Subversiv agil

Gastbeitrag von | 08.02.2018

Stellen Sie sich vor, Sie wollen als Projektmanager von agilen Projektinstrumenten profitieren, ohne gleich eine agile Kultur in der gesamten Organisation zu implementieren. Ihr Team verfolgt bis dato einen klassischen Planungsansatz, Sie wollen aber agil arbeiten und die besten Tools nutzen, die es in der agilen Welt gibt. Wie gehen Sie vor und meistern diese Herausforderung?

Der Konflikt zwischen klassisch und agil

Wenn ich ein Projekt coache, beginne ich gerne mit einem Briefing. In einem solchen Briefing lernte ich „Martin“ kennen. Martin, seit 20 Jahren als Projektmanager tätig, erzählte mir von einem Konflikt, in dem er sich befand: Die allermeisten Projekte von Martin waren erfolgreich. Kein einziges war je ein Misserfolg. Zwar konnten er und sein Team nicht bei jedem Projekt eine Punktlandung hinlegen, aber da waren die Rahmenbedingungen auch nicht immer leicht. Martin hat eine gute Ausbildung, hat sich stets weitergebildet und kennt viele Projektmanagementmethoden und nützliche Tools. Natürlich kam er schon vor einigen Jahren mit der agilen Projektwelt in Berührung. Er besuchte verschiedene Seminare für agiles Projektmanagement und war fortan begeistert von der Idee, Projekte leichter und flexibler zu gestalten. Doch leider war seine Organisation genau das Gegenteil von dem, was er über agile Kultur gelernt hatte. Mit agilem Projektmanagement hatte er bei seinem Vorgesetzten keine Chance. Wenn er sich mit Berufskollegen aus seinem Netzwerk über deren agile Projekte austauschte, fühlte er sich regelmäßig abgehängt und benachteiligt. Agiles Arbeiten schien für ihn in seiner Organisation unmöglich.

Eine spannende Aufgabenstellung! Wie kann es gelingen, in einem klassischen Projektumfeld agile Tools zu verwenden, ohne gleich die gesamte Organisation in Frage zu stellen?

Die fünf besten agilen Tools

Bevor wir uns anschauen, wie Sie eine solche Herausforderung meistern können, ist eine Erkenntnis besonders wichtig: Wer Agile verinnerlicht hat, weiß, dass es gefährlich ist, diesen Ansatz einfach wie eine neue Methode sklavisch anzuwenden. Hinter Agile steckt ein Mindset, also eine Art zu denken. Eine über Jahre etablierte Projektorganisation zu einem geänderten Mindset zu bringen, kann nur schrittweise mit einem langwierigen Veränderungsprozess gelingen. Dennoch gibt es Möglichkeiten, in einer klassischen Projektumgebung nicht gänzlich auf alle Vorteile agiler Instrumente zu verzichten. Nachfolgend finden Sie eine Liste mit Tools, die sich leicht im operativen Projektmanagement einsetzen lassen:

1. Definition of Done

Für das Setup des Projektes eignet sich Implementierung der Definition of Done (DoD). Die Definition of Done erweitert die Abnahmekriterien für Endergebnisse von Projekten – beispielsweise wie bei klassischen Projektansätzen nach PRINCE2 – um ein grundsätzliches Prinzip: Für alles, was durch das Projektteam an wichtigen Fortschritten erzielt wird, gibt es eine Definition, wann es fertig ist. Wichtig ist, mit dem Team ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, wo dieses Prinzip zur Anwendung kommen soll. Bei Martin und seinem Team wurde die Anwendung für Arbeitspakete mit folgenden Kriterien vereinbart: Ein Arbeitspaket ist fertig, wenn

  • der Abnehmende die „Fitness for Purpose“ erklärt hat,
  • ein Test die Übereinstimmung mit den Abnahmekriterien bestätigt hat,
  • der Ersteller die Dokumentation im Projekt-Workspace freigegeben hat,
  • der Status einvernehmlich mit dem Team auf „Done“ gesetzt wurde.

In der Praxis hat es sich bewährt, für jedes abgeschlossene Arbeitspaket diese DoD als Checkliste heranzuziehen. Wenn Sie eine ähnliche Checkliste verwenden, werden Sie feststellen, dass nicht jedes Arbeitspaket entsprechend der Definition vollständig abgeschlossen ist. Ein kleines Hilfsmittel mit großem Nutzen.

2. User Storys

Für die Anforderungsphase führten Martin und ich User Storys ein. Mit der Nutzung von User Storys lässt sich jedes Lastenheft, jeder Anforderungskatalog und jedes Spezifikationsdokument gravierend anreichern. Durch das vorgegebene Format „Ich als User, möchte folgende Funktion haben, um diesen Nutzen zu erreichen“ schaffen Sie es, kundenseitige Teammitglieder auf eine klare Rollensicht und eine Zweckorientierung zu fokussieren. Ein kleiner Perspektivwechsel mit großer Wirkung.

3. Taskboards

Kommunikation ist eine wesentliche Stärke agiler Projekte. Vermutlich kennen Sie wie Martin auch Projekte, in denen der Austausch von Informationen sehr schwierig ist. Statusberichte werden als lästige Pflicht angesehen und selten gelesen. Hier bietet sich der Einsatz eines Taskboards an. Mit einem Taskboard weiß fortan jedes Teammitglied auf einen Blick, welche Arbeitspakete der aktuellen Projektphase bearbeitet werden und wo das Projekt in diesem Moment steht. Empfehlenswert ist eine „haptische“ Variante des Taskboards; Sie benötigen lediglich 2 m² freie Wandfläche, etwas Test-Krepp zur Gestaltung von Spalten und verschiedenfarbige Post-Its. Ein einfaches Instrument für den leichten Austausch von Informationen.

4. Daily Standups

Ein agiles Instrument, das eine sofortige Effizienzsteigerung herbeiführen kann, ist das Daily Standup. Mussten Sie auch schon an mehrstündigen Projektstatusmeetings ohne im Vorfeld abgestimmter Agenda oder zielführender Moderation teilnehmen? Häufig sind solche Sitzungen durch lange Statements, hitzige Detaildiskussionen und parallel E-Mail-schreibenden Kollegen geprägt. Wer eine solche Erfahrung gemacht hat, wird eine große Bereitschaft zur Veränderung spüren. Daily Standups sind 15-minütige, tägliche Abstimmungen, die nur einem Zweck dienen: dem Sicherstellen der Arbeitsfähigkeit. Das gelingt im Daily Standup durch eine definierte Agenda aus 3 Punkten:

  • Was habe ich gestern gemacht?
  • Was mache ich heute?
  • Wen brauche ich, um meine Arbeit machen zu können?

Sämtliche Diskussionen, Problemerörterungen oder Meinungen werden bewusst ausgeklammert und an anderer Stelle bilateral besprochen. Neben der Arbeitsfähigkeit aller Teammitglieder führen die Daily Standups zum regelmäßigen, inhaltlichen Austausch und belebten die Kommunikation und Zusammenarbeit im Team.

5. Retrospektiven

In klassischen Projekten gibt es zum Projektabschluss häufig Lessons Learned Meetings. Diese haben einen gravierenden Nachteil: die gemachten Erfahrungen führen frühestens im nächsten, auf gar keinen Fall aber im aktuellen Projekt zu einer Verbesserung. Eine bessere Alternative ist hier die aus Scrum bekannte Retrospektive. Beim Coaching mit Martin übernahm ich noch die Moderation der ersten Retrospektive und folgte einer klaren Agenda. In einer 90-minütigen Session schafften wir nicht nur den Anstoß hin zu einer höheren Projekteffizienz, sondern sorgten auch für eine höhere Motivation der Mitarbeiter. Martin plante fortan am Ende jeder Phase und zusätzlich – wenn eine Phase länger dauerte – spätestens alle sechs Wochen weitere Retrospektiven ein. Er übernahm die Moderation der nachfolgenden Retrospektiven und wie er mir später berichtete, fühlte er sich erstmals wie ein Scrum Master.

Die Einführung der agilen Tools

Mit diesen fünf agilen Instrumenten können auch Sie Ihre Projektumgebung verbessern. Martin und ich machten bei der Verwendung nicht viel Aufhebens um die neuen Ansätze. Wir nannten sie noch nicht einmal „agil“. Damit gingen wir möglicher Kritik aus der Organisation einfach aus dem Weg. Wir bezeichneten sie schlicht als wirkungsvolle Instrumente aus dem Projektmanagement. Doch wie kann eine vergleichbare Einführung dieser agilen Instrumente auch bei Ihnen gelingen? Martin musste nicht von der Bedeutung agiler Prinzipien bei der Implementierung von Veränderungen überzeugt werden. Dennoch gibt es einige Dinge, die dabei helfen, „subversiv agil“ zu arbeiten:

  • Inkrementelles Vorgehen
    Führen Sie jedes neue, agile Tool, das Sie in einer klassischen Projektumgebung implementierten, schrittweise ein. Starten Sie zu Beginn mit einer ganz einfachen Ausführung. Funktioniert dies, fügen Sie noch etwas hinzu. So werden die Teamkollegen nicht mit komplizierten neuen Dingen konfrontiert, sondern können sich Schritt für Schritt mit dem Neuen vertraut machen. Bei Martin hatte beispielsweise das Task Board zu Beginn nur drei Spalten (Backlog, Doing, Done) und die User Storys wurden zunächst nur auf funktionale Anforderungen angewandt.
  • Iteratives Vorgehen
    Die neuen Tools müssen zu Beginn nicht so angelegt sein, dass sie sofort perfekt funktionieren. Es ist sogar empfehlenswert einige Schleifen einzuplanen und die Erfahrungen aus der Anwendung immer wieder für die Optimierung der Tools zu verwenden. Und falls ein Instrument auf keinerlei Akzeptanz stößt und somit keinen Nutzen bietet, dann lassen Sie es einfach weg.
  • Ermuntern Sie das Experimentieren
    Manche der besten Lösungen entstehen per Zufall. Motivieren Sie Teammitglieder die Tools einfach auszuprobieren, sie für andere Zwecke einzusetzen oder sich etwas ganz Neues einfallen zu lassen. Dies könnte beispielsweise dazu führen, dass Daily Standups zukünftig virtuell über mehrere Standorte stattfinden können.
  • Kurze Feedbackzyklen
    Fördern Sie aktiv Rückmeldungen über die Verwendung der neuen Tools. Richten Sie beispielsweise eine separate Email-Adresse für Kommentare ein und nutzen Sie Meetings und Gespräche, um immer wieder Feedback einzuholen. Und natürlich sollten Sie dieses Feedback jederzeit ernst nehmen und stets auf die Kommentare eingehen.

 

Fazit

Bei Martin haben es die Projektkollegen nicht einmal bemerkt, dass wir nach und nach agile Tools verwendet haben. Das war auch nicht entscheidend, denn es ging nicht um die Instrumente an sich, sondern um eine wirkungsvollere, bessere Zusammenarbeit. Das Projekt entwickelte neuen Schwung und Dynamik, die Martin bis dato nur aus den Berichten der Arbeitskollegen aus seinem Netzwerk kannte. In seinem Unternehmen gilt dieses Projekt inzwischen als positives Beispiel für die engagierte Zusammenarbeit eines Projektteams. Unsere “subversiv“ eingeführten Tools breiten sich nun munter in anderen Projekten aus. Wollen Sie es vielleicht bei einem ähnlichen Setting mit einer solchen, subversiven Art und Weise versuchen?

 

Hinweise:

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Oliver Buhr
Oliver Buhr

Oliver Buhr ist seit vielen Jahren Geschäftsführer der COPARGO GmbH. Er hat mehr als 17 Jahre Erfahrung in Projektleitungsfunktionen und gilt mit seiner großen Expertise und Begeisterung als einer der besten und renommiertesten PRINCE2-Trainer für mittelständische Unternehmen und Konzerne im gesamten deutschsprachigen Raum. Das von ihm entwickelte SmartPM liefert Projektunternehmen ein ideales Framework mit der Kombination der besten klassischen und agilen Ansätze.