w/m/d oder weiblich/männlich/divers

von | 14.01.2019

Wir suchen Unterstützung für die Softwareentwicklung mit C#, Java und im Bereich der Web-Technologien.

„Und? Was ist daran jetzt so ungewöhnlich?“ werden Sie jetzt vielleicht denken. „Wir suchen auch. Alle suchen. In fast allen Bereichen!“

Stimmt, genauso empfinde ich es auch. Aber ich möchte auf etwas anderes hinaus: Die Aussage „Wir suchen Unterstützung für die Softwareentwicklung mit C#, Java und im Bereich der Web-Technologien.“ ist neutral formuliert. Sie ist in keinster Weise diskriminierend. Damit genügt sie dem AGG, dem „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“, das umgangssprachlich einfach Antidiskriminierungsgesetz genannt wird. Und das ist natürlich auch gut so, denn wollen wir mit unseren Stellenbeschreibungen niemanden diskriminieren. Da wir weder eine Stelle für einen Weihnachtsmann oder einen Papst zu besetzen haben, noch eine Leihmutter suchen, ist das Geschlecht für uns überhaupt kein Einstellungskriterium. Wir suchen schlicht Menschen, die gewisse Fähigkeiten haben oder erlernen wollen, und die mit Leidenschaft diese Fähigkeiten bei der Entwicklung von guter Software einbringen. Doch nun rückt der Gesetzgeber das „dritte Geschlecht“ ins Blickfeld und viele Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen.

Die Änderung des Personenstandgesetzes (PStG)

Am 10. Oktober 2017 forderte das Bundesverfassungsgericht (BverfG) den Gesetzgeber auf, bis zum 31. Dezember 2018 das Personenstandsrecht so zu ändern, das Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, eine passende Eintragungsmöglichkeit im Geburtenregister ermöglicht (Aktenzeichen: 1 BvR 2019/16). Bislang gab es lediglich die Möglichkeit, keinen Geschlechtseintrag vorzunehmen (§ 22 Abs. 3 PStG). Unabhängig davon, dass es biologisch gesehen nur zwei Geschlechter gibt, auch die geschlechtliche Identität von Menschen ist nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG schutzwürdig. Darüber hinaus verstieß das geltende Personenstandsrecht auch gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG), soweit die Eintragung eines anderen Geschlechts als „männlich“ oder „weiblich“ ausgeschlossen wurde.¹

Einfach ausgedrückt: es gibt nunmehr ein juristisch anerkanntes drittes Geschlecht in Deutschland.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) fordert die Gleichbehandlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in allen Phasen der Beschäftigung. Auch der Zugang zur Erwerbstätigkeit und damit Stellenanzeigen, die Anforderungen an Bewerbungsunterlagen und das Auswahlverfahren müssen diskriminierungsfrei gestaltet sein. §1 AGG definiert das Ziel, Benachteiligungen aufgrund von

  • Rasse oder ethnischer Herkunft,
  • Geschlecht,
  • Religion oder Weltanschauung,
  • Behinderung,
  • Alter oder
  • sexueller Identität

zu verhindern oder zu beseitigen.²

Kurzum: Der gesamte Prozess der Mitarbeiter*innen-Akquise muss merkmalsneutral vonstatten gehen. Dies führte in der Vergangenheit u.a. dazu, dass die Größenvorgaben bei Flugbegleiterinnen verschwanden, oder dass kirchliche Arbeitgeber pauschal keine bestimmte Konfession voraussetzen durften. Oftmals mussten Gerichte in Einzelfällen darüber entscheiden, ob der Tatbestand der Ungleichhandlung aufgrund vorgegebener Merkmale bestand, oder ob Stellenanforderungen nach §9 AGG gerechtfertigt waren.

Unabhängig vom dritten Geschlecht könnte es zukünftig spannend werden, denn möglicherweise dürfen sich Gerichte mit der Diskriminierung aufgrund der Platzierung von Stellenanzeigen beschäftigen, bspw. wenn diese ausschließlich in einer Frauenzeitschrift oder nur bestimmten Personengruppen auf sozialen Plattformen angezeigt werden. Handelt es sich in solchen Fällen schon um implizite Diskriminierung?

Das dritte Geschlecht und die Konsequenzen

Es ist schön, dass wir in Deutschland in einer nicht diskriminierenden Gesellschaft leben wollen. Doch die Entscheidung für das dritte Geschlecht hat weitreichende Konsequenzen für die öffentliche Verwaltung und auch für praktisch alle Firmen, die in Deutschland agieren. Geschlechtsspezifische Daten gehören zu unserem Leben wie die Luft, die wir atmen. Sie werden u.a. in

  • Datenbanken und Programmen, die personenbezogene Daten verwalten (bspw. CRM-Lösungen),
  • softwarebasierten Lösungen für Teams mit Nutzerverwaltung,
  • Formularen (online und offline),
  • jeglicher schriftlicher Kommunikation (Newsletter, E-Mails, Rechnungen, Arbeitszeugnisse, Referenzen, Teilnahmbescheinigungen, Zertifikate, Stellenanzeigen etc.)

genutzt.

Im Online-Marketing wird sich vermutlich der Aufwand in Grenzen halten. Grundsätzlich sollte man – zumindest nach der gängigen Theorie – bei Online-Formularen keine „Anrede“ erfragen, da die Anzahl der auszufüllenden Felder ein Faktor ist, der die Bereitschaft etwas auf einer Webseite zu tun, beeinflusst. Wird die „Anrede“ in der Praxis dennoch abgefragt, sollten jetzt alle Formale um ein Feld für das dritte Geschlecht erweitert werden. Doch was passiert  in der Folge mit der Anrede bspw. beim Versand von Newslettern? Werden jetzt alle Menschen nur noch mit „Hallo Vorname Nachname“ angeschrieben und jegliche Höflichkeit à la „Sehr geehrte Frau Nachname“ muss verschwinden? Das klingt nicht erstrebenswert. Ebenso wenig wie eine nachträgliche Abfrage aller Newsletter-Empfänger oder Kunden, ob sie mit dem hinterlegten Geschlecht einverstanden sind.

Es gibt Bereiche, da sind die Konsequenzen nicht nur eine organisatorische Herausforderung, sondern explizit eine sehr große technische. Alle deutschen Behörden, auf Bundesebene, in den Ländern, Kommunen und Kreisen nutzen Software. In diesen Programmen werden Informationen zu Bürgern verwaltet. Es gibt logische Bedingungen zwischen Eigenschaften. Beispiel: Bis zur „Ehe für alle“ konnten nur ein Mann und eine Frau den Bund der Ehe schließen. Damit wurde bspw. auch eine gemeinsame Steuerveranlagung möglich. Wenn die erste Person männlich war, so musste die zweite weiblich sein. Sehr gerne würde ich wissen, wie teuer es war, diesen Zusammenhang aus allen betroffenen Softwareprodukten zu entfernen. Und jetzt können Männer und Frauen auch Menschen des dritten Geschlechts heiraten. Vermutlich gibt es Projekte, um die sich Dienstleister nicht wirklich reißen.

Neben kommunikativen und technischen Konsequenzen hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht auch gesellschaftliche Folgen: Was geschieht zukünftig mit sanitären Räumen – genügen weiterhin zwei, muss noch ein dritter her oder wäre es nur folgerichtig, fortan nur noch einen Raum zu haben. Wie sieht es mit Umkleideräumen aus, mit Kleiderordnung, mit Mannschaftssport, mit Entgeltgleichheit oder Frauenquote? Ob die Richter das alles im Blick hatten?

Nicht-diskriminierende Stellenanzeigen

Im Zuge des Genderings beschäftigen sich immer mehr Menschen mit einer korrekten, nicht-diskriminierenden Sprache. Das ist in vielen Fällen richtig und konsequent, denn Sprache formt das Denken und schafft Realitäten. Doch was bedeutet dies konkret für Stellenanzeigen? Bis vor einigen Jahren galten Berufsbezeichnungen als neutral: es gab Buchhalter, Softwareentwickler, Personalleiter. Auch Abschlüsse an Hochschulen hießen Diplom Betriebswirt, Diplom Mathematiker oder Magister Anglistik. Diese Zeiten sind gefühlt schon eine Ewigkeit vorbei, denn heute werden Busfahrerinnen und Busfahrer, Tester und Testerinnen gesucht. Wie wird dies nun mit dem dritten Geschlecht?

„Wir suchen Unterstützung für die Softwareentwicklung mit C#, Java und im Bereich der Web-Technologien.“ lautete die von mir erwähnte Stellenanzeige. Bei genauerer Betrachtung klingt der Text nicht nur ein bisschen holprig, sondern er ist auch ungenau. Wir suchen zwar Unterstützung in der Softwareentwicklung, meinen damit aber Softwareentwickler und Softwareentwicklerinnen. Softwarearchitekten bzw. -architektinnen suchen wir auch, allerdings nicht mit ein und derselben Stellenanzeige. Eine allgemeine Berufsbezeichnung zu verwenden, um ein korrektes Gendering zu vermeiden, muss also keine gute Idee sein.

Das Bundesverfassungsgericht hat keinerlei Vorgaben für die Formulierung nicht-diskriminierender Stellenanzeigen gemacht, so dass eine ganze Reihe von unterschiedlichen Möglichkeiten in Betracht kommen:

  • Softwareentwickler (m/w/divers)
  • Softwareentwickler (m/w/d)
  • Softwareentwickler (m/w/inter) – inter steht für „intersexuell“
  • Softwareentwickler (m/w/i)
  • Softwareentwickler (a/wanders)
  • Softwareentwickler (m/w/a)

Wenn Sie sich aktuelle Stellenanzeigen anschauen, die bereits das dritte Geschlecht adressieren, finden Sie auch

  • Softwareentwickler (w/m/x) oder
  • Softwareentwickler (w/m/gn) – gn steht für „gender neutral“.

Wow, es lebe die Vielfalt. Und zwar die geschriebene, denn vermutlich wird es sehr wenige Menschen geben, die Ihnen im Vorstellungsgespräch verbal mitteilen, „was wir uns von Ihnen als Softwareentwickler (w/m/d) wünschen …“.

Sicherlich haben Sie auch schon Artikel gelesen, in denen bspw. von „Mitarbeiter*innen“ die Rede war. Eine solche Formulierung versucht herauszustellen, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen gemeint sind. Bei genauerer Betrachtung dürfte dies fortan leider „divers“ diskriminierend sein. Für Mathematiker ist die Lösung des Problems relativ naheliegend: Mitarbeiter*, Tester*, Softwarearchitekten*. Das * ist der Platzhalter für alle Geschlechter, für das weibliche, das männliche und das dritte. Etwas weitergedacht könnten sogar Artikel und Personalpronomen fixiert werden, so dass aus „Wir suchen eine/n Softwareentwickler/-in“ nun „Wir suchen einen Softwareentwickler*“ würde. Mit einem Mal wäre Gendering sehr einfach. Für Informatiker hingegen ist klar, dass dies nicht funktioniert, denn mit einem * in einer Suchabfrage sucht man sämtliche Alternativen und nicht nur diejenigen, die Angaben zum Geschlecht machen.

 

m/w/d – unser Weg

Wir haben unsere Stellenbeschreibungen um das dritte Geschlecht ergänzt, so dass wir bspw. einen Softwareentwickler .NET (m/w/d) oder einen Softwarearchitekt (m/w/d) suchen. Ein w/m/divers zu verwenden erscheint uns nicht logisch, denn warum sollten wir „weiblich“ und „männlich“ abkürzen, dann aber „divers“ ausschreiben? Für w/m/d und insbesondere das „d“ spricht eine erste Untersuchung gängiger Jobportale, die ergab, dass „divers“ sehr viel häufiger als bspw. „anders“ oder „inter“ verwendet wird.

Auf Hinweise wie „alle Geschlechter willkommen“ oder „Geschlecht egal. Hauptsache gut.“ oder „Softwareentwickler (Mensch)“ verzichten wir. Und Sätze wie „Wir fördern aktiv die Gleichstellung von Frauen und Männern.“ haben wir noch nie verwendet, denn damit hätten wir auch in der Vergangenheit ausgedrückt, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Zukünftig ist dies dann auch divers diskriminierend.

 

Hinweise:

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Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine Meinung, nicht um eine Rechtsberatung. Ähnlich wie bei der Einführung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wird vermutet, dass es eine Vielzahl von Abmahnungen durch Anwälte geben könnte; ob dies tatsächlich eintritt, wird die Zukunft zeigen.

Schätzungen gehen davon aus, dass sich in Deutschland bis zu ca. 120.000 Menschen weder als Frau noch als Mann fühlen.

[1] Pressemitteilung Bundesverfassungsgericht: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-095.html
[2) Ziel des AGG: https://www.gesetze-im-internet.de/agg/__1.html

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Michael Schenkel
Michael Schenkel

Leiter Marketing, t2informatik GmbH

Michael Schenkel hat ein Herz für Marketing - da passt es gut, dass er bei t2informatik für das Thema Marketing zuständig ist. Er bloggt gerne, mag Perspektivwechsel und versucht in einer Zeit, in der vielfach von der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne von Menschen gesprochen wird, nützliche Informationen - bspw. hier im Blog - anzubieten. Wenn Sie Lust haben, verabreden Sie sich mit ihm auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen; mit Sicherheit freut er sich darauf!