Mein OKR ist kaputt!

Gastbeitrag von | 17.06.2021

Ich beobachte immer wieder, wie genervt manche über Objectives and Key Results reden. Oft auch zu Recht! Je mehr OKR an Popularität gewonnen hat, desto mehr wird es missverstanden und missbraucht. Es liegt zum Teil daran, dass viele Berater:innen das Thema als eine neue Geschäftsmöglichkeit zur Erweiterung ihres Portfolios sehen und das Thema nur oberflächlich behandeln und verkaufen. Und es liegt auch daran, dass manche ganz euphorisch mit OKR anfangen, nachdem sie ein Buch, Artikel oder Erfahrungsbericht von erfolgreichen Unternehmen gelesen/gehört haben. „Wenn Google damit erfolgreich war, werden wir es bestimmt auch.“ Es tut mir leid, wenn ich nun viele enttäuschen muss. Der Schlüssel zum Erfolg ist nicht OKR selbst, sondern die Prinzipien dahinter.

In John Doerrs „Measure What Matters“¹ ist die Rede von 4 Superpowers von OKR:

  1. Fokussieren und sich zu Prioritäten verpflichten
  2. Ausrichten und verbinden für Teamarbeit
  3. Verfolgen der Verantwortlichkeit
  4. Nach den Sternen greifen

Die gute Nachricht: ja, Objectives and Key Results kann in der Tat diese Superpowers freisetzen. Die schlechte Nachricht ist jedoch, dass diese Superpowers gewisse Prinzipien verlangen.

Fokussieren und sich zu Prioritäten verpflichten

Viele versprechen sich von OKR eine bessere Fokussierung, sind aber verärgert, wenn der gewünschte Effekt nicht auftritt. In der Praxis stelle ich beispielsweise fest, dass manche Organisationen 12 Objectives und 5-8 Key Results pro Objective definiert haben. Und das auf jeder Ebene. Die OKR-Liste ist länger und verworrener als so manches Labyrinth.

Die Ursachen hierfür sind oft Konfliktvermeidung beim Treffen von „harten“ Entscheidungen und eine fehlende, klare Strategie. Alle neuen Idee und Möglichkeit werden bejaht, denn die Organisation ist ja „dynamisch“. Hierzu empfehle ich bei jeder neuen Idee folgende Fragen zu stellen:

  • Warum ist das wichtig und warum jetzt?
  • Wird uns die neue Idee unserer Vision bzw. unseren lang- und mittelfristigen Zielen näherbringen?
  • Passt die neue Idee mit zu unserer aktuellen Vision und Strategie überein?
  • Welche Ideen haben den größten Hebel, um den nächsten Schritt zu gehen?
  • Wird uns diese neue Idee neue Türen eröffnen, durch die wir unbedingt gehen wollen?
  • Welche anderen Themen müssten wir dafür anhalten bzw. stoppen?

Die letzte Frage adressiert bewusst das Fokussieren. Eine Limitierung der Anzahl von OKR hilft (ich empfehle max. 3 Objectives und max. 3-4 Key Results), um sich überhaupt mit diesen Fragen beschäftigen zu können. Das OKR-Limit triggert also solche Fragen und Gespräche automatisch.

Ausrichten und verbinden für Teamarbeit

Laut OKR Annual Report 2020 von There Be Giants nennen 90 % der Organisationen, die OKR anwenden, „Alignment“ als Grund, warum sie OKR eingeführt haben. OKR richtig eingesetzt kann in der Tat auch hierbei ein Wunder bewirken. Allerdings wird Alignment leider oft missinterpretiert.

Alignment bedeutet nicht, zu wissen, was die Anderen tun, sondern, dass alle ein gemeinsames Verständnis der Vision und aktuellen Strategie haben. Ein vertikales Alignment mag hilfreich sein, aber die wahre Kraft von OKR wird erst mit horizontalem Alignment freigesetzt. Damit meine ich OKR, an denen entlang der Wertschöpfungskette cross-funktional gearbeitet werden muss, damit ein Mehrwert für die Kunden und Nutzer erzeugt werden kann. Und das funktioniert nur mit dem „großen Ganzen“ im Blick und der Erkenntnis, dass eine Funktion „nur“ ein Teil der gesamten Wertschöpfungskette ist und nur gemeinsam mit anderen Funktionen einen End-2-End Mehrwert erzeugen kann.

Darüber hinaus spielt Transparenz eine große Rolle. Ich habe von OKR-Systemen gehört, bei denen die höheren Hierarchieebenen die Objectives and Key Results von den Unteren einsehen können, allerdings nicht andersrum. Daran ist so vieles falsch!

Erstens: wenn die Teams nicht wissen, was die Ziele von Abteilungsleiter:innen sind, wie schreiben sie dann überhaupt ihre OKR?

Zweitens: was für Geheimnisse haben die höheren Ebenen, dass sie diese verstecken müssen? Wovor haben sie Angst?

In so einer Umgebung ist nur eins möglich, und zwar leblose OKR, die niemanden weiterbringen, sondern nur Zeit fressen und den Bürokratieapparat noch vergrößern.

Die Idee hinter OKR-Alignment ist, dass Menschen die Verbindung zwischen ihren tagtäglichen Aktivitäten und der Vision verstehen, und dass sie den Sinn und Zweck hinter ihren Aktivitäten hinterfragen, um informierte Entscheidungen treffen zu können.

Verfolgen der Verantwortlichkeit

Oje… Wo soll ich anfangen? Was für Horror-Geschichten ich zu diesem Thema gehört habe… Hier sind die Flop 3:

  • OKR werden Top-Down vorgeschrieben.
  • OKR werden streng kaskadiert.
  • OKR werden zur Kontrolle genutzt.

Es ist zwar notwendig, dass die Zielrichtung, Fokus und Strategie Top-Down definiert werden, allerdings sollte der Weg zum Ziel von den Teams definiert werden, die daran arbeiten. Menschen identifizieren sich mit Zielen eher, die sie sich selbst auf die Fahne geschrieben haben.

Das Problem mit streng kaskadierten bzw. zu restriktiv geschriebenen Objectives ist, dass diese kaum bis gar keinen Freiraum für eigene Ideen lassen. Wenn das Key Result von Bereichsleiter:innen das Objective von Abteilungsleiter:innen wird, bleibt den Abteilungsleiter:innen kein Spielraum. Noch enger wird es, wenn dazu die Teams OKR schreiben sollen. Ein solches Vorgehen beschränkt jegliche Kreativität und ist in Wahrheit Pseudoautonomität.

Objectives and Key Results als Command & Control Mechanismus ist meiner Meinung nach eine reine Geldverschwendung. OKR einzuführen ist nämlich nicht einfach. Es kostet Zeit und Energie. Wenn das Ziel einer Einführung ist, die Teams besser kontrollieren zu können, ist der Aufwand zu schade. Die messbaren Key Results mögen für manche Manager wie ein gefundenes Fressen aussehen, aber wenn Objectives and Key Results nur wie ein KPI-Dashboard benutzt wird, haben sie eigentlich nur eine alte Lösung unter einem neuen Namen teuer implementiert.

Verantwortlichkeit kann nur dann erwartet werden, wenn Ziele von denjenigen selbst definiert wurden, die diese umsetzen sollen. OKR richtig eingesetzt, kann die intrinsische Motivation fördern.

Nach den Sternen greifen

Ich hätte nie gedacht, dass manche wirklich glauben, dass mit dem Einsatz eines Frameworks Kreativität und Innovation automatisch freigesetzt werden. Schön wär‘s. Welch naiver Gedanke! Es tut mir leid, dass ich schon wieder enttäuschen muss. Jedoch erfordert Kreativität eine Umgebung, in der die Menschen sich sicher fühlen. Es braucht eine Kultur, in der Irrtümer als Teil des Entwicklungsprozesses gesehen werden.

Menschen werden ambitionierte Ziele nur schreiben, wissend diese eventuell nicht zu erreichen, wenn sie dafür nicht beurteilt bzw. bewertet werden. Das heißt, jegliche Performance Messung, Mitarbeiter Evaluierung, monetäre Incentivierung, etc. müssen von OKR entkoppelt werden.

Nicht zuletzt um Innovation freizusetzen, muss der Unterschied zwischen Output und Outcome verinnerlicht werden. Nicht jedes messbare Ziel ist auch ein gutes Key Result. Wenn ich mir „10 Blogposts schreiben“ als Ziel vornehme, sagt dieses Ziel nichts darüber aus, ob diese Blogposts auch von Menschen gelesen werden. D.h. erst wenn ich das Verhalten meiner Zielgruppe bzw. meine Wirkung auf meiner Zielgruppe messen kann, z.B. durch Views, Likes, Kommentare, Fragen, Weiterempfehlung, etc., fange ich an, meine Zielgruppe besser zu verstehen und kann Ideen entwickeln, die die Bedürfnisse meiner Zielgruppe entsprechen.

Wie fixe ich meine OKR?

Die allererste Frage, die zu stellen ist, lautet:

  • Warum OKR? bzw. Warum glauben wir, dass OKR uns helfen wird?

Danach stellen Sie sich die Frage:

  • Sind wir bereit einen hohen Aufwand zu investieren?

Und zuletzt fragen Sie sich:

  • Sind wir bereit unsere Glaubenssätze herauszufordern und zu hinterfragen?

Wenn Sie weiterhin überzeugt sind, dass Objectives and Key Results das Richtige für Sie ist, dann stellen Sie sich die Frage:

  • Was müssen wir alles tun, um die wahre Kraft von OKR freizusetzen?

Finden Sie heraus, was das Wichtigste ist, worauf Sie sich als erstes fokussieren sollten. Wollen Sie die Kollaboration stärken? Wollen Sie das Engagement der Mitarbeiter:innen erhöhen? Wollen Sie Innovation fördern?

Wenn Sie sich im Klaren sind, wozu Sie Objectives and Key Results brauchen und was Sie dadurch verändern wollen, schreiben Sie OKR für die Erfolgsmessung der Einführung. Entwickeln Sie Ideen wie Sie dahin kommen und woran Sie es erkennen, dass Sie auf dem richtigen Weg sind und ob Sie ankommen. Wenn Sie dies getan haben, herzlichen Glückwunsch! Sie sind ein Vorbild und können die Herausforderungen, Nuancen und Vorteile aus erster Hand selbst erleben, bevor Sie es von anderen verlangen. Diese Bereitschaft beweist Ihre Überzeugung und Selbstverpflichtung und wird andere in Ihrer Organisation inspirieren.

 

Hinweise:

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[1] John Doerr, Measure What Matters, Penguin LCC US Verlag

Cansel Sörgens organisiert regelmäßig den Online OKR Lean Coffee und weitere Community Events, wie z.B. OKR Open Space. Informationen zu ihren Events finden Sie unter https://cansel-soergens.com/okr-events/.

Cansel Sörgens hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Strategisches Alignment mit OKR

Strategisches Alignment mit OKR

Cansel Sörgens
Cansel Sörgens

Cansel Sörgens arbeitet seit über 12 Jahren mit/für E-Business und E-Commerce Unternehmen in unterschiedlichen Rollen als Produkt-, Portfolio-, Projektmanagerin und Agile Organisationsentwicklerin. Seit 2016 brennt sie für Objectives and Key Results,  weil es viele wichtige Aspekte der Arbeit in Organisationen umfasst: Gemeinsame Ausrichtung, Umsetzung einer Strategie, Fokus auf das Wichtigste sowie Kollaboration entlang der Wertschöpfungskette für messbare und wirkungsorientierte Ziele.