Mission Kundenzentrierung
“Markt – der Ort an dem Angebot und Nachfrage für ein definiertes Gut zusammentreffen. Volkswirtschaftlich betrachtet eine Ansammlung von möglichen Verkäufern und Käufern, von Unternehmen und Kunden.” So erinnere ich die Definition des Marktes, die mein BWL-Lehrer 1989 vermittelte. Sich mit Kunden und ihren Bedürfnissen auseinanderzusetzen ist alles, nur nichts Neues für Unternehmen. Kundenzentrierung gehört zur DNA von Organisationen. Sie ist Antrieb für Ideen und Produkte, für Kooperationen und Geschäftsmodelle. Was soll also die Forderung nach Kundenorientierung, die kontinuierlich in unzähligen Artikeln und Beiträgen wiederholt wird? Und warum ist die Forderung richtig und wichtig?
Atmen Sie
Die meisten Unternehmen wurden und werden mit der Absicht gegründet, ein Produkt oder eine Dienstleistung für Kunden anzubieten, um damit Geld zu verdienen. Das war 1989 so, das ist 2019 so und es wird vermutlich auch 2049 so sein. Werden nun Forderungen nach (mehr) Kundenzentrierung laut, dann ist das fast so, als würde Sie jemand auffordern zu atmen. Ohne Atemluft können Sie nicht überleben. Das klingt ziemlich banal, aber der Kontext der Äußerung offenbart einen ernsten Hintergrund: werden Sie aufgefordert zu atmen, befinden Sie sich vielleicht in einem Moment der Schockstarre, in einer Situation, die Sie überfordert, oder in einem Umfeld, in dem sehr viele Informationen und Herausforderungen auf Sie einprasseln. “Atmen Sie” wäre also ein Hinweis, sich auf etwas ganz Elementares zu besinnen: Atemluft. Alles andere ist sekundär. Und genauso verhält es sich bei der Forderung nach Kundenzentrierung. Sie ist ein Appell, sich auf die Atemluft für Unternehmen zu konzentrieren: die Kunden.
Initiativen in Unternehmen
Kennen Sie Unternehmen, die sich mit einem der folgenden Themen beschäftigen:
- Agilität und agile Transformation
- Digitale Transformation
- Moderne Führung und Leadership
- Hierarchieabbau, Augenhöhe und Unternehmensdemokratie
- New Work und selbständige Arbeit
- New Pay und Transparenz
- Liberating Structures
- Working out Loud
- Angst und Mut
- Fehlerkultur
- Mindset und Mindchange
Die Liste solcher Initiativen lässt sich relativ leicht verlängern. (Und zu vielen der Themen finden Sie interessante Beiträge in unserem Blog.) Unabhängig davon, dass sich Unternehmen kontinuierlich verändern (Transformation ist immer), gibt es in Ihrer Organisation auch solche oder ähnliche Bestrebungen? Gut, denn die Arbeit in Unternehmen, unser Leben im Allgemeinen, unsere Werte und Einstellungen verändern sich. Und solche Initiativen tragen dem Rechnung.
Fällt Ihnen etwas bei der Liste auf? Nirgends taucht das Wort “Kunde” auf. Vielleicht (ver-)stecken (sich) die Kunden unter dem einen oder anderen Begriff – die digitale Transformation bspw. könnte auf der Erwartungshaltung Ihrer Kunden basieren – aber ein Großteil der Themen fokussiert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das Miteinander in der Organisation, den Wandel innerhalb von Unternehmen. Ist es nicht verblüffend, dass in Zeiten umkämpfter Märkte und scheinbar vergleichbarer Leistungen, die meisten Buzzwords auf das Innere einer Organisation abzielen? Sollte allein dies Grund genug sein, warum die Forderung nach Kundenzentrierung Sinn ergibt?
Die gewünschte Intention einer Initiative
Was ist das Ziel einer Unternehmensinitiative? Das ist die erste Frage, die es zu klären gilt. Es ist eine wichtige Frage, die alle Beteiligten der Initiative beantworten können müssen. Ohne klares Ziel – nein, noch genauer: ohne klares, gemeinsames Ziel – ist eine Initiative zum Scheitern verurteilt. Das gemeinsame Ziel zu identifizieren, ist alles andere als einfach, denn Ziele variieren. Sie verfolgen vermutlich ein anderes Ziel als Ihre Kollegin, die erwartet etwas anderes als ihr Vorgesetzter, und dessen Ziel steht im Konflikt mit den Vorstellungen seiner Kollegin. Tatsächlich ist die Definition des Ziels ein Prozess und mit steigender Anzahl der Beteiligten steigen die Herausforderungen zur Ermittlung des gemeinsamen Ziels. Hier kann ein sogenanntes Zieldiagramm als Ausdrucksmittel helfen, um einzelne Ziele, die Beziehungen zwischen Zielen und die Beziehungen zwischen Beteiligten und ihren Zielen zu visualisieren.
Und woran merken die Beteiligten, dass das gemeinsame Ziel erreicht wurde? Das ist die zweite wichtige Frage, die es zu klären gilt. Lässt sich für das Ziel eine Zahl definieren, die erreicht werden soll? Sollten Szenarien definiert werden, in denen die angestrebten Veränderungen zur Anwendung kommen? Im Kontext von Anforderungen würde man von “Akzeptanzkritieren” sprechen, anhand derer überprüft wird, ob die gewünschten Ergebnisse erreicht werden.
Wie lautet die dritte wesentliche Frage zu einer Unternehmensinitiative? Nun, da Sie gerade einen Beitrag zum Thema Kundenzentrierung lesen, ist die Antwort vermutlich naheliegend: Was haben Ihre Kunden von der Initiative? Wie merken Ihre Kunden, dass sich etwas für sie – hoffentlich zum Positiven – verändert? Selbst wenn sich eine Initiative einer Organisation nach innen richtet, so sollte auch der Kunde etwas von der angestrebten Veränderung spüren. Wollen Sie bspw. flexiblere Arbeitszeiten in Ihrem Unternehmen einführen und so Elternteilen ermöglichen, ihre Kinder während der “üblichen” Arbeitszeit aus der Kita oder der Schule abzuholen, dann könnte dies dazu führen, dass die Elternteile stattdessen abends einige Stunden arbeiten und so über die “üblichen” Arbeitszeiten hinaus als Ansprechpartner für Ihre Kunden zur Verfügung stehen. Ihr Kunde hätte also auch einen Vorteil von flexiblen Arbeitszeiten. Oder: Vielleicht führen Sie ein rollierendes Arbeitsplatzmodell ein, bei dem Mitarbeiter aus dem Support einen Tag pro Woche an der Entwicklung einer Software mitwirken. So wird die Arbeit des Einzelnen interessanter und abwechslungsreicher, und er oder sie kann fortan Anfragen durch die zusätzlichen “Insights” noch besser beantworten.
Wichtig sind also drei Fragen:
- Was ist das gemeinsame Ziel der Initiative?
- Woran merken Sie, dass das gemeinsame Ziel erreicht wird?
- Was haben Ihre Kunden davon?
Können Sie diese Fragen nicht beantworten, wird die Unternehmensinitiative mit großer Wahrscheinlichkeit verpuffen. Suchen Sie nach Antworten auf diese Fragen und erhalten nur Aussagen wie “Das weißt Du doch! Stell’ Dich nicht so an!” oder “Wir wollen besser und agiler werden!” dann wissen Sie spätestens in dem Moment, wie ernst Sie das Thema nehmen können …
Die User Experience im Blick
Vermutlich kennen Sie den Ausdruck User Experience. Es ist ein Begriff, der die Erfahrung eines Users bei der Verwendung eines Produkts, eines Systems oder eines Services in den Fokus stellt. Definiert wird der Begriff in der DIN EN ISO 9241, einem internationalen Standard, der Richtlinien der Mensch-Computer-Interaktion festhält, wie folgt: “Die Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die sich aus der Nutzung und/oder der erwarteten Nutzung eines Produkts, Systems oder einer Dienstleistung ergeben.”
Natürlich gibt es “User Experience” nicht nur bei einer Mensch-Computer-Interaktion. Ein User ist eine Person, ein Anwender, ein Kunde, ein Mensch. Er oder sie nimmt Dinge wahr und sammelt Erfahrungen. Eine positive User Experience ist im wesentlichen das Ziel einer Kundenzentrierung. Und das Gute an einem solchen Ziel ist: es lässt sich relativ leicht erreichen. Dazu zwei kleine Beispiele:
Beispiel 1: Check-in in einem Hotel
Wenn Sie in einem Hotel einchecken, was passiert meist direkt nach der Begrüßung? Sie werden in 99% der Hotels darum gebeten, Ihre Daten in ein Anmelde-Formular einzutragen. Oftmals weißt man Sie dabei darauf hin, dass Sie nicht alle Felder auszufüllen hätten, lediglich Ihren Namen, Ihre Adresse und Personalausweisnummer, vielleicht Ihr Geburtsdatum und das Kennzeichen des Fahrzeugs, mit dem Sie auf den Parkplatz gefahren sind. Das ist großzügig, oder? Und was haben Sie als Gast davon, dass Sie Ihre Daten dem Hotel überlassen? Vermutlich relativ wenig. Was hat das Hotel davon? Wenn Sie sich bspw. nicht zum Newsletter anmelden auch relativ wenig. Ihre Daten landen – nachdem sie manuell übertragen wurden – im System des Hotels. Jetzt weiß das System, dass Sie in Berlin wohnen und in München in einem Hotel übernachten. Glückwunsch. Übernachten Sie zum zweiten Mal in dem Hotel, besteht vielleicht die vage Chance auf ein Zimmer-Upgrade. Frage: Warum müssen Sie das Anmelde-Formular ausfüllen? Wenn das Hotel mit seinen Angestellten Daten von Ihnen möchte, warum übernehmen die Rezeptionistin oder der Rezeptionist die Daten von Ihrem Personalausweis? Das Management des Hotels möchte etwas von Ihnen und Sie sollen das Ganze dann ermöglichen. Stehen Sie hier als der Kunde oder Kundin im Zentrum?
Beispiel 2: Bordkarte für ein Flug
Vor kurzem durfte ich auf Twitter eine Kommunikation über die Bordkarten einer Fluglinie verfolgen.¹ Auf einer Bordkarte befinden sich unterschiedlichste Informationen, die Sie als Fluggast normalerweise nicht interessieren. Es gibt Codes, es gibt Abkürzungen und es gibt auch versteckte Hinweise für die Flugsicherheit. Tatsächlich befinden Sie auch einige Informationen für Sie auf der Bordkarte: die Abflugzeit, Ihre Sitzplatznummer und das Gate, an dem Sie sich spätestens zu einer definierten Uhrzeit einfinden sollten. Oftmals werden das Gate und die Uhrzeit vom Bodenpersonal manuell mit einem Stift unterstrichen oder eingekreist, damit Sie sich leichter orientieren können. Frage: Wie würde eine Bordkarte aussehen, die den Fluggast – also Sie – in den Mittelpunkt stellt? Etwa so:

Bordkarten im Vergleich
Wie können Sie Ihre Kunden mehr in den Fokus stellen?
Was tun Sie nun, wenn Sie weder in der Hotel- oder der Flugbranche aktiv sind, Sie Ihre Kunden aber stärker in den Fokus stellen wollen? Es wäre bestimmt mehr als sinnvoll, wenn Sie bei bestehenden Initiativen den Kunden und dessen mögliche Vorteile in Ihre Überlegungen mit einbeziehen würden. Es dürfte auch Sinn ergeben, über eine “Initiative Kundenzentrierung” nachzudenken, doch Initiativen brauchen Zeit, sie kosten Mühe und verursachen Aufwände. Vielleicht geht es auch einfach eine Nummer kleiner: mit einer “Mission Kundenzentrierung”. Ihrer persönlichen Mission. Für Ihre oder Ihren Kunden. Für den Fachbereich, für den Sie etwas entwickeln. Für den potenziellen Auftraggeber, für den Sie ein Angebot erstellen. Für den Anwender, der eine Funktion in Ihrer Software nicht findet oder sie nicht richtig benutzt.
Bestimmt können Sie die beiden Beispiele aus dem Hotel bzw. mit der Bordkarte leicht nachvollziehen. Auch wenn die Implementierung einer Veränderung in der Praxis unterschiedlich aufwändig ist, mein Appell hinter den Beispielen ist einfach: Versetzen Sie sich in Ihre Kunden! Suchen Sie nach Vereinfachungen für Ihre Kunden. Beschleunigen Sie Abläufe für Ihre Kunden! Helfen Sie Ihren Kunden! Heute. Und morgen. Und übermorgen wieder. Ihre Kunden werden es Ihnen danken. Das ist der Grund, warum die Forderung nach Kundenzentrierung richtig und wichtig ist. Und vielleicht wird aus Ihrer persönlichen Mission der Kundenzentrierung demnächst sogar eine Initiative Ihrer Organisation.
Hinweise:
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[1] Der besagte Tweet stammt von John Meister @politikmeister.
Michael Schenkel hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.

Michael Schenkel
Leiter Marketing, t2informatik GmbH