Effectuation
Inhaltsverzeichnis: Definition – Prinzipien – Unterschiede zu kausaler Logik – Eignung – Fragen aus der Praxis – Hinweise
Wissen kompakt: Effectuation ist eine eigenständige, nicht kausale Entscheidungslogik, die Unternehmensgründer in Situationen von Ungewissheit und Unsicherheit nutzen.
Effectuation – Entscheidungen bei Ungewissheit treffen
„The best way to predict the future is to create it.“ soll Abraham Lincoln gesagt haben. „Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu gestalten.“
Effectuation folgt diesem Gedanken als eigenständige, nicht kausale Entscheidungslogik, die Unternehmensgründer vor allem in Situationen der Ungewissheit und Unsicherheit nutzen.
Situationen der Unsicherheit treten immer dann auf, wenn belastbare Prognosen über die Zukunft nicht möglich sind, wobei Situationen, die durch Steuerung beeinflussbar sind, nicht vorhergesagt werden müssen. Im Gegensatz dazu folgt die kausale Logik dem Gedanken, dass nur Dinge vorhergesagt werden können, die auch steuerbar sind.
Der Effectuation-Ansatz ist ein Ergebnis der globalen Entrepreneurship-Forschung unter der Federführung von Professor Saras D. Sarasvathy. [1] Sie beschäftigt sich mit wirtschaftswissenschaftlichen Aspekten bei Gründungen von Organisationen als Reaktion auf identifizierte Marktchancen sowie mit Unternehmensgründern, die ein persönliches Kapitalrisiko tragen. [2]
Prinzipien der Effectuation-Methode
Effectuation basiert auf fünf zentralen Prinzipien, die sich deutlich von der klassischen, kausalen Logik unterscheiden, wie sie in vielen Managementkontexten üblich ist. Während die kausale Logik von einem definierten Ziel ausgeht, das mit den passenden Ressourcen erreicht werden soll, verfolgt Effectuation einen flexibleren, handlungsorientierten Ansatz. Unerwartete Ereignisse gelten dabei nicht als Störung, sondern als potenzielle Chance. Auch das Denken in Konkurrenz wird durch kooperative Zusammenarbeit ersetzt. Die folgenden Prinzipien veranschaulichen diesen Unterschied:
Mittelorientierung (Bird-in-Hand Principle)
Was tun Sie, wenn Sie ein Ziel noch gar nicht genau kennen? Sie beginnen mit dem, was Sie bereits haben.
Anstatt sich auf ein zukünftiges Ziel zu fixieren, starten Unternehmerinnen und Unternehmer mit den Mitteln, die ihnen aktuell zur Verfügung stehen. Sie stellen sich die Fragen:
- Wer bin ich?
- Was weiß ich?
- Wen kenne ich?
Aus diesen Antworten ergeben sich Handlungsmöglichkeiten, ohne dass ein festes Ziel den Weg vorgibt. Der Schwerpunkt liegt darauf, mit vorhandenen Ressourcen zu arbeiten, etwa mit den eigenen Fähigkeiten, Erfahrungen oder Kontakten. Auf diese Weise können Projekte direkt umgesetzt werden, ohne dass zuerst große Investitionen oder externe Mittel erforderlich sind. Im Unterschied zur Zielorientierung der kausalen Logik, bei der ein konkretes Ziel definiert wird und danach passende Mittel gesucht werden, beginnt Effectuation bei den vorhandenen Mitteln und entwickelt daraus mögliche Ziele.
Leistbarer Verlust (Affordable Loss Principle)
Was tun Sie, wenn die Zukunft nicht planbar ist? Sie entscheiden anhand dessen, was Sie verlieren können.
Statt sich am möglichen Gewinn zu orientieren, überlegen sich erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer, wie viel sie im schlimmsten Fall verlieren könnten, ohne existenziell bedroht zu sein. Sie setzen nur das ein, was sie im Notfall verschmerzen können. Diese Haltung schützt davor, unnötige Risiken einzugehen, und hilft dabei, kontrollierte Entscheidungen zu treffen. Wer nur das aufs Spiel setzt, was er auch verkraften kann, bleibt langfristig handlungsfähig. Anders als bei der kausalen Logik, die sich am erwarteten Ertrag orientiert, richtet sich Effectuation nach dem individuell leistbaren Einsatz oder Verlust.
Umstände und Zufälle nutzen (Lemonade Principle)
Was tun Sie, wenn Unerwartetes passiert? Sie machen das Beste daraus.
Unerwartete Ereignisse oder Überraschungen gelten nicht als Störungen, sondern als neue Möglichkeiten. Unternehmerinnen und Unternehmer reagieren flexibel auf Veränderungen und nutzen solche Situationen, um ihre Ideen weiterzuentwickeln. Anstatt Schwierigkeiten zu vermeiden, wird das Ungeplante aktiv in den Prozess einbezogen. So entstehen kreative Lösungen, die es ohne das unvorhergesehene Ereignis vielleicht nie gegeben hätte. Während die kausale Logik versucht, Zufälle und Störungen möglichst zu vermeiden, nutzt Effectuation gerade diese unplanbaren Elemente aktiv als Chancen.
Partnerschaften und Vereinbarungen (Crazy-Quilt Principle)
Was tun Sie, wenn Sie ein Vorhaben nicht allein stemmen können? Sie denken in Partnerschaften und Kooperationen.
Bereits zu Beginn eines Vorhabens werden Partnerschaften mit Menschen eingegangen, die sich trotz Unsicherheiten engagieren möchten. Durch diese Zusammenarbeit entstehen neue Ressourcen und Ideen. Die Richtung eines Projekts wird gemeinsam entwickelt und nicht allein durch Wettbewerb bestimmt. Jede beteiligte Person bringt eigene Stärken, Erfahrungen oder Netzwerke ein. Dadurch entsteht ein vielfältiges und tragfähiges Fundament für das weitere Vorgehen. Im Gegensatz zum Konkurrenzdenken der kausalen Logik, das andere Marktteilnehmer oft als Rivalen sieht, steht bei Effectuation die frühe Zusammenarbeit mit Partnern im Vordergrund.
Nicht-vorhersagende Kontrolle (Pilot-in-the-Plane Principle)
Was tun Sie, wenn sich die Zukunft nicht genau vorhersagen lässt? Sie gestalten sie aktiv.
Die Grundidee lautet: Wer die Zukunft gestalten kann, muss sie nicht vorhersagen. Unternehmerinnen und Unternehmer konzentrieren sich auf das, was sie aktiv beeinflussen können, anstatt auf Prognosen zu vertrauen. Sie übernehmen Verantwortung für ihr Handeln und treffen Entscheidungen auf Basis dessen, was realisierbar ist. So wie ein Pilot sein Flugzeug auch bei unsicherem Wetter sicher steuert, behalten sie auch bei Ungewissheit die Kontrolle. Statt auf Vorhersagbarkeit und Planung zu setzen, wie es in der klassischen Managementlogik üblich ist, vertraut Effectuation auf aktives Gestalten im Moment und auf den Einfluss eigener Entscheidungen.
Diese fünf Prinzipien zeigen, dass unternehmerisches Handeln im Sinne von Effectuation nicht auf festen Plänen beruht, sondern auf dem Nutzen vorhandener Mittel, dem bewussten Umgang mit Risiken, der Offenheit gegenüber dem Unvorhergesehenen, der Zusammenarbeit mit anderen und der aktiven Gestaltung der Zukunft. So entsteht eine flexible und pragmatische Alternative zur klassischen Managementlogik.
Unterschiede zwischen kausaler Logik und Effectuation
Kausale Logik basiert auf dem Gedanken, dass Organisationen lediglich die Aspekte planen bzw. steuern können, die sich vorhersagen lassen. Und was passiert, wenn die Basis für eine Vorhersage fehlt und ein Plan damit unmöglich wird? Effectuation fokussiert auf Dinge, die durch aktives Handeln gestaltet werden können. Und gestaltbar ist das, was auf vorhandenen Mitteln basiert. Nachfolgend eine kleine Darstellung zur Haltung der beiden Ausrichtungen im Vergleich:
Kausale Logik | Effectuation | |
Grundgedanke | Die Zukunft ist vorhersehbar und planbar | Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, aber beeinflussbar |
Handlungsgrundlage | zielorientiert | mittelorientiert |
Risikoorientierung | erwarteter Ertrag | leistbarer Einsatz bzw. leistbarer Verlust |
Einstellung zu anderen | kompetitiv | kooperativ |
Einstellung zu Zufällen | vermeiden | nutzen |
Effectuation ist aber nicht das Gegenteil von kausaler Logik, es ist eine Ergänzung. Es ist ein Ansatz, um Machbares aktiv in Angriff zu nehmen. Es ist keine Technik, die einem Unternehmensgründer sagt, was er oder sie zu tun hat. Und sobald es Sinn ergibt, Vorhaben mit Plänen zu gestalten und diese umzusetzen, sollte dies auch in der Praxis so passieren.
Wann eignet sich Effectuation besonders gut?
Effectuation ist besonders hilfreich in Situationen, in denen Unsicherheit hoch ist und klassische Planungsansätze an ihre Grenzen stoßen. Das betrifft vor allem Kontexte, in denen:
- die Zukunft schwer vorhersehbar ist, etwa bei der Entwicklung neuer Märkte oder radikaler Innovationen.
- Ziele noch nicht klar definiert sind, sondern sich im Laufe des Prozesses formen und weiterentwickeln.
- die Rahmenbedingungen durch eigenes Handeln und durch die Zusammenarbeit mit anderen aktiv mitgestaltet werden können.
Effectuation eignet sich daher ideal für Startups, für Innovationsprojekte, für die Erschließung neuer Geschäftsfelder oder für Unternehmen in Veränderungssituationen wie etwa Krisen. Auch in etablierten Organisationen kann Effectuation wertvolle Impulse liefern, insbesondere in Bereichen, in denen mit Unsicherheit umgegangen werden muss. [3] Es fördert unternehmerisches Denken, experimentierfreudiges Handeln und die Fähigkeit, flexibel auf neue Gegebenheiten zu reagieren.
Damit Effectuation in bestehenden Strukturen wirksam wird, braucht es häufig Unterstützung durch das Management, einen Abbau starrer Prozesse und eine offene Unternehmenskultur, die Experimente zulässt. Wichtig ist dabei die bewusste Unterscheidung: Nicht jede Aufgabe erfordert denselben Umgang mit Unsicherheit. Je nach Situation kann mal der klassische kausale Ansatz, mal Effectuation die passende Vorgehensweise sein.
Fragen aus der Praxis
Hier finden Sie einige Fragen und Antworten aus der Praxis:
Warum wird manchmal von vier, manchmal von fünf Effectuation-Prinzipien gesprochen?
Die ursprüngliche Forschung von Saras D. Sarasvathy sowie die Mehrheit aktueller Quellen benennen fünf zentrale Prinzipien:
- Bird-in-Hand (Mittelorientierung): Starte mit dem, was du hast, also wer du bist, was du weißt und wen du kennst.
- Affordable Loss (Leistbarer Verlust): Entscheide nach dem, was du im schlimmsten Fall zu verlieren bereit bist.
- Crazy Quilt (Partnerschaften): Baue früh strategische Partnerschaften auf, um Unsicherheiten zu teilen.
- Lemonade (Zufälle nutzen): Nutze unerwartete Ereignisse als Gelegenheit zur Weiterentwicklung.
- Pilot-in-the-Plane (Kontrolle im Ungewissen): Gestalte die Zukunft aktiv, anstatt sie vorherzusagen.
Diese fünf Prinzipien gelten heute als Standard und finden sich in zahlreichen Fachquellen und Praxisbeispielen.
Einige Darstellungen beschränken sich jedoch auf vier Prinzipien, indem sie das „Pilot-in-the-Plane-Prinzip“ als übergeordnetes Meta-Prinzip oder integrativen Rahmen auffassen. In solchen Fällen wird die Steuerung der Zukunft nicht als eigenständiges Prinzip genannt, sondern implizit mitgedacht. Für ein umfassendes Verständnis von Effectuation empfiehlt sich die Orientierung an der Fünf-Prinzipien-Struktur.
Lässt sich Effectuation erlernen?
Effectuation ist eine Methode, die erlernt und vermittelt werden kann. Die Forschung von Saras D. Sarasvathy hat gezeigt, dass das Denken und Handeln erfahrener Unternehmerinnen und Unternehmer systematisch erfasst und in konkrete Prinzipien sowie einen nachvollziehbaren Prozess überführt werden kann. Durch Ausbildungen, Fachliteratur und Videomaterial lässt sich Effectuation vermitteln, sodass Menschen befähigt werden, unternehmerisch zu denken und in unsicheren Situationen handlungsfähig zu bleiben.
Welche Bedeutung haben Ungewissheit und Risiko im Effectuation-Ansatz?
Im Effectuation-Ansatz wird Ungewissheit nicht als Störfaktor gesehen, den man durch Planung und Prognosen kontrollieren muss. Vielmehr gilt sie als eine normale und gestaltbare Realität unternehmerischen Handelns. Besonders in dynamischen und offenen Situationen, etwa bei der Entwicklung von Innovationen oder in neuen Märkten, lässt sich die Zukunft nicht verlässlich vorhersagen.
Effectuation begegnet dieser Unvorhersehbarkeit mit einer anderen Logik. Anstelle der Frage, welchen Gewinn man erwarten kann, steht die Überlegung im Vordergrund, wie viel man im schlimmsten Fall verlieren kann, ohne in existenzielle Schwierigkeiten zu geraten. Diese Orientierung am leistbaren Verlust ermöglicht es, auch unter unsicheren Bedingungen Entscheidungen zu treffen und ins Handeln zu kommen.
Der Umgang mit Risiko ist dabei nicht zurückhaltend, sondern bewusst gestaltet. Wer nur das investiert, was er oder sie im Zweifel verschmerzen kann, bleibt auch dann handlungsfähig, wenn ein Vorhaben scheitert. Das senkt die Schwelle, Neues auszuprobieren, und fördert einen experimentierfreudigen Umgang mit offenen Situationen.
Zufälle und unvorhergesehene Ereignisse werden nicht als Bedrohung betrachtet. Sie gelten vielmehr als wertvolle Anlässe, den Kurs anzupassen, neue Partnerschaften einzugehen oder alternative Wege zu entdecken. So wird Ungewissheit nicht als Last empfunden, sondern als Quelle für Kreativität, Entwicklung und unternehmerische Gestaltung.
Ist Effectuation alter Wein in neuen Schläuchen?
Auf den ersten Blick mag Effectuation wie eine Zusammenstellung bekannter unternehmerischer Prinzipien erscheinen. Viele der darin beschriebenen Denk- und Handlungsweisen sind tatsächlich nicht neu. Erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer haben schon immer intuitiv mit begrenzten Mitteln begonnen, Risiken abgewogen, flexibel auf Überraschungen reagiert und strategische Partnerschaften aufgebaut.
Was Effectuation jedoch besonders macht, ist die systematische Beobachtung und theoretische Fundierung genau dieses unternehmerischen Handelns. Die Forschung von Saras D. Sarasvathy hat gezeigt, dass sich bei sogenannten Expert Entrepreneurs ein klar erkennbares, konsistentes Entscheidungsverhalten unter Unsicherheit nachweisen lässt. Diese Logik wurde erstmals theoretisch gefasst, mit Prinzipien benannt und zu einer lehr- und lernbaren Methode weiterentwickelt.
Effectuation ist also nicht einfach ein neuer Begriff für altes Verhalten, sondern eine strukturierte Beschreibung einer spezifischen unternehmerischen Logik. Sie steht bewusst im Kontrast zur klassischen, kausalen Managementlogik und bietet konkrete Orientierung für Situationen, in denen Planung, Kontrolle und Vorhersage an ihre Grenzen stoßen.
→ Eine interessante Antwort auf diese (und weitere) Fragen liefert Heiko Bartlog in einem Interview.
Hinweise:
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[1] Saras D. Sarasvathy: What makes entrepreneurs entrepreneurial?
[2] Die wissenschaftlichen Arbeiten von Frau Prof. Sarasvathy wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2009 und 2015 mit den Gerald E. Hills Best Paper Award der American Marketing Association und 2017 mit dem Foundational Paper Award der Academy of Management.
[3] In Märkten mit bekannten Produkten und Dienstleistungen kommt der Ansatz eher selten zur Anwendung; etablierte Märkte lassen sich meist strategisch planen und prognostizieren, bieten aber nur relativ geringe Gestaltungs- und Steuerungsmöglichkeiten.
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