Wie Teams durch Werte wirksamer werden

Gastbeitrag von | 25.08.2025

Werte als Handlungsrahmen

Kennen Sie das?

Sie haben alles für das Meeting vorbereitet: Räume organisiert, die Einladung versendet und die Präsentation mit allen Zahlen aktualisiert und aufbereitet. Und dann kommt der Chef um die Ecke und sagt das Meeting ab.

Sie haben sich für heute Morgen einen Terminblocker im Kalender gesetzt, um an dem Kreativkonzept für die neue Marketingstrategie zu arbeiten. Doch das Telefon steht nicht still und die Kollegen laufen permanent ins Büro, um irgendwelche Informationen zu erfragen oder um sich einfach nur auszutauschen.

Manchmal gehen wir mit solchen und ähnlichen Situationen gelassen um. Manchmal auch nicht. Warum?

Ein Grund: Weil unsere Werte in derartigen Situationen nicht berücksichtigt werden. Im ersten Fall kann es z.B. der Wert Struktur und Ordnung sein, im zweiten Fall Freiheit.

Je nachdem, wie stark uns dieser innere Maßstab in der jeweiligen Situation leitet, können wir entspannt reagieren – oder eben nicht. Unsere Grundhaltungen prägen unser Handeln und Verhalten im Zusammenspiel mit anderen Menschen.

Dieses Miteinander geschieht oft unbewusst. Wir fühlen uns zu Menschen hingezogen, die ähnliche Überzeugungen teilen. Und sehen dies, weil wir zu einem Thema die gleiche Meinung haben, ähnlichen Hobbies nachgehen, ähnliche Arbeitsweisen haben usw. Doch selten tauschen wir uns direkt darüber aus. Oder haben Sie schon einmal in einem Kennenlerngespräch gefragt: „Welche Werte sind Ihnen wichtig?“ und anschließend Ihre eigenen genannt?

Wir alle haben viele Werte, die uns ansprechen. Wirklich „leben“ können wir jedoch nur maximal fünf bis sechs davon – unsere Leitwerte.

Werte – das unsichtbare Fundament unseres Handelns

Während meiner Selbstständigkeit bin ich meinen Werten nähergekommen und habe mich intensiver mit ihnen beschäftigt. Zunächst habe ich reflektiert, welche davon ich aktuell lebe, und festgestellt, dass diese fünf für mich besonders prägend sind:

  • Freiheit,
  • Offenheit,
  • Wertschätzung,
  • Liebe und
  • Zuverlässigkeit.

Dabei ist mir recht schnell bewusst geworden, dass die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, teilweise ähnliche Leitwerte haben, also eine recht große Übereinstimmung oder Ähnlichkeit herrscht.

Außerdem ist mir noch etwas aufgefallen: Jedes Mal, wenn es in mir gärt, ich mich über das Verhalten einer Person ärgere oder wiederholt kritisiere, liegt es daran, dass mindestens einer meiner fünf Leitwerte gerade nicht gesehen oder sogar verletzt wird.

Von Reaktion zu Aktion: Wie Werte uns handlungsfähig machen

Diese Erkenntnis zeigte mir Handlungsoptionen auf. Ich kann Einfluss auf diese Situationen nehmen. Wenn ich weiß, welcher Wert verletzt wurde, kann ich dies sagen. Ich kann mein Bedürfnis mitteilen: z.B. nach mehr Zuverlässigkeit, wenn der Kollege zum dritten Mal das Meeting verschoben hat. Oder nach Freiheit, wenn mein Terminkalender schon wieder von außen gesteuert wurde.

Und ich kann auch im Vorfeld mehr auf Situationen einwirken. So kann ich vor einem Meeting mitteilen, dass mir ein pünktliches Ende wichtig ist, da Zuverlässigkeit ein wichtiger Wert für mich ist. Das hat vielleicht auch den positiven Nebeneffekt, dass ich nicht als pedantisch und überorganisiert wirke, denn Zuverlässigkeit wird mit etwas Positivem verbunden, während die bloße Äußerung des Wunsches nach einem pünktlichen Ende möglicherweise als begrenzend wahrgenommen wird. Im Idealfall kommt es zu einem Austausch, wenn einer anderen Person ein Thema wichtig ist, das sie in der vorgegebenen Zeit nicht sicher unterbringen kann. Also können wir uns überlegen, wie wir damit umgehen und z.B. einen Timekeeper benennen, die Agenda ausdünnen, einen separaten Termin vereinbaren, ein klares Ziel definieren usw.

Durch die Benennung der Werte werden die Bedürfnisse aller Teilnehmenden gesehen und im Idealfall auch berücksichtigt. Oder dass zumindest darauf geachtet wird. Damit kann jede Person für sich auch entscheiden, inwieweit sie auf die anderen eingeht und „gelassen“ sein kann, wenn der eigene Wert an dieser Stelle nicht berücksichtigt wird.

An anderer Stelle war ich wütend auf einen Kooperationspartner, da er sich unkollegial verhalten hat und ich um meine Rechte in der Partnerschaft kämpfen musste. In diesem Fall waren meine Leitwerte Zuverlässigkeit, Wertschätzung und Offenheit verletzt. Da es sich um eine Vielzahl handelte, habe ich entschieden, die Zusammenarbeit zu beenden.

Meine Werte geben mir also einen Rahmen und dienen mir als Handlungsgrundlage. Oder etwas anders formuliert:

Ich nutze sie als

  • Richtungsweiser,
  • Basis für Entscheidungen,
  • Maßstab für mein Leben.

Ich habe festgestellt, dass ich durch die Arbeit mit Werten die Emotionalität in bestimmten Themen und Situationen steuern kann. Denn mein Wert „Freiheit” ist nicht verhandelbar. Wenn jemand diesen Wert verletzt, kann ich handeln: Ich spreche es an und äußere mein Bedürfnis und meinen Wunsch. Selbst wenn sich die Situation dadurch nicht verbessert, habe ich die Möglichkeit, für mich zu entscheiden, wie wichtig mir meine Freiheit ist und wie ich damit umgehen möchte. Durch die Wertearbeit bleibe ich also handlungsfähig.

Werte im Team klären, bevor Konflikte entstehen

Das setze ich z. B. in Teamentwicklungen und bei Konflikten in Teams ein. Häufig wissen Mitglieder nicht, welche Grundhaltungen sie selbst oder andere im Team vertreten, geschweige denn, welche davon sie teilen. Durch die Wertearbeit setzen sie sich damit auseinander und tauschen sich darüber aus. Sie lernen einander besser kennen und können das Verhalten ihrer Kollegen und Kolleginnen besser nachvollziehen. Jede Person kann einen Wert nämlich unterschiedlich leben. Es kann sein, dass ein Team einen gemeinsamen Wert wie z. B. Offenheit gefunden hat, den jedoch jedes Teammitglied anders interpretiert und lebt.

Ein Beispiel: Ich hatte einen Geschäftsführer als Vorgesetzten, der sagte, er sei offen. Tatsächlich waren sehr viele Informationen für alle Mitarbeitenden zugänglich. Dennoch gab es einige Informationen, die nicht offen kommuniziert wurden. Das störte viele Mitarbeitende, weil sie unter Offenheit vollständige Offenheit verstanden. Ein Geschäftsführer muss jedoch die Privatsphäre der Mitarbeitenden und vertrauliche Informationen von Kunden wahren. Auch verschiedene betriebswirtschaftliche Informationen sind ggf. mit Vorsicht offenzulegen, da jeder Mensch Informationen unterschiedlich interpretiert.

Die Auseinandersetzung damit, was die einzelnen Personen unter den jeweiligen Prinzipien und Haltungen verstehen, ist ein wichtiger und notwendiger Schritt in der Wertearbeit von Teams.

Konflikte in Teams entstehen nicht von heute auf morgen, sondern entwickeln sich schleichend, unmerklich und kaum wahrnehmbar. Da fehlt ein Kollege häufiger mal, ohne dass es wirklich auffällt, oder eine Kollegin liefert die Ergebnisse nicht ganz so pünktlich und vielleicht nicht mehr mit der gewohnten Qualität. Oder das Team steckt nicht mehr so viel Energie in die Projekte, um sie auf jeden Fall erfolgreich abzuschließen und keine Termine zu reißen.

In der Konfliktmoderation gehe ich auf die Bedürfnisse der einzelnen Teammitglieder ein. Hier bietet die Wertearbeit die Möglichkeit, diese Bedürfnisse sichtbar zu machen und Lösungsoptionen abzuleiten. Denn wenn ich verstehe, warum der Kollege wütend ist, dass ich das Meeting abgesagt habe, kann ich andere Handlungsoptionen entwickeln, um meine Interessen zu berücksichtigen und gleichzeitig den Kollegen nicht wütend werden zu lassen.

Werte im Team klären und Konflikte vermeiden

Abbildung: Werte im Team klären und Konflikte vermeiden

Praxistipp: Mini-Workshop-Skizze für Wertearbeit im Team

Wird ein Team neu gebildet, wie es in Projekten oftmals der Fall ist, lässt sich die Wertearbeit sehr gut an den Beginn stellen.

Als Führungskraft bzw. Projektleitung bin ich auch Teil des Teams. Idealerweise nimmt man sich für eine Teamentwicklung eine externe Moderation. Entscheidet die Leitung die Moderation selbst zu übernehmen, sind die eigenen Erkenntnisse der Leitung in den Übungen und Aufgaben zu berücksichtigen.

Hier ist eine Mini-Workshop-Skizze zur Wertearbeit im Team

Vorbereitung:

  • Ausreichend Zeit mit dem Team einplanen (Ideal: 1 Tag)
  • Räumlichkeiten suchen (ideal: Außerhalb der eigenen Räumlichkeiten der Organisation) inkl. Moderationsmaterialien, ggfs. Anfahrt klären
  • Für ausreichend Verpflegung sorgen (Wertschätzung des Teams)
  • Mit dem Team gemeinsam im Vorfeld das Ziel des Workshops festlegen (SMART: Was wollen wir erreichen und wie stellen wir fest, dass wir es erreicht haben)

Start des Workshops:

  • Ankommen und einstimmen auf den Tag (durch Vorgesetzte*n)
  • Übung zum näher kennenlernen, einstimmen (z.B. eigene Bedienungsanleitung schreiben, Interview führen, Poster gestalten und präsentieren, Aufstellung usw.)

Wertearbeit Teil 1:

  • Gemeinsame Werte finden (z.B. über die 1-2-3-4-all Methode)
  • In den Austausch gehen und die Bedeutung, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten

Wertearbeit Teil 2:

  • Wie gehen wir mit den Unterschieden um? (Konkrete Vereinbarungen treffen)
  • Was bedeuten die Werte für unsere Arbeit (z.B. mit Zukunftsszenarien arbeiten und daraus ableiten, wie die Leitwerte hier sichtbar werden oder über die Walt-Disney-Methode)

Abschluss:

  • Gemeinsame Reflexion
  • gemeinsamer Abschluss des Tages

Haben Sie die Möglichkeit, zwei Tage für die Teamentwicklung zu nutzen, lässt sich auch eine Kombination aus Visions- und Wertearbeit gestalten:

  • Entwicklung einer gemeinsamen Vision (z.B. über Purpose-Turnier) und daraus Ableitung, wie die Werte helfen, die Vision zu erreichen mit Entwicklung konkreter Vorgehensweisen.

 

Fazit: Werte machen Teams handlungsfähig und wirksam

Ein gemeinsamer Wertekanon schafft die Basis für klare Kommunikations- und Arbeitsstrukturen mit transparenten Schnittstellen im Projektalltag.

Wertearbeit hilft, Konfliktpotenziale früh zu erkennen und gezielt Handlungsoptionen zu entwickeln, bevor Spannungen entstehen. Sie fördert ein verständnisvolles und respektvolles Miteinander.

Für mich persönlich sind meine Werte ein Kompass. Sie helfen mir, Situationen einzuordnen und bewusst zu entscheiden: Spreche ich eine Verletzung an, beende ich im Extremfall eine Geschäftsbeziehung oder kann ich gelassen bleiben, weil mir der Wert in diesem Moment weniger wichtig ist?

Ein Gedanke zum Mitnehmen

Der Einstieg in die Wertearbeit beginnt mit einer einfachen Selbstreflexion:

  • Welche Werte sind Ihnen wichtig?
  • Und welche davon werden in Ihrem Alltag besonders häufig auf die Probe gestellt?

Die Antworten können helfen, bewusster zu handeln, gelassener zu reagieren und Entscheidungen klarer zu treffen.

Hinweise:

Möchten Sie Strukturen in Ihrem Unternehmen hinterfragen, werteorientiert arbeiten und die Zusammenarbeit im Team stärken? Dann lohnt sich ein Blick auf die Website von Irene Timmers.

Interessieren Sie sich für ein Praxisbeispiel, in dem Projektarbeit, Linienstrukturen und fehlende Kommunikation zu erheblichen Spannungen führten? Dann hören Sie in die gemeinsame Podcast-Folge von Thomas Wuttke und Irene Timmers: Kultur, Konflikte und Konsequenzen im Projektmanagement.

Wollen Sie als Multiplikatorin oder Meinungsführer das Thema weitertragen? Dann teilen Sie diesen Beitrag gerne in Ihrem Netzwerk oder auf Social Media.

Irene Timmers
Irene Timmers

Irene Timmers ist Unternehmensberaterin, Coach, Agile Coach und Mediatorin im Bereich Teamentwicklung mit Fokus auf Konflikt- und Projektmanagement. Ihr Ziel ist es, die Handlungsfähigkeit von (Projekt-)Teams zu stärken und sie zu erfolgswirksamen Teams zu formen.

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