IT-Portfoliomanagement in klassischen Organisationsstrukturen

Gastbeitrag von | 20.07.2023

Seit einigen Jahren arbeite ich bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) und agiere seit Dezember 2022 als Portfoliomanager in der IT. Als öffentliches Unternehmen haben wir eine Organisationstruktur, die durch Regularien, Prozesse und eine ausgeprägte Hierarchie gekennzeichnet ist.

Aus diesem Grund hat sich die IT vor zwei Jahren neu aufgestellt und sich zu einer Produktorganisation entwickelt. Alle drei Kernfunktionen Plan, Build und Run sind nun in einem Team vereint. Dies ermöglicht uns, Abstimmungen zu minimieren und gleichzeitig Liefergeschwindigkeiten zu erhöhen.

Aus persönlicher Erfahrung als agiler Organisationsentwickler weiß ich, dass in einem öffentlichen Unternehmen Anpassungsfähigkeit, Flow sowie teamübergreifende Zusammenarbeit möglich sind und Transparenz nicht nur weh tut. Genau darum geht es bei uns in der IT:

  • Wie können wir trotz langjähriger Planungszyklen und Vorgaben aus dem klassischem Projektmanagement flexibel agieren?

Stand heute organisieren wir seit ca. zwei Jahren ungefähr 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Projektorganisation. Hinzu kommen Funktionen wie Einkauf, Recht & Controlling, die in der BVG zentral verwaltet werden und als Stakeholder fungieren. Mit ihnen wollen wir transparent und eng zusammenarbeiten, um noch mehr Geschwindigkeit aufzunehmen.

Die nutzerzentrierte Entwicklung eines agilen IT-Portfoliomanagements

Bisher betrachten wir im IT-Portfoliomanagement ausschließlich Projekte; laut Projekthandbuch der BVG also „einmalige, komplexe und abschließbare Themen“. Hierbei planen wir vor allem strategische Investitionen zur Aufrechterhaltung unseres Betriebs für die Fahrgäste in Berlin.

Um ein wertstiftendes IT-Portfoliomanagement zu entwickeln, richten wir uns konsequent an unseren Zielgruppen (oder User) aus:

Dabei betrachten wir die User Journey jeder Personengruppe, um die Herausforderungen bei der Planung, Genehmigung und Umsetzung von Projekten zu verstehen. Wir nutzen eine User Story Map, wobei das Produkt unser Portfoliomanagement ist. Diese User Story Map bietet die Möglichkeit, Feedback zu unseren Ideen transparent festzuhalten und Aspekte vertikal zu priorisieren. Das erleichtert uns die Vorbereitung der OKR Planung, da wir sehr schnell sehen, was aktuell für unsere User den größten Mehrwert liefert.

In unseren Gesprächen haben wir häufig zwei Aussagen gehört:

  • „Ich arbeite in zu vielen Projekten oder Themen in meinem Team.“
  • „Wir nehmen uns in der Jahresplanung zu viel vor.“

Schauen wir uns diese Handlungsfelder etwas genauer an:

Dynamische Priorisierung

Vielen bei uns ist bewusst, dass wir wegen steigender Anforderungen an die IT und fehlender Fachkräfte priorisieren müssen. Deswegen haben wir einen Prototypen der WSJF Methode¹ entworfen und die ursprüngliche Methode ein wenig modifiziert:

WSJF@BVG = (finanzieller Wert + strategische Relevanz + Risikoreduzierung + Image + Außenwirkung) / (finanzieller Aufwand + Komplexität)

Als ÖPNV-Unternehmen in einer Medienstadt und als politisches Unternehmen sind wir täglich in der Öffentlichkeit präsent. Aus diesem Grund haben wir das Kriterium „Image + Außenwirkung“ als Wert in unsere angepasste Methode aufgenommen.

Da in unserem Unternehmen viele interne Abhängigkeiten existieren – neben Einkauf, Recht auch den Datenschutz sowie betriebliche Mitbestimmung – haben wir explizit auch das Kriterium Komplexität ergänzt. Für die Bewertung des Kriteriums nutzen wir Planning Poker; es fungiert als Austauschformat, das verschiedene Perspektiven bei der Priorisierung berücksichtigt, und dabei gleichzeitig effizient ist und Spaß macht. So haben viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst bei anstrengenden Diskussionen immer noch ein Lächeln im Gesicht; wenn die Beteiligten nach einer Priorisierungsrunde mit mehr Energie aus der Besprechung gehen als sie reingegangen sind, ist das ein schöner Nebeneffekt. Und wenn gleichzeitig das Verständnis bei der Bewertung der Themen steigt und die Ausrichtung auf wenige Themen voranschreitet, dann verbessert sich auch der Arbeitsfluss.

Fokussierung in der Investitionsplanung

In der Vergangenheit haben wir zu optimistisch geplant und uns zu viel vorgenommen. Deshalb war die Ausschöpfungsquote nicht die, die wir uns wünschen. Was tun wir dagegen?

  • Wir versuchen, mehr zu realisieren. Ein Hebel liegt dabei in der Transformation unserer Aufbau- und Ablauforganisation.
  • Und wir versuchen, die Planung zu optimieren und somit bereits weit vor der Umsetzung anzusetzen.

Bereits im agilen Manifest steht: „Die Kunst nicht getaner Arbeit zu maximieren ist essenziell“.

Dieses Prinzip leitet uns dieses Jahr in der Investitionsplanung 2024 ff. Wir wollen weniger Themen als in den letzten Jahren im Backlog haben. Dazu braucht es ein gutes Verständnis von den anstehenden und den laufenden Projekten. Erst dann können wir eine gute Verbindung zur IT-Strategie herstellen.

Konkret haben wir im Juni zusammen mit den Schlüsselspielern aus Management, Projektleitungen, Controlling und Portfoliomanagement einen „Refinement Day” durchgeführt. Wir schauten uns 15 Projekte genauer an, verfeinerten sie mit zusätzlichen Infos und konnten gemeinsam entscheiden, was dies für die Planung 2024 bedeutet. Dabei hatte jede Projektleitung fünf Minuten Zeit, die wesentlichsten Infos zu Budget, Kundennutzen & Risiken vorzustellen. Zehn Minuten blieben dann für Austausch und Entscheidung, ob wir das Budget in die Planung aufnehmen, reduzieren, bei Risiken jetzt schon tätig werden können oder andere Projekten priorisieren müssen. Durch die bereichsübergreifende Zusammenarbeit hatten wir am Ende des Tages die gewünschte Transparenz und ein gemeinsames Commitment für die Investitionsplanung 2024 hergestellt.

Fazit

Wir entwickeln uns sowohl als Unternehmen als auch innerhalb der IT weiter. Schritt für Schritt wollen wir unser IT-Portfoliomanagement ausbauen und damit auch die genannten Handlungsfelder dynamische Priorisierung und Fokussierung in der Investitionsplanung adressieren. Dabei gehen wir maximal pragmatisch vor. In einem Unternehmen, das auf einer klassischen Organisationsstruktur beruht, erscheint es uns sinnvoller, mit kleinen Veränderungen zügige Mehrwerte zu generieren. Dies macht es den Beteiligten leichter, die Veränderungen anzunehmen, und wir lernen schneller, was funktioniert und wo wir nochmal nachsteuern sollten.

 

Hinweise:

Haben Sie Lust, eigene Erfahrungen zum IT-Portfoliomanagement zu teilen oder mit Manuel Wegener über Ideen bei einem Kaffee zu sprechen? Dann schreiben Sie ihm gerne auf LinkedIn.

[1] WSJF (Weighted Shortest Job First) ist eine Methode zur Priorisierung von Backlogs oder Projektportfolios. Ursprünglich von Don Reinertsen entwickelt wird die Methode inzwischen auch als Werkzeug im Rahmen des Scaled Agile Frameworks (SAFe) genutzt. Hier finden Sie einige Details zur WSJF Methode.

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Manuel Wegener hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Kanban im öffentlichen Sektor

Kanban im öffentlichen Sektor

Manuel Wegener
Manuel Wegener

Nach seinem BWL-Studium war Manuel Wegener einige Jahre bei der BVG im klassischen Projektmanagement für Vertriebsinnovationen tätig, ehe er 2017 begann, sich intensiv mit Agilität zu beschäftigen. Nach seiner Ausbildung zum Kanban Trainer betreute er verschiedene Teams mit dem Ziel, die Arbeit der Teams steuerbar zu machen, den Kundenfokus zu schärfen und die Teams kontinuierlich weiterzuentwickeln. Es folgte eine Tätigkeit als agiler Organisationsentwickler im Personalbereich, wo er neue Netzwerkformate definierte und ein unternehmensweites Coaching-Angebot für Agiles Arbeiten aufbaute. Seit Dezember 2022 arbeitet er nun bei der BVG als IT-Portfoliomanager.