Das Prinzip Effectuation

Gastbeitrag von | 15.11.2017

Haben Sie schon einmal von Effectuation gehört? Effectuation ist ein relativ junges Forschungsgebiet, das sich mit der Frage beschäftigt, wie erfolgreiche Unternehmen mit Ungewissheit umgehen. Welche Logik ermöglicht es, eine Unternehmenszukunft aktiv zu gestalten, wenn das Umfeld unsicher ist und exakte Vorhersagen und Planungen nicht möglich sind? Ein wenig überraschendes Ergebnis einer empirischen Untersuchung belegt, dass klassische Management-Ansätze zur Planung und Steuerung wenig Sicherheit bringen, selbst wenn diese auf einer detaillierten Marktforschung basieren. Da auch reine Bauchentscheidungen keinen dauerhaften Erfolg garantieren, bleibt die Frage, wie es Unternehmen gelingt, Neues erfolgreich in die Welt zu bringen? Die Antwort lautet: Effectuation.

Die fünf Prinzipien von Effectuation

Tatsächlich sind es fünf Prinzipien, nach denen erfolgreiche Unternehmen und Gründer entscheiden und handeln:

  • Verfügbare Mittel
  • Leistbarer Verlust
  • Wertvolle Partnerschaften
  • Nützliche Zufälle
  • Gestaltbare Zukunft

Was bedeuten diese Prinzipien im Detail?

Verfügbare Mittel

Ein Ziel ist nicht mehr als ein Traum, wenn Ihnen die notwendigen Mittel fehlen, um es zu erreichen. Sie sollten sich also fragen: Wer bin ich? Was kann ich? Wen kenne ich? Und worauf kann ich sofort zugreifen? Aus den Antworten auf die Fragen leiten Sie Ihre Optionen ab. Aus Ihren verfügbaren Mitteln leiten Sie Ziele ab – nicht umgekehrt.

Leistbarer Verlust

Im Glücksspiel gibt es verschiedene Situationen, bei den Menschen „All-in“ gehen. Beim Roulette können Sie bspw. alles auf eine einzelne Zahl oder eine Farbe setzen und auf Ihr Glück hoffen. Es soll Menschen geben, die Glück haben und die richtige Farbe treffen, dann aber nicht aufhören können und bei der nächsten Runde dann alles verspielen. Ein Unternehmen sollte sich nicht auf Glück verlassen. Doch selbst wenn es Wirtschaftlichkeitsberechnungen mit erwarteten Erträgen erstellt, begeben es sich in den Bereich der Spekulation. Geht es zusätzlich um Innovationen in einem ungewissen Umfeld, dann wird die Realisierung einer Idee oder die Einführung eines neuen Produkts zu einer Wette auf die Zukunft. Unternehmen sollten daher stets so handeln, dass sie sich den möglichen Verlust jederzeit leisten können. Es empfiehlt sich, den potentiellen Schaden durch kleine Schritte, bspw. durch die Entwicklung eines Minimum Viable Products, zu begrenzen.

Wertvolle Partnerschaften

Haben Sie Partner, die etwas zu Ihrem Vorhaben beitragen können oder wollen? Partnerschaften können den Zugang zu Märkten erleichtern. Zusätzlich erhöhen sich aus Partnerschaften die verfügbaren Mittel und  der mögliche Verlust lässt sich verteilen. Gerade in einem ungewissen Umfeld sollten Sie aktiv auf potentielle Partner zugehen und mit ihnen Vereinbarungen auf Augenhöhe treffen. So entstehen auch neue Handlungsoptionen und somit neue Ziele.

Nützliche Zufälle

Sie können Sie nicht gegen jedes Risiko absichern. Gerade in einem ungewissen Umfeld passieren Überraschungen. Wenn Sie offen für solche Überraschung sind, wenn Sie diese als Chance für Ihre Zwecke sehen, dann können Sie vielleicht sogar Nutzen aus den Zufällen ziehen.

Gestaltbare Zukunft

Selbst die beste Marktforschung wird eine ungewisse Zukunft nicht vorhersagen können. Und was bringt Ihnen die Analyse technologischer Trends, wenn schon Morgen ein neuer Wettbewerber mit einer Idee auf den Markt tritt und alles bisher dagewesene in Frage stellt? Es lohnt sich, die eigene Zukunft aktiv zu gestalten, gerade in einem ungewissen Umfeld.

Was genau ist mit „Ungewissheit“ gemeint?

Sicher ist es Ihnen aufgefallen – der Begriff “Ungewissheit” fällt immer wieder. Doch was ist diese „Ungewissheit“? Unter “Ungewissheit” verstehen wir eine ganz besondere Ausprägung in unserer Welt, die immer vernetzter, dynamischer und unvorhersehbarer wird. Am besten lässt sie sich durch eine Abgrenzung zum klassischen “Risiko” erklären: Ein Risiko beschreibt meist die Gefahr, das ein bestimmtes, also bekanntes Ereignis eintreten kann. Oft lässt sich für ein identifiziertes Risiko die Wirkung, der Schaden und die Eintrittswahrscheinlichkeit vorhersagen oder zumindest groß einschätzen. Im wahrsten Sinne des Wortes ist bei „Ungewissheit“ nichts gewiss: nicht einmal das Ereignis, ganz zu schweigen von der Wirkung, dem Schaden und der Wahrscheinlichkeit des Eintritts.

Warum sollten Sie sich mit etwas beschäftigen, dass sich nicht vorhersagen lässt und auf dass man sich nicht vorbereiten kann? Tatsächlich macht Risikomanagement mit dem Fokus auf konkrete Ereignisse nur begrenzt Sinn. Die Auseinandersetzung mit Ungewissheit hingegen ist sehr sinnvoll, denn Störungen, Veränderungen und Überraschungen werden eintreten. Meiner meiner Erfahrung betreten wir das Spielfeld der Ungewissheit, sobald Menschen agieren – sei es als Anwender, Kunden, als Stakeholder, Partner oder als Wettbewerber. Menschen sind im wahrsten Sinne des Wortes „unberechenbar“. Und wie gehen Sie mit dieser menschlichen Unberechenbarkeit um? Die Antwort ist einfach und auch komplex:

Nutzen Sie den Zufall!

“Nutze den Zufall” ist ein Mindset, also eine innere Haltung und Einstellung. Es geht darum, ein „ja, aber …“ durch ein „ja, und …“ zu ersetzen. Es geht darum, an Chancen statt an potentielle Schäden zu denken. Es geht darum, keine unnötige Energie in Change Requests, Nachverhandlung, Risikomanagement etc. zu investieren. Der erste Schritt in diese Richtung des Mindsets ist, dass Sie nicht alles planen, steuern und kontrollieren können. Es gibt Zufälle und denen gilt es offen und neugierig zu begegnen. “Nutze den Zufall” bedeutet auch aktives Handeln! Sie können auf Zufälle warten, auf Positives hoffen. Sie können aber auch Zufälle aktiv suchen und das „Glück herausfordern“. Kennen Sie Unternehmensgründer, die aus Versehen ein Unternehmen gegründet haben? Vermutlich nicht? Gründer gestalten ihre Zukunft aktiv. Was könnten Sie denn bspw. ganz leicht tun? Sie könnten Anwender beobachten, sich mit Kunden austauschen, mit Konkurrenten sprechen. Sprechen Sie mit interessanten Menschen und stellen Sie Fragen stellen. Probieren Sie etwas Neues aus, lassen sich Sie von Ungewohntem inspirieren lassen.

 

Hinweise:

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Heiko Bartlog hat hier im Blog eine Beitragsserie veröffentlicht: Agilität? Haben wir probiert! Funktioniert nicht!

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Heiko Bartlog
Heiko Bartlog
Heiko Bartlog verfügt über mehr als 20 Jahre Projekterfahrung, als Berater, Trainer, Coach in vielen Facetten. Seit mehreren Jahren ist er „Gastgeber für Innovationen“ und begleitet Unternehmen auf ihrem Weg zu Agilität, besserer Zusammenarbeit und erfolgreicher Innovation. Er verwendet Techniken wie Scrum, Effectuation, Lean Startup, Management 3.0 und Liberating Structures, um Veränderungen zu einer praktischen Erfahrung zu machen. 2018 hat er gemeinsam mit Olaf Hinz hat das Buch „#PM2025 – Projekte. Gut. Machen“ zur Zukunft der Projektarbeit veröffentlicht.