Von Zukunftssorgen zur Zukunftslust

Gastbeitrag von | 10.03.2025

Warum Neugier der beste Begleiter ist

Karl Meier starrte auf seine Armbanduhr. Noch zwei Stunden. Zwei lange Stunden für eine Tätigkeit, von der er sicher war, dass sie ihm nichts bringen würde. Zukunftsforschung als Spaziergang – ernsthaft? Seine Softwareentwicklerin Luisa hatte ihn überredet, und nun trottete er missmutig hinter der Gruppe her.

Er zog die Schultern hoch. Es war kalt, der Himmel grau. Die Gespräche um ihn herum klangen lebhaft, aber Karl hörte nur Bruchstücke: „2030“, „künstliche Intelligenz“, „Disruption“ – alles Buzzwords, die ihm in seiner momentanen Situation wenig halfen. Sein Kopf war woanders. Die Zahlen seiner Firma CoolGrill machten ihm Sorgen. Noch immer hing ein Großteil des Umsatzes von den Automobilkunden ab – und die befanden sich mitten im Wandel oder im Überlebenskampf. Meist Letzteres. Er musste hier und jetzt Lösungen finden, keine Luftschlösser bauen.

Zukunftssorgen statt Zukunftslust im Mittelstand

Karl Meier ist kein Einzelfall. Viele deutsche Firmenchefs blicken mit Sorge in die Zukunft. Laut einer aktuellen Studie bezweifeln 37 Prozent der Manager, dass ihr Unternehmen in zehn Jahren noch überlebensfähig sein wird. [1] Besonders betroffen sind mittelständische Unternehmen, die – wie CoolGrill – in traditionellen Branchen verwurzelt sind und vor tiefgreifenden Veränderungen stehen. Die Herausforderungen sind vielfältig: Makroökonomische Unsicherheiten, geopolitische Spannungen und Cyber-Bedrohungen stehen ganz oben auf der Sorgenliste. Hinzu kommt der Fachkräftemangel, der vielen Unternehmen die Anpassung an neue Marktbedingungen erschwert.

Die verhaltene Stimmung im Mittelstand spiegelt sich auch in den Investitionen wider. Laut der aktuellen Jahresendumfrage des BVMW planen 41 Prozent der Unternehmen, ihr Investitionsvolumen in den kommenden zwölf Monaten zu reduzieren. Lediglich 23 Prozent wollen mehr investieren. [2] Auch Karl Meier ist auf die Bremse getreten und hat seine Investitionen deutlich zurückgefahren. Auch beim Thema Personal sind viele Unternehmen zurückhaltend. Zwar plant ein Drittel der Unternehmen, die Mitarbeiterzahl zu erhöhen, doch die Mehrheit (52 Prozent) hält den Personalbestand stabil – oft mit großer Unsicherheit, ob dies langfristig möglich ist. Genau in dieser Situation befindet sich Karl Meier. Er will einen Personalabbau vermeiden und hofft, dass die Aufträge aus der Automobilindustrie zumindest einigermaßen stabil bleiben.

Vom Skeptiker zum Neugierigen: Ein verblasstes Schild macht Lust auf Zukunft

Die Gruppe kam vor einem schmucklosen, grauen Gebäude zum Stehen. Altersheim St. Georg, las Karl auf dem leicht verblassten Schild.

“Wir sind auf unserer gedanklichen Zeitreise im Jahr 2030 angekommen”, sagte der Moderator. Karls Gruppe wählte das Thema Robotik.

In Karls Bauch breitete sich ein seltsames Grummeln aus. Nicht wegen des Themas – sondern wegen des Ortes. Seine Mutter lebte noch bei ihm zu Hause. Noch war sie selbstständig genug, noch kam sie allein zurecht. Aber wie lange noch? 2030 war nicht mehr weit. Würde sie dann in einem Pflegeheim sein? Und wenn ja, wer würde sie dann pflegen? Ein Mensch? Eine Maschine?

Er blickte zu den Fenstern des Gebäudes hinauf. Mit Pflegeheimen hatte er sich bisher kaum beschäftigt. Aber jetzt, in diesem Moment, wirkte das Gebäude vor ihm nicht mehr wie ein abstrakter Ort. Es war ein mögliches Szenario. Eine Realität, die auf ihn und seine Mutter zukommen könnte.
„Roboter in der Pflege – was haltet ihr davon?“, fragte jemand aus der Gruppe.

Karl schluckte. Kaltes Blech statt warmem Händedruck? Werden Roboter seine Mutter waschen, ihr beim Anziehen helfen, ihr vielleicht sogar Geschichten erzählen? Wäre das menschenwürdig – oder vielleicht sogar besser als überlastete Pflegekräfte mit wenig Zeit?

Plötzlich war die Zukunft nicht mehr nur eine abstrakte Vision. Sie war ein persönliches Szenario. Und die beruflichen Sorgen und Nöte rückten für Karl plötzlich in weite Ferne. Zum ersten Mal an diesem Tag hörte Karl den Gesprächen der Gruppe wirklich zu.

Das Thema ließ ihn nicht mehr los. Am Wochenende klickte er sich von Artikel zu Artikel, sah sich Videos von der World Robot Conference an und las Erfahrungsberichte aus Japan, wo Roboter längst zum Alltag gehören. [3] Und je tiefer er in das Thema eintauchte, desto mehr Fragen tauchten auf. Wie würde das wohl in Deutschland aussehen? Würde seine Mutter damit einverstanden sein? Würde er es akzeptieren?

Neugier zahlt sich aus: Von besseren Entscheidungen zu mehr Innovation

Karl Meiers Neugier auf mögliche Zukünfte war geweckt. Neugier zahlt sich auch für sein Unternehmen CoolGrill aus. Der Business Case für Neugier wurde bereits mehrfach positiv bewertet. [4]

Neugier treibt an, Annahmen zu hinterfragen und lang gehegte Überzeugungen in Frage zu stellen. Neugierige Menschen in Unternehmen stellen Fragen wie „Warum?“ und “Was wäre wenn?”. Dies erweitert den Lösungsraum bei der Problemlösung und generiert Ideen, die später zu erfolgreichen Innovationen werden können.

Neugier verbessert auch die Entscheidungsfindung. Sie fördert die Suche nach weiteren Alternativen. Und Neugier treibt eine gründliche Analyse voran. Beides führt zu besseren Entscheidungen. [5]

Neugier fördert auch das Durchhaltevermögen. Thomas Alva Edison, der Erfinder der Glühlampe, soll einmal gesagt haben: „Ich habe nicht versagt. Ich habe nur 10.000 Wege gefunden, wie es nicht funktioniert.“ Ohne Neugier hätte er vielleicht nach einigen Versuchen aufgegeben. Gerade in schwierigen Zeiten, wie sie CoolGrill derzeit durchlebt, kann Neugier also ein wichtiges Instrument sein.

Aus Neugier wird Tatendrang: Karls nächster Move

Am Montag morgen betrat Karl das Büro. Auf dem Weg zu seinem Schreibtisch zögerte er kurz, dann schlug er den Weg zur Softwareentwicklung ein. Luisa stand gerade an der Kaffeemaschine.

„Luisa, guten Morgen! Ich wollte mich noch mal für den Zukunftsspaziergang bedanken.“ Seine Stimme klang ungewöhnlich lebhaft.

„Wow, das hätte ich jetzt nicht erwartet. Ich dachte, du fandest es eher … na ja, überflüssig?“

Karl lachte leise. „Ja, das dachte ich auch. Aber die Station am Pflegeheim. Das Thema Robotik. Ich habe das ganze Wochenende recherchiert.“

„Und? Hast du was Spannendes gefunden?“

„Mehr als das. Ich frage mich, ob humanoide Roboter nicht ein ganz neues Marktsegment für uns sein könnten. Ich habe zwar keine Ahnung, wie und was genau – aber der Gedanke lässt mich nicht mehr los.“

Luisa zögerte nicht lange. „Dann lass uns doch daraus einen FedEx Day machen. Einen Tag, an dem wir mit unserem Team und vielleicht ein paar externen Experten genau das ausloten: Wo können wir als CoolGrill in diesem Bereich ansetzen? Und am Ende des Tages machen wir das, was wir herausgefunden haben, in einem Prototyp anfassbar.“

Er nickte. „Ich habe zwar keine Ahnung, wie das gehen soll. Aber wir machen das einfach. Hast du Lust, das zu organisieren?“

Vom Denken zum Machen: So fördern Sie Neugier im Unternehmen

Neugier ist mehr als eine persönliche Eigenschaft – sie ist ein Erfolgsfaktor für Unternehmen. Studien belegen, dass neugierige Unternehmen innovativer sind. Sie treffen bessere Entscheidungen und sind ausdauernder. [6] Karl Meier ist auf den Geschmack gekommen. Seine Neugier und Offenheit haben ihn auf eine Idee gebracht, die sein Unternehmen in eine ganz neue Richtung lenken könnte.

Wenn auch Sie auf den Geschmack gekommen sind, der Neugier im Unternehmen eine Chance zu geben, dann habe ich zum Schluss noch drei Tipps zum Ausprobieren und Variieren für Sie:

  1. Etablieren Sie eine Routine des Fragenstellens. Wie wäre es mit einem #FragenFreitag, an dem Sie Fragen zu einem Thema Ihres Unternehmens oder Ihrer Branche stellen? Wer mutig ist, stellt Dinge in Frage oder auf den Kopf.
  2. Raus aus dem gewohnten Denkrahmen, raus an die frische Luft: Ein Future Walk ist mehr als ein Spaziergang. Er bringt Menschen in Bewegung – körperlich und geistig. Neue Umgebungen, frische Luft und zufällige Reize machen neugierig und helfen, gewohnte Denkmuster zu durchbrechen.
  3. Lassen Sie der Neugier im Unternehmen freien Lauf und tüfteln Sie nach dem Vorbild von Thomas Alva Edison. Organisieren Sie einen FedEx Day oder einen Hackathon.

Sind Sie neugierig auf Neugier? Dann suchen Sie sich einen der drei Tipps aus und probieren Sie ihn in den nächsten sieben Tagen aus. Neugier ist wie ein Muskel – wer ihn trainiert, stärkt seine Innovationskraft. Aber kein Läufer startet direkt zum Marathon. Zuerst geht es darum, von der Couch aufzustehen. Statt eines Prototypen als Ergebnis eines ganzen FedEx Days reicht vielleicht eine Stunde in der Mittagspause, in der ein Dokument oder ein kurzes Video entsteht. Statt eines zweistündigen Future Walks kann auch ein 30-minütiger Spaziergang über das Werksgelände nach dem Mittagessen neue Impulse bringen. Viel Erfolg beim neugierigen Loslaufen.

 

Hinweise:

Tobias Leisgang ist Moderator und Begleiter für Unternehmen, die mutig neue Wege gehen wollen. Wenn das Loslaufen immer noch schwer fällt, dann schauen Sie gerne auf seiner Website vorbei oder kontaktieren Sie ihn auf LinkedIn für ein paar gemeinsame erste Meter. 😉

[1] Haufe: Rezession, KI und Investitionen: Was deutsche CEOs bewegt
[2] BVMW: Jahresendumfrage 2024/25 – Deutsche Unternehmen zwischen Herausforderung und Zukunftschancen
[3] YouTube: Aging Japan turns to AI robots to care for older people
[4] Harvard Business Review: The Business Cases for Curiosity
[5] Human Capital Leadership Review: Leveraging Curiosity: How Asking Questions Drives Innovation and Success
[6] fontiers: From entrepreneurial passion to business model innovation: The role of entrepreneurial learning and curiosity

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Tobias Leisgang
Tobias Leisgang
„Die Zukunft ist der einzige Ort, an dem ich den Rest meines Lebens verbringen werde“ - Charles Kettering hatte Recht und Tobias Leisgang nimmt dieses Zitat sehr ernst. Nach dem Studium der Elektrotechnik entwickelte er Halbleiter, erforschte mit globalen Teams neueste Technologien und machte die Lieferkette eines Automobilzulieferers zukunftsfähig.

Heute hilft er kleinen und mittelständischen Unternehmen, nachhaltige Geschäftsmodelle zu entwickeln - mit viel Weitblick und einem Schuss Pragmatismus. Denn zwischen guten Ideen und ihrer Umsetzung stehen oft viele Entscheidungen - und genau da kommt Tobias ins Spiel: In „Kopf & Bauch - Der Podcast der Entscheidungen“ gibt er spannende Einblicke, wie man sie trifft.

Und weil Stillstand für ihn keine Option ist, setzt Tobias seine Reise als Zukunftsgestalter fort - natürlich nicht im schicken Anzug, sondern als Student im Studiengang Zukunftsdesign. Denn wer sagt, dass man nie genug lernen kann?

Im t2informatik Blog veröffentlichen wir Beträge für Menschen in Organisationen. Für diese Menschen entwickeln und modernisieren wir Software. Pragmatisch. ✔️ Persönlich. ✔️ Professionell. ✔️ Ein Klick hier und Sie erfahren mehr.