Drei Fragen zu Experience Level Agreements
Ein Gespräch mit Dierk Söllner über Experience Level Agreements (XLA), über ihre Beziehung zu SLA, ihre Einführung und die Einbindung in Outsourcing-Verträge
Service Level Agreements (SLA) sind in vielen Unternehmen etabliert. Sie legen fest, was ein IT-Service Provider liefern muss und was Kunden sowie Anwender erwarten können. Da jedoch Kunden und Anwender immer anspruchsvoller werden, gibt es inzwischen ein neues Konzept: Experience Level Agreements (XLA).
Experience Level Agreements sind Vereinbarungen zwischen einem IT-Service Provider und einem Kunden, die auf der Erfahrung der Anwender mit den Services des Providers basieren. Sie messen nicht nur die quantitativen Aspekte des Services, sondern auch die qualitativen Aspekte wie Zufriedenheit, Benutzerfreundlichkeit und Emotionen.
Dierk Söllner verfügt über eine langjährige und umfassende fachliche Expertise in IT-Methodenframeworks. Er betreibt den Podcast „Business Akupunktur“, hat einen Lehrauftrag zu „Moderne Gestaltungsmöglichkeiten hoch performanter IT-Organisationen“ an der NORDAKADEMIE Hamburg und das Fachbuch „IT-Service Management mit FITSM“ publiziert. Somit ist er der richtige Ansprechpartner für die folgenden drei Fragen:
Lösen XLA bestehende SLA ab?
Dierk Söllner: Nein! Service Level Agreements (SLA) werden durch Experience Level Agreements (XLA) ergänzt, und zwar punktuell an den Stellen, wo es Sinn ergibt. Um das zu erläutern, möchte ich zunächst kurz Service Level Agreements erläutern und auf die Unterschiede von XLA zu SLA eingehen.
Jeder von uns hat bereits auch als Privatperson SLA unterschrieben, wenn er Services im Internet wie E-Mail, Portale oder Cloudspeicher nutzt. In Unternehmen sind SLA ein gängiges Werkzeug in der Zusammenarbeit mit Service Providern. Ein Service Level Agreement legt das Niveau eines Service fest und definiert Kriterien, an denen die Arbeit des Service Providers gemessen wird. Es regelt unter anderem, welcher Service in welcher Qualität für Kunden bereitzustellen ist. SLA beinhalten die vertragliche Vereinbarung der Qualität von zu erbringenden Dienstleistungen (IT-Services) zwischen Leistungserbringer (IT-Service Provider) und -nachfrager (IT-Servicekunde).
SLA messen also den Output bzw. ein Prozessergebnis (Verfügbarkeit von Systemen/Services, Netzwerkleistung, Erreichbarkeit/Antwortzeiten des Service Desk) aus Sicht des Service Providers. XLA messen den Outcome (Wert), also das erzielte Ergebnis aus Sicht des Anwenders, die „Experience“. SLA fragen „Wie hoch war die Verfügbarkeit des Systems in diesem Monat?“, XLA gehen weiter und stellen die Nutzer in den Vordergrund. Sie fragen „Wie produktiv konnten die Mitarbeiter mit dem System arbeiten und ihre Aufgaben erledigen?“ Das Experience Level Agreement dazu könnte lauten: „Reduzierung der für administrative Tätigkeiten aufgewendeten Zeit um 25%, wodurch Mitarbeiter 1,5 Stunden pro Tag mehr für wertschöpfende Aufgaben zur Verfügung haben.“
Die Vorteile von Experience Level Agreements liegen damit auf der Hand. Da sie die Nutzer in den Mittelpunkt stellen, tragen sie einerseits zu einer stärkeren Mitarbeiterbindung beim Servicekunden bei. Andererseits steigt die Wertschätzung von IT-Mitarbeitenden signifikant, wenn ihre Arbeit unmittelbar zu einer erhöhten Kundenzufriedenheit führt. XLA können die Produktivität beim Kunden steigern, indem sie zu einem besseren Kundenverständnis bei IT-Mitarbeitenden beitragen und (wieder) eine kundenorientierte Mentalität im Service Management fördern. Durch Experience Level Agreements kann ein Service Provider auch die Messung des Geschäftswertes seiner Tätigkeiten erreichen. XLA ermöglichen es, die direkten Auswirkungen von kundenorientierten Aktivitäten auf die Endbenutzer oder deren Unternehmen darzustellen.
Der Einsatz von XLA bietet einen klaren Vorteil in Bezug auf die Motivation zur Verbesserung, indem er ein belohnendes Umfeld schafft. Im Gegensatz zu SLA, die sich hauptsächlich auf die Erfüllung bestimmter Leistungsindikatoren konzentrieren, legen XLA den Fokus auf die Erfahrung und Zufriedenheit der Benutzer. Indem XLA vereinbart werden, können Service Provider ihre Services besser an die Bedürfnisse ihrer Kunden anpassen und somit deren Zufriedenheit und Loyalität steigern.
Wie einfach ist es, Experience Level Agreements einzuführen?
Dierk Söllner: Das hängt davon ab, wie intensiv sich ein Service Provider oder der Auftraggeber von Services mit dem Thema beschäftigen möchte und welche Ziele er damit verfolgt. Service Level Agreements sind ein etablierter und guter Ansatz, der aber in der heutigen Zeit weiterentwickelt werden sollte, damit alle Beteiligten profitieren und aktuelle Anforderungen an IT-Services abgedeckt werden. Experience Level Agreements haben das Ziel, die Experience der Anwender in den Vordergrund zu stellen. In letzter Konsequenz bedeutet das an vielen Stellen Veränderung im Geschäftsmodell, in den Abläufen und dem Selbstverständnis des Managements und der Mitarbeitenden. Man kann also ein größeres Veränderungsprojekt daraus machen und etablierte Modelle zum Vorgehen in Transformationen wie das 8-Stufen-Modell von John Kotter nutzen.
In der Praxis empfehle ich eher ein schrittweises Vorgehen: Zu ausgewählten SLA werden ergänzende XLA vereinbart. Damit können beide Seiten nach und nach Erfahrungen sammeln. Es ist wichtig, ein klares Ziel mit der Einführung von Experience Level Agreements zu verbinden. Zur Erreichung dieses Ziels sind Vertrauen und der Wille zur Veränderung bei allen Beteiligten erforderlich, denn es ist nicht einfach nur die Aufnahme einer weiteren Kennzahl in einen Vertrag. Dieses iterative Vorgehen kann bei ausgewählten Kunden oder Services angewendet werden. Dabei können Kunden ausgewählt werden, die veränderungsbereit sind oder Services, die einen hohen Einfluss auf die Produktivität der Mitarbeitenden beim Servicekunden haben.
Während Service Level Agreements traditionell zur Leistungsmessung und Anbieterkontrolle eingesetzt werden, bieten Experience Level Agreements die Möglichkeit, den Fokus auf die tatsächliche Nutzererfahrung zu legen. XLA sollten einen echten Einblick in die IT-Service-Experience geben und klare Vorteile für Endbenutzer aufzeigen. Eine Kombination aus SLA und XLA könnte ideal sein, wobei SLA den Output beim Service Provider messen und XLA die Experience und Ergebnisse beim Kunden erfassen. Diese Weiterentwicklung würde zu einer fortschrittlicheren Ausrichtung beim IT Service Provider führen und positive Veränderungen für Endnutzer und Service-Desk-Mitarbeiter bewirken. Kunden, die diese Entwicklung einfordern bzw. unterstützen, sind prädestiniert für Gespräche über XLA.
Im Gegensatz zu SLA, die oft ohne Einbeziehung der Endnutzer erstellt werden und sich auf leicht messbare Metriken konzentrieren, sollten XLA die Bedürfnisse und Probleme der Endbenutzer direkt adressieren. Durch kontinuierliche Anpassung an sich ändernde Anforderungen und die Identifizierung von Verbesserungspotentialen könnten XLA als treibende Kraft für positive Veränderungen dienen und somit die Servicequalität für alle Beteiligten nachhaltig steigern. Bei der Entwicklung von XLA sind also von Beginn an sowohl Endnutzende als auch IT-Mitarbeitende einzubeziehen.
Wie können XLA in Outsourcing-Verträge eingebunden werden?
Dierk Söllner: Das Ziel, die Experience der Anwender zu verbessern und ihre Produktivität zu steigern, sollte beide Vertragspartner motivieren, XLA in Outsourcing-Verträgen zu regeln. Effektive XLA erfordern die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Teams und Interessengruppen, einschließlich Kundensupport, Produktentwicklung und verschiedenen IT-Abteilungen. Dabei ist die Ausrichtung auf den Benutzer bzw. den Kunden ein verbindendes Element. XLA liefern klare Zielsetzungen für IT Service Provider, denn sie legen eindeutige Ziele fest, die sich an den Unternehmenszielen zur Verbesserung der Kundenerfahrung orientieren. Häufig sind Ziele für XLA nicht nur durch den Service Provider allein zu erreichen, sondern bedingen eine Mitarbeit (Co-creation) beim Servicekunden.
In der Praxis gibt es verschiedene Vertragsoptionen: Zunächst besteht die Möglichkeit, sich an ein XLA-Ergebnis zu binden. Dabei wird ein tatsächlicher XLA-Ergebniswert oder mehrere Ergebniswerte zugesagt. Die Verpflichtung besteht darin, immer über einem bestimmten Wert zu liegen oder, wie bei SLA, anzugeben, dass der Wert für einen bestimmten Prozentsatz der Zeit über einem bestimmten Wert liegen wird. Hierbei verpflichtet sich der IT-Service Provider, kontinuierlich bestimmte XLA-Werte zu erreichen, was jedoch langfristig nicht zu optimalen Resultaten führen kann. Empfohlen wird, Zielwerte für Experience nicht länger als ein Jahr im Voraus festzulegen, da sich Erwartungen und Prioritäten ändern. XLA-Werte sollten kontinuierlich gemessen und halbjährlich oder jährlich überprüft werden, wobei die vertragliche Bewertung fair gestaltet werden muss. Wichtig ist, dass der Verlauf der XLA-Punktzahl aussagekräftiger ist als einzelne Messwerte, da die Experience kumulativ ist und natürlichen Schwankungen unterliegt.
Eine Erweiterung besteht darin, sich verpflichtend auf einen bestimmten festen Wert für Experience festzulegen. Dieses können beispielsweise 10 Punkte oder ein Prozentwert sein. Das bedeutet, dass sich der IT-Service Provider zu einem bestimmten Niveau der Experience verpflichtet und dieses nicht unterschreitet. Dieser Wert muss vom IT-Service Providern mittels entsprechender Tools ermittelt werden. Dieser Wert kann als vertragliches Ziel festgelegt werden, wobei sich der Provider zu Verbesserungen verpflichten und Pönalen/Boni vereinbart werden können. Obwohl leicht messbar und vertraglich implementierbar, hat diese Option Nachteile: Sie stellt kein umfassendes XLA dar, die Metriken können vom Provider manipuliert werden, und nicht alle Tools berücksichtigen Zufriedenheits- oder Erfahrungsdaten, was zu einer rein technischen Bewertung führen kann.
Eine nächste Stufe besteht darin, sich zur Verbesserung der Experience zu verpflichten. Im Gegensatz zu einer festen Punktzahl oder einem festen Prozentwert verpflichtet sich der Service Provider zu einer kontinuierlichen Verbesserung der Experience oder aber zumindest zu einer nicht abnehmenden Experience (d. h. die Experience wird nie schlechter). Der IT-Service Provider verpflichtet sich zur kontinuierlichen Verbesserung der Experience, wobei der Fokus auf dem Werteverlauf über die Zeit liegt. Die XLA werden monatlich gemessen und analysiert, um Trends zu erkennen.
Kurzum: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wobei der Vertragsmechanismus vom Reifegrad und den Bedürfnissen beider Parteien abhängt. Outsourcing-Verträge können verschiedene Aspekte festhalten, wie z.B. jährliche Verbesserungsziele oder Bonusregelungen. Wichtig ist, dass die Verantwortung für die Experience oft geteilt ist und bei unerfahrenen Providern oder hohen Ausgangswerten zunächst eine Vereinbarung zur Vermeidung von Verschlechterungen getroffen werden kann.
Hinweise:
Wollen Sie sich mit Dierk Söllner über Experience Level Agreements austauschen? Haben Sie Fragen oder Anmerkungen? Weitere Informationen finden Sie unter https://www.dierksoellner.de/xla/.
Hier finden Sie den Podcast „Business Akupunktur„.
Hier finden Sie das Buch „IT-Service Management mit FitSM„.
Und hier finden Sie Informationen über das 8-Stufen-Modell der Veränderung nach John Kotter.
Dierk Söllner hat im t2informatik Blog eine zweiteilige Serie zu Experience Level Agreements veröffentlicht.
Weitere Informationen über Experience Level Agreements finden Sie beim XLA Institute.
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Michael Schenkel
Leiter Marketing, t2informatik GmbH