Zwei Jahre später: Was die 4-Tage-Woche wirklich gebracht hat

Gastbeitrag von | 13.11.2023

Seit Januar 2022 arbeiten wir bei openpack, einem digitalen Start-up aus der Verpackungsindustrie, mit der 4-Tage-Woche. Woher kam die Idee, welche Erwartungen wurden damit verbunden, wie wurde sie umgesetzt, was waren die ersten Erfahrungen und wie geht es weiter mit der 4-Tage-Woche?

Der Start in die 4-Tage-Woche

Anfang Dezember 2021 machte uns unser Geschäftsführer Dr. Stefan Uebelacker ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk: Lange hatte er sich mit der Idee eines neuen Arbeitszeitmodells beschäftigt und die Zeit war reif für die Einführung einer 4-Tage-Woche ab Januar 2022.

In kürzester Zeit wurden die nötigen Vorbereitungen getroffen. Wir diskutierten zahlreiche Fragen im Team, auf die es oftmals noch keine Antworten gab, auch weil es schwierig war, sich mit Gleichgesinnten von anderen Unternehmen auszutauschen. Als Ergebnis vereinbarten wir folgende Punkte:

  • 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich.
  • Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden auf 32 Stunden.
  • Freitag ist für alle frei.

Durch den arbeitsfreien Freitag wollten wir sicherstellen, dass die Kommunikation und der Austausch im Team weiterhin funktionierte, und mögliche Folgen unserer reduzierten “Erreichbarkeit” für Kunden und Partner minimieren.

Zudem vereinbarten wir, dass wir kontinuierlich unseren kompletten Arbeitsalltag kritisch hinterfragen: Wo können wir Aufwände reduzieren und unsere Produktivität erhöhen?

Unsere drei Erwartungen an die 4-Tage-Woche

Natürlich wird eine gravierende Veränderung, wie die Einführung der 4-Tage-Woche, nicht ohne eine gewisse Erwartungshaltung vollzogen. In mehreren Bereichen erhofften wir uns durch die Umstellung positive Veränderungen:

Produktivität

Mit der These 5 – 1 = 6 empfing uns unser Geschäftsführer bei der ersten offenen Fragerunde zur 4-Tage-Woche. Studien belegen, dass eine Produktivitätssteigerung bei der Umstellung auf eine 4-Tage-Woche durchaus möglich ist.

Work-Life-Balance der Mitarbeiter

Geregelte Arbeitszeiten sind insbesondere in einem jungen Start-up eher eine Seltenheit. Die Themenvielfalt bei den Mitarbeitern ist sehr hoch, neue Aufgaben und kurzfristige Änderungen sind an der Tagesordnung. Dies führt bei den betroffenen Mitarbeitern schnell zu einer hohen mentalen Belastung und wirkt sich negativ auf die Work-Life-Balance aus. Die 4-Tage-Woche bringt die 3-Tage-Freizeit und wir erhofften uns einen positiven Effekt auf die Work-Life-Balance.

Mitarbeitergewinnung und -bindung

Die Gewinnung neuer Mitarbeiter und die Bindung von bestehenden Mitarbeitern ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für ein Start-up. Die 4-Tage-Woche sollte unsere “Attraktivität und Sichtbarkeit” erhöhen, selbst wenn sich die tatsächliche Wirkung nur schwer messen und vergleichen lässt.

Die ersten Monate der Anwendung

Die Umstellung auf die 4-Tage-Woche war im Team mit großer Unsicherheit verbunden. Eine Testphase mit einem kleinen Team gab es nicht. Die komplette Belegschaft erhielt neue Arbeitsverträge und viele Fragen suchten nach Antworten:

  • Was kommt hier generell auf uns zu?
  • Wie wollen wir die gleiche Arbeit in nur 4 Tagen schaffen?
  • Darf ich am Freitag arbeiten, wenn ich meine Arbeit nicht schaffe?
  • Was mache ich mit meinem zusätzlichen freien Tag?
  • Wie messen wir unsere Arbeit und den Erfolg der 4-Tage-Woche?

Interessanterweise wurden viele Mitarbeiter von Freunden oder Familienmitgliedern um die 4-Tage-Woche beneidet, während sie selbst aufgrund der unbeantworteten Fragen erst einmal skeptisch waren.

In einem Meeting mit dem kompletten Team und vielen Einzelgesprächen versuchte unser Geschäftsführer den Mitarbeitern die Angst zu nehmen und sie mit Zuversicht in die Zukunft schauen zu lassen. Er erklärte ausführlich seine Beweggründe und Erwartungen. Regelmäßige Feedbacktermine wurden vereinbart, um die ersten Monate gemeinsam erfolgreich zu meistern und schnell auf mögliche Probleme reagieren zu können.

In einem Workshop wurden Mitarbeiter in der Anwendung von Zeit- und Selbstmanagementmethoden, wie z. B. die ABC-Analyse oder das Eisenhower Prinzip, geschult. Zusätzlich wurden alle Termine im Team bzgl. Notwendigkeit, Dauer und Teilnehmerkreis zur Diskussion gestellt. Im Nachgang betrachtet, war die konsequente Straffung der Termine ein zentraler Erfolgsfaktor für Anwendung der 4-Tage-Woche.

Bei allen Optimierungen und Veränderungen im Team blieb noch eine Frage offen:

  • Wie informieren wir unsere Kunden und Partner?

Sollten wir proaktiv auf unsere Kunden und Partner zugehen, und ihnen mitteilen, dass wir fortan Freitags nicht mehr erreichbar wären, oder sollten wir bei Bedarf individuell und situativ informieren? Wir entschieden uns für die zweite Alternative, da wir mögliche Rückmeldungen abwarten wollten.

Zwischenfazit nach einem Jahr

Nach einem Jahr war es Zeit für ein Zwischenfazit. Wir hatten situativ Mitarbeiterfeedback gesammelt und aktiv Kunden- und Partnerreaktionen beobachtet, um im Bedarfsfall kommunizieren und informieren zu können. Interessanterweise gab es nie Anlass für ein kurzfristiges Eingreifen.

Unser Zwischenfazit:

Messbare Zahlen zum Output des Teams

Zahlen, die sich direkt vergleichen lassen, sind für eine Auswertung immer am wertvollsten. Durch die schnelle Umsetzung der 4-Tage-Woche konnten wir allerdings kein umfassendes Zahlenwerk aufbauen, dass uns einen kompletten Vorher-Nachher-Vergleich ermöglicht hätte. Wir nutzten stattdessen zwei verfügbare Kennzahlen: Unsere schon vor der 4-Tage-Woche eingeführte OKR-Planung erlaubte es uns,

  • für die fachliche Seite einen Vergleich der Zielerreichung (wie viele Key-Results wurden geplant und erfolgreich umgesetzt) und
  • für die technische Seite die Anzahl der umgesetzten Story Points (bezogen auf einen OKR-Zyklus) durchzuführen.

Beide Kennzahlen blieben im ersten Jahr der 4-Tage-Woche auf gleichem Niveau – was uns deutlich zeigte, dass zumindest das gleiche Arbeitspensum geleistet wurde. 5 -1 = 6 konnten wir zwar nicht erreichen, aber 5 – 1 = 5 war für uns trotzdem ein großer Erfolg.

Veränderungen im Arbeitsalltag

Mit dem Start der 4-Tage-Woche war klar, dass sich unser Arbeitsalltag verändern würde. Die Straffung der Termine war die offensichtlichste Veränderung zu Beginn, doch auch nach einem Jahr zeigte sich, dass wir die Menge und den Umfang von Terminen dauerhaft reduzieren konnten, ohne dabei Mitarbeitern das Gefühl zu geben, etwas zu verpassen.

Offensichtlich wurde auch, dass Mitarbeiter im eigenen Arbeitsablauf mehr Fokussierung benötigten, was im Gegensatz zur 5-Tage-Woche zu einem höheren Stress- und Belastungslevel führte. Übereinstimmend wurde von allen Mitarbeitern bestätigt, dass der arbeitsfreie Freitag zu einer deutlich besseren Erholung am Wochenende führte und das zusätzliche Stresslevel unter der Woche mehr als kompensierte.

Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation

Im Rahmen zweier Abschlussarbeiten, die zwei externe Studenten anfertigten, ließen wir Auswirkungen auf das Team analysieren. Mit Umfragen, Tiefeninterviews und Fokusgruppenbefragungen wurden Stresslevel, Zufriedenheit, Motivation etc. abgefragt und analysiert.

Folgende Themen wurden von den Mitarbeitern besonders hervorgehoben:

  • Höhere Arbeitsmotivation von Montag bis Donnerstag.
  • Mehr Erholung durch den arbeitsfreien Freitag.
  • Der arbeitsfreie Freitag wird einer individuellen 32h-Woche vorgezogen.
  • Die Work-Life-Balance verbessert sich deutlich.

Außenwirkung

Durch die Einführung der 4-Tage-Woche mussten wir an verschiedenen Stellen auf die Änderungen der Außenwirkung achten:

Die Entscheidung, Kunden und Partner nicht proaktiv zu informieren, führte dazu, dass wir mithilfe einer “kreativen” Terminkoordination versuchten, den Freitag terminfrei zu halten. Dies funktionierte überwiegend gut und nur in einigen wenigen Ausnahmefällen mussten Kollegen Freitags Termine wahrnehmen. Beschwerden von Kunden und Partnern, dass wir am Freitag nicht erreichbar waren, hatten wir keine, was möglicherweise auch daran lag, dass unser Start-up zu Beginn erst einmal einen kleineren Kundenstamm hatte.

Nach einigen Monaten mit der 4-Tage-Woche führten wir mit unseren besten Kunden und Partnern “beiläufig” Gespräche über die 4-Tage-Woche. Auch hier erhielten wir nur positive Rückmeldungen und viel Lob, da wir uns an ein solch “heikles” Thema wagten.

Unsere Medienpräsenz konnten wir durch die Einführung der 4-Tage-Woche deutlich erhöhen. Vor allem in der lokalen Presse wurde vermehrt über openpack und das neue Arbeitszeitmodell berichtet. Zusätzlich hatten Kollegen die Möglichkeit, das Thema und damit indirekt unser Start-up auf Kongressen oder Barcamps vorzustellen. Viele Kollegen wurden zudem im Laufe der Zeit privat auf ihre arbeitsfreien Freitage angesprochen, oder sie durften erklären, wie gut das Arbeitszeitmodell in der Praxis wirklich funktionierte. In der Summe führte die 4-Tage-Woche zu mehr Aufmerksamkeit, was auch für unser Recruiting sehr hilfreich war.

Zwei Jahre 4-Tage-Woche: Vom Experiment zur Routine

Wann wird etwas zur Routine? Ich habe mich schon mit dem Start der 4-Tage-Woche gefragt, wie unsere Routine im neuen Arbeitszeitmodell nach einiger Zeit aussehen wird.

  • Ab wann fühlt sich die 4-Tage-Woche “normal” an?
  • Fallen wir wieder in einen Rhythmus zurück, den wir aus der 5-Tage-Woche kennen oder können wir das Umgewöhnte und Veränderte auch beibehalten?
  • Wie verhalten sich neue Mitarbeiter, insbesondere wenn sie noch keine Erfahrungen mit dem Arbeitszeitmodell haben?
  • Wie verändert sich die Akzeptanz bei weiterem Unternehmenswachstum?

Die Fragen sind nicht einfach zu beantworten, dennoch möchte ich es versuchen:

Was heißt Routine? Laut Wikipedia ist es “eine Handlung, die durch mehrfaches Wiederholen zur Gewohnheit wird”¹. Mit Blick auf den arbeitsfreien Freitag kann ich dies nur bestätigen. War es die ersten Monate ein Privileg, den Freitag freizuhaben, ist dieser mittlerweile fester Bestandteil der Wochenplanung. Mitarbeiter nutzen den freien Tag bspw. für Sport und Weiterbildung, für Kinderbetreuung oder Haushaltsaufgaben. In der Summe führt dies zu erholsameren und entspannteren Wochenenden und zu einer deutlich verbesserten Work-Life-Balance.

Auch die Umstellungen im Arbeitsalltag haben sich als sehr effektiv erwiesen und sind Bestandteil einer neuen Normalität geworden. Die schnellere Taktung ist für uns nun normal und führt nicht mehr zu dem Stress wie zu Beginn der 4-Tage-Woche. Damit ist auch die Frage nach dem Rhythmus beantwortet – wir konnten ihn halten und somit für unser Unternehmen ein erfolgreiches Arbeitsmodell entwickeln.

Neue Mitarbeiter haben wir in den letzten Monaten ebenso erfolgreich integriert – hier trägt das Team die Verantwortung, das bisher Erlernte aus der 4-Tage-Woche weiterzugeben und die neuen Kollegen erfolgreich in den Arbeitsfluss des Teams zu integrieren. Und das funktioniert sehr gut, unabhängig davon, ob die neuen Kollegen bereits Erfahrungen mit der 4-Tage-Woche haben.

Ob wir die 4-Tage-Woche zukünftig für das gesamte Team beibehalten können oder ggf. Anpassungen benötigen, um bspw. eine bessere Erreichbarkeit zu gewährleisten, kann ich final noch nicht beantworten. In einem Start-up gibt es viele Unbekannte und Rahmenbedingungen verändern sich teilweise sehr schnell. Im zweiten Jahr der 4-Tage-Woche hatten wir auf jeden Fall noch keine Notwendigkeit, etwas zu verändern. Wir werden es auch im dritten Jahr beobachten und bei Bedarf entsprechende Anpassungen vornehmen, wobei eine klare Ansage steht: “Ein Zurück in die 5-Tage-Woche wird es nicht mehr geben!”

 

Hinweise:

Stehen Sie vor der Entscheidung, Ihr Arbeitszeitmodell anpassen? Dann sprechen Sie Matthias Dineiger auf LinkedIn an. Gerne inspiriert er sie, den Schritt in eine 4-Tage-Woche zu wagen. Trauen Sie sich, es tut nicht weh und mit einem motivierten Team an Ihrer Seite wird es ein Erfolg.

[1] Wikipedia: Routine

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Matthias Dineiger
Matthias Dineiger

Matthias Dineiger arbeitet bei openpack als Chief Adminstrative Officer (CAO). Seit mehr als 15 Jahren beschäftigt er sich beruflich mit dem Thema E-Commerce. Dabei hat er in verschiedenen Positionen den Aufbau und die Weiterentwicklung von Online-Shops und Marktplätzen verantwortet und sein Know-how gerne mit Kollegen und seinem Netzwerk geteilt.

Usability, Projektmanagement und agile Arbeitsweisen sind Schwerpunkte, die ihn in den letzten Jahren stets begleitet haben. Teams und Mitarbeiter beim Eintauchen in die agile Welt und ihre Arbeitsmethoden zu begleiten, ist für ihn eine Herzensangelegenheit. Agile Transformationen erfolgreich zu meistern, treibt ihn immer wieder an, sich in neue Themen und Methoden einzuarbeiten und sich neuen Herausforderungen zu stellen.