaches. Es wird ein Coaching für ein bestimmtes Thema und über einen bestimmten Zeitraum vereinbart. „Vereinbart“ kann auch „verordnet“ bedeuten, bspw. im Rahmen eines übergreifenden Transformationsvorhabens.
Idealerweise folgt das Projekt den Grundsätzen des professionellen (nicht-agilen) Business Coachings und basiert auf einer Auftragsklärung.
Exkurs Professionelles Life oder Business Coaching
Beim professionellen Coaching ermöglicht der Coach dem Coachee mit Hilfe von Fragen, Erkenntnisse für sich selbst zu gewinnen. Der Coach vermeidet dabei, selbst inhaltliche Impulse zu geben und bspw. Lösungsvorschläge zu unterbreiten.
Der Coachingauftrag bildet die Grundlage dafür, dass der Coach dem Coachee auch unangenehme Fragen stellt, um ihm die Auseinandersetzung mit seinem Thema zu ermöglichen – ähnlich wie ein Personal Trainer beauftragt wird, seinen Klienten bei der Erreichung von Fitnesszielen über bisherige Grenzen zu führen. Der Auftrag stellt sicher, dass diese Anstrengung immer im Interesse des Coachees erfolgt.
Entsprechend gibt der Auftrag beim Agile Coaching den Rahmen vor und vermeidet, dass mit dem Coaching implizit Ziele verfolgt werden, die nicht denen des Auftraggebers entsprechen.
Die Vor- und Nachteile sind gewissermaßen spiegelbildlich zum Modell der permanenten Zuordnung:
Der größte Vorteil des Projektmodells liegt in der Intiative vom Klienten mit einem mehr oder weniger klar umrissenen, zugrunde liegenden Bedarf. Es gibt also ein zu lösendes Problem – bei den anderen Ansätzen ist dies oft nicht so und Agile Coaching möchte ein Problem lösen, das die Betroffenen nicht zu haben scheinen.
Der größte Nachteil ist, dass nur Themen bearbeitet werden können, die auch angefragt werden. Der Coach startet idealerweise unvoreingenommen, hat aber auch im Vergleich viel weniger Möglichkeiten, das Team zu beobachten. Durch den begrenzten Zeitrahmen besteht dadurch einerseits mehr Fokus, in dieser Zeit auch Fortschritte zu bewirken, andererseits aber auch die Gefahr, oberflächliche, nicht selbsttragende Maßnahmen zu initiieren.
Modell | Vorteile | Nachteile |
Undefinierte Zuordnung |
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Permanente Zuordnung |
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Projektmodell |
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Meine persönliche Empfehlung
In den vorangegangenen Kapiteln habe ich erläutert, welche Einsatzmodi für Agile Coaching ich erlebt habe und wo ich die Vor- und Nachteile sehe. Bevor ich auf meine Schlussfolgerungen eingehe, möchte ich betonen, daß die genannten Nachteile nicht zwangsläufig auftreten müssen. In jedem der genannten Modelle sind gute Arbeit und nachhaltig wirksame Erfolge möglich. Es ist mir auch wichtig zu erwähnen, dass natürlich das Einsatzmodell nur ein Einflussfaktor neben vielen anderen Faktoren ist.
Secret Sauce Auftragsklärung
Ich möchte jetzt auf einen Aspekt eingehen, den ich bislang weggelassen hab: die Auftragsklärung. Bei der Auftragsklärung geht es darum, ein gemeinsames Verständnis über die Ziele beim Agile Coaching und die Rollen der Beteiligten in dem Prozess herzustellen.
Ich habe das Konzept der Auftragsklärung das erste Mal im Zusammenhang mit dem Coaching von Einzelpersonen kennen gelernt. Auftragsklärung ist auf jeden Fall auch im Zusammenhang mit Organisationsberatung ein etabliertes Konzept.
Mein Eindruck ist, dass sorgfältige Auftragsklärung im Projektmodell vergleichsweise häufiger gelebt wird. Der Charakter von “undefiniert” ist ja, dass eben keine Klarheit über die Rolle und Vorgehensweise des Agile Coaches besteht. Und bei der permanenten Zuordnung findet nach meiner Erfahrung die Auftragsklärung bestenfalls zu Beginn der Zusammenarbeit statt und bleibt dann auch oft recht allgemein.
Dieser Zustand muss allerdings kein Schicksal sein. Es gibt keinen Grund, warum bei einer permanenten Zuordnung keine regelmäßige Überprüfung des Auftrags erfolgen kann.
Insgesamt ergibt sich für mich die permanente Zuordnung mit regelmäßiger Auftragsklärung als die vielversprechendste Kombination der bisher vorgestellten Ansätze.
Permanente Zuordnung mit periodischer Auftragsklärung
Der Name ist Programm: Bei diesem Ansatz arbeitet ein Agile Coach unbefristet mit einer Organisationseinheit zusammen. Zu Beginn der Zusammenarbeit und danach in regelmäßigen Abständen erfolgt ein Bestandsaufnahme und Anpassung der Ziele.
Im Kern empfehle ich nichts Anderes als die Anwendung von Objectives and Key Results auf Agiles Coaching. Und auch das ist letztendlich nur die Umsetzung dessen, was Agiliät in der Essenz ausmacht: interativ-inkrementellles Vorgehen.
Als Inkrement kann hierbei das Kompetenzniveau des Teams angesehen werden (oder auch Reifegrad). Inhalt des Auftrags ist die Anhebung des Kompetenzniveaus in bestimmten Dimensionen.
Iteratives Vorgehen drückt sich darin aus, dass einerseits, der aktuelle Stand in regelmäßigen Abständen überprüft und die Ziele sowie das Vorgehen angepasst werden.
Mit diesem Vorgehen wird erreicht, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis davon haben, wie der Status Quo ist, was warum erreicht werden soll und welches Vorgehen gewählt wird. Diese Transparenz ermöglicht den Austausch über die genannten Aspekte.
Dem Coach ermöglicht dieses Vorgehen die Sicherheit, an gemeinsamen Zielen zu arbeiten und nicht in die Falle der Selbstbeauftragung zu tappen. Zusätzlich kann es sinnvoll sein, von Zeit zu Zeit einen Kollegen von außen als Beobachter hinzuzuziehen, um eine unvoreingenommene Perspektive einzubringen und einsetzender Betriebsblindheit entgegenzuwirken.
Hinweise:
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Peter Rubarth freut sich sehr über jeden Gedankenaustausch. Gerne können Sie sich auch mit ihm darüber unterhalten, wie er Sie beim Thema „Agile Potentialentfaltung“ unterstützen kann. Sprechen Sie ihn dazu einfach auf LinkedIn an.
Peter Rubarth hat weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht:
Peter Rubarth
Peter Rubarth ist Systemischer Agile Coach und als Senior Agile Coach für die solarisBank AG tätig. Großartige Teams sind seine Leidenschaft. Seit nun mehr als 14 Jahren unterstützt er Teams und Organisationen dabei, sich zu finden, Hindernisse zu beseitigen und das volle Potential agiler Konzepte für sich zu realisieren.