Checklisten für Projekte

Gastbeitrag von | 08.03.2018

Projekte sind per Definition etwas Einmaliges. Die DIN 69901, die Grundlagen, Prozesse, Prozessmodelle, Methoden, Daten, Datenmodelle und Begriffe im Projektmanagement beschreibt, definiert ein Projekt als „Vorhaben, das im Wesentlichen durch die Einmaligkeit aber auch Konstante der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, wie z. B. Zielvorgabe, zeitliche, finanzielle, personelle und andere Begrenzungen; Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben; projektspezifische Organisation.“ Obwohl Projekte einmalig sind, gibt es Hilfsmittel zur Projektplanung und Projektdurchführung, die sehr nützlich sein können: Checklisten. Mit Checklisten lassen sich Arbeitsschritte strukturieren und dokumentieren. Sie bieten Orientierung bei der Erledigung von Aufgaben oder beim Entwurf von Lösungen. Und sie sind als Gedankenstütze sinnvoll, denn sie helfen dabei nichts zu vergessen. Dennoch gibt es Organisationen, die auf den Einsatz von Checklisten in ihren Projekten verzichten? Warum ist das so?

Checklisten in der Luftfahrt

Ich bin ein Freund von Checklisten. Vielleicht kann ich Ihnen Checklisten mit einem Blick in einen anderen Bereich schmackhaft machen: die Luftfahrt. Die Checkliste in der Luftfahrt ist eine listenförmige Anweisung, die Piloten vor dem Start und auch während des Fluges nutzen. Die Verwendung ist zwingend vorgeschrieben, denn sie listet auszuführende Tätigkeiten und Überprüfungen auf, die zwingend in einer festgelegten Reihenfolge zu erledigen sind. Vermutlich kennen die meisten Piloten die Checkliste – im Fachjargon als Klarliste bezeichnet – auswendig, dennoch sind sie verpflichtet, die Anweisungen vor jedem Flug laut vorzulesen. Besonders in Ausnahme- oder Notsituationen besitzt die Checkliste einen sehr hohen Stellenwert, denn sie sorgt dafür, dass bei aller Routine der Piloten in einer Stresssituation wesentliche Maßnahmen nicht vergessen werden. Ein solches Versäumnis kann schreckliche Konsequenzen nach sich ziehen, wie zuletzt beim Absturz eines Flugzeugs bei Moskau. Erste Auswertungen des Flugschreibers ergaben, dass beim Start der Antonow An-148 die Instrumenten-Heizung aller drei Messgeräte abgeschaltet waren. Dies führte laut Ermittlungsbehörde wahrscheinlich zur Vereisung der Geschwindigkeitsmesser und in der Folge zu fehlerhaften und widersprüchlichen Angaben zur der Geschwindigkeit der Maschine. Bei dem Absturz am 11. Februar 2018 kamen alle 71 Passagiere und Bordmitglieder ums Leben.

Glücklicherweise gibt es auch andere Beispiele aus der Luftfahrt, die deutlich besser ausgehen. Erinnern Sie sich noch an die spektakuläre Notlandung einer Airbus Maschine auf dem Hudson River in New York? Flug AWE 1549 sollte am 15. Januar 2009 vom Flughafen LaGuardia in New York nach Seattle gehen. Der Pilot der Maschine, Chesley Sullenberger, beschrieb im Anschluss in einem Interview mit Air & Space¹ die Verwendung der Notfall-Checkliste wie folgt:

Air & Space: „Does the Airbus operator’s manual have a procedure for ditching?“

Chesley Sullenberger: „Yes.“

Air & Space: „So your first officer would have found that procedure and had a checklist to go through for the ditching procedure?“

Chesley Sullenberger: „Not in this case. Time would not allow it. The higher priority procedure to follow was for the loss of both engines. The ditching would have been far secondary to that. Not only did we not have time to go through a ditching checklist, we didn’t have time to even finish the checklist for loss of thrust in both engines. That was a three-page checklist, and we didn’t even have time to finish the first page. That’s how time-compressed this was.“

Die Verwendung von Checklisten bietet also wertvolle Vorteile, der Aufbau und Umfang kann aber in Abhängigkeit von Branche und Notsituation über Leib und Leben entscheiden.

Checklisten in der Chirurgie

Neben der Luftfahrt gibt es auch viele andere Bereiche wie bspw. Reaktorsicherheit, Hochwasser-, Lawinen- oder Erdbebenschutz, in denen Checklisten eine große Bedeutung haben. Auch in der Chirurgie kommen Checklisten immer stärker zum Einsatz. Die World Health Organization (WHO) hat eine Checkliste zur Sicherheit der chirurgischen Versorgung entwickelt, denn sichere Chirurgie rettet Leben. Die Checkliste identifiziert drei Phasen einer Operation, die jeweils einem bestimmten Zeitraum im normalen Arbeitsablauf entsprechen: Vor der Einleitung der Narkose („Before induction of anaesthesia“), vor dem Einschnitt der Haut („Before skin incision“) und vor der Entlassung des Patienten aus dem Operationssaal („Before patient leaves operating room“).

In jeder Phase muss ein Checklisten-Koordinator bestätigen, dass das Operationsteam die aufgelisteten Aufgaben abgeschlossen hat, bevor es mit der Operation fortfährt. Das Handbuch enthält Vorschläge zur Implementierung der Checkliste – natürlich unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten. Das Implementierungshandbuch soll sicherstellen, dass Operationsteams die Checkliste konsistent implementieren können. Durch diese Checkliste kann das medizinische Fachpersonal die häufigsten und vermeidbaren Risiken minimieren, die das Leben und das Wohlbefinden chirurgischer Patienten gefährden.

Atul Gawande, US-amerikanischer Mediziner, Hochschullehrer und Chirurg, der für verschiedene Bestseller über den Praxisalltag der Medizin bekannt ist, beziffert den Erfolg der Checkliste wie folgt: „When introductions were made before a surgery, the average number of complications and deaths dipped by 35 percent.“² Beeindruckend, oder?

Die Surgery Safety Checklist der WHO

Die Surgery Safety Checklist der WHO

Was bedeutet dies nun für Projekte? Oder anders gefragt: In welchen Bereichen des Projektmanagements können Sie Checklisten effektiv nutzen?

Der Einsatz von Checklisten im Projektmanagement

In vielen Unternehmen gibt es definierte Standards, Workflows oder Vorgehensmodelle, die in Projekten genutzt werden. Checklisten können helfen, entsprechende Vorgaben in die Projekte zu transportieren, um so Beteiligten je nach Rolle und Aufgabe konkrete Anhalts- und Orientierungspunkte zu geben. So könnten bspw. sich wiederholende Vorgänge beim Projektstart einfacher bearbeitet, vereinbarte Dokumente beim Erreichen von Meilensteinen bzw. Quality Gates schneller erzeugt, Risiken leichter erfasst oder die Kommunikation mit wichtigen Stakeholder besser strukturiert werden. Die Einsatzmöglichkeiten sind mannigfaltig.

Natürlich gibt es auch Vorbehalte gegen die Verwendung von Checklisten. Nicht selten machen Organisationen den Fehler, Projektbeteiligte mit Checklisten zu überfordern. Checklisten werden mit einer Bürokratisierung gleichgesetzt und dies führt zumindest zu einer gefühlten Einschränkung der Flexibilität der Mitarbeiter. Eine Checkliste sollte daher ein Hilfsmittel sein, kein Dogma. Die Struktur und der Inhalt einer Checkliste darf – nein, sie müssen sogar hinterfragt werden. Ähnlich wie Organisationen die Zusammenarbeit im Laufe der Zeit optimieren wollen, sollten auch Checklisten auf Sinn und Unsinn, auf Umfang, Aufbau, Zeitaufwand überprüft werden. Selten geht es in Projekten, um Entscheidungen in wenigen Sekunden wie bei Chesley Sullenberger.

Die Akzeptanz von Checklisten steigt mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn es eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen gibt. Das führt zu nützlichen Checklisten – nützlich im Sinne von Struktur und Inhalt, aber auch von Einsatzszenario und -zeitpunkt. Dies gilt vor allem für Organisationen, die zahlreiche verschiedenartige Projekte durchführen.

Ein methodisches Beispiel aus PRINCE2

Kennen Sie PRINCE2? PRINCE2 ist eine Methode für das Management und die Durchführung von Projekten jeglicher Art, Ausprägung, Dauer und Umfang. In der Beschreibung des PRINCE2 Modelles der AXELOS – wird ein Health-Check beschrieben. Der Health-Check unterstützt Projektmanager bei der Einhaltung aller wesentlichen Aspekte von PRINCE2. Damit ist der Health-Check nichts anderes als eine Checkliste mit folgenden 14 Hauptfragen³:

  1. Wurden folgende Rollen im Projektmanagement-Team besetzt? – Auftraggeber – Projektmanager – Benutzervertreter – Lieferantenvertreter (falls angebracht) – Projektunterstützung – Teammanager (falls angebracht) – Projektsicherung – Änderungsausschuss (falls angebracht)
  2. Reichen die Befugnisse, Verfügbarkeit und Glaubwürdigkeit der Mitglieder des Lenkungsausschusses für die Lenkung des Projekts aus?
  3. Sind die Stakeholder des Projekts im Lenkungsausschuss angemessen vertreten?
  4. Gibt es Rollenbeschreibungen für alle wichtigen Rollen im Projekt?
  5. Haben die ernannten Personen ihr Einverständnis bestätigt?
  6. Wurde ein Projekttagebuch angelegt?
  7. Wurde ein Erfahrungsprotokoll angelegt?
  8. Wurden Erfahrungen aus ähnlichen Vorgängerprojekten identifiziert und integriert?
  9. Wenn die Organisation erstmalig ein derartiges Projekt durchführt, wurden Erfahrungen aus vergleichbaren externen Projekten gesammelt?
  10. Wurde eine Projektbeschreibung erstellt?
  11. Gibt es einen Business Case-Entwurf?
  12. Wurde eine Produktbeschreibung des Endprodukts erstellt?
  13. Wurde ein Projektlösungsansatz beschlossen?
  14. Gibt es einen Phasenplan für die Initiierungsphase?

Die genannten 14 Fragen gilt es in der Vorbereitung eines Projektes zu beantworten. Natürlich besteht die Möglichkeit, alle Fragen ausschließlich mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten, was jedoch für eine gute Projektdokumentation nicht ausreichend wäre; vor allem bei einem „Nein“ sollte vermerkt werden, warum es für die Frage kein definiertes Ergebnis gibt. Ein Projekt ohne Business Case oder ohne zumindest eine ungefähre Vorstellung des Endproduktes könnte bereits vor Projektstart zum Scheitern verurteilt sein.

Für mich ist der Health-Check ein gutes Beispiel für die Vorteile, die der Einsatz von Checklisten bietet. Hätten Sie alle Punkte bei der Vorbereitung eines Projekts bedacht? Checklisten sorgen dafür, dass Aspekte nicht vergessen werden. Sie sorgen für eine Strukturierung von Arbeitsvorgängen. Im konkreten Fall lässt sich der Health-Check auch zur Diagnose einsetzen, bspw. als Projekt-Assessment, als Überprüfung der vorhandenen Dokumentation oder auch für die Ermittlung von möglichen Schwachstellen.

Fazit

Bei der Planung und Durchführung von Projekten können Checklisten sehr sinnvoll sein. Sie lassen sich in vielen Bereichen, in unterschiedlichsten Projekten und in verschiedenen Projektphasen einsetzen. Sie können helfen, die Ausgangslage eines Vorhabens zu verstehen. Sie können bei Problem-, Ursachen-, Risiko- oder Kosten-Nutzen-Analysen zum Einsatz kommen. Auch bei der Organisation von Projekten wie bspw. der Besetzung des Projektteams, bei der Strukturierung von Gruppen- oder Einzelgesprächen, bei einem vorzeitigen Projektabbruch oder beim Projektabschluss mit der Auflösung des Projektteams bietet sich die einfache Verwendung von Checklisten an. Es gibt viele Möglichkeiten und Einsatzgebiete.

Wichtig ist, dass Checklisten die Arbeit in Projekten erleichtern sollen. Sie sollen weder die Flexibilität der Projektbeteiligten einschränken oder zu einem bürokratischen Overhead führen. Dazu ist es notwendig, Checklisten regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen und sie zu verändern, zu reduzieren, zu erweitern oder auch zu verwerfen. Eine Checkliste hat damit einen eigenen Lebenszyklus – genau wie das Projekt auch.

 

Hinweise:

Interessieren Sie sich für weitere Tipps aus der Praxis? Testen Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit interessanten Beiträgen, Downloads, Empfehlungen und aktuellem Wissen.

[1] Air & Space Magazin: http://www.airspacemag.com/
[2] Atul Gawande’s Checklist for Surgery Success: https://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=122226184
[3] Eine Projekt-Checkliste können Sie sich hier kostenlos herunterladen: https://t2informatik.de/downloads/projekt-checkliste-vorlage/

Steffen Wendel hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Projektstart, auf die Plätze, fertig

Projektstart, auf die Plätze, fertig

Steffen Wendel
Steffen Wendel

Steffen Wendel ist als Senior Berater und Lead Trainer Projektmanagement bei der ITSM Group und als Vorstand der Best Practice User Group Deutschland e.V. tätig. Häufig ist er verantwortlich für die effiziente und sichere Abwicklung von Projekten, wobei er einen Schwerpunkt auf die methodischen Aspekte des Projektmanagements legt.