Drei Fragen zu Change Management

von | 11.03.2024

Ein Gespräch mit Stephanie Borgert über Change Management

Stephanie Borgert ist Diplom Informatikerin, Komplexitätsforscherin und seit vielen Jahren als Wirtschaftskolumnistin für die Frankfurter Rundschau tätig. Die hohe Vernetzung, Dynamik, Intransparenz und Unvorhersehbarkeit unserer komplexen Welt treiben sie an, die richtigen Antworten für die damit verbundenen Herausforderungen im Management zu finden. Und damit ist sie genau die richtige Ansprechpartnerin für die folgenden drei Fragen zu Change Management:

Welche unpassenden Narrative zu Change halten sich hartnäckig in der Organisationswelt?

Stephanie Borgert: Die vielen Jahrzehnte des gepredigten Change Managements haben einige Narrative ins Unterbewusstsein gepflanzt, sodass den Menschen oft gar nicht klar ist, mit welchem Erklärungsmodell sie Veränderung denken. Und so kommt quasi reflexartig die Mär vom Widerstand der Menschen. Manchmal wird noch differenziert – dann sind es vermehrt die älteren Kolleginnen und Kollegen, die sich mit Veränderung schwertun. Abgesehen von der darin enthaltenen Altersdiskriminierung, hat diese Annahme durchaus fatale Folgen. Wenn wir das so glauben, dann richten wir unseren Maßnahmenkatalog ganz und gar auf die Menschen aus. Dann wollen wir sie von Betroffenen zu Beteiligten machen, mitnehmen, abholen, ihre Widerstände vorwegnehmen. Alles dreht sich um die Individuen. Grade so, als würde Change über die einzelnen Menschen vollzogen. Das ist in meiner systemtheoretisch geprägten Sicht mitnichten so. Kontext schafft Verhalten. Statt also die Menschen „upzudaten“, braucht es Arbeit am System.

Eine weitere Mär, die mit der ersten zusammenhängt, ist die von der Kommunikation. Wenn doch die Change-Kommunikation gut, sinnvoll und mitnehmend ist, dann folgen die Menschen und schon ist der Change getan. Dieses naiv-rosarote Bild ist zwar nett, geht aber an der Realität vorbei. Die Ansprachen der Verantwortlichen können in den Townhall Meetings noch so aufgerüscht daherkommen, Kommunikation beginnt beim Adressaten. Unidirektionale Kommunikation ist immer ein Vabanquespiel – wir wissen nicht, was wie verstanden und interpretiert wird. Die Idee also, dass Sinn und Zweck des Change-Vorhabens nur gut genug transportiert werden muss, ist obsolet.

Die größte Unwucht erzeugt, meiner Meinung nach, immer noch der Gedanke, dass einige Wenige die Veränderung konzipieren, planen und verkünden und dann eine ganze Organisation im Gleichschritt marschiert. Ich erlebe so oft, auch in agilen Kontexten, dass Transformation-Offices im stillen Kämmerlein geheim konferieren und eines Tages mit der bunten Powerpoint-Präsentation aufwarten. Wird dieses Vorgehen hinterfragt, offenbart sich das Narrativ: Unsere Leute haben doch gar nicht den Überblick, um mitzudiskutieren. Die können das nicht. Manches Mal möchte ich fragen, ob sie denn in den letzten Jahren die richtigen Menschen eingestellt haben. Alle sollen eigenverantwortlich, kreativ und zukunftsgestaltend arbeiten, aber für eine Beteiligung am Veränderungsvorhaben fehlt ihnen der Durchblick?

Wie entsteht ein kollektives Verständnis über Change in einer Organisation?

Stephanie Borgert: Über Auseinandersetzung, organisationalen Diskurs (wie ich es nenne). Das ist die kurze Antwort. Das ist viel mehr, als Meinungen zu tauschen oder schnell Maßnahmen zu verabreden. Der Diskurs ist eine intensive Auseinandersetzung über die kollektiven Bewertungsmuster, Normen und Überzeugungen, die das Handeln der Menschen prägt. In vielen Organisationen ist das bisher zu wenig reflektiert. Dort wird viel über das Was der Arbeit gesprochen, das Wie kommt zu kurz. Chris Argyris, der Vater der lernenden Organisation¹, unterscheidet dabei 1-Schleifen- und 2-Schleifen-Lernen. Das macht es leicht anschaulich.

1-Schleifen- und 2-Schleifen-Lernen - Illustration aus "Gemeinsam denken, wirksam verändern"

Illustration von Sandra Schulze aus „Gemeinsam denken, wirksam verändern“ (Stephanie Borgert)²

Ein (klassisches) Beispiel; ein Unternehmen will flexibler agieren und die Autonomie der Teams erhöhen, also wird beschlossen, agil zu arbeiten.

Erste Maßnahme: Scrum wird in der IT eingeführt. Sie machen also jetzt Daily-Standups, Planungspoker und Iterationen. Nach einer Weile fällt auf, dass sich in Bezug auf die Autonomie nichts verändert hat. Das Business regiert hinein, verändert den Planungszyklus und die Führungskräfte mischen ordentlich mit. Findet Veränderung jetzt auf derselben Ebene statt, wird die Handlungsstrategie korrigiert. Es wird eventuell ein anderer Zyklus für Meetings überlegt oder die Iterationen verlängert oder doch wieder ein Teamleiter benannt. Es wird versucht, über Methoden und Prozesse auf die Ergebnisse einzuwirken. Das funktioniert bei grundlegenden Changes nicht, denn die Ebene der Normen, Grundannahmen und Überzeugungen wird nicht reflektiert. Die aber genau beeinflusst Verhalten maßgeblich. Deshalb ist 2-Schleifen-Lernen angesagt und damit die Auseinandersetzung „Why we do what we do“.

Die Organisation zu dieser Art Reflexion einzuladen, ist ein starkes Instrument, um gemeinsame Sinnsetzung zu ermöglichen und den Change in echter Partizipation anzugehen.

Welche Zutaten braucht es für einen ernsthaften Change?

Stephanie Borgert: Ich probiere mich mal darin, die „Zutaten für gelingenden Change“ auf die wesentlichsten zu verdichten.

1. Ein relevantes Problem

„Wir machen jetzt Design Thinking, weil das so kreativ ist“ reicht nicht. Wir würden gerne oder möchten mal, beschreibt kein relevantes Problem. Und das ist wichtig, weil Relevanz in komplexen Systemen für Veränderung zentral ist. Es ist ja die Organisation selbst, die als komplexes System ihre etablierten Routinen und Muster gerne beibehält. Wenn die verändert werden sollen, dann aus einem guten Grund. Zudem ist es für die Menschen nachvollziehbarer, wenn der Change eine organisationale Relevanz hat.

2. Ein Sponsor mit formaler Macht

Grundlegende Veränderungen sind immer auch strukturelle Änderungen (formal und informell). Es braucht also mindestens eine Person mit der formalen Macht, solche Strukturen zu etablieren oder zu zerschlagen. Ohne einen Sponsor laufen die vielen Initiativen à la „Jetzt ändert Euch doch mal, aber alles bleibt, wie es ist“ ins Leere. Dabei ist die Rolle des Sponsors bitte nicht mit einem Werbeboschafter zu verwechseln. Sie kann nicht delegiert oder mal unverbindlich nebenbei erledigt werden.

3. Instabilität erzeugen und aushalten

Changes, die ans Eingemachte gehen, erzeugen jede Menge Fragen und Unsicherheiten. „Wenn wir jetzt agil werden, wo ist dann mein Platz im Team?“ „Wir sollen jetzt teambasierten Lösungsvertrieb machen. Wie sieht meine Rolle darin aus?“ Es entsteht Instabilität, weil Fragen auftauchen, Ideen diskutiert werden und „das System“ sich mit sich beschäftigt. Diese Instabilität gilt es auszuhalten, für Führungskräfte genauso wie für alle Mitarbeitenden, denn sie sitzen gemeinsam in dem schwankenden Boot und haben gemeinsam keine sofortige Antwort auf alles. Gleichzeitig braucht eine Veränderung diese Instabilität, denn ohne sie kann sich grundlegend nichts verändern. Musterwechsel gehen nicht ohne Instabilität. Das kostet Energie und Nerven, immer und für alle.

Eine sinnvolle Möglichkeit, ihr gut zu begegnen, ist, den Diskurs in der Organisation anzuregen und Raum und Möglichkeit für diese intensive Auseinandersetzung zu schaffen.

4. Lösungsoffenheit

Eine Besonderheit von Organisationen ist, dass sie sich nicht im Detail vorhersagen lassen. Wenn wir jetzt also alle agil werden, dann kann vorab nicht beschrieben werden, was das genau an jeder Stelle bedeutet und zu welchen Wirkungen das führt. Kontrolle ist und bleibt eine Illusion. Daher ist es notwendig, offen für alternative Ergebnisse zu sein, die möglicherweise nicht den Erwartungen des geheimen Transformations-Offices entsprechen. Es geht nicht darum, dass die Veränderung selbst infrage gestellt wird, aber deren konkrete Umsetzung muss das Spielfeld für den Diskurs sein. Sonst laufen wir Gefahr, Organisationen wie triviale Maschinen zu behandeln. Und wenn wir das tun, werden wir uns die Narrative aus der ersten Frage weiterhin erzählen von einem gescheiterten Change-Vorhaben zum nächsten Laufen.

 

Hinweise:

[1] Argyris, Chris/Schön, Donald A.: Die lernende Organisation, Schäffer-Poeschel Verlag, 1996.
[2] Borgert, Stephanie: Gemeinsam denken, wirksam verändern. Organisationaler Diskurs als Schlüssel zum Change, Vahlen, 2024.
Illustration: Sandra Schulze

Stephanie Borgert

Suchen Sie Unterstützung im Change Management? Dann sprechen Sie Stephanie Borgert einfach an.

Im t2informatik Blog hat Stephanie Borgert zwei Beiträge über Veränderungswiderstand im Team und „Wir brauchen ein Training!“ veröffentlicht.

Wenn Ihnen der Beitrag gefällt oder Sie darüber diskutieren wollen, teilen Sie ihn gerne in Ihrem Netzwerk. Und falls Sie sich für weitere Tipps aus der Praxis interessieren, dann testen Sie gerne unseren wöchentlichen Newsletter mit neuen Beiträgen, Downloads, Empfehlungen und aktuellem Wissen. Vielleicht wird er auch Ihr Lieblings-Newsletter!

Es gibt weitere Beiträge aus der t2informatik Blogserie „Drei Fragen …“:

t2informatik Blog: Drei Fragen zum Scrum Master

Drei Fragen zum Scrum Master

t2informatik Blog: Drei Fragen zur Softwareentwicklung

Drei Fragen zur Softwareentwicklung

t2informatik Blog: Drei Fragen über digitale Transformation

Drei Fragen über digitale Transformation

Michael Schenkel
Michael Schenkel

Leiter Marketing, t2informatik GmbH

Michael Schenkel hat ein Herz für Marketing – da passt es gut, dass er bei t2informatik für das Thema Marketing zuständig ist. Er bloggt gerne, mag Perspektivwechsel und versucht in einer Zeit, in der vielfach von der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne von Menschen gesprochen wird, nützliche Informationen hier im Blog anzubieten. Beispielsweise die Serie „Drei Fragen …“.