Kreativität im Meeting – Ein Methodenvergleich

Gastbeitrag by | 04.10.2017

Montag: Meeting der Projektmanager, gefolgt vom Teammeeting.
Dienstag: IT-Meeting, anschließend Gespräch mit der Fachabteilung.
Mittwoch: Online-Redaktions-Konferenz, danach Lenkungsausschuss.

Meetings beherrschen unsere Terminkalender. Vielleicht teilen Sie die Einschätzung, dass es im Projektalltag zu viele Meetings gibt. Und das schlimme daran ist, dass viele dieser Meetings nicht die gewünschten Ergebnisse liefern. Studien belegen, was viele Menschen aus eigener Erfahrung längst wissen: Meetings sind oft ineffektiv, wenn nicht sogar überflüssig. In den USA allein werden täglich 11 Millionen Meetings abgehalten. Pro Monat verbringen Führungskräfte fast 100 Stunden in Meetings, von denen sie aber nur 56 Prozent als produktiv einschätzen. Das ist eine Ressourcenverschwendung, die jährlich mit über 37 Milliarden Dollar beziffert wird. Bei solchen Werten wäre es vermutlich am besten, die meisten Meetings würden erst gar nicht stattfinden.

Natürlich gibt es auch Meetings, die durchaus sinnvoll sind, bei denen es beispielsweise um die gemeinsame Lösungsfindung für Probleme geht. Doch auch solche Kreativmeetings sind oft nicht effektiv. Welche Tipps gibt es also, um Meetings effektiver zu machen? Lesen Sie einen Vergleich von Brainstorming, Brainwriting und Braindumping und worauf es schlussendlich bei Meetings ankommt.

Das beliebte Brainstorming

Vermutlich haben Sie auch schon einmal an einer Brainstorming Session teilgenommen. Wenige Methoden sind im Berufsalltag so etabliert und selbstverständlich wie das 1939 von Axel F. Osborn beschriebene Brainstorming. Osborn hatte beobachtet, dass die Produktivität von Gruppen in der Ideenfindung – heute oftmals auch als Ideation bezeichnet – durch die frühzeitige Bewertung der Ideen behindert wird.¹ Daher entwickelte er eine Methode, um eine Ideenliste zu erarbeiten, die erst zu einem späteren Zeitpunkt bewertet und verwendet wird. Gruppenbrainstorming sah er dabei als Ergänzung zu den Ideen von Einzelpersonen, nicht als Ersatz. Der grundsätzliche Gedanke des Brainstormings ist gut. Der Ansatz nutzt Assoziationsketten, bei dem die Beteiligten Ideen entwerfen und gemeinsam weiterentwickeln. Aber selbst wenn sich die Teilnehmer an die Regeln fürs Brainstorming halten, was häufig leider in der gelebten Praxis nicht passiert, sind klassische Brainstormings oft kontraproduktiv. Eine Studie von Taylor, Berry & Block² legte schon 1958 nahe, dass Einzelpersonen, die die Brainstorming-Technik allein anwandten, mehr Ideen sammelten als Gruppen. Nachfolgende Studien kamen später immer wieder zu ähnlichen Ergebnissen. Wenn Sie sich ansehen, wie Brainstorming in den meisten Unternehmen durchgeführt wird, dann wird auch schnell klar, warum es nicht funktionieren kann. Meistens läuft es wie folgt ab: Jemand steht am Flipchart – häufig der Chef. Er fordert die Beteiligten auf, ihm Ideen zuzurufen. Und was passiert dann?

  • Nicht alles wird aufgeschrieben. Wer am Flipchart steht, fungiert als eine Art Filter. Bei vielen Zurufen kommt es vor, dass die eine oder andere Idee nicht aufgeschrieben wird. Ob das bewusst passiert, weil die Idee dem Aufschreiber nicht passt, oder unbewusst, ist im Ergebnis ganz egal.
  • Das interpretierte Aufschreiben Auch das, was der Aufschreiber notiert, wird durch ihn gefiltert. Er paraphrasiert, er schreibt einen Zuruf so auf, wie er ihn versteht oder verstehen will.
  • Die Lautstarken setzen sich durch In Brainstorming Sessions kommen in der Regel die Menschen zu Wort, die auch sonst eher extrovertiert sind. Introvertierte trauen sich nicht, sich in einer größeren Runde zu Wort zu melden oder halten sich bewusst zurück.
  • Die Fähigkeit der Konzentration ist unterschiedlich. Manche Menschen können sich nicht oder nur schlecht konzentrieren, wenn andere dazwischenreden. Das führt dazu, dass die Beteiligung niedriger ist als sie sein könnte.
  • Die Geschwindigkeit der Gedanken siegt. Menschen, die schnell denken und das Wort ergreifen sind in Brainstorming Sessions oft bevorzugt. Oder anders herum: Menschen, die vielleicht sogar eher tiefgreifende Ideen haben, kommen nicht zum Zug, da sie Ideen langsamer entwickeln.

Im Ergebnis werden also viele gute Ideen niemals auf einem Flipchart notiert. Sie verbleiben so in den Köpfen der von den vielen Meetings genervten Mitarbeiter. Die gute Nachricht ist: Es gibt Alternativen wie Brainwriting 635 und Braindumping, die helfen, gute Ideen zu finden.

Das leise Brainwriting

Die 6-3-5-Methode – oft auch einfach Brainwriting genannt – ist eine verbesserte Version des Brainstormings. Im Gegensatz zum Brainstorming läuft das Brainwriting vollkommen leise ab. Die Teilnehmer schreiben bzw. skizzieren ihre Ideen einfach auf einem Blatt Papier auf. Damit ist die Methode sehr effizient und schnell. In wenigen Minuten können so leicht über 100 Ideen entstehen. Die Anonymität der stillen Kommunikation fördert dabei sehr ausgefallene Ideen und bietet eher zurückhaltenden Teilnehmern die Möglichkeit, sich genauso wie extrovertierte Teilnehmer einzubringen. 1986 formulierte Bernd Rohrbach die 6-3-5 Methode, bei der sechs Teilnehmer je drei Ideen in fünf Wechseln entwickeln. Der Ablauf ist dabei denkbar einfach:

  • Die Vorbereitung und Einführung. Die Teilnehmer sitzen an einem Tisch und werden in die Aufgabenstellung eingeführt. Jeder Teilnehmer erhält ein vorbereitetes A4-Blatt mit der Aufgabenstellung und sechs Zeilen mit je drei Spalten, also 18 Feldern. Die Teilnehmer schreiben Ihre Namen NICHT auf das Blatt, denn Ideen sollen „anonym“ entwickelt werden.
  • Die erste Runde. Jeder Teilnehmer trägt in die oberste Zeile seines Blatts seine ersten drei Ideen ein. Es ist nicht schlimm, falls er in der ersten Runde noch keine Idee hat, er darf aber nicht mehr als drei Ideen in der ersten Runde notieren.
  • Die fünf Wechsel. Nach der ersten Runde und jeder weiteren Runde werden die Blätter eingesammelt, wegen der Anonymität gemischt und neu verteilt. Die Teilnehmer fügen je drei weitere Ideen hinzu – entweder aufbauend auf dem, was bereits auf dem Zettel steht, oder eigene, neue Ideen. Insgesamt werden die Blätter so fünfmal weitergegeben.
  • Die besten Ideen und die Diskussion. In einem kompletten Durchlauf können bis zu 108 Ideen (Sechs Runden * 18 Ideen) entstehen. Zum Abschluss werden die Blätter nochmals verteilt und jeder Teilnehmer überträgt die besten zwei bis fünf Ideen auf Haftnotizen, die anschließend an einem Whiteboard präsentiert und diskutiert werden können.

Im Ergebnis entstehen durch die Anonymität und das Arbeiten mit den verschriftlichten Assoziationsketten häufig sehr kreative Ideen. Grundsätzlich ist die Methode auch gut geeignet für Gruppen von bis zu zwölf Teilnehmern; sie lässt sich aber auch mit weniger als sechs Teilnehmer durchführen.

Unser Favorit: Braindumping

Braindumping setzen wir sowohl in Workshops und Seminaren als auch in unseren internen Meetings ein, denn Braindumping kombiniert die Vorteile von klassischem Brainstorming und Brainwriting und ist gleichzeitig dynamischer als die 6-3-5-Methode. Beim Braindumping notiert jeder Teilnehmer für sich so viele Ideen wie möglich auf Haftnotizen. Durch das Abladen von Ideen (englisch: to dump) können sich die Teilnehmer auf eigene Gedanken konzentrieren und alle Ideen ungestört erfassen. Dies kommt insbesondere den sonst eher introvertierten, reservierteren Teilnehmern entgegen. Der Ablauf ist sehr einfach:

  • Das Sammeln der Ideen Jeder Teilnehmer erhält einen Stift und bunte Haftnotizen und schreibt so viele Ideen wie möglich (eine Idee pro Haftnotiz) in einer vorgegeben Zeit – meist zwei oder drei Minuten – auf.
  • Das Vorstellen der Ideen Anschließend stellen sich die Teilnehmer ihre Ideen gegenseitig vor und kleben die Haftnotizen auf ein Flipchart oder ein Whiteboard. Während der Präsentation entstehen häufig weitere Ideen. Diese können ebenfalls auf Haftnotizen geschrieben und ergänzt werden.

Beim Braindumping entstehen viele gute Ideen, zuerst durch individuelles Nachdenken, anschließend durch die gemeinsame Diskussion. Die Methode entspricht unserer lebendigen Unternehmenskultur am besten und kombiniert die Vorteile von Brainstorming und Brainwriting. Dabei haben die Haftnotizen den Vorteil, dass das anschließende Ordnen und Bündeln der Ideen sehr einfach und schnell gelingt.

Die Methode ist nicht entscheidend

Die richtige Methode allein ist nicht entscheidend für ein effektives Meeting. Die genannten Methoden können alle Kreativität in Meetings fördern, doch Unternehmen benötigen auch eine Kultur, die Kreativität als solche fördert. Wichtig ist beispielsweise die gegenseitige Wertschätzung der Teilnehmer über alle Hierarchie-Ebenen hinweg sowie eine offene Fehlerkultur. Es ist unvermeidlich bei der Entwicklung neuartiger Produkte oder Services Fehler zu begehen. Werden in Kreativmeetings verrückte oder auf den ersten Sinn unsinnige Ideen sanktioniert, wird sich schon bald niemand mehr trauen, out-of-the-box zu denken. Ideen bauen aufeinander auf und manchmal ist eine schlechte Idee die Basis für eine wirklich gute. 

Hinweise:

Interessieren Sie sich für weitere Tipps aus der Praxis? Testen Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit interessanten Beiträgen, Downloads, Empfehlungen und aktuellem Wissen.

[1] „How to Think Up!“ von Alex Osborn, erschienen bei McGraw-Hill Book Company Inc., First Edition 1942, ASIN: B0007DR4EA
[2] Studie von D. W. Taylor, P. C. Berry & C. H. Block, erschienen 1958 im Administrative Science Quarterly, Ausgabe 6, Seiten 22-47

Christian Obad
Christian Obad

Christian Obad ist Evangelist für Innovationskultur. Er berät und begleitet Unternehmen durch Transformationsprozesse, um sicherzustellen, dass es sie auch in Zukunft noch gibt. Seine Schwerpunkte: Zusammenarbeit verbessern, Führung weiterentwickeln, Innovationsfähigkeit stärken und Organisationen erneuern.

Als Evangelist inspiriert er mit Vorträgen oder in Workshops und Trainings. Als Berater steht er Geschäftsleitungen und Führungskräften bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen zur Seite. Als Coach und Sparringspartner begleitet er Führungskräfte durch die Transformation. Als Zeremonienmeister und Moderator sorgt er in Großveranstaltungen im Rahmen partizipativer Prozesse für den produktiven und kreativen Rahmen.