Transformation der IT in die agile Welt

Gastbeitrag by | 31.01.2022

Meine Achterbahnfahrt bei der agilen Transformation der IT der GIZ

Der Handbiker Errol Marklein rollte auf die Bühne. Ich war sehr gespannt, wie die 80 Mitarbeiter meiner Abteilung darauf reagieren würden. Ob er mit seiner Rede Lust auf die nötigen Veränderungen und eine Aufbruchstimmung erzeugen konnte – und ob das die Veränderung zu einer ständig lernenden Organisation tragen würde?

Die neue Strategie der IT-Abteilung der Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH1 hatte der Vorstand ein paar Wochen vor dem Auftritt von Errol Marklein verabschiedet. Die Mitarbeiter der Abteilung sollten agiler arbeiten. In den nächsten beiden Jahren galt es, die nötigen Kompetenzen und Kenntnisse zu erwerben. Die Mitarbeiter waren bisher stark darin, sich individuell auf dem neusten fachlichen Stand ihrer IT-Systeme zu halten. Agiles Arbeiten erfordert aber mehr. Es ist eine ständige Selbstreflexion als Team nötig. Hat man erreicht, was man erreichen wollte? Waren die Arbeitsweisen hilfreich oder mussten sie verändert werden? Zu einer lernenden Organisation zu werden, war eine große Kulturveränderung für die Mitarbeiter der IT.

Mein Managementteam und ich als Leiter der IT-Abteilung wollten die Neugierde der Mitarbeiter und Lust auf neue Arbeitsformen wecken, damit sie sich zukünftig selbst die nötigen, neuen Kompetenzen aneignen.

 

Es beginnt mit Dir

Wie erzeugt man eine Aufbruchstimmung bei einer Transformation? Wir planten ein Event als Kick-off. Inspirierende Vorträge von Top-Referenten kombiniert mit kleinen Workshops zum Ausprobieren der vorgestellten Methoden. Und als Highlight einen Motivationscoach. Aber wir wollten jemanden mit einer Verbindung zu unseren Mitarbeitern engagieren. Also fragte ich einen unserer Mitarbeiter, der ein Rollstuhlfahrer und stark engagierter Sportler war. Er etablierte u.a. den Handbike-Wettbewerb beim Frankfurt-Marathon. Er war sofort begeistert von der Idee und empfahl Errol Marklein, ebenfalls Rollstuhlfahrer und erfolgreicher Sportler und Unternehmer.

Zu dem Kick-off versammelten wir alle IT’ler. Ich hielt die Eröffnungsrede und machte die Veränderungsnotwendigkeit und das Ziel der Transformation klar. Danach kamen die drei externen Referenten, die erste methodische und persönliche Kompetenzen vermittelten. Errol Marklein machte den Anfang. In seiner bewegenden Geschichte prägte er den Slogan der nächsten Wochen: “Es beginnt mit Dir”. Er erzählte von seinem schweren Autounfall mit 17, der resultierenden Querschnittlähmung, seiner Entwicklung zum Topsportler, allem zum Trotz. Vielfacher olympischer Goldmedaillengewinner, Trainer der deutschen Handbike-Nationalmannschaft und ein erfolgreicher Unternehmer. Unsere Mitarbeiter hörten gebannt zu und viele wollten sich im anschließenden Mini-Workshop direkt mit ihm austauschen.

Die Fortsetzung machte ein Vortrag über künstlerisches Arbeiten und was Unternehmen von Künstlern lernen können. Ganz praktisch wurden in dem anschließenden Mini-Workshop vier Kunstwerke aus Bohnen, Erbsen und Spaghetti geschaffen und hinterher gaben sich die Teams gegenseitig künstlerisches Feedback. Dabei ging es nur um die eigene Wahrnehmung und entstehende Gefühle. Es gab weder gut noch schlecht. Diese positive Form der Rückmeldung beförderte gestaltende Zusammenarbeit.

Ein Vortrag über Effectuation rundete den Methodenüberblick ab. Der wissenschaftlich beschriebene unternehmerische Weg, eine ungewisse Zukunft zu gestalten, animierte viele, die Auswirkungen dieser Haltung auf Innovation und Fehlerkultur im folgenden Mini-Workshop auszuprobieren.

Ich selbst leitete keinen Workshop und konnte überall vorbeischauen. Wo ich hinkam, spürte ich eine große Energie und Leidenschaft. Es war ein grandioser Start für die Transformation.

Inspiration und lernen

Für die eigentliche tiefe und dauerhafte Vermittlung von Kompetenzen und Haltungen fuhren wir zweigleisig. Zum einen wollten wir feste Ausbildungen anbieten und zum anderen schufen wir ein regelmäßiges Format mit kurzen Impulsvorträgen mit anschließender Diskussion.

Mit einer Kollegin boten wir eine vierteilige Effectuation-Ausbildung an. Wir limitierten die Teilnehmerzahl auf 10. Schon am Tag nach dem Kick-off-Workshop war der Kurs ausgebucht und es gab eine Warteliste. Gemeinsam mit effectuation-intelligence2 entwickelten wir sogar ein externes Zertifikat „Effectuation-Practioneer“, das die Ausbildung noch attraktiver machte.

Unserer Testmanagerin regte zusätzlich eine Ausbildung  zum intern zertifizierten Testmanager an, bei der Teilnehmer die Kompetenz erlernten, mit wenig Aufwand ein fehlerfreies IT-System zu entwickeln. Ihre Kurse waren schnell ausgebucht und blieben auch die nächsten Jahre stark nachgefragt.

Kurz nach dem grandiosen Kick-off-Workshop starteten wir die Reihe der Impulsvorträge. Alle vier Wochen gab es einen Vortrag mit bunt gemischten Themen, die relevant für agiles Arbeiten sind. Wir nannten sie knackig „IT-Inspiration Talk“.3 Eigene Vorträge wurden gemischt mit denen externer Referenten. Von gewaltfreier Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg4 über einen systemtheoretischen Blick auf die Welt5 bis zu Tipps für Change in IT-Projekten reichte das Angebot.

Zur Steigerung der Motivation hatten wir uns ein spielerisches Element ausgedacht: den Methoden-Quilt der IT. Nach jeder Veranstaltung konnte man sich die Teilnahme abzeichnen lassen. Nach einem Jahr sollte es ein Zertifikat geben; leider war dies der erste Misserfolg bei unserem Transformationsvorhaben. Ein paar wenige Mitarbeiter hatten sich am Anfang eine Teilnahmebestätigung geholt, aber selbst die wenigen hörten damit bald auf.

Auch die Teilnahme an den IT-Inspiration Talks stagnierte bei ca. 25-30 Mitarbeitern. Und es waren immer dieselben. Von einigen Teams nahm nie jemand teil. Zum Glück erreichte unsere Testmanagerin in ihrer Ausbildungsreihe mit Testworkshops noch andere Teilnehmer. Aber selbst davon blieben einige Teams fern. Hinter vorgehaltener Hand hieß es, das sei doch alles nur Belustigung, nicht relevant und lenke von der Arbeit ab. Ich war frustriert und wusste nicht weiter.

Selbstorganisation schafft eine noch breitere Basis für eine Transformation der IT

Wir fragten uns, wie es gelingen konnte, alle Teams bei der Transformation einzubinden, und entschieden wir uns für einen radikalen Schritt: Bei der jährlichen Außentagung 8 Monate nach dem Kick-off bereitete das Management keine Inhalte vor! Stattdessen machten wir ein IT internes Barcamp.6 Und damit erreichten wir tatsächlich alle Teams. Vieles wurde an den zwei Tagen in zahlreichen einstündigen Workshops diskutiert. Wissen wurde vermittelt und gemeinsam an Themen gearbeitet. Die gesamte Veranstaltung wurde von den Interessen und dem Engagement der Mitarbeiter getragen. Der Erfolg war so groß, dass wir das Format auch in den nächsten Jahren beibehielten.

Damit wir noch mehr Mitarbeiter aus allen Teams erreichen konnten, brachen wir mit dem Prinzip der reinen Freiwilligkeit. Für den zweiten Durchgang unserer Effectuation-Ausbildung sprachen wir gezielt zwei Teilnehmer aus Teams an, die sich bisher sehr zurück gehalten hatten.

Wir hatten schon ein wenig vor dem Start der neuen Strategie mehr Selbstorganisation gefördert. Jeder konnte Themen, die ihm wichtig waren, beginnen. Voraussetzung war, dass diese transparent für alle waren und wichtige Routinethemen nicht unter den Tisch fielen.

Und tatsächlich wurde dieser Freiraum von einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern genutzt, die agiles Projektmanagement lernen, ausprobieren und in der GIZ einführen wollten. Sehr schnell bildeten sich die „agile eleven“. Sie organisierten sich einen Agile Coach, führten einen IT Inspiration Talk durch und initiierten eine Ausbildung für weitere 12 Mitarbeiter.

Eine positive Bilanz nach zwei Jahren

Nach zwei Jahren endete diese Phase der Umsetzung der IT-Strategie. Bis dahin haben von den 80 Mitarbeitern der Abteilung IT mehr als 50 Personen an Trainingsmaßnahmen teilgenommen und sich mit den Kompetenzen für agiles Arbeiten beschäftigt. Wir wollten in diesen zwei Jahren jeweils mindestens ein Viertel der Mitarbeiter in Scrum, Effectuation und Testmanagement schulen. Viel wichtiger als Schulungen war uns aber die Anwendung in der Praxis. Schon im ersten Jahr gab es erste erfolgreiche Leuchtturm-Projekte. Im zweiten Jahr wurde bereits ein Viertel der Projekte mit den neuen Methoden von lernenden Teams geleitet. All dies passierte freiwillig und selbstorganisiert. Es wurde die vorhandene Expertise von Mitarbeitern genutzt und nur ganz sparsam und gezielt durch externe Coaches oder Impulsgeber ergänzt. Damit haben wir die neue IT-Strategie gut auf den Weg gebracht.

Meine wichtigsten Erfahrungen:

  1. Laden Sie Ihre Mitarbeiter von Anfang an, aktiv den Veränderungsprozess bzw. die Transformation zu gestalten. Wer eingeladen wird zu gestalten, übernimmt auch Verantwortung.
  2. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und zeigen Sie Ihre Veränderungs- und Lernbereitschaft. Wenn Sie voran gehen, werden Sie eine Bewegung starten.
  3. Überprüfen Sie regelmäßig, wie sie als Team vorankommen. Das Definieren von Zielen hilft dabei.
  4. Ändern Sie Ihre Ansätze, wenn sie nicht funktionieren. Seien Sie dabei aber transparent und halten Sie an Ihrer Vision fest, denn das schafft Klarheit bei den unentschlossenen, insbesondere falls es Gegenwind gibt.

 

Hinweise:

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[1] Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH
[2] effectuation intelligence
[3] Danke Dirk Dobiéy für den Namen 🙂
[4] Gewaltfreie Kommunikation
[5] Systemische Beratung
[6] Ein Barcamp ist eine offene Tagung, deren Inhalte von Teilnehmer selbst gestaltet werden.

Zu guter Führung gehören weitere Aspekte wie das Lösen von Konflikten, die Teamentwicklung, die Verbesserung von Prozessen, die Weiterentwicklung seiner Einheit und und ganz wichtig, sich selbst zu steuern. Interessieren Sie sich für diese Themen, dann empfehlen wir Ihnen gerne das Buch Modern Leading – Methoden sind Nebensache von Dr. Eric Heinen-Konschak.

Modern Leading - Methoden sind Nebensache - Blog - t2informatik

Dr. Eric Heinen-Konschak hat zwei weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Gute Führung ist so einfach

Gute Führung ist so einfach

t2informatik Blog: Mutige Führung mit Herz

Mutige Führung mit Herz

Dr. Eric Heinen-Konschak
Dr. Eric Heinen-Konschak

Dr. Eric Heinen-Konschak verfügt über 30 Jahre Erfahrung als Führungskraft. Von 2006-2018 leitete er die IT-Abteilung der GIZ, davor war er in verschiedenen Leitungspositionen bei Lufthansa und Lufthansa Systems tätig. Heute leitet er ein Digitalisierungsprojekt in der Entwicklungszusammenarbeit der GIZ und hilft nebenberuflich Führungskräften und Teams auf dem Weg in die agile Welt.